I. Sprachgeschichte.

Die luxemburgisch-moselfränkische Heimat der Siebenbürger Sachsen gehörte seit den letzten Jahrzehnten zum festen Bestand nicht nur der sprachlichen, sondern auch der historischen Forschung. Gegen diese Auffassung richten sich zwei Arbeiten, deren Wirkung sich allmählich schon in einer gewissen Auflockerung der Anschauungen bemerkbar macht. H. Klein ( 486) kommt beim Vergleich mit den Mundarten des Deutschen Reiches unter Aussonderung der nicht beweisenden zu einer Scheidung der sprachlichen Erscheinungen ihrer Bistritzer Heimatmundart in solche, die zu der luxemburgischmoselfränkischen »Urheimat« stimmen, und solche, die nicht in ihr vorkommen. Bei der Erklärung dieser verschiedenen Sprachschichten lehnt die Verfasserin


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mit Recht ihre Zurückführung auf getrennte Einwandererschichten ab. In bezug auf die moselfränkischen Erscheinungen zieht sie die Konsequenz aus den Fringsschen Ergebnissen über die Umgestaltung der rheinischen Mundarten im Ausgang des MA. Das Luxemburgische ist danach nur als Reliktgebiet eines größeren mittelrheinischen Sprachbezirkes zu werten. Damit erweitert sich zum mindesten die Heimat der Träger der sogenannten moselfränkischen Erscheinungen zu einem Gebiet, das sich von Luxemburg bis zum Siegerland zieht. (Über die zweite Arbeit s. unten S. 171 zur Nr. 513.)

Nachdem Berichterstatter schon in ZfdMdaa. 1921 auf die Schwierigkeiten hingewiesen hatte, die bei der Lokalisierung von ma. Texten nach den heutigen Mundarten entstehen, unternimmt es jetzt L. Berthold ( 481) an einem Mystikertext, der nach Schrift, Stil und Inhalt in die zweite Hälfte des 15. Jhds. gesetzt werden kann, grundsätzlich das Verhältnis zwischen altem Text und moderner Mundart auf die methodisch wichtige Frage hin zu untersuchen: »wie ist die moderne Mundart zur Heimatbestimmung alter Denkmäler sinngemäßer heranzuziehen als bisher und wie weit führt sie dann?« B. lehnt dabei ab »das auf wenige ausgewählte Kriterien beschränkte Zusammenarbeiten von altem Schreib- und modernem Dialektgebrauch«; sie unternimmt zunächst die »Lokalisation auf Grund der Einordnung in den spätma. Schreibgebrauch«, indem sie mit Hilfe einer größeren Zahl der Eigentümlichkeiten ihres Textes das Gebiet, für welches die größte Anzahl von ihnen paßt, und gegen welches die geringste Anzahl spricht, nämlich das Elsaß, feststellt als das Heimatgebiet ihres Textes. Der nächste Abschnitt vergleicht dieses Resultat mit dem heutigen Sprachstand des Elsässischen, und zwar hauptsächlich an der Hand der Sprachatlaskarten. Dabei ergibt sich, daß einesteils alte Textformen und neue Dialektformen gleich sind, daß aber zum anderen Teil die Textformen nur in Teilgebieten des Elsaß, und zwar nicht immer den gleichen, zu finden sind. Diese letzteren, die Lokalisation scheinbar aufhebenden, Kriterien stehen aber in Wirklichkeit nicht im Widerspruch zu ihr, da sich bei den meisten von ihnen aus heutiger Karte und sicher lokalisierten alten Texten ihre frühere Verbreitung über das ganze Elsaß rekonstruieren läßt. Auch die scheinbaren Widersprüche lassen sich also bei richtiger historischer Interpretation in Bestätigungen umwandeln. So stark nunmehr auch die weitere Heimat des Textes mit sprachlichen Mitteln gestützt wird, so hat doch die Mundart kein Ergebnis über die genauere Lokalisation in einem bestimmten Teil des Elsaß gebracht. Die von der Verf. aufgeworfene Frage, ob die gleiche Resignation nun für alle Texte zu gelten habe, oder ob nur die spezifisch elsässischen Sprachentwicklungen ein genaueres Festlegen nicht erlauben, möchte ich nach dem Charakter des Elsaß im Sinne der zweiten Auffassung beantworten (vgl. auch Nr. 480 S. 70 f.); die genauere Festlegung eines Textes durch sprachliche Kriterien wird im allgemeinen nur da zu erwarten sein, wo ein Gebiet durch wirklich einschneidende Kriterien für längere Zeit klar zerlegt wird. Als methodisch wichtig seien noch die zahlreichen Doppelformen des als Original erweisbaren Textes hervorgehoben, die bei einer Edition nicht beseitigt werden dürften, und die auch innerhalb einer Lokalisation keineswegs als Material zweiten Ranges, sondern eher als ein besonderes zeitlich-örtliches Charakteristikum gewertet werden müssen.

Auch für die Zerlegung Deutschlands in Sprachgruppen sucht der Bericht-


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erstatter ( 480) über das Prinzip der Anwendung isolierter Einzelkriterien hinauszukommen und dafür zu einer Erfassung struktureller Typen zu gelangen, die sich wegen ihres einheitlichen Aufbaus zwanglos aus der Umgebung herausheben. An die Stelle der Sprachgrenze tritt als Objekt der Betrachtung die Sprachfläche, die nur in besonderen, historisch zu erklärenden Sonderfällen durch feste Grenzen abgeschlossen ist, in anderen nicht minder charakteristischen aber in die Nachbarlandschaften hinübergleitet. Faktoren dieser Landschaftsbildung sind Besiedlung, Verkehr und Schriftsprache. Neben der Wanderung der Sprachträger steht die der Sprachelemente (ohne Umsiedlung der Sprachträger). Bei der Ansetzung der Siedler ist weder im Osten noch im Westen mit geschlossenen, ethnisch einheitlichen Gruppen zu rechnen, die einheitliche Dialekte mitgebracht und weiterentwickelt hätten; die späteren Einheiten sind vielmehr erst durch Abklärung anfänglicher Mischungen entstanden. Nur in einzelnen Fällen haben die Siedlungsprozesse selbst durch (passive) Abtrennung eines Gebietes (so in Preußen und Schlesien) oder durch (aktive) Sonderung zweier Siedlungsbezirke gegeneinander (Hochpreußisch gegen Niederpreußisch) zur Formung von Sprachlandschaften geführt. Viel allgemeiner ist die landschaftbildende Wirkung des zweiten Faktors, der als örtlich durch territoriale Schranken gebundener oder als Durchgangsverkehr verbindet und ebensogut trennt. Den mehr regulativen Wirkungen der Territorien, die sich in mannigfacher Weise abstufen, treten als stärker dialektbildendes Moment sprachliche Großbewegungen verschiedenster Form entgegen, die sich weniger aus kulturellen Niveauunterschieden erklären als vielmehr aus der Dynamik sprachlicher Ausstrahlungen, die sich sprungweise von Kulturzentrum zu Kulturzentrum oder kontinuierlich auf Verkehrsstraßen oder in breiter Front vorwärtsbewegen, durch einheitliche Territorien weitergeleitet, durch zersplitterte gehemmt und erstickt. Auch unter den vom Verkehr geformten Landschaften lassen sich aktive, von innen sich formende (Bayern, Schlesien) von passiven scheiden, die durch einen Einbruch von außen her ihre charakteristische Form erhalten (Brandenburg, Oberrhein, Mittelrhein). Die Wirkung der Schriftsprache wird am deutlichsten sichtbar im Umkreis großer Städte und in jung eingedeutschten Bezirken (z. B. östliches Ostpreußen), so daß sich auch an solchen Stellen schon Ansätze zu einer Landschaftsbildung zeigen.


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