II. Quellenkritik.

Das schon von Pertz als unecht gekennzeichnete Diplom des Königs Chilperich, welches den Kanonikern der Kathedrale Tournai den Scheldezoll und den Marktzoll sowie die Zollgerichtsbarkeit in Tournai zuspricht, sucht Rolland ( 386) auf ein echtes Zollprivileg Chilperichs II. von 716 zurückzuführen, das zwischen 1130 und 1146 durch ziemlich geringfügige Veränderungen zugunsten der mensa canonicorum verfälscht worden ist. Wir vermögen diesem Ergebnis nicht zuzustimmen, so lange nicht auch die übrigen älteren Urkunden der Kirche von Tournai auf ihre Echtheit untersucht sind. -- M. de Jong ( 3) unternimmt eine Rettung des Diplomes Heinrichs IV. für die Utrechter Kirche vom 2. Mai 1064 Stumpf 2645, dessen Unechtheit ich 1909 in Westdeutsche Zeitschr. 28, 233 ff. nachgewiesen habe. Das Diplom ist ohne allen Zweifel eine Fälschung, wie sich schon aus der unmöglichen Intervention des Erzbischofs Siegfried von Mainz ergibt; er hat am 2. Mai 1064 auf der Rückreise von Rom eine Kapelle auf dem Kastellberge im Elsaß geweiht. Zweifelhaft bleibt nur, ob die Fälschung schon um 1129 oder erst um 1157 hergestellt ist. Die Höhenstufe, auf der sich de Jongs Darlegungen bewegen, mag man an zwei Beispielen ermessen. Er bezeichnet es (S. 151, Anm. 3) als »wahrhaft kaiserliche Ungenauigkeit«, daß ich nach seiner -- ganz irrigen -- Meinung das Diplom Ottos III. DO III 14 unrichtig ausgelegt habe, und nennt es (S. 183) »unverfroren«, daß ich mich anfangs für den späteren, in meinen Nordniederländischen Untersuchungen von 1920 aber für den früheren Ansatz des Spuriums entschieden habe. -- Über die älteste Urkunde in flämischer Sprache, die der Schöffen von Bouchaute von 1249, die in Pirennes Album faksimiliert ist, bringt H. Nélis ( 399) neue Aufklärung. Bouchaute ist nicht, wie man bisher annahm, der Ort dieses Namens im Land Waes, sondern liegt bei Oosterzeele südöstlich von Gent zwischen Audenarde und Aalst. Die Landschöffen von Velsique ebenda, mit deren Siegel die Urkunde versehen ist, haben nach demselben Formular in eigenem Namen eine Urkunde von 1254 ausgefertigt, dann auch solche von 1257 und 1267, alle in flämischer Sprache, deren sich also die Landschöffen von Velsique seit 1249 gewohnheitsmäßig bedient haben. -- Über die Leiden der hl. Lydwina von Schiedam († 1433) besitzen wir einen ausführlichen urkundlichen Bericht von Ballivus, scultetus, burgimastri, scabini et consules oppidi Schiedam vom 21. Juli 1420, der in niederländischer Übersetzung in einem Vidimus Johanns von Bayern vom 21. Juli 1421 und im lateinischen Wortlaut in einem Vidimus der Aussteller selbst vom 12. September 1421 vorliegt. Der letztere Text findet sich in der von Johannes Brugmann († 1473) verfaßten vita Lydwini. P. Polman O. F. M. ( 4) sucht wahrscheinlich zu machen, daß die Jahreszahl von Johanns Vidimus in 1420 verbessert werden müsse, macht aber keinen Versuch einer diplomatischen Untersuchung der Stücke, die doch dringend notwendig ist. -- Der Zisterzienserabt Christoph Butkens († 1650), der als Fälscher schon seit 1891 von Baron A. van Linden entlarvt worden ist, hat nach den Feststellungen von J. Van Mierlo jr. S. J. ( 5) auch eine Reihe von Chroniken gefälscht: die angeblich zwischen 1294 und 1330 verfaßte Chronik des Nikolaus de Alta Terra oder von Hoogland, aus der


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1682 die Viten des sel. Andreas, Stifters der Abtei Averbode, und des 1208 zu Averbode im Geruch der Heiligkeit verstorbenen Arnikius gedruckt worden sind, ferner das ungedruckt gebliebene Chronicon terrae sanctae von Albericus de Doust oder van ter Doest, mit einer Fortsetzung des Victoricus Thosanus bis 1363, sowie die angeblich gleichfalls von Albericus herrührenden Viten des sel. Bartholomäus de Aa, der hl. Ermengardis, ersten Äbtissin von Maagdendaal bei Oplinter, und der hl. Elisabeth, ersten Äbtissin von Unser lieben Frau zu Nazareth. Die Fälschungen sind zuerst in der von Butkens um 1646 für Sanderus' Chorographia sacra Brabantiae verfaßten Chorographia Avervodii verwertet. Die Anklage Van Mierlos wird dadurch, daß sie von Butkens' sonstiger Fälschertätigkeit ganz absieht, um so eindrucksvoller.


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