IV. Siedelungsgeschichte und ältere Gerichtsverfassung.

Die germanische Besiedelung Belgiens wird in beachtenswerter Weise aufgehellt von Des Marez ( 548), der die Ergebnisse archäologischer, rechtsgeschichtlicher und geomorphologischer Forschung mit eingehender Untersuchung der Flurkarten verbindet. Die Täler von Schelde und Lys sind zwischen etwa 358 und 450 von salischen Franken in Besitz genommen worden (den Ligeris der Lex Salica 47 deutet D. M. nicht als Loire, sondern wie schon Wiarda, Eichhorn, v. Richthofen, Grimm u. a. als Lys), Brabant zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert von einer gemischten germanischen Bevölkerung mit stark sächsischem Einschlag (für den aber die Ortsnamen auf -ingen gewiß nicht beweisend sind!), ebenso Seeflandern zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert (aber ist die Cora emendata des Franc von Brügge wirklich aus dem 12. Jahrhundert, und könnte das eheliche Güterrecht, das D. M. als sächsisch anspricht, sich nicht von den Städten auf das platte Land ausgebreitet haben?). Zur Untersuchung der Agrarverfassung übergehend bekämpft D. M. Meitzen, der bekanntlich das Einzelhofsystem für keltisch, das Dorfsystem für germanisch erklärt hat (wogegen aber doch


S.680

nicht erst auf dem Brüsseler Historikerkongreß von 1923 Bedenken erhoben worden sind), und zeigt, daß die Siedelungsformen in Belgien von den Wasserverhältnissen abhängig sind. Das salfränkische Gebiet an Schelde und Lys zeigt das Hofsystem; als Typen des in Brabant vorherrschenden Dorfsystems mit am Flußlauf aufgereihten Wohnstätten werden die Flurkarten von Wolverthem und Grimberghen eingehend erläutert. In Seeflandern hat sich ein besonderes Agrarsystem ausgebildet. Zu den Grundherren fränkischer Abkunft und den zahlreichen sächsischen Laten ist seit dem 12. Jahrhundert eine neue Schicht von Grundbesitzern hinzugekommen, die ihr Land verpachteten. Auch ist man hier von der Schafzucht der Großgrundwirtschaft im Laufe des 13. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Städte zum Getreidebau durch Pächter übergegangen; am Beispiel von Lampernesse und der bekannten, von Pirenne 1900 veröffentlichten Liste der Konfiskationen nach der Schlacht von Cassel wird gezeigt, daß der Boden sich außerordentlich stark parzelliert in den Händen zahlreicher kleiner Pächter befindet. --Ernst Mayer ( 1530) macht im Anschluß an eine Urkunde von 1133 und an eine Liste salländischer Höfe und Warschaften von ca. 1300 darauf aufmerksam, daß die Zahl der vollberechtigten Höfe in den Schultheißenbezirken Wijhe, Olst, Raalte, Hardenberg, Ommen, Zwolle noch im späteren Mittelalter überall rund hundert betrug. Daraus, daß der Schultheiß, dessen persönliche Zuständigkeit sich in dieser Zeit nur auf die Steuerpflichtigen, nicht auch auf den Dienstmannenadel erstreckt, ursprünglich die Kriminalgerichtsbarkeit im Vollgericht hatte, erklärt sich, daß in der Urkunde von 1133 Verbände, die wie der Bezirk Wijhe aus je rund 100 Höfen bestehen, als Goe bezeichnet werden (Ostergo, Suthego). --Enklaar ( 12) macht darauf aufmerksam, daß die Gerichtsverfassung des Utrechter Niederstifts und die des Reichs von Nymwegen in ihren wesentlichen Zügen übereinstimmen und beide somit in die karolingische Zeit zurückreichen müssen. -- Über die Ortsnamenforschung in Holland und Flandern während des letzten Jahrzehnts unterrichtet Schönfeld ( 13).


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)