V. Siedlungsgeschichte.

Die Vorliebe für Studien zur Siedlungskunde unter geschichtlichem Gesichtspunkt hält sichtlich an; so sehr hierbei noch die landschaftlich beschränkten Einzeluntersuchungen vorherrschen, bahnt sich bereits, zugleich mit historisch vertiefter Methode, in mancherlei Übereinstimmungen deutlich eine neue Gesamtauffassung an.

Hervorgehoben sei zunächst eine Auseinandersetzung des Geographen R. Gradmann über das Problem »Volkstum und Rasse« ( 504). Indem er von einem scheinbaren Widerspruch zwischen den Ergebnissen der gegenwärtigen Rassebeobachtung und der geschichtlichen Erkenntnis für Süddeutschland ausgeht, erweist er den einstigen Einschlag des nordischen Typus aus den Funden der Reihengräber und geht auf den Wandel somatischer Merkmale im Ablauf der Zeiten ein (Zunahme der brünetten Elemente rascher als im Norden); er betont den Einfluß des bei der Rasseforschung jetzt zu sehr vernachlässigten Klimas und spricht im Hinblick auf jene beobachtete Erscheinung von einer


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Wiederannäherung an die natürliche gürtelförmige Anordnung der Menschenrassen.

Der Siedlungskunde Tirols hat erneut H. Wopfner Arbeiten gewidmet, darunter eine solche zusammenfassender Art, wobei er die vordeutsche und deutsche Zeit umspannt ( 515). Die Ausführungen gehen auf die dort wohnhaften Volksstämme ein und schildern den Gang der Besiedlung auf den Terrassen und Schuttkegeln, an den Hängen, in den Haupt- und Nebentälern; Deutsch-Südtirol reicht, wie er dartut, vom Brenner südwärts bis zur Etschtalenge, zur Salurner Klause (Gossensaß ist tatsächlich Gotensitz). Als ältere Siedlungen sind Schutzsiedlungen auf der Höhe anzusehen (Kastellsiedlungen). Rätoromanische Siedlungsformen sind das Straßendorf und das zusammengeballte »Massendorf«. Die jüngeren Dorfanlagen der Deutschen, denen der intensivere Landesausbau zu danken ist (homines laboris), zeigen weiteren Abstand der Baulichkeiten (in lockeren Weilern, Rotten); die Einzelhöfe sind Erzeugnis spätmittelalterlicher deutscher Binnenkolonisation. Bei enggebautem Straßendorf ist oft nicht zu entscheiden, ob es auf romanische Gewohnheit oder den Verkehr zurückzuführen ist. -- Für das Elsaß stellt eine Arbeit Ph. Hammers ( 534) die im Besitz mehrerer Gemeinden befindlichen Wälder (Haingeraide, Hardt, Ried u. a.) zusammen; er erklärt sie als Trümmer der einst von den germanischen Gaugemeinden überlassenen Hundertschaftsmarken, freilich ohne tiefer in den Nachweis für diese Auffassung einzugehen. -- Eine außergewöhnlich lehrreiche Studie bietet Fr. Metz für das badische Unterland ( 532). Es ist die Arbeit eines Geographen, der das Land und seine Siedlungen völlig aus eigener Anschauung kennt und, neben Beherrschung des Schrifttums, besonders Kartenstudien treibt. Beobachtungen der Landesnatur und des Landschaftsbildes, ausgezeichnet durch Anschaulichkeit, stehen im Vordergrund; dazu treten reiche Mitteilungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Stadt und Land. Auch der Historiker kann viel daraus entnehmen; erwähnt sei, daß in der »Weilerfrage« der Ausbaucharakter der Orte mit Weilernamen betont wird.

Studien von großer Tragweite für die Volks- und Siedlungsgeschichte des deutschen Westens, ja von ganz grundsätzlicher Bedeutung, hat Fr. Steinbach veröffentlicht ( 535), obschon er selbst sich dessen bewußt ist, daß manches an der vorgetragenen Auffassung noch problematisch bleiben muß. Angeregt von der Dialektforschung, welche die Mundarten in ihre einzelnen Elemente zerlegt, deren Verbreitung untersucht und aus der Mannigfaltigkeit allmählicher geschichtlicher Einwirkungen bis in jüngere Zeiten hinein erklärt, wendet sich St. gegen jene Ansicht, welche von den Stämmen als festgegebenen unterschiedenen Größen zu Beginn der geschichtlichen Zeit ausgeht, erklärt sie vielmehr als geschichtlich gewordene Einheiten, Bildungen einer Sonderentwicklung, die infolge einer Wechselwirkung von Raum und Geschichte einzutreten pflegt. Ausführungen über die Ortsnamen und Bauernhausformen, siedlungsgeographische Betrachtungen, auch archäologische und volkskundliche Zeugnisse, dienen dafür zum Beweis; die Rechtsgeschichte ist vorläufig zurückgestellt. Die hier vorgetragenen Grundgedanken enthalten sicher bedeutende Wahrheitsmomente; ein Blick auf andere große Stämme Deutschlands, denen ein politischer Zusammenschluß am Ausgang der Landnahmezeit nicht abzusprechen ist, läßt freilich das Stammgebilde kernhafter erscheinen als im Hinblick


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auf die verschiedenerlei einzelnen Äußerungen des Kulturgepräges. Das einmal so scharf hingestellte Problem wird gewiß die Wissenschaft weiter beschäftigen und recht fruchtbar werden. Überdies ist es ein Verdienst St.s, daß er die Räume Nordostfrankreichs kräftiger in die Erörterung einbezogen hat, als dies meist der Fall war. So ist es ihm gelungen, die Orte der »Weilerklasse« als Gründungen frühen Landesausbaus (meist vor Karl d. Gr.) hier wie dort zu erweisen; überhaupt sind die Bemerkungen zur Ortsnamenforschung verständnisvoll.

Es ist ein Zeichen der Zeit, daß sich auch in Belgien das Streben regt, Siedlungsprobleme in einer ähnlichen Synthese wissenschaftlicher Methoden zu fördern, wie bei der deutschen Forschung. Eine sehr lehrreiche Arbeit von G. Des Marez ( 548) über die fränkische Kolonisation und die Agrarverfassung hat hier die Bahn gebrochen. Zum ersten Male ist das höchst wertvolle Material der sogenannten Poppschen Katastralkarten, die unseren Flurkarten verglichen werden können, benutzt; auch wird auf ältere ausgezeichnete Kartenwerke zurückgegriffen. Die Epochen des kolonisatorischen Vorgehens der Franken werden in glücklicher Weise unterschieden, wobei die Erstreckung des »Kohlenwalds« in nord-südlicher Richtung klargestellt wird; die Stammesverhältnisse und Rechtsgewohnheiten finden kundige Erörterung, minder überzeugt die Behandlung der Ortsnamen. Bei den Darlegungen über die Siedlungsformen geht D. M. von dem Gegensatz des Hof- und Dorfsystems aus; indes gelangt er zu einer gewissen Abkehr von Meitzens Auffassung. Bemerkenswert ist vor allem, daß ein Siedlungstyp bei den Franken, im Bereich alter volkstümlicher Siedlung, nachgewiesen wird, wobei kleinere Höfegruppen mit einem Zubehör an Nutzland in Block- und Streifengemenge ausgestattet sind; gewannähnliche Fluren treten erst in der Zone des südlicheren kolonisatorischen Vordringens bei größeren Dörfern auf, Höfe mit arrondiertem, in Kämpen liegendem Besitz sind noch jünger. Wichtig sind auch die urkundlichen Nachweise mittelalterlicher Flurbesitzparzellierung in Flandern. An anderer Stelle bringt derselbe Verfasser einige Nachrichten über die brabantische Hufe (öfter etwa 12,7 ha) ( 549).

In vielem verwandt sind die Ergebnisse siedlungskundlicher Studien, die Rud. Martiny nach ähnlicher Methode, wie Gradmann, für Westfalen angestellt hat ( 553): Grundzüge der Landesnatur, die Verbreitung der Bodenfunde, die Ortsnamen, deren zeitliche Ordnung freilich nicht zweifelsfrei bleibt, die Orts- und Flurformen werden miteinander verglichen, wobei sich Hauptzonen und -zeitalter des Landesan- und -ausbaus deutlich voneinander abheben. Was die Siedlungsgestaltung betrifft, so werden neue beachtenswerte Beobachtungen gemacht. Geschieden werden das lockere Dorf, die Schwarmsiedlung, der Streusiedlungstyp, das geschlossene, gedrängte Dorf (Wegedorf; einwegig, kreuz-, netz-, strahlenwegig). Hohe Altertümlichkeit wird dem kleinen lockeren Haufendorf zugeschrieben, schon von »vorgeschichtlicher« Zeit her; das gleiche gilt von der »Eschflur«. Bezeichnend für diesen von M. so genannten Typus ist der Esch, eine längliche, der Feldbestellung dienende Fläche dicht am Dorf, die unter die Altbauern streifig aufgeteilt ist; es kommen auch 2--3 Esche vor, die einzeln liegen, mit streifenförmigen oder quadratischen (? blockartigen) Parzellen, wobei der Besitzanteil aller Bauern nicht völlig gleich sein muß. Bei stärkerem Ausbau der Flur zeigt sich eine Gliederung in mehrere Bodenabschnitte,


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die »Gewanne«; Gewannfluren treten also bei größeren Dörfern auf, wie sie sich bei Siedlungsverdichtung, charakteristisch aber auch in der Zone des älteren Ausbaus finden. Der jüngere Ausbau im Bruchland oder auf steinigen Böden vollzog sich in Einzelhöfen mit Kämpen, durch Urbarmachung von Einzelnen, ohne genossenschaftlichen Nachbarnverband. Da das hier behandelte Gebiet schon früh von Germanen besiedelt war und festgehalten wurde, kommt diesen Ergebnissen M.s große Bedeutung für einen neuen Aufbau der deutschen Siedlungsgeschichte zu. -- In diesem Zusammenhang sei auf die ausführliche, von Fr. Busch gebotene Geschichte des Dorfes Gretenberg im »Großen Freien« (Amt Ilten, Kr. Burgdorf) hingewiesen ( 563). Schon Meitzen hatte diesem Beispiel Beachtung geschenkt; seine Darstellung wird jetzt ergänzt und berichtigt, leider ist jedoch die Besitzverteilung in den Flurgewannen (? schon ursprünglich Vierfelderwirtschaft) nicht näher untersucht. In das altertümliche Genossenschaftswesen Niedersachsens läßt uns L. Hoffmeyers gründliche Arbeit über die Leischaften Osnabrücks ( 561), deren Schicksale bis zur jüngsten Vergangenheit verfolgt werden, erwünschten Einblick tun.

Aus dem Maingebiet liegen zwei Arbeiten vor, die einer Lösung siedlungsgeschichtlicher Probleme vornehmlich mit Hilfe der Ortsnamenkunde, doch unter Berücksichtigung der historischen Nachrichten sowie der Bodenfunde, nachspüren: El. Weber untersuchte die Besiedlung der Fränkischen Alb ( 523), Marg. Bachmann ( 522) die Verbreitung der slawischen Siedlungen im Main- und Regnitzland sowie im Nablande bis gegen den Böhmerwald, wobei auch auf die verstreuten »Windenorte« eingegangen wird; in den Grundzügen dürfte das Richtige getroffen sein. Für das Egerland und Böhmen kommt der Abschluß der lang schon fortgeführten Untersuchungen Ant. Mayers in Betracht ( 624). Die Main- und Redanzslawen gehörten, wie er zeigt, nicht zum tschechischen, sondern zum sorbischen Stamme; Sorben sollen auch die frühesten slawischen Siedler im Egerland gewesen sein, wohin erst später Tschechen eindrangen. Noch einmal führt M. zusammenfassend aus, daß überhaupt die von den Deutschen heute bewohnten Gebiete bis zum 12. Jahrhundert nicht von Tschechen besetzt waren. In Westböhmen war markomannische Bevölkerung erbgesessen (im Quellgebiet der Mies); sie wich ins Gebirge zurück. Nach einer Epoche der älteren Rodungen (Brandorte) folgte die Zeit, wo der Kolonistenstrom die große agrarische Kolonisation ausbreitete. Damit strebt M. der grundsätzlich richtigen Lösung des böhmischen Siedlungsproblems zu: er kommt der Bretholzschen These fortdauernder germanischer Bevölkerung entgegen, beschränkt sie jedoch auf einzelne näher zu bestimmende Räume und erkennt dabei die große Bedeutung der jüngeren deutschen Kolonisation an.

In der Provinz Sachsen hat bei der siedlungsgeschichtlichen Arbeit von jeher die Wüstungsforschung im Vordergrund gestanden. So ist nunmehr eben von diesem Gesichtspunkt aus eine zusammenfassende Darstellung siedlungsgeschichtlicher Art erfolgt. Dem verdienstvollen Bearbeiter der wüstungsgeschichtlichen Werke G. Reischel ( 581 f.) wird sie verdankt, zugleich mit einer neuen quellenkritischen Veröffentlichung zur Wüstungskunde, etwa in der bisher innegehaltenen Art, für die Kreise Bitterfeld und Delitzsch (nebst Kartenbeilage 1:200 000). Die darstellende Arbeit zieht gleichsam die Summe der langjährigen Erfahrungen ihres Verfassers: germanische und sorbische Besiedlung,


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die ostdeutsche Kolonisation, die Verödung und ihre mancherlei Ursachen, Vorgänge des Wiederaufbaus, der Einfluß der Wüstungen und ihrer Nutzung auf die Gestalt der Dorf- und Stadtfluren, die wüsten Kirchen werden in lehrreichem Überblick besprochen; auch die Bevölkerungszahl wird in Einzelbeispielen berücksichtigt.

Wie schon bei den zuletzt genannten Arbeiten, so spielt erst recht für das eigentliche Nordostdeutschland das Problem der slawischen Siedlungs- und Kulturzustände im Vergleich zu den deutschen eine Rolle. Eine Überschau nach dem derzeitigen Stande des Wissens bietet eine Sammlung von Aufsätzen, die W. Volz ( 228) herausgegeben hat: »Der ostdeutsche Volksboden«; Historiker und Philologen haben dazu Beiträge für einschlägige Fragen geliefert (der Verfasser dieses Berichts, A. Dopsch, R. Holtzmann, R. Much, M. Vasmer, E. Gierach, H. Witte, C. Krollmann, E. Keyser, Fr. Lorentz, Br. Ehrlich, H. Gollub, K. J. Kaufmann, M. Laubert), G. Aubin behandelte in großem Überblick die Entwicklung der ostdeutschen Agrarverfassung. (Vgl. auch S. 519) Dazu liegen nicht wenige Sonderveröffentlichungen vor. Beachtlich ist eine Untersuchung H. Krabbos ( 584), worin die 1108 gebotene Schilderung der wilden Grausamkeit slawischer Völkerschaften im Elbgebiet an der Hand der Quellenzeugnisse nachgeprüft wird, mit dem Ergebnis, daß es in dem langen harten Grenzkampf an solchem Verhalten auf beiden Seiten nicht gefehlt hat. O. Ed. Schmidt, der bekannte Verfasser der Kursächsischen Streifzüge, hat den Wenden der Ober- und Niederlausitz ein Buch gewidmet ( 609), das gute Kenntnis, ruhiges und sachliches Urteil sowie anschauliche Erzählung und Schilderung aufweist; es ist verdienstlich, daß voreingenommenen Ausstreuungen über das Wendentum damit entgegengetreten wird. Einer eingehenderen siedlungsgeschichtlichen Untersuchung von den vorgeschichtlichen Zeiten bis zur deutschen Kolonisation ist freilich noch manche Aufhellung vorzubehalten. Eine fleißige Einzelstudie zur Siedlungskunde der Mittelmark hat W. Gley vorgelegt ( 586). Ausgehend von den physisch-geographischen Verhältnissen, berücksichtigt er vornehmlich die Ortsformen und Ortsnamen, zieht auch erfreulicherweise Flurkarten, zumal ältere, zu seinen Studien heran und hat überdies ein weitschichtiges Material an historischen Quellen, bis ins 17. Jahrhundert hinein, verwendet. Im wesentlichen gelungen erscheint das Endergebnis, der Nachweis der einstigen Verbreitung der Slawen, wofür die natürliche Beschaffenheit der von ihnen eingenommenen Räume nahe den Wasseradern die Erklärung bietet; eine gefällige Karte bringt dies ansprechend zum Ausdruck. Auch die Schätzung der Volkszahl der Slawen (um 1150: etwa 25 000) und der geringen Bevölkerungsdichte vorkolonialer Zeit verdient Beachtung. Das Bemühen Gl.s um agrargeschichtliches Verstehen ist anerkennenswert; es liegen auch brauchbare Beobachtungen dazu vor (über die Art der Hufen, Wendenfelder), jedoch kann die gegensätzliche Schilderung des slawischen und deutschen Agrarwesens nicht als einwandfrei gelten. Mit Recht hervorgehoben wird der Einfluß der Straßen auf den Gang der Kolonisation wie auch auf die Siedlungsformen. Für die Oberlausitz hat W. Heinrich ( 607) die Verbreitung der »fränkischen Hufe« mit Hilfe von Messungen der Fluren nach Länge und Breite (Hufengröße 42 sächs. Acker = 23,10 ha) nachzuweisen unternommen; ihm folgt Joh. Langer ( 608) mit noch umfassenderen Studien, zugleich in fleißiger, glücklicher Auswertung von Flurnamen. Die bedeutendste


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Leistung zur Siedlungsgeschichte Schlesiens bringt ein Buch Jos. Pfitzners ( 614), vornehmlich für das Breslauer Bistumsland; kenntnisreich und umsichtig geschrieben, ausgezeichnet durch eine höchst vielseitige Problembehandlung fördert es an seinem Teil auch siedlungsgeschichtliche Fragen. Es bringt neue Beweise für die deutsche Einwanderung nach Schlesien zur Kolonisationszeit (aus den Papsturkunden), beleuchtet das Verhalten der Deutschen im Neulande (Zehntentrichtung, Fastenbrauch) und bringt Aufschlüsse zur Siedlungspolitik der schlesischen Fürsten und der Breslauer Bischöfe, so daß die Darstellung weit über die rein verfassungsgeschichtliche Ermittlung hinausgelangt. Flurstudien haben bei dem Gebotenen noch nicht nutzbar gemacht werden können. Kleinere Studien liegen für einzelne Kreise vor ( 612 f.). In einer Untersuchung sucht Jungandreas ( 610) die Herkunft der »Siedlerstämme« zu ermitteln. Rheinische Einwanderung (auch aus Hessen) ist schon früh festzustellen; am stärksten vertreten sind Obersachsen, nächstdem der bayrische Einfluß, während alemannischer nicht mehr zu erkennen ist, der niederdeutsche jedenfalls bedeutungslos blieb. Die Beschäftigung mit der Landschaftsgliederung und Bevölkerungsverteilung des unteren Weichsellandes hat W. Geisler ( 595) darauf geführt, auch eine Kennzeichnung der ländlichen Siedlungsformen dieses geographisch wie volksgeschichtlich so merkwürdigen Gebiets vorzunehmen. Eine gleiche Mannigfaltigkeit stellt sich dabei heraus, wie anderwärts. Altertümlich erscheinen die Weiler, die, darin den Gutssiedlungen ähnlich, in natürlicher Schutzlage angelegt sind; die Dörfer mit der Besitzform der Haken haben fast ausnahmslos die Weilerform, die Bevölkerung der »Weilerdörfer« ist kaschubisch. War schon bisher in der Weichselniederung die Schaffung der Kulturlandschaft als deutsche Leistung erkannt, so erweisen sich nun die Straßen- und Angerdörfer auf den Weichselhöhen gleichfalls als Werk der deutschen Siedlung. Ebenso gilt dies für die reihenförmig angelegten »Deichhufendörfer«. Diese Dorfformen des Weichsellandes stehen am Schluß der Entwicklung ostdeutscher ländlicher Siedelung. -- Eine Breslauer Dissertation K. Heidrichs über die mittelalterliche deutsche Kolonisation in Polen ( 628) ist bisher nicht im Druck erschienen. -- Für die Kaschubei bietet ein gründlicher Kenner dortiger Sprache und Geschichte, Fr. Lorentz ( 601), eine quellenmäßig begründete Untersuchung der Siedlung und des Volkstums zur Ordenszeit. Das Kaschubische ist ein pomeranischer Dialekt; erst später gerät es zumal in den Grenzgegenden unter den Einfluß des Polnischen. Als die ersten Deutschen kamen Missionare nach Ostpommern; seit 1178 entstanden klösterliche Niederlassungen, deutsche Kaufleute stellten sich ein (1260 Gründung von Dirschau), seit der Mitte des 13. Jahrhunderts siedelten sich nun auch deutsche Landleute an, deutsche Güter und Dörfer breiteten sich aus. Unter der Herrschaft des deutschen Ordens (seit 1309) nahm die deutsche Besiedlung stark zu, um kolonisierende Klöster sowie die Städte: die Ordenszeit galt den Bauern als das goldene Zeitalter.

Ist die Geschichte ländlicher Siedlung, wie dargetan, durch eine große Reihe belangreicher Studien gefördert worden, so trat, offenbar nur zeitweilig, das Problem der Stadtsiedlung etwas zurück; nur eine Anzahl an sich wertvoller Einzeluntersuchungen liegt vor. Eine gründliche Arbeit über das frühmittelalterliche Regensburg hat der genaue Kenner dortiger Ortsgeschichte, M. Heuwieser ( 520), geboten. Nach Darlegungen über die Einwanderung und Landnahme


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der Bajuwaren in der Raetia II bespricht er in topographisch-historischer Erörterung die wichtigsten Siedelteile und Baulichkeiten Regensburgs: die alte Pfalz nebst alter Kapelle und Römerturm, die Arnulfspfalz, die Kirchen und Klöster. Der Zusammenhang des mittelalterlichen Regensburg mit Castra Regina der Römerzeit wird stark betont; als älteste Kirche wird St. Peter, der Dom, bezeichnet, schon in römischer Zeit Bischofs- und Gemeindekirche, während die am frühesten erwähnte Georgskirche (St. Emmeram) als spätrömische Friedhofskirche anzusehen ist. Eine Bonner Dissertation P. Koofs ( 542) gilt der Entstehung der altjülichschen Städte. In den »wissenschaftlichen Heimatheften« des Westfälischen Heimatbunds hat Helm. Delius ( 554) den Stadtgrundriß von Lippstadt behandelt, das als älteste planmäßig gegründete Stadt Westfalens die allgemeinere Aufmerksamkeit erregt (Anlage der Altstadt um 1170, Stifts- und Burgbezirk 1200 vorhanden, vor 1220 Anlage der viel größeren Neustadt, Erweiterung wohl im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts aus festungstechnischen Gründen); genau wird die Einteilung nach Hofstätten (35 × 105 Fuß) untersucht, ein sehr großer Plan (1:1250) ist beigefügt. Untersuchungen sozialstatistischer Art hat Joh. Otte ( 556) für die Bevölkerung Dortmunds im 13.--14. Jahrhundert nach den Bürgerbüchern angestellt (Herkunft nach Orten, Ländern, Entfernungszonen; Berufe der Neubürger); die Einwohnerzahl wird auf 6--8000 um 1350--1400 geschätzt. Ein Aufsatz R. Martinys ( 560) behandelt das Werden der Stadt Osnabrück in größeren geographischen und geschichtlichen Zusammenhängen; dabei wird auch die Gestalt dieser »urwüchsig« entstandenen Siedlung (Altstadt strahlig, Neustadt fiedrig) sowie der Straßenverlauf erörtert. Sangerhausens topographische Entwicklung ist Gegenstand einer Abhandlung Alb. Schmidts ( 575). Die Gründung Berlins und Kölns erörtert E. Kaeber ( 587); im Gegensatz zu A. Kiekebuschs These vom dörflichen Ursprung tritt K. für die Annahme echter Stadtgründung (um 1230), und zwar einer Doppelstadt, wie sie auch anderwärts begegnet, mit guten Gründen ein. -- Die Entstehung der Stadt Frankfurt a. d. O. stellt Fr. Schilling ( 589) in den großen Zusammenhang ostdeutscher Siedlungsgeschichte hinein; die Urkunde vom 14. Juli 1253 wird als echter, ursprünglicher Nachtrag zu der voraufgehenden vom 12. Juli erklärt, eine ausführliche Erläuterung der Siedlungsverhältnisse schließt sich an. Mit den Stadtanlagen Schlesiens befaßt sich eine vergleichende Untersuchung G. Schoenaichs ( 611), wobei der allzuschematischen Lehre vom ostdeutschen Normalplan entgegengetreten wird; es sind vielmehr Verschiedenheiten festzustellen. Das Dasein eines älteren (polnischen) Marktorts bestimmt öfter das Gesamtbild und kann auf die Straßenführung einwirken, denn jener geht nicht, wie dies im deutschen Westen der Fall zu sein pflegt, in der Stadt völlig auf (Straßenmarkt). Die Grundrißbildung mit dem Ring nebst Kaufhaus, Kammern, Kramen und Laubenhäusern ist von den Kolonisten mitgebracht, im Koloniallande jedoch zur reinsten Stilform geworden. Betont wird, daß koloniale Städte schützende Grenzfesten, Randstädte am Ausgang des Grenzwalds, waren. Die Stadt als mittelalterliche Festung schildert Vinc. Reimers ( 625) an dem Beispiel von Mährisch-Neustadt, weil dort eine solche Anlage -- die älteste Umwehrung ein Ringwall aus Erde mit vorgelegtem breiten und tiefen Graben, erst später die Ringmauer -- besonders gut ermittelt werden kann. Aus dem Befestigungszweck erklärt sich die Kreisform; der Ringplatz im Innern der Stadt dient auch der Beratung der Männer, die dort »im Ringe«

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stehen. Solche Städte sind planmäßige Gründungen der Zeit des 13. Jahrhunderts, als es galt, die Mongolenangriffe abzuwehren.

Siedelung steht im engen Wechselverhältnis zum Verkehr; daher ist die Erforschung der Verkehrswege kulturgeschichtlich wichtig, die leider nur langsam voranzuschreiten pflegt. Allgemeine Bemerkungen darüber hat nach den rheinischen, an den »Kulturströmungen« gemachten Erfahrungen H. Aubin ausgeführt ( 538). Durch Einzelstudien zur Straßenforschung nach der schon ausgebildeten, verfeinerten Methode ist namentlich die Kenntnis der Römerstraßen gefördert worden. So hat W. Cartellieri ( 507) die Alpenstraßen, die sich um den Brenner in einem weitverzweigten Netz gruppieren, nebst ihren Nebenlinien nach den Funden, den Meilensteinen, den Angaben in Itinerarien u. dgl., bei eigener im Gelände gewonnener Anschauung untersucht und bietet Erörterungen über ihren Verlauf und das ganze Straßenwesen nebst Kartenskizze mit kritischer Unterscheidung der wirklich aufgedeckten oder nur erschlossenen Straßenzüge. Zu der grundlegenden Arbeit Jos. Hagens über die Römerstraßen der Rheinprovinz (v. J. 1923) hat der Verfasser selbst schon jetzt eine kleinere Veröffentlichung ( 540) mit wertvollen Ergänzungen geboten, die auch manches über Siedlung, Befestigungswesen u. dgl. bringt. Für die Straßenforschung der mittelalterlichen und jüngeren Zeiten ist weniger geschehen; doch liegen gute Beispiele dafür vor: J. Nottebrock ( 541) stellt in einem Aufsatz den Verlauf der Heerstraße von Aachen nach Frankfurt (bis Sinzig) fest; Alb. Herbst ( 558) behandelt die Straßen des WO- und NS-Verkehrs im südlichen Hannover (nebst Karte in 1:200 000). Das Verfahren solcher Untersuchung weist die rückschreitende Methode auf: der Verlauf der Straßen muß vorerst aus der reichen Überlieferung neuzeitlicher Jahrhunderte festgestellt werden; dann ermöglicht sich mit Hilfe älterer Nachrichten eine Ermittlung, inwieweit jene Verkehrswege etwa schon im Mittelalter bestanden. Es ist dringend zu wünschen, daß künftig die Erforschung der Wege und des darauf sich abspielenden Verkehrs einen kräftigen Aufschwung nimmt.


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