V. Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Der neuerstandene Staat veranlaßte die akademischen Lehrer, rechtsgeschichtliche Lernbehelfe für ihre Hörer zu schaffen, deren einige im Berichtsjahre vorliegen. Kapras (S. 160, Nr. 26) konnte sich dabei auf seine große, seit 1912 erscheinende, bisher unvollendete Rechtsgeschichte der böhmischen Länder stützen und seinen Studenten einen


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knappen, auch die historischen böhmischen Nebenländer berücksichtigenden Abriß vorlegen, der neben dem großen Werke selbständigen Wert besitzt, da die neuere Literatur verarbeitet und in einem nützlichen Anhange mit verzeichnet ist. Auch der verdiente Erforscher der slawischen Rechtsgeschichte Kadlec (S. 160, Nr. 24) verbesserte seine bis 1848 reichende, 1907/08 erstmalig erschienene Verfassungsgeschichte Mährens und bearbeitete besonders die Zeit bis 1628 vollständig neu. Anerkennenswert dabei ist, daß er die mährischen Verhältnisse nicht nur in den böhmischen, sondern allgemein slawischen und deutschen Rahmen einordnet, wie es bei dem Verfasser der »Dějiny veřejného práva v střední Evropě« (1924) (Geschichte des öffentlichen Rechtes in Mitteleuropa) gar nicht anders zu erwarten ist. Hinzugenommen hat K. auch Schlesien (Troppau-Jägerndorf). Ein Literaturverzeichnis ist beigegeben. Baxa (S. 159, Nr. 3) hat schließlich für die Zeit nach 1848 einen Abriß des öffentlichen Rechtes in Mitteleuropa (Deutsches Reich und Österreich) geliefert, diesen bis 1918 geführt, allerdings in erster Linie Böhmen berücksichtigt, während das Deutsche Reich entschieden zu kurz kommt.

Im Zusammenhange mit der Darstellung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Breslauer Bistumslandes hat Pfitzner ( 614) dem diesseitig schlesischen Anteile, der Freiwaldauer Bezirkshauptmannschaft, eine Darstellung gewidmet, auch sonst die analogen Verhältnisse in den Sudetenländern zur Erklärung heranzuziehen versucht. -- Seine früheren Studien zur mährischen Verfassungsgeschichte fortsetzend, untersucht Horna (S. 160, Nr. 18) die Stellung der einzelnen mährischen Teilfürstentümer, vergleicht sie mit ähnlichen Erscheinungen der übrigen slawischen Welt und erkennt dabei, daß die Stellung der mährischen Teilfürsten eine viel abhängigere von Prag gewesen ist, als etwa die der piastischen oder sonstigen Teilfürsten zu ihrer Zentrale. Dann werden die einzelnen Befugnisse, die Zahl der Teilfürsten, das Zusammen- oder Auseinanderfallen mit den Kreisen untersucht.

Hatte im vergangenen Jahre Perels eine eingehende, wenngleich ohne Berücksichtigung der tschechischen Literatur geschriebene Abhandlung dem Schicksal der böhmischen Kur bis zum Ausgange des 15. Jahrhunderts gewidmet, so ist die wohl ungefähr gleichzeitig damit entstandene Arbeit Kühnes ( 1600) vornehmlich den folgenden Jahrhunderten bis zu Maria Theresia zugedacht. Bisher hatte sich die Forschung mit den älteren Verhältnissen beschäftigt, die jüngeren, weil merklich verwischt und sondergestaltet, außer acht gelassen. Als wichtigstes Ergebnis der auf reichem Quellenmaterial aufgebauten Untersuchung darf gebucht werden, daß Böhmen stets Kurfürstentum gewesen ist, auch in den Zeiten der Habsburgerherrschaft, wo die Kurstimme fast immer ruhte, so daß die Meinung aufkommen konnte, sie bestehe überhaupt nicht. Kaiser und Kurfürst waren in einer Person vereinigt, daher die besondere Stellung Böhmens. Dieses hatte habsburgischen Hausinteressen zu dienen, die sich nicht immer mit den Reichsinteressen deckten. Böhmen wurde immer fester im österreichischen Reichsbaue verankert, anderseits ließen die Habsburger die Kurwürde nicht einschlafen, da sie dadurch stets einen unmittelbaren Einfluß auf die Gestaltung der Reichsangelegenheiten besaßen. Daher auch der zähe Kampf um die Readmission 1709. Fragen wie Führung der Kurstimme durch die Stände und Frauen werden zutreffend beantwortet. Schade, daß der Verfasser nicht auch tschechische Literatur und Quellen benutzen konnte.


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Einer nicht allein die Rechtsgeschichte, sondern ebenso die Sozialgeschichte betreffenden Erscheinung ist Klecanda (S. 161, Nr. 30) nachgegangen, woraus vor allem das eine erhellt, wie weit Rechtsnorm und tatsächliche Übung voneinander verschieden sein können. K. hat untersucht, wie sich die Fremden im 16. Jahrhundert als »Einwohner«, als Landtafelfähige einkauften. Zunächst brachte der Hof viele mit, die wegen ihrer Beamtenqualitäten nicht gut von den einheimischen Adligen zurückgewiesen werden konnten. Daneben stellten sich eine Reihe Ritterbürtiger, meist aus dem Reiche, ein, welche sich gegen alle Vorschriften der Landesordnung einkauften und dann um die Landtafelfähigkeit bemühten, was ihnen fast immer bewilligt wurde, zumal sie gewöhnlich Tschechinnen heirateten, so daß die Kinder als in Böhmen und von Tschechen geboren gelten konnten. Gerade deutscher Adel ist so zahlreich in die böhmischen Länder contra legem gekommen. Hier und da wurden auch langwierige Prozesse geführt. K. fügt ein Verzeichnis der eingewanderten Ritterbürtigen und Adligen bei.

In den Bereich städtischer Verwaltungsgeschichte führen zwei Arbeiten, in deren einer Šebánek (S. 162, Nr. 47) das für größere Schuldstreitigkeiten bestimmte, 1518 in der Prager Altstadt eingerichtete Zehnherrenamt monographisch bearbeitet. Die Häufung der Agenden drängte zu einer Entlastung des Rates. Nicht zuletzt führte das Schriftlichwerden des Prozesses dazu. Gerade dieses bis 1783 bestehende Zehnherrenamt besaß eine wohlorganisierte Kanzlei, eine große Zahl von Büchern. Aber die autonomen Organe vernachlässigten immer öfter ihre Pflicht. Es bedeutete zugleich eine Verbesserung und Ordnung des Geschäftsganges, als endlich auch hier die Bürokratie unter Maria Theresia und Josef durchdrang. In dieser Zeit entstand dann auch die Prager Polizei, der Roubík (S. 161, Nr. 45) eine gründliche Arbeit gewidmet hat. Er begnügt sich dabei nicht, nur das erste Jahrzehnt ihres Bestandes von 1785--1794 an Hand meist unbekannten Materials darzustellen, sondern greift in die früheren Jahrhunderte zurück und zeigt, welch grundsätzliche Wandlung der Begriff Polizei in der josefinischen Zeit durchgemacht hat. Im Anhange S. 151--277 sind meist deutsch geschriebene Instruktionen und Aktenstücke beigegeben.


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