I. Allgemeines und Sammelwerke.

Für das Berichtsjahr 1926 hat F. Wekken im Rahmen der »Mitteilungen der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte« (Heft 38, Leipzig 1928) die Jahresbibliographie bearbeitet, deren Nachweisung von 1696 bibliographischen Einheiten in eindrucksvoller Weise das Aufblühen der deutschen genealogischen Forschungsarbeit kennzeichnet. Freilich ist auch viel Spreu unter dem Weizen, vor allem muß das Bestehen von nicht weniger als 25 selbständigen genealogischen Zeitschriften, von denen mindestens 15 geradezu als genealogische Inflationsgründungen bezeichnet werden müssen, als eine bedauerliche Zersplitterung und Vergeudung von Kräften bezeichnet werden. Das Schriftleiter-spielen-wollen von Dilettanten ist nicht selten das Hauptmotiv zu solchen Gründungen. -- Im Berichtsjahre selbst ist im Rahmen der »Familiengeschichtlichen Bibliographie«


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das Doppeljahrheft 1923/24, gleichfalls von Wecken bearbeitet ( 418), erschienen. Daneben hat Wecken begonnen, ein Verzeichnis familiengeschichtlicher Quellen in Karteiform ( 419) herauszugeben, dessen erste Lieferungen noch kein ausreichend klares Bild über den Plan des Ganzen geben -- vorläufig scheint der Zufall persönlicher Einzelkenntnisse für die Auswahl eine zu große Rolle zu spielen. Das Verzeichnis enthält sowohl archivalische wie bibliographische Nachweisungen, geordnet teils nach ständischen teils nach geographischen Gesichtspunkten. -- Wertvoll für den Benutzer ist das vom Verlag Perthes herausgegebene Gesamtverzeichnis zu den Gothaer Taschenbüchern ( 421), das mühselige Sucharbeit erspart.

Über den Aufgabenkreis der genealogischen Forschung sind einige bedeutungsvolle Aufsätze hervorzuheben. Konrad Brandner forderte in einer Untersuchung »Über Volksgenealogie« ( 416 a) die systematische Bearbeitung der Kirchenbücher einzelner Territorien, um schließlich zu einer genealogischen Gesamtaufnahme der eingeborenen (also nicht der zugewanderten) Bevölkerung zu gelangen. Es ist inzwischen auch gelungen, diesen Plan zunächst in Steiermark in die Tat umzusetzen -- wenn es gelingen sollte, in dieser Weise die 367 Pfarrarchive mit ihren Matrikeln systematisch zu bearbeiten, so würde in der Tat ein ganz außerordentliches Material für systematische Bearbeitung bereitgestellt werden. --Wilhelm Karl Prinz zu Isenburg hat im Rahmen von Spohrs »Praktikum für Familienforscher« (vgl. Jahresberr. 1925, S. 170) Wesen und Aufgabe der Ahnentafelforschung ( 422) umrissen, nachdem er bereits 1925 in seiner eignen Ahnentafel (vgl. Jahresberr. 1, S. 22) ein vielbeachtetes Beispiel mustergültiger Ahnenforschung gegeben und in seinem Vortrag vor dem Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine zu Regensburg »Ahnentafelforschung als Problem und Erkenntnis« (vgl. Jahresberr. 1, S. 22) das Wesentliche seiner Gedankengänge dargelegt hat. »Die Ahnentafel ist das Schicksal eines jeden Menschen« (S. 6), zugleich aber »bleibt jeder Mensch immer noch ein Eigener« (S. 11): aus diesen beiden widersprechenden Tatsachen leitet er die Bedeutung, aber auch die Grenze der Ahnenforschung ab. Das Hauptgewicht legt I. auf die Untersuchung des Ahnenverlustes und der nationalen Herkunft, mit Recht erhebt er die Forderung, der bloßen Ahnen tafel durch eine ergänzende Ahnen geschichte auch Inhalt und Sinn zu geben. Ebenso betont er nachdrücklich die Bedeutung der mütterlichen Ahnenschaft, wie dies vor ihm Otto Freiherr von Dungern (Mutterstämme, Neue Wege für Vererbungs- und Familienforschung, 1924) und nach dessen Vorgang neuerlich Pfarrer L. Lüders (Die Mütter sind es. Familiengesch. Bll., Jg. 24, 6 Sp., 161--164) getan hat.

Der schwäbische Dichter Ludwig Finckh hat in seinem gefälligen Büchlein »Heilige Ahnenschaft« (Leipzig, Degener & Co., 1926; 82 S., Kl. 8) in warmherzigen Plaudereien für die deutsche Ahnenforschung geworben und in eindringlichen Darlegungen die nationale Bedeutung dieser Wissenschaft unterstrichen; vor allem die Erforschung des Auslandsdeutschtums hat von dieser Seite wichtige Anregung und Stützung zu erwarten, wie die von Finckh vorgetragenen Beispiele über die rein deutsche Abkunft vieler namhafter Auslandsdeutscher sinnfällig beweisen.

Die Neueinrichtung einer besonderen Abteilung für Familienforschung auf der Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Düsseldorf


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hat dem Vorsitzenden der Zentralstelle in Leipzig H. Breymann, der bereits seit zwei Jahrzehnten für die engere Zusammenarbeit von Vererbungswissenschaft und Genealogie nachdrücklich eingetreten ist, veranlaßt, einen Überblick »über den heutigen Stand der genealogischen Unterlagenbehandlung« ( 422 a) zu geben, um erneut seine warnende Stimme dagegen zu erheben, daß die naturwissenschaftliche Vererbungswissenschaft das Problem der menschlichen Vererbung mit unzureichendem historischem Material lösen will.

Auf dem Gebiete der genealogischen Sammelwerke, als deren traditionell führendes der »Gotha« in seinen verschiedenen Ausgaben diesmal nur 4 uradelige Bände bringt (Gothaischer Hofkalender, Taschenbuch der gräflichen, freiherrlichen und adeligen Häuser), ist nunmehr die 1. Lieferung des I. Bandes des Werkes der Zentralstelle in Leipzig »Deutsche Stammtafeln in Listenform«, bearbeitet von Peter v. Gebhardt, erschienen, der 1927 die den Band abschließende 2. Lieferung gefolgt ist (VIII S., 360 Sp., 12 Bildtafeln, 4) ( 423). Das Werk ist als Parallele zu den »Deutschen Ahnentafeln« gedacht (Jahresberr. 1925, S. 170) und sucht durch sein größeres Format, durch die Anordnung in Listenform und durch die den Gothaischen Taschenbüchern entlehnte Bezifferungsweise des »fallenden Systems«, vor allem aber durch ausführlichere Gestaltung der Personenangaben Nachkommenschaften aus allen deutschen Ständen und Ländern in einer Form darzustellen, die zeitgemäßen Ansprüchen genügt. Besonders die ausführlich gehaltenen geschichtlichen Einleitungen über die einzelnen Geschlechter sind sehr zu begrüßen. Der monumentale Band enthält 32 Stamm- und Nachfahrenlisten von bürgerlichen und adeligen Geschlechtern, von denen hier die Fürsten und Grafen v. Isenburg, die v. Gebhardt, die (v.) Farenheid und die Riebeck angeführt seien.

Von Bernhard Koerners »Deutschem Geschlechterbuch« sind 5 Oktavbände erschienen, von denen erfreulicherweise vier nur Geschlechter aus geschlossenen Territorien enthalten und daher auch für die landesgeschichtliche Forschung wertvolles Material beibringen. In dem Niedersächsischen Bande (Band 46 des Geschlechterbuches) ( 440) nimmt die vom Herausgeber W. Weidler bearbeitete Stammreihe Kröner (aus Ibbenbüren in Westfalen) einen breiten Raum ein. Das hessische Geschlechterbuch (Bd. 47) ( 433) hat in Pfarrer H. Knodt seinen berufenen Bearbeiter gefunden. Den 48. Band bildet das Deutsch-Schweizerische Geschlechterbuch, Bd. 2, das F. Arnberger bearbeitet hat ( 426). Er wird zum 3. Teil von der Stammreihe des Geschlechtes Spinner aus Aeugst ausgefüllt. Im nassauischen Geschlechterbuch (Bd. 49) ( 434) füllt den breitesten Raum die Stammfolge des Geschlechtes Beckel (Böckel) aus Dauernheim (Wetterau). Der 50. Band (XLIV, 576 S.) ist ein allgemeiner, von B. Koerner allein herausgegeben. -- Zahlreiches familiengeschichtliches Material enthalten die biographischen Sammelwerke, die jetzt wieder in größerer Zahl auch für einzelne Stammesgebiete erscheinen. Von Bettelheims Neuerösterreichischer Biographie (vgl. Jahresberr. 1925, S. 626) ist bereits ein 3. Band ( 425), von den Schlesischen Lebensbildern ein 2. Band ( 448) herausgekommen. In ähnlicher Weise hat die Historische Kommission für (die Provinz) Sachsen und Anhalt eine Sammlung Mitteldeutscher Lebensbilder ( 442) ins Leben gerufen. In allen diesen Lebensabrissen geht freilich der familiengeschichtliche Unterbau


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selten einmal tiefer als drei Generationen. Die Bearbeiter haben sich zumeist begnügt, aus der bekannten Literatur ein kurzes Bild von der Herkunft des Dargestellten zu geben. Es würde wohl im allgemeinen den Rahmen dieser Lebensabrisse sprengen, wenn ausführliche genealogische Untersuchungen vorausgeschickt würden. Aber im ganzen darf doch auch in solchen Sammelwerken eine dem heutigen Stand der Genealogie entsprechende Berücksichtigung der Familiengeschichte, zumindest eine übersichtliche Analyse der Ahnen- und der Stammtafel der Probanden erwartet werden.


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