I. Hilfsmittel und Arbeiten allgemeinen Inhaltes.

Die große Menge der Zufallsfunde in dem immer intensiver genutzten Boden Mitteleuropas stellt unsere Denkmalpflege vor Aufgaben, welche von Jahr zu Jahr an Umfang zunehmen; in Preußen kommt die praktische Auswirkung des Ausgrabungsgesetzes noch hinzu, welches erst seit wenigen Jahren in Kraft ist und einen Ausbau der bestehenden Einrichtungen für Denkmalpflege bedingt. Die Fachwelt verlangt die Bekanntgabe der neuen Ergebnisse, ihre museumstechnische Durcharbeitung und die Aufbereitung der ansehnlichen und vielfach wertvollen älteren Bestände unserer Sammlungen. Nachbarwissenschaften und gebildete Laien, in unseren Tagen stärkeren Interesses an allen heimatkundlichen Fragen auch der vaterländischen Archäologie mehr zugewandt als bisher, drängen auf Darstellungen und Übersichten; das Heer der freiwilligen Helfer, das der praktischen Denkmalpflege überall zur Verfügung steht, hat einen besonderen Anspruch darauf. Die literarischen Hilfsmittel sowohl für die Verarbeitung wie für die Veröffentlichung des Fundstoffes genügen aber nicht mehr. Unsere Zeitschriften und Sammelwerke entstammen vielfach einer Zeit geringerer Ansprüche an die Intensität und die Wirtschaftlichkeit geistiger Arbeit. So sind ihre Arbeitsgebiete nicht deutlich genug gegeneinander abgegrenzt; gerade im Hinblick auf manche Überschneidungen fallen einige wesentliche Lücken unangenehm auf. Es darf als ein Zeichen regen inneren Lebens in der Vorgeschichtsforschung gedeutet werden, daß ihre Entwicklung auf eine entsprechende Neu- und Ausgestaltung ihres Schrifttums hinzielt.

Bewährt hat sich das Vorgeschichtliche Jahrbuch ( 536). Die von ihm gebotene Übersicht über die literarischen Neuerscheinungen jeweils eines Jahres umfaßt das ganze europäisch-vorderasiatische Kulturgebiet. Bei der starken Zersplitterung dieses Schrifttums und der Fülle der in ihm zur Anwendung kommenden Sprachen ist es außerordentlich erwünscht, neben den Titeln auch knapp gehaltene Referate zu haben, welche über den Inhalt unterrichten. Wohl bringt die große Zahl der Mitarbeiter Ungleichheiten in der Behandlung der einzelnen Gebiete mit sich; doch wird man sie im Hinblick auf das tatsächlich Gebotene gerne in Kauf nehmen. Gerade die deutsche Vorgeschichtsforschung muß dieses Unternehmen dankbar begrüßen; ist sie doch entsprechend der zentralen Lage ihres Arbeitsgebietes ständig auf Fühlung mit Nachbargebieten angewiesen. Daß auch der Orient mit einbezogen wird, ist in der Herkunft zahlreicher Grundlagen unserer Kultur von dort begründet. Die in der Entwicklung begriffene vorgeschichtliche Archäologie des übrigen Asien und der anderen


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außereuropäischen Erdteile fehlt jedoch in dem Inhaltsverzeichnis; aus praktischen Gründen wird man diese Gebiete einer Bibliographie der völkerkundlichen Literatur zuteilen. Das Nachrichtenblatt für deutsche Vorzeit ( 537) hat sich nicht nur neben den bestehenden älteren Zeitschriften behauptet, sondern ist durch seine Übersichten über neue Funde und Veröffentlichungen zu einem wertvollen Hilfsmittel geworden. Es bevorzugt als Arbeitsgebiet das freie Germanien und die auf die Erkenntnis der deutschen Vorgeschichte hinzielende Archäologie. Für die Rheinlande und das Gebiet der oberen Donau wird es vorteilhaft durch die Germania ( 537 a) ergänzt, welche im Hinblick auf das von ihr mitbehandelte römisch-germanische Teilgebiet der antiken Kulturwelt den Anschluß mehr nach der klassischen Altertumskunde hin betont. Den seit 1924 bestehenden Vorgeschichtlichen Forschungen hat die Römisch-germanische Kommission die Römischgermanischen Forschungen zur Seite gestellt. Das erste Heft der neuen Schriftenfolge ( 608) behandelt ein in Starkenburg gefundenes Mithrasheiligtum. »Das doppelseitige Mithrasrelief von Dieburg ist zugleich ein bedeutsames Zeugnis für die Beziehungen, welche die Kunst des Rheinlandes mit der Reichshauptstadt verbinden, und ein einzigartiges Denkmal der Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit«; dieser dem Vorwort zu der neuen Schriftenfolge entnommene Satz darf wohl ebenso wie ihr Titel als Zeugnis dafür hingenommen werden, daß sie die Beziehungen unserer Vorgeschichte und Frühzeit zum Süden besonders zu pflegen gedenkt. Der neue Bericht der Kommission ( 539) enthält Übersichten über Österreich ( 584), Südslawien und Holland; sie berücksichtigen sowohl die Vor- und Frühgeschichte wie auch die Römerzeit der betreffenden Gebiete und sind in ihrer wohl abgewogenen Auswahl des Wesentlichen unter den neueren Arbeiten sehr willkommen. Überhaupt hat sich diese Form des Forschungsberichtes so gut eingeführt, daß man sie gerne in noch größerem Umfang angewendet sähe.

Geben alle bisher genannten Veröffentlichungen ein höheres Ziel und zugleich ihre Unterordnung unter den Gesichtspunkt praktischer Arbeitsteilung zu erkennen, so vermißt man beides leider in den Tagungsberichten der deutschen Anthropologischen Gesellschaft ( 538). Ein Nebeneinander von Beiträgen aus den Gebieten der Anthropologie, Ethnologie und Vorgeschichte bietet neben kleinen Fundberichten Aufsätze von grundlegender Bedeutung, ohne doch einen inneren Zusammenhang zwischen den drei genannten Wissenschaften erkennen zu lassen. Seit der Gründung unserer anthropologischen Gesellschaften sind jetzt zwei Menschenalter vergangen; waren damals jene drei Gebiete auf gemeinsame Arbeit angewiesen, so haben sich ihre Beziehungen mit der Entwicklung einzelner Arbeitsweisen im Laufe der Zeit sehr gelockert. Besinnt man sich heute wieder auf eine gewisse Zusammengehörigkeit, so wird sie doch unter wesentlich anderen Gesichtspunkten als ehedem gesucht, und es erscheint deshalb sehr fraglich, ob die alte Form ihrer Vereinigung dafür zweckmäßig ist. Stärker als bisher betont die vorgeschichtliche Forschung ihr Wesen als Geschichtswissenschaft; sie hat sich in den letzten Jahrzehnten ihre eigenen Organe geschaffen und gewinnt eine engere Fühlung mit der die Zeiten geschriebener Überlieferung behandelnden Geschichtsforschung. Allem Anschein nach gelangt sie jetzt von hier aus zu einer neuen Arbeitsgemeinschaft mit der Völkerkunde. Da aber die Geschichtswissenschaft gleichzeitig damit anfängt,


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sich durch die anthropologische Fragestellung zu vertiefen ( 548), wird man den Anthropologischen Gesellschaften nur dann eine Zukunft gewährleisten können, wenn sie sich zu einem inneren Neubau entschließen. Ein Aufsatz von Birkner ( 544) entspringt im wesentlichen noch einer älteren, mehr antiquarisch gerichteten Auffassung der prähistorischen Archäologie.

Das Reallexikon der Vorgeschichte ( 543) ist bis zum elften Bande gediehen, und so rückt seine Vollendung in greifbare Nähe. Unter dem frischen Eindruck der Fälschungen von Glozel, welche so lange und so laut umstritten gewesen sind, nimmt man die Studie von Türkel ( 545) dankbar entgegen. Vor Täuschungsversuchen ist der Prähistoriker im allgemeinen sicherer als der klassische Archäologe und der Kunsthistoriker. Aber auch er muß mit der Möglichkeit rechnen, daß ihm Fälschungen vorgelegt werden, und zwar gerade solche, welche weniger der Gewinnsucht als der Freude am Fälschen entsprungen sind. Türkel bietet nicht nur eine Übersicht über zahlreiche bekanntgewordene Fälle dieser Art, sondern auch Einblicke in ihre Beweggründe. Insbesondere aber behandelt er die Möglichkeiten, vermittels naturwissenschaftlicher Beobachtungen Echtes und Falsches zu unterscheiden.

An der Spitze der Werke darstellender Art steht das Buch von Bayer ( 546) über den Menschen im Eiszeitalter. Groß angelegt, die ganze Erde umfassend, reich mit Nachweisen und Abbildungen ausgestattet, sucht es auf geologischer (stratigraphischer), paläontologischer und archäologischer Grundlage eine schon wiederholt in Angriff genommene Aufgabe zu lösen. Die Geschichte des diluvialen Menschen ist zugleich diejenige der Eiszeit. Die Datierung der archäologischen Entwicklungsstufen kann auf geologischem Wege geschehen; umgekehrt haben in vielen Fällen die Artefakte die Bedeutung von Leitfossilien. So wenig diese beiden Grundlagen der Betrachtung des Stoffes bestritten werden, so sehr ist dies der Fall hinsichtlich der Grenzen, in denen sie zur Anwendung kommen dürfen. Die geologische Überlieferung weist wesentliche Lücken auf, welche man versucht ist, mit archäologischen Mitteln zu überbrücken; aber ist die typologische Entwicklung der Geräte so gesetzmäßig verlaufen, daß sie Folgerungen stratigraphischer Art über große Gebiete in Raum und Zeit gestattet? Ist umgekehrt unsere Parallelisierung der eiszeitlichen Schichten in den von Landschaft zu Landschaft verschiedenen Profilen so gesichert, daß die Archäologie ohne weiteres darauf bauen darf? In welchem Umfange ergänzen beide Betrachtungsweisen einander? Den Hinweis darauf, wie verschieden die typologisch-chronologische Stellung zahlreicher altsteinzeitlicher Funde beurteilt worden ist und z. T. noch wird, kann die Archäologie sehr wohl zurückgeben; sie braucht die Geologie nur an die verschiedenen Beurteilungen zu erinnern, welche Löß und Terrassen, Faunen und Verwitterungsschichten durch sie erfahren haben. Das Buch von Bayer wird, auch wenn sein letzter Teil erschienen ist, die Lösung der angedeuteten Fragen wohl kaum bringen. Ob die von ihm vertretene Auffassung, daß es nur zwei diluviale Eiszeiten gegeben hat, der Kritik standhält, kann hier nicht erörtert werden; auf alle Fälle hat diese Meinung die Forschung sehr angeregt. Wahrscheinlich aber ist Verf. auf richtigem Wege, wenn er die Auswertung typologischer Entwicklungsstufen von Geräten für die relative Chronologie der Erdschichten einschränken möchte. Seine Aufstellungen werden heute vielfach von archäologischer Seite im Hinblick darauf abgelehnt, daß er die starre Typologie durch eine lebendigere Auffassung


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der Formenentwicklung ersetzen will; hiermit weicht er wohl von der uns geläufigen Schulmeinung ab, aber auch anderwärts macht sich die Archäologie heute von den allzu engen Fesseln der Typologie frei.

Der germanische Kreis ist wiederholt Gegenstand der Betrachtung. Kossinna ( 549) sucht die Entstehung des germanischen Volkes aus dem archäologischen Stoff der jüngeren Steinzeit zu ermitteln. Man wird es bedauern, daß die staunenswerte Belesenheit und Arbeitskraft des Verf. nicht zu einer glücklicheren Lösung des Problems geführt haben. Kossinna kann sich nicht von der Vorstellung der norddeutsch-skandinavischen Herkunft der Indogermanen trennen, und so wird dem Fundstoff dieser Gebiete ein Zwang angetan, der allgemeine Ablehnung findet. Eine andere Schrift desselben Verf. ( 551) leidet an der Hervorkehrung typologischer Gesichtspunkte zuungunsten geschichtlicher Betrachtungsweise; das rein Gegenständliche des archäologischen Stoffes steht im Mittelpunkt des Interesses, und so wird das schiefe Bild einer »altgermanischen Kulturhöhe« hervorgerufen. Die neue Auflage des kleinen Buches von Steinhausen ( 550) hat durch eine (vom Verf. im Vorwort auch ausdrücklich betonte) vermehrte Heranziehung der Bodenforschung sehr gewonnen; trotz aller Knappheit bietet sie eine vortrefflich abgerundete, mit einer Fülle von Nachweisen versehene Darstellung. Die Beiträge von Feist ( 559, 560) zur germanischen Ethnographie sind sehr umstritten. Die Germania des Tacitus wird von mehreren Seiten für den Schulgebrauch herausgegeben ( 562, 563, 564). Die stärkere Beschäftigung mit Tacitus, welche wir heute beobachten, ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß die Bodenforschung auf die Verwertung ihrer Ergebnisse dringt; man will, wie Norden ( 562) es ausdrückt, »unser Volk an die in ihm ruhenden geistigen und sittlichen Kräfte gemahnen«. Die Ausführungen von Mogk ( 553) und de Boor ( 552) weisen nachdrücklich auf archäologische Behandlung der von ihnen aufgeworfenen Fragen hin. Behn ( 556) findet nur geteilte Aufnahme, weil ein großer Teil des von ihm gebotenen Stoffes gar nicht germanischer Herkunft ist.

Wenn hier auch des Buches von Riegl ( 589) gedacht wird, so geschieht dies nicht wegen seiner Bedeutung für die Entwicklung der Kunstwissenschaft, sondern wegen des darin behandelten Stoffes. Sieht man die römische Zeit unserer Rhein- und Donaulande als ein Stück auch der deutschen Geschichte an, so wird die spätrömische Kultur im Vordergrunde des Interesses stehen, weil sie die Linien der späteren Entwicklung in vieler Hinsicht vorzeichnet. Riegl war der erste, der von seinem Fache aus dieses Problem in Angriff nahm; mögen seine Ausführungen heute in manchen Einzelheiten überholt sein, so wird unsere Zeit mit ihrem stärkeren Interesse für spätrömische Geschichte doch gut tun, auf sie zurückzugreifen. So begrüßt man den Neudruck des 1901 erschienenen Werkes, dem der Herausgeber, das Österreichische Archäologische Institut, eine handliche Form gegeben und damit weite Verbreitung gesichert hat.

Einige Neuerscheinungen bereiten durch Stoffgebiet und Problemstellung die eigentlich geschichtliche Auffassung in der prähistorischen Archäologie vor. Hilzheimer ( 557) faßt die aus den Kulturschichten bekannten Tierknochen zu einem Bilde von der Entwicklung der Haustierwelt Mitteleuropas zusammen, ohne doch eine Wirtschaftsgeschichte damit schreiben zu wollen. Maurizio ( 547) behandelt die Geschichte unserer Pflanzennahrung und zieht ausgiebig


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volkskundlichen Stoff und prähistorisches Material dazu heran. Gerade weil wir gewohnt sind, vorwiegend an die Tätigkeit des Mannes in der Wirtschaft zu denken und darum in erster Linie auf die Tierknochen und Jagdgeräte zu achten, sei auf diese Veröffentlichung nachdrücklich aufmerksam gemacht, welche den anderen Teil der menschlichen Nahrung betrifft und darum die Bedeutung der Frau in der Wirtschaft hervorhebt. Das Problem wird auf breiter Grundlage und von den verschiedensten Seiten aus beleuchtet, obwohl Vorarbeiten dazu von anderer Seite in nur sehr geringem Umfange geboten werden. Ein Aufsatz von Winter ( 588) bietet sachlich nichts wesentlich Neues, doch ist er als Sammlung der für die Erkenntnis gesellschaftlicher Zustände in der Vergangenheit wichtigen Quellengruppen willkommen. Trotzdem kommt ihm eine gewisse Bedeutung zu; unser Wissen von den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Vorzeit und ihren Zusammenhängen mit den übrigen Äußerungen der Kultur steht noch ganz in den Anfängen; hier hat man den Eindruck, als ob die Soziologie beginnt, ihr Arbeitsgebiet auch auf die Vorgeschichte Europas auszudehnen. Besondere Erwähnung verdient noch das Buch von Kern ( 548). Der Versuch, geschichtliche Entwicklung mit Hilfe von Erwägungen anthropologischer Art zu verstehen, ist schon öfters unternommen worden; ein weitgehender Mißbrauch, der mit rassenkundlichen Beobachtungen und Überlegungen getrieben worden ist und noch wird, führt vielfach zu ihrer gänzlichen Ablehnung, und so steht die Anthropologie vor der Aufgabe, durch exakte Forschung zu zeigen, daß der Historiker doch nicht achtlos an ihr vorübergehen kann. In diesem Streben kommt ihr Kern entgegen, der eine wesentliche Lücke in den Grundlagen geschichtlicher Erkenntnis findet und sie durch die Anthropologie auszufüllen wünscht. Es ist nicht mehr die einseitige, nur Schädel und Glieder messende, auf Haar-, Augen- und Hautfarbe achtende Anthropologie, deren er sich bedient; neben bestimmten Grundtatsachen der äußeren Erscheinungsform des Menschen zieht er die Vererbungslehre ausgiebig heran. Namentlich aber sind es Erwägungen soziologischer Art, sowie wirtschafts- und sozialgeschichtliche Tatsachen, und endlich die Überzeugung von einer starken »Kontinuität« der Bevölkerung und ihrer Zustände, welche seinen Ausführungen zugrunde liegen. Sie bekunden die Vorsicht und die Gründlichkeit des Historikers ebenso, wie diese sich aus der weitgehenden Heranziehung der Vorgeschichte ergeben. Gerade im Hinblick auf diese Kontinuität geht Kern bis in den Beginn der jüngeren Steinzeit zurück, um unter Umständen schon in den damaligen Wanderungen und Überlagerungen die Wurzel des Verständnisses für Erscheinungen zu finden, welche wesentlich späteren Zeiten -- vielleicht erst der Gegenwart -- angehören. So muß das Buch, das in verschiedenster Richtung zum Weiterforschen auf dem von ihm eingeschlagenen Wege anregt, auch an dieser Stelle genannt werden.


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