IV. Ortsnamen.

Unter den sehr viel zahlreicheren Arbeiten zur Ortsnamenforschung ist zunächst eine Untersuchung abzusondern, deren Ziel nicht die Erklärung von Ortsnamen ist, sondern ihre Vergleichung mit anderen. Orend ( 513) sucht der Heimatbestimmung der Siebenbürger Sachsen auf einem neuen Wege näherzukommen. Aus einer ursprünglich weiter gefaßten Vergleichung siebenbürgischer und deutscher Erscheinungen hat er schließlich die Ortsnamen herausgeschält, die ihm als sicherstes Material erscheinen. In richtiger Erkenntnis der großen Umformungen, die die Ortsnamen im Laufe der seit der Besiedlung verflossenen Jahrhunderte erlitten haben, versucht er zunächst aus urkundlichen, mundartlichen, magyarischen und rumänischen Formen die ursprünglichen Namen zu ermitteln, die mit den reichsdeutschen und österreichischen verglichen werden können. Statt nun einzelne Namen zu vergleichen, was zu höchst unsicheren Resultaten führt, zeigt O., daß sich Ortsnamen in bestimmten Gegenden Deutschlands zu Gruppen zusammenschließen, die in ähnlicher Anordnung auch in Siebenbürgen wiederkehren; daß sich diese Einzelgruppen, die in Siebenbürgen fast ohne Regel durcheinandergeschoben sind, in Deutschland zu Gruppenkreisen zusammenschließen, die sich auf einer mitteldeutschen Linie vom Mittelrhein über Ostfranken, Thüringen, Obersachsen, Schlesien und Oberungarn (Zips), auf einer oberdeutschen Reihe vom Oberrhein über Bayern, Salzburg, Westungarn nach Siebenbürgen ziehen. Auch wenn die »vergleichbare Form« nicht überall gefunden ist und die eine oder


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andere Gruppe wegen doppelter Verwendung eines Namens nicht gehalten werden kann, so wohnt doch der Gesamtanordnung eine Beweiskraft inne, die auch durch einzelne Fehler nicht entkräftet werden kann.

Die Erforschung der Ortsnamen einzelner Gebiete konzentriert sich z. Zt. bis zum gewissen Grade auf die Gegenden, in denen slawische und deutsche Siedler nebeneinander sitzen. Und besonders die Zuweisung der einzelnen Namen zum germanischen oder slawischen Sprachschatz ist es, die dabei mit an erster Stelle steht.

Die Quellen der slawischen Namenforschung in der Provinz Sachsen und dem Freistaat Anhalt stellt R. Holtzmann, Zfslav. Phil. 4, 435--43 zusammen. -- Über die sächsischen Probleme berichtet Beschorner ( 505); er entnimmt seine Beispiele der Siedlungsgeschichte des sächsischen Erzgebirges und behandelt dabei besonders die Frage der Scheidung deutscher und slawischer Siedlungen. -- Seine in den Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins veröffentlichten Untersuchungen erweitert Knauth ( 506) zu einer »Ortsnamenkunde des östlichen Erzgebirges«. Er behandelt die Fluß-, Gebirgs- und Berg- und die Siedlungsnamen der Amtshauptmannschaften Freiberg, Dresden-A., Dippoldiswalde, Döbeln, Flöha, Marienberg, Meißen, Pirna und Rochlitz, soweit sie noch zum östlichen Erzgebirge gehören. K. versucht nicht nur die einzelnen Namen unter Beachtung ihrer topographischen Umgebung zu erklären, sondern er ist auch bestrebt, die allgemeinen Linien der Namensänderung zu fassen. Einwendungen sind höchstens zu erheben in bezug auf die nicht erschöpfende Beachtung der mundartlichen Namensformen, die Erschließung und Beurteilung wirklicher oder scheinbarer sorbischer Namen, die in der Gesamtzahl nur reichlich 7 % ausmachen.

Die durch sein Buch »Das Land ob der Enns« entfesselte Diskussion über die oberösterreichischen Ortsnamen setzt Schiffmann in seinen »Neuen Beiträgen zur Ortsnamenkunde Ober-Österreichs« fort ( 493 a). In Heft I setzt er sich durch nähere Erläuterung einiger Namen hauptsächlich mit Much auseinander, in Heft II mit dem Buch von E. Schwarz »Die Ortsnamen des östlichen Oberösterreich«, an dessen einzelne Namen er in der gleichen Anordnung sachliche Korrekturen und sprachliche Bemerkungen anschließt.

Den Titel seiner Arbeit faßt Pirchegger ( 495) im Vorwort seiner Arbeit noch genauer als Zusammenstellung der altslovenischen Namen in dem obersteirischen Gebiet der Mürz. Ziel der Untersuchung ist, aus urkundlichen und modernen (auch mundartlichen) Formen die Etymologie der Ortsbezeichnungen zu ermitteln. Dem Wörterbuch der Namen folgt eine Zusammenstellung aller sprachlicher Prozesse, die für deren Kritik wichtig sind. Für diesen Zweck dient zunächst eine Auswahl antiker Namen aus dem bayrisch-österreichischen Gebiet, ferner die Darstellung der Mürzmundart im Anschluß an die Anordnung und die phonetisch-konstruktive Methode Lessiaks unter Beschränkung auf das Wichtigste der modernen Verhältnisse und der geschichtlichen Entwicklung der Laute, und ein weiteres Kapitel über die Vertretung der altslavischen Laute im Altbairischen. Eine besondere Note erhält der sprachliche Teil durch die Verwendung der Schallanalyse unter Mitwirkung von Ed. Sievers, eine Methode, mit der sich allerdings der Herausgeber der Sammlung, Vasmer, in seinem Vorwort nicht einverstanden erklärt, soweit die Intonation durch moderne Aussprache oder durch die Sprachgeschichte


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nicht gestützt wird. Im Abschluß seines interessanten 8. Teils über allgemeine Linien der Namenänderung kommt der Verf. zu dem Resultat, daß gewisse von Lessiak (GRM II) für das Altslavische erschlossene Lautverhältnisse, die seitdem für Namenerklärung sehr stark verwendet worden sind, in vollem Umfang abzulehnen seien; eine kritische Auseinandersetzung soll in der Zfslav. Phil. folgen. Außer einem Ortsverzeichnis ist der Arbeit auch eine Karte beigegeben, in der die slavischen Namen, die bis 1600 etwa ein Viertel des Gesamtbestandes ausmachen, rot eingedruckt sind. Diese Karte zeigt -- was für die Besiedlungsgeschichte wichtig ist -- keine regellose Streulage der slavischen Siedlungen, sondern meist eine Anordnung in Gruppen.

Mit einer immer wieder aufgegriffenen Frage befassen sich zwei rheinische Arbeiten. Der Erklärung der Abgrenzung zwischen den -ingen- und -heim- Orten am Oberrhein sucht F. Langenbeck ( 387) von einem neuen Gesichtspunkt aus beizukommen, nämlich durch Beobachtung der räumlichen Verteilung der Ortsnamen. L. geht aus von der Theorie, daß die auf alemannischen Ursprung zurückgehenden -ingen-Orte auch da im Elsaß nicht gefehlt hätten, wo sie heute nicht zu finden sind, und daß sie hier nur durch Umbenennung durch fränkische Grundherren beseitigt seien. Er versucht aus urkundlichem Material eine größere Anzahl von ihnen und den gleichaltrigen Namen mit anderer Endung zu erschließen, wobei er allerdings nicht mit der nötigen Vorsicht verfährt. Denn einerseits kann man sich vom sprachgeschichtlichen Gesichtspunkt mit diesen Zuweisungen zur älteren Gruppe nicht immer einverstanden erklären, und dann darf, besonders auch bei zahlenmäßiger Auswertung, nicht übersehen werden, daß die zweiten Bestandteile noch Jahrhunderte hindurch lebensfähig gewesen sind und auch bei Neugründungen wieder verwendet wurden. Es bleibt L. das Verdienst, auf die auffällige topographische Anordnung bestimmter Endungstypen mit Nachdruck hingewiesen zu haben. Aber eine Lösung der angeschnittenen Frage wird sich niemals unter Berücksichtigung nur eines Gesichtspunktes erreichen lassen; insbesondere darf die vorzugsweise durch Steinbach und Bach betonte Möglichkeit nicht außer acht gelassen werden, daß Namensänderungen größeren Stils auch ohne Einrücken neuer Siedlergruppen oder Grundherren zustandegekommen sind.

Ebenso wie hier ist auch in der Arbeit von Kaspers ( 501) die Beschränkung auf einen begrenzten Bezirk zu beanstanden. K. hat die Absicht, die -ingen-Orte der Rheinprovinz zusammenfassend zu untersuchen, und legt zunächst »eine etymologische Durcharbeitung und eine beschreibende Darstellung des tatsächlichen Bestandes« vor, die auf den modernen (nicht den mundartlichen!) und den urkundlichen Formen aufbaut. Einbezogen sind unter Berücksichtigung des Suffixtausches die Suffixe ingen, ing; ing + hof, heim, haus, hardt, roth, rade, hagen; ang, angen (bei denen kelt. ancum abgelehnt und dafür dialektischer Übergang des i über e zu a angenommen wird); dazu die seltenen ung und ungen.

Unter den leider sehr zerstreut veröffentlichten Arbeiten E. Schröders, in denen -- oft recht versteckt -- immer wieder allgemein wichtige Beobachtungen zur Namengebung zu finden sind, sei hier nur ein knapper Abriß der Burg- und Schloßnamengebung erwähnt ( 488). In der Wahl der zweiten Bestandteile dieser Namen zeigt sich der Wechsel der Moden, in der Ausbreitung


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der Benennungsgruppen von Süden nach Norden, von Westen nach Osten ist »der Gang der deutschen Kulturbewegung und insbesondere die Entwicklung des Herren- und des Ritterstandes« wiederzufinden. Auch in der Wahl der Grundwörter zeigt sich ein Wandel; er führt von rein topographischen Bezeichnungen über heraldisch-ritterliche Wörter, Erbauernamen zu Bildungen nach französischem Muster. Interessant ist, daß auch in der Namenforschung die Feststellungen über den Ort der Entstehung und die Grenzen der Ausstrahlung mehr und mehr an Bedeutung für die Theoriebildung gewinnen.

Zu E. Schröders Ausführungen über »Angleichung deutscher O.-N. an Namen aus ihrer Nachbarschaft« (Namn och Bygd 11) bringt E. Schwarz ( 510) weitere Belege aus Böhmen. Sie beziehen sich auf die Bildung von Namen mit unechten -ing, -s, -ings, -itz, -enz, -ai, -n, -a und -au. Entweder ersetzt die Mundart alte Endungen nach vorhandenen Mustern durch neue (z. B. Sebarn- Sebing), wobei z. T. mundartliche oder tschechische Formen die Mittelglieder zur Erleichterung des Prozesses bilden; oder die Kanzleien bilden aus dem Bewußtsein vorhandener Doppelformen heraus (z. B. 1360 Schonaw, 1393 Schenne) zu mundartlichen neue Schriftformen. Eine Scheidung beider Prozesse ist nicht immer möglich. Sie würde sich wahrscheinlich leichter vollziehen lassen, wenn nicht nur die Ausstrahlungsflächen ermittelt würden, sondern auch die Zeiten, über die sich die einzelnen Umsetzungen erstrecken.

Das Wimpassing-Problem führt J. Schnetz ( 490) in sehr besonnener Weise zu einem gewissen Abschluß. Nach einer systematischen Übersicht über die bisherigen Theorien zeigt er, daß die meisten ober- und niederbayrischen W.-Orte in relativ spät besiedeltem Gebiet liegen, also erst einer jüngeren Siedlungsperiode angehören. Die zahlreichen, mit einem echten -ingen gebildeten Namen können nicht von einem Personennamen Windpoz abgeleitet sein, da dieser überhaupt nicht belegt ist. Und da auch für die Wendentheorie keine strikten Beweise erbracht sind, wird W. vielmehr von einem Flurnamen mit der Bedeutung »Windschlag« oder »Windstoß« abzuleiten sein, der auch für sich (ohne -ingen) nachweisbar ist.


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