I. Allgemeines und Sammelwerke.

Die geschichtliche Landeskunde -- nach O. Stolz's jüngster Begriffserklärung die »Erforschung und Darstellung der Beziehungen, welche zwischen dem Lande und den darauf siedelnden Menschen im Ablauf der Geschichte hervorgetreten sind« -- ist nach wie vor in vielerlei Einzelstudien gefördert worden, deren Tragweite für die allgemeine Forschung naturgemäß verschieden groß ist. Bei diesem Bericht können nur solche Leistungen hervorgehoben werden, welche wirklich über das Örtliche hinaus von allgemeinem Belang sind.

Den programmatischen Ausführungen H. Aubins, über die im Vorjahre berichtet wurde, ist rasch die Tat gefolgt. Drei Vertreter der Geschichte, der Sprachwissenschaft und der Volkskunde, H. Aubin, Th. Frings und Jos. Müller, haben sich zu einer gemeinsamen Veröffentlichung zusammengeschlossen, in der die »Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden« in neuartiger Weise beleuchtet werden ( 536). Das Buch, das mit Kartenskizzen ausgestattet ist, gliedert sich in drei Teile. H. Aubin behandelt zunächst die natürlichen Voraussetzungen, wie sie in der Landesbeschaffenheit gegeben sind und führt die historischen Faktoren vor: Völker und Stämme, der Staat und seine Bezirke, die Kirche mit ihren räumlichen Gebilden, die Territorien, der Verkehr vor allem auf der Rheinstraße finden mit treffenden Beobachtungen ihre geschichtliche Würdigung. Sodann legt Th. Frings die Grundzüge seiner Methode dar, erörtert den Einfluß der Rheinstraße auf die Verbreitung sprachlicher Erscheinungen, die Gliederung in Kulturkreise und deren Beziehungen zu Kirchenprovinzen und Territorien, die Hemmungen bei der Ausbreitung an der Hunsrück-, der Eifel- und der Erftbarriere. Jos. Müller bringt als Beispiele volkskundlicher Feststellungen die Gesindetermine, die Jahresfeuer, die Königswahl auf Dreikönigen, einzelne Lieder. Nach den gleichen Grundgedanken ist ein »Geschichtlicher Handatlas der Rheinprovinz« von H. Aubin unter Mitarbeit J. Niessens als eine Veröffentlichung des Institutes für geschichtliche Landeskunde in Bonn herausgegeben worden ( 537), worin die Ergebnisse jener sowie anderer sich anschließender Forschungen, mannigfaltiger zumal in wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Hinsicht, im Kartenbild eindrucksvoll zur Darstellung gebracht werden; damit tritt ein neuer Typus


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eines historischen Kartenwerks auf den Plan, der offenbar Schule zu machen beginnt. Die stärkste Anregung ist bei diesem gesamten Unternehmen von der Erforschung mundartlicher Erscheinungen, sowohl des Lautbestands wie auch der Wortformen nebst Wortbedeutung in ihrer räumlichen Verbreitung, gekommen. Indem von germanistischer Seite das Problem der rheinischen Sprachlandschaft gestellt und nicht nur sprachgeographisch, sondern auch geschichtlich in mannigfachster Hinsicht untersucht wurde, erweiterte es sich, unter Zutun des Historikers, zu dem allgemeineren der Kulturlandschaft; Kunstgeschichte und Volkskunde wurden für weitere Aufschlüsse berücksichtigt. Wichtig und grundlegend ist bei dem neuen wissenschaftlichen Verfahren die Einsicht, daß genaueste räumliche und zeitliche Untersuchung zu wirklichem Verständnis aller Kulturerscheinungen stets miteinander verbunden werden müssen, daß die Zusammenfassung der mannigfaltigen Einzeluntersuchungen unter dem Leitgedanken einer Kulturmorphologie der Landschaft eine wahrhaft fruchtbare, schöpferische Synthese ergibt. Was in beiden Veröffentlichungen bisher vorgelegt wurde, ist allerdings noch nicht allseitig systematisch herausgearbeitete Erkenntnis; indes sehen wir bereits eine Reihe innerlich zusammenhängender Untersuchungen vor uns, die um ein Ziel sich ranken und schon klar das allgemein Bedeutsame erkennen lassen, wieviel auch künftig an ergänzenden Ermittlungen noch hinzugewonnen werden mag. Die provinzielle Beschränkung der Untersuchung ist bei diesem ersten Aufsuchen neuer Pfade durchaus zu billigen, so gewiß es richtig ist, daß die Erscheinungen selbst nur aus größeren, überprovinziellen Zusammenhängen voll erklärbar sind; weist doch kein deutsches Gebiet bisher soviel an historisch-kartographischer Vorarbeit auf und gewährt darum so günstige Bearbeitungsmöglichkeiten in dem angestrebten Sinn, wie die Rheinprovinz. -- Eine gleichfalls auf historisch-geographische Synthese gerichtete Betrachtung von Landschaft und Volkstum unter dem Gesichtspunkt der Heimat stellt H. Wopfner an ( 514), in besonderem Hinblick auf Tirol; seine schon früher begonnenen methodischen Erörterungen dieses Problems, die auf guter Erfahrung an ausgezeichnetem Beobachtungsstoff beruhen, finden ihre Fortsetzung und sind nicht nur für das behandelte Gebiet, sondern allgemein lehrreich.


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