II. Süd- und Westdeutschland.

Aus der Fülle der regionalen Zusammenfassungen und der Einzelarbeiten, sowie der Beiträge zur Chronologie und Typologie des Fundstoffes kann hier nur das Wichtigste genannt werden. Neben den staatlichen und provinzialen Einrichtungen für Denkmalpflege ist jeder deutsche Heimat- und Geschichtsverein an der Bergung und Verarbeitung der Funde beteiligt; kommt den Veröffentlichungen dieser Vereinigungen in zunehmendem Maße Bedeutung zu, so haben sie doch zumeist nur mehr ortsgeschichtlichen Wert oder bieten einzelne, nicht in die größeren Zusammenhänge


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gestellte Funde. Die eingangs genannten Hilfsmittel enthalten regelmäßig Übersichten über die Neuerscheinungen dieser Art; zum Teil berücksichtigen sie sogar die Zeitungsaufsätze und die heimatkundlich gehaltenen, regelmäßig erscheinenden Zeitungsbeilagen, in welchen übrigens manche wertvolle Arbeit ein bescheidenes Dasein fristet.

Im Hinblick auf diese Zersplitterung des Schrifttums haben die regionalen Zusammenfassungen für die vorgeschichtliche Forschung besondere Bedeutung; dasselbe ist hinsichtlich der Museumskataloge der Fall, denn in den öffentlichen Sammlungen fließt die große Menge des verstreut besprochenen Stoffes endgültig zusammen. Franz und Mitscha-Märheim ( 584) bieten eine Übersicht über das seit 1900 auf dem Boden des heutigen Österreich beobachtete Material, das kritisch besprochen wird. Eine kleine Studie von Mayer ( 591) gilt der Römerstraße im unteren Inntal, die im Gelände noch recht gut erhalten ist; ihre ansprechenden Ausführungen werden den Geschichtsfreund sicher zu eigenen Beobachtungen anregen. Das Buch von Stähelin ( 599) faßt in übersichtlicher Form die römerzeitlichen Funde aus der Schweiz und die schriftliche Überlieferung zu einem einheitlichen Bilde zusammen; es kommt einem schon oft empfundenen Bedürfnis entgegen. Forrers Darstellung ( 605) fußt auf jahrzehntelanger Kleinarbeit; die große Entwicklung, welche Straßburg in der Zeit vor dem Kriege erlebt hat, schuf die Möglichkeit des tieferen Eindringens in seine früheste Geschichte. Der Ulmer Katalog ( 597) bietet die reichen Bestände einer schon lange bestehenden Sammlung, in welcher neben der Hallstattzeit die merowingischen Friedhöfe besonders vertreten sind. Eine Übersicht von Stuhlfauth ( 592) behandelt einen verhältnismäßig wenig bekannten Teil Bayerns und ist darum sehr willkommen. Beschäftigt sich Zeiß ( 594) mit einem Gebiet, das schon länger als ein Brennpunkt vor- und frühgeschichtlichen Lebens auf süddeutschem Boden bekannt war, so vermag er doch, dank seiner Gründlichkeit und vermittels einer engen Verbindung von archäologischen und schriftlichen Quellen, dem auch unter geographischen Gesichtspunkten behandelten Stoff neue Ergebnisse abzugewinnen. Behn ( 608) veröffentlicht einen wichtigen Fund aus Starkenburg, und Behrens ( 606) bringt ein brauchbares Bilderheft zur vorrömischen Zeit Rheinhessens. Mainzer Zeitschrift ( 541) und Bonner Jahrbücher ( 540) bieten neben Aufsätzen die Tätigkeitsberichte der wichtigen rheinländischen Museen in Mainz, Trier und Bonn. Ein stattlicher Band berichtet über die Arbeit an der Saalburg ( 542) und dem Taunuskastell Zugmantel. Mit einem vielseitigen Bericht ( 607) macht der Konservator des Saargebietes auf seine Tätigkeit aufmerksam; es ist erstaunlich, zu sehen, welche Fülle an Stoff dieser bisher so fundarme Zipfel der Rheinprovinz liefert. Rademacher ( 601) behandelt die vorgeschichtlichen Funde von der Wahner Heide im Rahmen einer Heimatkunde dieses Gebietes; sie sind ihm Voraussetzung für die Betrachtung der geschichtlichen Zeit. Das Buch von Nyèssen ( 611) muß auch bei uns Beachtung finden, weil die Verhältnisse längs der deutschen Nordseeküste sehr an diejenigen Hollands erinnern.

Eine Übersicht über die wichtigeren Ergebnisse der Typologie und Chronologie hat mit der Studie von Gumpert zu beginnen ( 596). Es muß auffallen, daß Franken in so beachtlichem Umfang ein frühes Neolithikum bietet, während doch bisher das küstenferne Europa Zeugnisse des Überganges von der älteren zur jüngeren Steinzeit in nur sehr begrenztem Umfang geliefert hat. Aber handelt


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es sich hier auch sicher um Tardenoisien, so fragt es sich doch wohl, ob hier nicht unter dieser Kulturstufe allein eine bestimmte Stufe typologischer Entwicklung zu verstehen ist und nicht zugleich eine Zeitstellung. Jedenfalls muß auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß dieses typologisch früh anzusetzende Tardenoisien hier viel später fällt als im küstennahen Europa. Eine Arbeit von Stieren ( 610) behandelt eine Gruppe jungsteinzeitlicher Grabkisten, welche bisher nur gelegentlich Beachtung gefunden hat und über den Rahmen ihres westfälischen Verbreitungsgebietes weit hinaus für die Klärung gewisser Kulturströmungen Bedeutung gewinnen wird. Diese Massengräber unterscheiden sich scharf von den Megalithgräbern nordischer Art und hängen mit einer westeuropäischen Grabform eng zusammen. War man bisher der Meinung, daß sie auf dem Boden Westfalens in ganzem Umfang bekannt und schon in älterer Zeit durchgraben seien, so hört man gerne von der Auffindung zweier neuer Kisten und damit von der Möglichkeit, daß sich noch einmal eine ganz unberührte Anlage dieser Art zeigt. Ebenso wie in Westfalen und Mitteldeutschland kommen diese Steinkisten westeuropäischer Art am Oberrhein vor. Den am weitesten nach Osten zu gelegenen Ausläufer dieser Gruppe, den unweit von Säckingen noch stehenden »Heidenstein«, bespricht Kraft ( 603); er weist nach, daß die Grabform unmittelbar von Frankreich her an den Oberrhein gelangt ist. Seitdem M. Much die Pfahlbauten im Mondsee untersucht hat, sind bereits Jahrzehnte vergangen; die Funde daraus führten zur Aufstellung eines besonderen, an das Ende der jüngeren Steinzeit zu setzenden Kreises. Trotzdem die Forschung nun bereits so lange mit dem »Mondsee-Typus« arbeitet, fehlte es noch immer an der eingehenden Veröffentlichung dieses reichen Fundstoffes; so weiß man Franz und Weninger großen Dank, daß sie sich dieser Mühe unterzogen haben ( 587). Ein Aufsatz von Stampfuß ( 558) ist namentlich deshalb zu nennen, weil er auf die begrenzte Verwertungsmöglichkeit typologischer Entwicklungsstufen für die relative Chronologie der Fundgruppen aufmerksam macht. Dasselbe gilt von dem wertvollen Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte Tirols, den Merhart ( 590) geliefert hat.

Neben einer Reihe von Aufsätzen zur politischen und Militärgeschichte der Rhein- und Donaulande ( 568--572, 585, 586, 602) sind, wie fast jedes Jahr, Arbeiten zu nennen, die sich mit den Feldzügen der Römer in Nordwestdeutschland beschäftigen ( 565-- 567). Ein Fund, den Knoke glaubte zu der Varusschlacht in Beziehung bringen zu können, hat sich als eine mittelalterliche Klostertöpferei entpuppt.

Den Funden, welche Tschumi ( 600) von der Engehalbinsel bei Bern beschreibt, kommt deswegen besondere Bedeutung zu, weil sie eine Bevölkerung betreffen, welche etwas abseits der Verkehrswege ihre keltische Art bis weit in die römische Zeit hinein behauptet hat. Wertvoll ist auch die schöne Gruppe spätlatènezeitlicher Gefäße, welche zumeist Bemalung aufweist; es gibt in der Schweiz erst wenige Zeugnisse dieser feinen Keramik, die in den römerzeitlichen Fundschichten die bodenständige Bevölkerung bekundet. Dieses Problem der einheimischen Unterschicht, welche neben den römischen Herren ihr Dasein in großenteils prähistorischer Art fristet und nur in begrenztem Umfang archäologisch in Erscheinung tritt, behandelt Fremersdorf ( 609) für sein stadtkölnisches Arbeitsgebiet an der Hand der Grabfunde. Er weist eine ganze Anzahl


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namentlich früh- und spätrömerzeitlicher Bestattungen nach, die nach Grabbrauch und Beigaben germanischer Herkunft sind.

Die Frage des Zusammenhanges zwischen spätrömischer und frühgermanischer Kultur in Südwestdeutschland wird von Dopsch ( 582) in einem Vortrage knapp dargestellt. Veeck ( 598) gibt eine Reihe von Gesichtspunkten zur geschichtlichen, insbesondere siedelungsgeschichtlichen, Auswertung der Reihengräberfriedhöfe der Merowingerzeit; er verwertet dabei die Ergebnisse seiner Durcharbeitung des württembergischen Fundstoffes. Wahle behandelt einen sehr spät anzusetzenden Friedhof von Wiesloch ( 604), dessen einheitliches Material für die Gewinnung einer Chronologie der merowingerzeitlichen Funde von Bedeutung zu sein scheint. Zeiß ( 594) versucht, vermittels archäologischer Beobachtung die östliche Ausbreitung der Alemannen im Lande südlich der Donau zu ermitteln. Eine sehr anregende Studie von Reinecke ( 595) gewinnt dank eingehender Heranziehung der frühen schriftlichen Überlieferung einem nicht ganz leicht zu deutenden Fundstoff besondere Seiten ab. [E. Wahle.]


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