IV. Historische Landschaftskunde; historisch-politische Geographie.

Der Erkenntnis des Landschaftsbildes vergangener Zeiten und seiner Wandlungen dient eine treffliche Studie F. Magers ( 569), die in methodischer Hinsicht höchst beachtenswert ist; sie gilt den Landstrichen Nordschleswigs und behandelt in gründlicher Verwertung der historischen Quellen (Karten, Landesbeschreibungen, Akten der Archive) das Problem des ursprünglicheren Charakters der Landschaft in dem bis in kleinste Räume hinein genau untersuchten Gebiet. Deutlich ergibt sich, wie hier die Kulturformen (Heide, Moor, Wald, Kratt, Acker, Wiese, Weide) in keinem festen Verhältnis zueinander stehen, vielmehr, sogar in noch ganz junger Zeit, stark gewechselt haben. Die einstige Verbreitung großer Geestwälder, meist mit Eichenbeständen, wird nachgewiesen, sodann die Devastierung der Waldungen und der Übergang zur Heide in Verbindung mit Auspowerung des Bodens durch raubbauartigen Wirtschaftsbetrieb, größtenteils infolge des »kommunistischen Wirtschaftssystems«, wie der Verfasser sagt, bis die seit dem 18. Jahrhundert ausgebreitete Eigentumswirtschaft mit ihrer Bodenpflege (Aufforstung, Trockenlegung der Moore, Umwandlung in Ackerland) ihren Einfluß auszuüben vermocht hat. -- Dem Walde in vorgeschichtlicher germanischer Zeit, zumal im Sudetenraum, gilt ein fesselnder Aufsatz, den der Germanist Rud. Much geschrieben hat ( 623).


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Einigen Landschaftsgebieten sind geistvoll überschauende Betrachtungen umfassender Art gewidmet worden, um ihren kulturgeschichtlichen Charakter zu kennzeichnen oder sie in die großen erdräumlich bedingten Geschichtszusammenhänge hineinzustellen. In solcher Weise hat der ausgezeichnete Kenner südwestdeutscher und rheinischer Geschichte, Al. Schulte, das Bodenseegebiet behandelt ( 531). Die Erlebnisse eines Grenzlandes in schicksalhafter Lage zeigt A. Hessel an dem Beispiel Friauls ( 518), das Italiens Ein- und Ausgangspforte gewesen ist und in stetem Wechsel vorherrschender kultureller Einflüsse und machtpolitischer Wirkungen gestanden hat, von der Ausstrahlung römischimperialer Macht und Wirtschaft an über die Zeiten, da hier langobardische Grenzschutzkolonien entstanden und im Hochmittelalter sich eine Annäherung an Deutschland vollzog, bis ein erneuter Angleich an Italien um die Mitte des 13. Jahrhunderts stattfand, danach die Eingliederung in das venezianische Staatswesen eintrat und wiederum das Land der wechselnden Herrschaft europäischer Großmächte anheimfiel. In ausgeprägtem Gegensatz zu solchem Grenzlandsgeschick und doch nicht ohne Ähnlichkeit des Geschehens schildert Er. Jäger ( 307) Thüringen, das deutsche Binnenland, als einen politischen Raum, dem die Zwischenlage zum Schicksal wurde: an sich eine wohl abgeschlossene Landschaft, die zur Basis eines in sich gefestigten Staatswesens geeignet gewesen wäre, und doch in Wirklichkeit von geringer staatsbildender Kraft, von Westen nach Osten an einer der wichtigsten Verkehrsbahnen Mitteleuropas gelegen, offen zugleich dem von Norden, von der Mittelelbe her, vordringenden Einfluß. In einem Gang durch die Jahrhunderte werden die wechselvollen Geschicke Thüringens dargetan, bis zu den Zeiten, da der Anschluß an den Norden gefestigt ist und nun die geopolitische Zwischenlage dieser deutschen Herzlandschaft zum wirtschaftlichen Segen wird. -- Die zentrale Lage und die feste Umwallung mit Naturgrenzen ist von stark bestimmendem Einfluß auf die Geschichte Böhmens, dieser »Zitadelle« Europas, gewesen. Dies erörtert in feinsinnigem, auf trefflicher Kenntnis beruhendem Überblick ein Aufsatz H. Hirschs über die Grenzverhältnisse dieses Landes ( 509), wobei insbesondere auch die siedlungsgeschichtlichen Vorgänge berücksichtigt sind. Die einzelnen Grenzgebiete ringsum werden genau durchgesprochen; zwei Stadien der Grenzbildung zeigen sich in einem Prozeß der Entwicklung aus den Naturgrenzen zur linearen und politischen Grenze: die Schmälerung des Grenzgürtels durch das Vorrücken der deutschen Siedler von außen her, sogar über die mittlere Linie des Grenzsaumes hinaus, sodann die Ausbildung der Grenzverhältnisse unter dem Einfluß fürstlicher Hausmachtpolitik, wobei Gebiete zu Böhmen kamen, die früher zur Zeit der deutschen Besiedlung noch gar nicht dazu gehört hatten. -- Eine sehr gründliche Einzeluntersuchung hat der vielumstrittene Limes Saxoniae durch H. Hofmeister gefunden ( 570). Nach einer Rückschau auf die Wege bisheriger Forschung wird das Problem in topographischer, historisch-philologischer (Adamtext) und archäologischer Hinsicht erörtert; ein genaues Kartenbild ist beigefügt. Der Verfasser erklärt den Limes als eine unter Ludwig dem Frommen geschaffene Anlage (v. J. 822), die jedoch bald verfiel. Später (um 1062) war der Ausdruck nur geographische Bezeichnung eines Bezirks, in dem nach der Tradition schon seit Otto d. Gr. Rechte in Anspruch genommen wurden.

Wenden wir uns der politisch-geographischen Erforschung einzelner Ter-


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ritorien zu. Eine ausgezeichnete, tiefgründige Arbeit wird dem unermüdlichen Erforscher Tirols, O. Stolz, verdankt ( 517). Die Untersuchung der Gerichtsbezirke des Landes hat ihn über die einfache Bestimmung der für die Pflege der Gerichtsbarkeit maßgebenden Sprengel hinaus zu einer umfassenden Landesbeschreibung geführt, die zunächst für den Norden Deutschtirols dargeboten wird, in natur- und kulturgeographischer Hinsicht, nach der wirtschaftshistorischen wie nach der politisch-historischen Seite hin. Allgemeine Darlegungen werden vorausgeschickt, denen eine genaue, quellenmäßig begründete Beschreibung der einzelnen Bezirke (Landgerichte, Stadtgerichte, Hofmarken, Burgfrieden, Pfleggerichte) folgt; die Beziehungen zum Raum und zur Geschichte der Tiroler Verfassung werden anschließend erörtert. -- Eine sorgfältig, verständnisvoll ausgeführte Arbeit E. v. Lehes, die K. Brandi als eine Vorarbeit zum historischen Atlas von Niedersachsen angeregt hat, ist dem Herzogtum (Erzstift) Bremen gewidmet ( 559); sie untersucht das Amt Bremervörde, das Land Wursten und das Gogericht Achim im Gesamtumfang wie auch nach der Bezirksgliederung (in die Börden = Goe). Die Aufmerksamkeit ist auf den Nachweis gerichtet, wie die aus dem mittelalterlichen Lehenstaat überkommenen Rechte in die neuzeitliche Verwaltung übergeführt und feste Verwaltungsgrenzen, auch bei Kreisen und Gemeinden, ausgebildet worden sind; behandelt werden die Bezirke bis 1648, sodann die Verwaltungsteilung unter schwedischer Herrschaft und danach in Kurhannover. Von den Kartenbeilagen macht besonders die Darstellung in 1:300 000, auf Grund einer in Lichtdruck wiedergegebenen Vorlage, einen guten Eindruck. -- Die territoriale Entwicklung der anhaltischen Lande vom frühesten Mittelalter bis um 1250 ist Gegenstand einer Untersuchung Arth. Schroeders ( 583). Die Gaue, die Grafschaften und Burgwarde, auch kirchliche Bezirke (die Banne), dazu die Güter im Besitze des Königtums sowie der weltlichen und geistlichen Herren werden in Wort und Bild vorgeführt; die Begründung der Landesherrschaft wird knapp skizziert. Es ist eine verdienstliche Arbeit, zumal da die Festlegung einschlägiger Ermittlungen in der Kartenbeilage nicht geringe Hemmnisse überwinden mußte; freilich wird es auf diesem schwierigen Boden deutsch-slawischer Grenzlandforschung an Berichtigungen nicht fehlen dürfen. -- Die einst von v. Steichele begonnene, in breiter Ausführung angelegte Beschreibung des Bistums Augsburg, die jetzt Alfr. Schröder fördert, hat eine Fortsetzung erfahren ( 519).


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