I. Allgemeine Quellenkunde und Hilfswissenschaften.

Es spricht für die Fortschrittlichkeit der tschechischen Geschichtswissenschaft, daß sie stets für bibliographische Hilfsmittel gesorgt hat, welche die gesamten Sudetenländer umfassen. Neben der einzig in ihrer Art dastehenden Bibliographie von Zíbrt bot der Český časopis historický eine fortlaufende Bibliographie, die nunmehr von Kazimour (S. 161 Nr. 29) für 1920--1924 in einem stattlichen Bande, der nicht weniger als 7052 Nummern umfaßt, fortgeführt wurde. Leider ist K. nur sammelnder, nicht wissenschaftlicher Bibliograph. Unterschiedslos wird Wichtiges und Wertloses nebeneinandergestellt, Unübersichtlichkeit ist der zweite Hauptmangel. So mühevoll die Erfassung der gesamten Zeitungs- und Zeitschriftenartikelproduktion sein mag, für ebenso zwecklos muß man sie angesichts


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der kleinen Winkelblätter halten. Die Wissenschaft muß sich schon dazu bequemen, wertvolle Ergebnisse -- an ihnen allein hat die Forschung ein Interesse -- in den reichlich zu Gebote stehenden führenden Fachorganen niederzulegen, da sonst ein Erfassen des entlegenen Materials unmöglich ist. Wir wünschen daher eine Sichtung nach sachlichen Gesichtspunkten, Verwendung verschiedenen Druckes für Wichtiges und weniger Belangreiches. Auch im Register sollte nach jeder Nummer in der Art des Dahlmann-Waitz ein kurzes Schlagwort stehen; denn was soll man z. B. mit den bei Bartoš F. M. aufgezählten 39 Zahlen anfangen? -- Goll, ein Waitzschüler, ließ seit 1878 in der Revue historique kritische Sammelberichte über die neuen Arbeiten auf dem Gebiete der böhmischen Geschichte erscheinen, in denen er, der in die Fußstapfen Palackýs zu treten berufen war, seine umfassenden Kenntnisse bewährte und vielerorts bessernd eingriff. Diese Heerschau setzte er bis 1905 fort. Bis 1924 hat dann Šusta einen kurzen Überblick gegeben (vgl. Jahresber. Bd. 1 S. 3), wobei er freilich nur die allerwichtigsten Arbeiten und die nur kurz gewürdigt hat; jedoch hätten grundlegende Arbeiten wie die Zychas nicht fehlen dürfen. Dennoch bleibt überaus begrüßenswert, daß die Leistungen der sudetenländischen Historiographie des letzten Halbjahrhunderts von Šusta in einem Bande vereinigt wurden (S. 160 Nr. 13). --Kazbunda, der durch seine früheren Studien über die Archive des Obersten Polizeiamtes (1852--1859), des Polizeiministeriums (1859 bis 1867), des verfassungsgebenden Reichstages (1848--1849), des Reichsrates (1851--1861) und des vermehrten Reichsrates (1860--1861) nützliche Arbeiten geleistet hat, bietet nunmehr eine Übersicht über die Bestände des Archivs des österreichischen Staatsrates, und zwar über die in der Zeit von 1861--1868 die Tschechoslowakei berührenden Akten. Zugleich begleitet er dieses Verzeichnis mit einer zweckdienlichen Erläuterung über das Wesen des Staatsrates und einer Kennzeichnung seiner Mitglieder (S. 160 Nr. 27). In das Werden und den Inhalt des einstigen Statthaltereiarchivs in Prag, des jetzigen Archivs des Ministeriums des Innern läßt Bergl ( 75) einen flüchtigen Blick tun, was leider über die schwere Benützbarkeit des bisher nicht genügend geordneten Archivs nicht hinweghilft. Umso wohltuender wirkt die peinliche Ordnung und Übersichtlichkeit der reichen Bestände des Egerer Stadtarchivs, über das Siegl ( 76) berichtet. --Podlaha (S. 161 Nr. 42) beginnt nunmehr die reichen Schätze der Prager Metropolitankapitelbibliothek durch gut gearbeitete Kataloge zu erschließen. Gleich wichtig bleibt das alle Zweige der neueren Landesgeschichte, auch der auswärtigen Beziehungen mit seinem Material berührende Böhmische Landes-, jetzt Nationalmuseum, dessen Handschriften Bartoš sauber mit den nötigen wissenschaftlichen Hinweisen verzeichnet (S. 159 Nr. 2). Kinter ( 77), der sich um die Aufhellung der Bibliotheks- und Archivgeschichte Mährens bereits verdient gemacht hat, legt diesmal eine ansprechende Bibliotheksgeschichte Raigerns seit der ältesten Zeit bis auf unsere Tage vor. Aus der 125 Handschriften und 200 Inkunabeln enthaltenden Bibliothek der Jakobskirche in Brünn wählte sich E. Dostál (Časopis matice moravské 50, 276 bis 404) 18 Handschriften aus, deren Illuminierung aus dem 14. und 15. Jahrhundert von Brünnern stammt.

Erfreulicher Weise kann diesmal über eine eingehende diplomatische Arbeit, stammend von Šebánek (S. 162 Nr. 48) berichtet werden, die an einer klaffenden Lücke sudetenländischer Diplomatik rührt. Monographische, einzelnen


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geistlichen oder weltlichen Anstalten gewidmete Arbeiten tuen dringend not. Hat sich Š. auch nur mit der Kanzleigeschichte und -organisation des Olmützer Bischofs Dietrich beschäftigt, so bleibt dieser Querschnitt doch wichtig für die Erkenntnis der gesamten Kanzleigeschichte des Bistums. Überdies bringt die Arbeit erwünschtes Vergleichsmaterial für die übrigen Bistümer. Š. kommt zu dem Ergebnis, daß die Olmützer Bischöfe eine Kanzlei mit einem Vorstand und wenigstens einem Notar -- die Zahl konnte sich jedoch bis auf vier erhöhen -- besaß. Damit gleicht sie denen der übrigen Nachbardiözesen. Tadras allzu schematische Ausführungen werden damit ergänzt und gewinnen an Leben. -- In den Bereich der böhmischen Kanzlei führt Letošnik (S. 161 Nr. 434a), der sich als Diplomatiker mit den aus dem 16. Jahrhundert erhaltenen fünf Registerbänden offener Briefe aus der königlich böhmischen Kanzlei beschäftigt. Sie erstrecken sich über 28 Jahre und lassen den Verlust der übrigen bedauern, zumal ihr Inhalt wichtig ist. Die formale Seite der Bücher wird untersucht, ohne daß alle einschlägigen Fragen, so etwa, ob die Registereintragungen nach dem Konzepte oder Originale vorgenommen wurden, gelöst werden konnten. --Čáda (S. 159 Nr. 4) beschreibt 101 Siegel von Städten und Dörfern Böhmens, eine Auswahl aus der großen Zahl der im Landesmuseum gesammelten. Auf das hohe Alter der Stadtsiegel im Gegensatz zu den Stadtwappen weist Vojtíšek (S. 162 Nr. 56) an dem Beispiel Pilsens hin.


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