III. Literaturgeschichte.Bei der hohen Bedeutung,
die der Schriftstellerkatalog des Hieronymus als Stoffquelle und als Vorbild für das MA. hat, muß auch hier
erwähnt werden, daß eine abschließende Ausgabe desselben im CSEV, für die die ganze gewaltige
Überlieferung ausgenutzt werden soll, in Aussicht steht. In dem vorbereitenden Buche (
451) gibt der Bearbeiter A. Feder Rechenschaft über sein
Verfahren. Zunächst werden die 14 Haupthandschriften, die vor allem für die direkte Überlieferung in
Frage kommen, eingehend beschrieben, dann die 162 übrigen, nach Jahrhunderten geordnet, kürzer
aufgezählt. Anschließend wird die Frage erörtert, wie weit die indirekte Überlieferung nutzbringend
herangezogen werden kann. Von allgemeinerem Interesse ist Kapitel 2, das über die Entstehung des Katalogs, den
Titel, den Vertrieb u. a. a. Auskunft gibt, Kapitel 3 berichtet über die fremden Zusätze, und im
Schlußkapitel wird eine Gruppierung der Hss. aufgestellt. Leider erfahren wir, daß der Verf. vor kurzem
durch den Tod aus seinen aussichtsreichen Arbeiten herausgerissen ist, und man kann nur hoffen, daß es einem
Nachfolger ohne zu große Schwierigkeit möglich sein wird, an seine Stelle zu treten. --Rabys
Buch (
434) ist ein großer Wurf, und was besonders hervorzuheben ist, der Verf.
hält das im Titel gegebene Versprechen und führt seine Geschichte der christl. lat. Poesie bis zum
Schluß des Ma. durch; das letzte Kapitel behandelt die Dichtung der Franziskaner. So wird man mit besonderer
Aufmerksamkeit die zweite Hälfte ansehen, die eine bisher klaffende Lücke ausfüllt, doch auch die erste
ist durchaus der Beachtung wert. Der Stoff ist in 13 Kap. zerlegt, 1--5 bis zur karol. Renaissance, 6 diese selbst, 7--9
das 10. und 11. Jhd. in Deutschland, Italien, Frankreich; das 12. Jhd. erhält dann mit Recht im Kap. 10 eine eigene
Darstellung, der im 11. eine besondere Betrachtung Adams v. St. Victor und der Sequenz angehängt ist. Kap. 12--13
sind dem 13. Jhd. gewidmet. Eine reichhaltige Bibliographie am Schluß wird noch durch zahlreiche Fußnoten
ergänzt, die Darstellung der leitenden Gedanken selbst, die sich nie in Einzelheiten verliert, in ihrem Fluß
nicht unterbrochen; durch reichlich eingestreute Proben im Original wird sie gefällig belebt. Der Zusammenhang mit
der allgemeinen Entwicklung der Zeit wird nie aus dem Auge gelassen, und häufig wird auch die profane Dichtung
herangezogen. Trotz mancher Ausstellungen, die man machen muß (Strecker, Dt. Lit.-Zt. 1929, 15),
ist das Werk durchaus zu empfehlen. -- Allgemein kulturgeschichtlich ist das umfassende Buch von Ch. H.
Haskins (
467), doch da die Geschichte der bildenden Kunst und der
Vulgärliteraturen als schon besser bekannt beiseite gelassen werden, ist es praktisch in der Hauptsache eine
Geschichte der lat. Literatur des 12. Jhds. In fesselnder Darstellung schildert der Verf. den historischen Hintergrund,
die Bildungszentren, Bücher und Bibliotheken, das Wiederaufleben der lat. Klassiker, die lat. Sprache der Zeit, die
lat. Dichtung, Rechtswissenschaft, Geschichtsschreibung, die Übersetzertätigkeit, die Philosophie, die
Anfänge der Universitäten. Am Schlusse jedes Kapitels steht die wichtigste Bibliographie. Das Ganze ist ein
äußerst wertvoller Beitrag für unsere Kenntnis des Geisteslebens jener Zeit, am wertvollsten die Teile,
wo der Verfasser hauptsächlich auf eigenen Forschungen fußt. Nicht ganz befriedigt hat mich das Kap.
über die Dichtung, ich fürchte, der Inhalt wird nicht vorbereiteten Lesern etwas schattenhaft
S.163 bleiben. Im einleitenden Kap. rechtfertigt der Verfasser den Titel seines Werkes: wir haben eine Reihe von Renaissancen, die klassische Kurve des MA. weist Gipfel und Niederungen auf. Mit zwei solchen Gipfeln beschäftigt sich H. Naumann in seinem nicht im Buchhandel erschienenen ansprechenden Vortrage ( 457), in dem er die Unterschiede der karol. und otton. Periode herausarbeitet. Während der Bewegung der Geister zur Zeit Karls d. Gr. ein klassizistischer Zug eigen ist, möchte er die otton. Zeit in gewisser Weise mit der Romantik vergleichen. Dieser Vergleich ist freilich nur durchführbar, wenn man bei der otton. Renaissance nur an einen Ausschnitt aus der internat. lat. Literatur, nämlich an die in Deutschland erblühte, denkt. -- Wie Haskins das 12. Jhd. herausgehoben hatte, so widmet L. Thorndike, Speculum 2,374 ff. dem 13. seine Aufmerksamkeit. In einem ganz knappen Aufsatz 'Some thirteenth-century classics' wird ein Überblick über die wichtigsten lat. Vertreter der Wissenschaft dieses Jahrhunderts auf den verschiedensten Gebieten gegeben, dessen Zweck mir nicht ganz klar ist. Bibliographische Angaben fehlen, und es ist zu erwarten, daß viele Leser ratlos vor den kurzen Notizen über die einzelnen Autoren stehen werden. Was nützt ihnen die Angabe, daß Jacobus de Cessolis einen ludus scaccorum geschrieben hat, wenn sie nicht erfahren, wie und wo sie sich über ihn unterrichten sollen? -- Einen interessanten Ausschnitt behandelt Haskins mit seinem Aufsatz über die Sportliteratur ( 438), die natürlich nur spärlich ist, denn was wir etwa als Sport bezeichnen können, Duell, Gottesurteil, Jagd, Krieg fiel im allgemeinen nicht in den Gesichtskreis der lat. Literaten. Das wichtigste Buch, das hier in Frage kommt, ist Friedrichs II. De arte venandi cum avibus, das eingehend gewürdigt wird, dann ein ungedruckter Traktat De arte bersandi (Hirschjagd) aus Vatic. lat. 5366 ca. 1300. Von den Spielen wird das Schach hervorgehoben. -- A. Hämels Aufsatz ( 439) knüpft an den im Jahresber. I, S. 186, Nr. 615 angeführten Vortrag E. Farals an, von dem er ein ziemlich umfassendes Referat gibt. Er wendet sich gegen dieselben Schwächen in Farals Darlegungen, die ich a. a. O. angedeutet habe, und bedauert, daß auch die ernsthafte französische Forschung bei aller Sachlichkeit und überragenden Detailkenntnis sich doch nicht ganz von Ideen frei machen kann, die mehr für die französische Psyche berechnet als wissenschaftlich unanfechtbar sind. Zum Schluß bekämpft er das Bestreben, jeden germanischen Einschlag in der französischen Poesie (Chans. de geste) zu leugnen. -- Ein Versuch, kurz eine Übersicht über die mittellat. Dichtung Deutschlands zu vermitteln, der natürlich durch den internat. Charakter der Sprache, wo Verfassernamen fehlen, sehr erschwert wird, stellt K. Streckers Artikel ( 440) dar. Die Darstellung ist stofflich geordnet und bringt für jeden Abschnitt die wichtigste Literatur. Natürlich hat eine solche Zusammenfassung im Lexikon ihre Bedenken. Sie wäre fruchtbringender und für den Verf. befriedigender gewesen, wenn der doppelte Raum zur Verfügung gestanden hätte. -- Die Antike im MA. behandelt das oben ( 436) besprochene Buch P. Lehmanns. Demselben Thema ist ein Aufsatz des Verfassers gewidmet ( 437), aus dem wieder einmal hervorgeht, wie groß die Bedeutung der Iren dafür war: in einem Sangallensis und einem aus Reims stammenden Vaticanus finden sich gelehrte Orosiuserklärungen, die er ihnen zuschreibt. Außerdem liefert er neues Material für die Entscheidung des in jüngerer Zeit ausgefochtenen Streites über die Vergilerklärungen. |
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