III. Epos.

Die Frage nach dem Verfasser des Waltharius ist von R. Reeh ( 648) von neuem aufgerollt worden. Er will nachweisen, daß die seit I. Grimm übliche Zuweisung des Epos an Ekkehard I. unrichtig sei, vielmehr Geraldus, der Verfasser des Prologs, auch das Gedicht gemacht habe und mit einem in Straßburg auftretenden, schon von Althof nachgewiesenen G. identisch sei. Der Verfasser ist recht siegesgewiß und operiert stark mit Vokabeln wie »Voreingenommenheit«, »Befangenheit« usw., ich kann aber nicht erkennen, daß die Sache auch nur im geringsten gefördert worden ist. Man habe den Prolog bisher »nach Kräften mißverstanden«, W. Meyer habe verschiedene ganz willkürliche Konjekturen dazu gemacht und ich sie unverständlicherweise in den Text aufgenommen. Zu meinem Bedauern wird aber die richtige Erklärung nicht mitgeteilt, und ich muß bekennen, daß ich V. 19. 20 in der überlieferten Form auch jetzt nicht verstehe; wie ich fürchte, soll stringit in nach Althofs Vorgange aufgefaßt werden. Althofs Verdienste um den W. in allen Ehren, aber Latein verstand er wirklich nicht viel, und solche Einfälle wie gladium stringere in wollen wir doch lieber auf sich beruhen lassen. Der Verfasser will feststellen, daß der Prolog gar nicht so unbeholfen sei, wie man gewöhnlich behaupte; wenn schließlich ein Unterschied da sei, so werde dies seinen Grund darin haben, daß der Autor »in der eigentlichen Dichtung ein ahd. Lied mehr oder weniger getreu übersetzte«, eine Äußerung, die denn doch stark überrascht. Noch überraschender ist es dann aber, wenn durch Stilvergleichung die Identität der beiden Dichter nachgewiesen wird; was der Verfasser hier vorbringt, zeigt, daß ihm die nötige Kenntnis für eine solche Arbeit fehlt. Was soll man dazu sagen, daß praesul ein höchst seltenes Wort sein soll, tiro »junger Recke«, resonare »widerhallen« als nicht alltägliche Ausdrücke bezeichnet werden! Von ähnlicher Beweiskraft sind die anderen angeführten Wörter wie sine fine, loquela, salvare, virtutis (artis) amator. Ich sehe mit Bedauern, daß meine Hoffnung, man lernte allmählich, daß für diese Dinge auch gewisse Vorkenntnisse nötig sind, irrig war. Das einzige Verdienst, das ich der Arbeit zuschreiben kann, ist, daß noch einmal die zahlreichen Gründe zusammengestellt werden, die es tatsächlich schwer machen, die herrschende Ansicht über die Entstehung des Gedichtes für richtig zu halten; freilich ist der Verfasser dabei doch recht einseitig, denn wenn er sagt, ihm sei es nicht zweifelhaft, daß die Arbeit Ekkehards I. mitsamt der Korrektur Ekkehards IV. verlorengegangen ist und wir auch nicht viel daran verloren haben, so muß man doch fragen, warum denn 100 Jahre später der Erzbischof von Mainz sich so für diesen wertlosen Schulaufsatz interessierte. Es sei hier schon erwähnt, daß Ed. Sievers, Beitr. z. Gesch. dt. Sprach. u. Lit. 51, 1927, 222 ff. mit Hilfe der Personalkurve beweist, daß Geraldus und Walthariusdichter nicht identisch sind, wohl aber Walthariusdichter und Dichter der Paulussequenz, während Geraldus nicht in diesen Kreis gehöre. -- Die Lesart Waltharius resectus des Geraldusprologs V. 18 statt Waltharii -- resecti belegt K. Strecker ( 634) aus anderen Autoren. Bei dieser Gelegenheit sei ein Versehen der Ausgabe von Strecker richtiggestellt, es hätte zu V. 20 des Prologs gesagt werden müssen, daß die dort angeführte


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Erklärung von Preisendanz stammt. -- Zum Ruodlieb weist K. Strecker in der Festschrift für P. Kehr ( 211) darauf hin, daß man sich das Verständnis der Stelle Ruodlieb 5, 1 ff., die Örtlichkeit der Königsbegnung, dadurch verbaut hat, daß man mit 5, 1 ein neues Kapitel beginnen läßt und bei der Erklärung immer von Schmellers unglücklicher Konjektur congregium ausgeht. Die Schilderung wird ohne weiteres klar, wenn man annimmt, daß jedem der beiden Könige auf seinem eigenen Gebiete ein Zeltlager aufgeschlagen ist und die Zusammenkunft auf der Brücke stattfindet, die über den beide Länder trennenden Fluß führt. Ob die Schilderung wirklich historische Ereignisse widerspiegelt, läßt sich kaum ausmachen, das ist Glaubenssache. -- Es ist erfreulich, daß einmal die Aufmerksamkeit auf Petrus Riga gelenkt wird. Seine Aurora, so beliebt sie im Mittelalter war, ist ja uns leider noch zumeist unbekannt, weil bisher das Riesenwerk mit seinen vielen Hss. noch keinen Bearbeiter gefunden hat; die edierten Bruckstücke geben doch ein falsches Bild. H. Oppermann ( 646) hat die Wolfenbütteler Hss. für die Genesis verglichen und seine Vermutung bestätigt gefunden, daß Petrus R. von der Historia ecclesiastica des Petrus Comestor abhängig ist. Zuweilen hat er sich sehr eng an ihn angeschlossen, in andern Partien ist er freier. -- Hier mag auch auf die Würzburger Dissertation von Stephan Zwierlein, Venantius Fortunatus in seiner Abhängigkeit von Vergil, hingewiesen werden, die durch sorgfältige Vergleichung des Sprachschatzes nachweist, daß Fortunatus in weiterem Maße dem Einflusse Vergils unterliegt, als man bisher angenommen habe. Daß F. den Vergil viel benutzt hat, ist nicht gerade neu, das hat natürlich auch W. Meyer gewußt, denn ihm waren die Zusammenstellungen von Manitius doch auch zugänglich, und Zwierleins Polemik gegen den Göttinger Gelehrten ist etwas oberflächlich, es wäre wertvoller gewesen, wenn er auf W. Meyers These genauer eingegangen wäre. Zu S. 29 sei auch an Cato I, 27 fistula dulce canit erinnert. --


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