III. Ost-, Mittel- und Norddeutschland.

Die Bodendenkmalpflege wurde im Berichtsjahre erfreulich ausgebaut. Die archäologische Landesaufnahme ist in dem brandenburgischen Kreise Ostprignitz auf Veranlassung des Kreises durch Dr. Matthes in großzügigster Weise durchgeführt, in den sächsischen Kreisen Bitterfeld und Delitzsch im Auftrage der Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle a. S. von Dr. Gandert in Angriff genommen worden. Nehmen wir die rührige Inventarisierungsarbeit Dr. Todes in Schleswig-Holstein hinzu, so sind dies vielversprechende Anfänge einer allgemeinen Bestandsaufnahme der Bodendenkmale, die nicht nur vom Standpunkt der Denkmalpflege dringend erforderlich, auf die auch in Zukunft die Vorgeschichtsforschung unbedingt angewiesen ist. Den gleichen Zielen dient die Neuordnung der umfangreichen Studiensammlung und des Magazins der Prähistorischen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Berlin, welche der neue Direktor Dr. Unverzagt mit Tatkraft und Umsicht in die Wege leitet (vgl. Nachrichtenblatt für deutsche Vorzeit 1927, S. 49 ff.).

Ein wissenschaftliches Unternehmen großen Umfanges mit weit gesteckten Zielen ist durch die Begründung der »Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der nord- und ostdeutschen vor- und frühgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen« ins Leben gerufen worden. Diese von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft getragene, sich aus ostdeutschen Fachleuten unter dem Vorsitz von Geheimrat Schuchhardt zusammensetzende Vereinigung bezweckt eine großzügige Erforschung der ungemein zahlreichen vor- und frühgeschichtlichen Befestigungen von der Elbe bis zur Weichsel und Memel. Gerade die gemeinsame Arbeit vieler, die nach gleichen Gesichtspunkten und mit gleichen Zielen vorgehen, dürfte in wenigen Jahren zu Ergebnissen führen, welche für den einzelnen Forscher bei dem gewaltigen Arbeitsstoff kaum erreichbar sind.

Von allgemeinen Darstellungen ist die Behandlung der Vorgeschichte des nordischen Kulturkreises von Ekholm, Rydh und Beltz im Reallexikon der Vorgeschichte ( 612) zu nennen. Es war ein glücklicher Gedanke, die Vorzeit ganzer Länder oder Landesteile in diesem Sammelwerk ausführlich wiederzugeben, obwohl dadurch der Umfang des Lexikons beträchtlich erweitert werden mußte; denn gerade diese Monographien führen den Fernerstehenden verhältnismäßig leicht in unseren Wissenszweig ein, die zahlreichen Bilderbeilagen


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vergegenwärtigen ihm die wichtigsten Kulturformen des betreffenden Gebietes. Freilich ist bei der Übersicht des nordischen Kreises Norddeutschland im Verhältnis zu Skandinavien im Text und bei der Auswahl der Abbildungen arg zu kurz gekommen. Auch sonst macht man bei dem Lexikon nur zu oft die Beobachtung, daß Mitteleuropa gegenüber anderen Gebieten, z. B. dem Mittelmeerkreis, recht stiefmütterlich behandelt wird. Die viel knappere Darstellung der uns am nächsten liegenden Zone mag -- abgesehen von der verschiedenen Auffassung der Mitarbeiter -- vielleicht von dem Gedanken geleitet worden sein, daß die mitteleuropäischen Verhältnisse in dem vorhandenen Schrifttum bereits genügend klar und ausführlich zur Anschauung gebracht worden sind. Selbst wenn man dieser Anschauung recht geben sollte, so ist die ungleiche Bearbeitung doch zu bedauern, weil viele Leser, die sich hauptsächlich durch das Lexikon belehren wollen, über die Bedeutung und die Zahl der mitteleuropäischen Funde und Forschungsergebnisse ein falsches Bild erhalten. -- Ekholm hat in anerkennenswerter Weise versucht, die Stein- und Bronzezeit des nordischen Kreises unter Heranziehung der neuesten Quellen in ihren Hauptlinien darzustellen. Der Verfasser ist gewöhnt, an alle Fragen mit einer ausgesprochen selbständigen Einstellung heranzugehen, wodurch seine Darstellung großen Reiz gewinnt. Andererseits wird er Problemen, die seinem eigentlichen Arbeitsgebiet ferner liegen, dadurch mitunter nicht gerecht, wie z. B. den Bevölkerungsfragen Ostdeutschlands. Die vorchristliche Eisenzeit Norddeutschlands ist in dem gleichen Lexikonbeitrag von Beltz behandelt worden. Auf engstem Raum unter Zuhilfenahme von nur ganz wenigen Abbildungen sucht er den Charakter und die Entwicklung insbesondere der Niederelbe- Kultur in dieser Zeit zu umreißen.

Das Reallexikon der Vorgeschichte bringt zu gleicher Zeit Übersichten über die Vorgeschichte einiger preußischer Provinzen. Die ausführliche Darstellung von Ostpreußen ( 633) widerspricht in erfreulicher Weise der, wie eben erwähnt, häufig zu knappen Berücksichtigung deutscher Landesteile. Der Herausgeber hat bei dieser Ostprovinz sogar seinen Grundsatz durchbrochen, nur die vorchristliche Zeit aufzunehmen, wofür ihm insbesondere die Historiker Dank wissen werden. Ehrlich schildert ausführlich das Fundinventar in den verschiedenartigsten Teilgebieten Ostpreußens vom Beginn unserer Zeitrechnung bis zur Wikingerzeit und zum Beginn der Ordenszeit. Gerade die nachchristliche Epoche ist in Ostpreußen nicht nur am fundreichsten, sondern seit Tischler auch am besten erforscht. Der germanische Charakter der ostpreußischen Kultur, insbesondere in den ersten Jahrhunderten nach Christus, wird neuerdings für den größten Teil der Provinz nicht mehr so sehr als der Beweis einer rein germanischen Bevölkerung angesehen, vielmehr durch einen starken germanischen Einfluß auf das einheimische altpreußische Volk, das mehr oder minder stark mit germanischen Einwanderern durchsetzt wurde, erklärt. Dieser germanische Einschlag ging seit der Völkerwanderungszeit immer mehr verloren, ja die altpreußische Kultur dehnte sich westwärts bis zur Weichsel aus. -- Die bisher recht wenig erforschte Bronzezeit und die vorchristliche Eisenzeit Ostpreußens behandelt kurz La Baume, während die Steinzeit von dem Königsberger Museumsdirektor Gaerte ausführlicher bearbeitet wird. Diese und die vom gleichen Verfasser veröffentlichte Zusammenstellung der steinzeitlichen Keramik Ostpreußens ( 634) ist besonders begrüßenswert, weil


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seit Jahrzehnten eine umfassende Behandlung der ältesten Kulturen Ostpreußens gefehlt hat. Gaerte legt der Forschung den bisher gehobenen Fundstoff übersichtlich vor; eine abschließende Darstellung der damaligen Besiedlungsverhältnisse zu geben, ist noch nicht an der Zeit. Dazu bedarf es umfangreicher Untersuchungen im Gelände. Noch zu weite Gebiete sind so gut wie unerforscht. Die Denkmalpflege in Ostpreußen muß beträchtlich erweitert und vertieft werden, ehe die so schwierigen Fragen der vorgeschichtlichen Besiedlung einigermaßen zuverlässig beantwortet werden können. Der rührige Leiter der ostpreußischen Bodendenkmalpflege, Gaerte, nimmt sich dieser dringenden Aufgabe voll an, wofür u. a. auch die von ihm geschaffene, sehr wirkungsvoll geschriebene Aufklärungsschrift »Heimatschutz und Bodenforschung« ( 635) spricht.

Der schlesischen Vorgeschichte konnte im Reallexikon eine ganz andere Bearbeitung gewidmet werden wie der ostpreußischen. Steht doch Schlesien in der Erforschung seiner Vorzeit in Deutschland mit an erster Stelle. Seger ( 636) vermag in seiner ganz knappen Darstellung schon eine Besiedlungs- und Völkergeschichte Schlesiens von der Steinzeit an zu geben, und läßt dementsprechend die Beschreibung der Fundtypen stark zurücktreten, widmet ihnen aber eine Anzahl gut ausgewählter Bildtafeln. Es ist kennzeichnend für den raschen Fortschritt der Bodenforschung gerade in Schlesien, daß diese neueste Darstellung der schlesischen Vorgeschichte in manchen Punkten, z. B. in der Frage der Besiedlung zur älteren und mittleren Steinzeit, durch die Funde der letzten Jahre schon wieder überholt ist. Trotzdem wird ihre wohl abgewogene und den damaligen Stand der Forschung treffend wiedergebende Schilderung gerade auch den Vertretern der Nachbarwissenschaften als schneller und zuverlässiger Wegweiser sehr willkommen sein.

Ein wieder ganz anderes Bild des Forschungsstandes gibt Frenzel von der benachbarten Oberlausitz ( 631). Seinem Organisationstalent und seiner unermüdlichen Werbetätigkeit ist es zu danken, daß die Rettung und Pflege der Bodenaltertümer trotz des Fehlens eines gesetzlichen Schutzes in der sächsischen Oberlausitz erfreuliche Fortschritte gemacht hat. Leider sind die vorgeschichtlichen Belange dieses Landesteiles bisher nur von freiwilligen Kräften vertreten worden. So anerkennenswert deren selbstlose Tätigkeit ist, eine streng wissenschaftliche Erforschung der Vorzeit der Oberlausitz konnte unter diesen Umständen noch nicht erreicht werden. Frenzel muß sich begnügen, den bisher vorliegenden Fundstoff in zeitlicher Ordnung und unter Angabe des wichtigsten Schrifttums vorzulegen. Viele neue und für die Besiedlungsgeschichte wertvolle Quellen sind in den letzten Jahren der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden, aber noch viele Lücken sind zu füllen, viele Fragen zu beantworten. Mitunter versucht Frenzel mit dem noch ungenügenden und zum Teil ganz unsicheren Fundmaterial voreilig Brücken zu schlagen, so wenn er mit den verschiedenartigsten Gründen ein Weiterleben der früheisenzeitlichen Kultur der Urnenfelderbevölkerung, welche nach unserer bisherigen Kenntnis um 400 v. Chr. ihr Ende findet, bis in nachchristliche Zeit wahrscheinlich machen will. Zu diesem Versuche fühlt er sich hauptsächlich aus siedelungsgeographischen Überlegungen geführt, weil er annimmt, die besiedelten Flächen der Oberlausitz würden bei einem Abzuge der Bevölkerung, sich selbst überlassen, bald dichter Urwald geworden sein und für spätere Einwanderer nicht


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mehr als Siedelungsland offen gestanden haben. An die schwierige Frage: Siedelungskontinuität oder Bevölkerungsabbruch, die in Zukunft auch in der allgemeinen Forschung eine immer größere Rolle spielen wird, geht Frenzel viel zu einseitig heran. Ausschlaggebend ist es, daß archäologische Beweise für die Frenzelsche Auffassung des Weiterbestehens der Urnenfelderkultur bisher nicht zu erbringen sind.

Vom siedelungs-geographischen Standpunkt aus sucht auch Maas ( 632) die vorgeschichtliche Besiedelung des Posener Landes zu beleuchten. Mit großem Fleiß hat er die vor- und frühgeschichtlichen Fundplätze der Provinz zusammengestellt und auf sechs zeitlich gruppierten Karten eingetragen. Leider entspricht die wissenschaftliche Auswertung der Siedelungsarten nicht der auf sie verwendeten Mühe, und die Ausführung der Karten ist so unzureichend, daß die Forschung nicht allzu großen Gewinn aus ihnen ziehen wird.

In wie weitem Maße auf rein archäologischem Wege bei völliger Beherrschung des Quellenstoffes Bevölkerungsgeschichte betrieben werden kann, zeigt W. Schulz ( 617) in einem ganz knappen Abriß über Mitteldeutschland. Bei dem Mangel an solchen Darstellungen für Sachsen-Thüringen ist eine ausführlichere Behandlung dieses Themas ein dringendes Bedürfnis. Fördern solche fachwissenschaftlichen Abhandlungen vor allem die Forschung, so darf man auch die Schriften der Mithelfer aus den Kreisen der Altertumsfreunde in ihrer Bedeutung nicht unterschätzen. Sie sorgen dafür, daß die Ergebnisse der Fachleute der Allgemeinheit vermittelt werden, verbreiten Verständnis für die Zeugen der Vorzeit und nützen so aufs beste auch der Denkmalpflege. Aus Mitteldeutschland seien drei Beispiele derartiger Veröffentlichungen von Auerbach für Ost-Thüringen ( 619), von Wilcke für den Zeitzer Kreis ( 620) und von Lehmann für Erfurt ( 621) erwähnt.

Von Abhandlungen über einzelne Zeitstufen ist wieder, wie in den letzten Jahren, eine Darstellung der Steinzeit hervorzuheben. Kupka ( 625) gibt von der Altmark keine vollständige Materialzusammenstellung mit reichen Bildbeilagen, wie Sprockhoff es für Brandenburg getan hat, er legt aber die Hauptstile seines Arbeitsgebietes auf Grund sorgfältiger, langjähriger Studien in zeitlicher Reihe vor und weiß mit kritischem Blick die allgemeine mitteldeutsche Steinzeitchronologie, deren Klärung der Forschung endlich zu gelingen scheint, in wichtigen Punkten zu fördern. Leider erschwert er Fernerstehenden den Einblick in seine Ergebnisse insbesondere durch die eigene Benennung mancher Stile und Kulturen, für die andere Namen eingeführt sind, und vergrößert die Verwirrung, die bedauerlicher Weise bereits bei der Benennung der jungsteinzeitlichen Stile besteht. Gerade jetzt, wo die Wissenschaft sich in den Hauptfragen der Chronologie und Typologie der Steinzeitkulturen zu einigen scheint, ist es an der Zeit, die geeignetsten Namen für die einzelnen Stile zu allgemeiner Anwendung zu bringen und die vielen überflüssigen, ja störenden Doppel- und Teilbezeichnungen fallen zu lassen.

In die Zeit um Christi Geburt führt uns Eichhorns umfangreiche Veröffentlichung des wichtigen germanischen Gräberfeldes von Großromstedt bei Jena ( 622). Seit Jahrzehnten wartet die Forschung auf die Bekanntgabe dieses in seiner Reichhaltigkeit für Mitteldeutschland einzigartigen Friedhofes, aus dem mehr als 600 Gräber gehoben und ins Jenaer Museum gelangt sind. Eichhorn hat den gewaltigen Fundstoff mit großem Fleiß zusammengestellt und


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sorgfältig beschrieben. Mehr als 700 Zeichnungen vermitteln dem Leser vielseitige Einblicke in das wertvolle Quellenmaterial. Aber leider begnügt sich der Verfasser mit einer reinen Beschreibung und Aufzählung der vorkommenden Fundarten und wertet die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses interessanten Fundplatzes gar nicht aus, dessen Beziehungen und Einflüsse nach allen Himmelsrichtungen weithin nachweisbar sind. Wenn auch in Fachkreisen mit Recht die Forderung aufgestellt worden ist, Fundveröffentlichungen nicht stets mit dem Ballast weitgespannter Untersuchungen über sämtliche Vergleichsfunde zu beschweren, so verlangt doch eine Quellenschrift von der Bedeutung der Eichhornschen, daß der Quellenstoff in den Rahmen eingefaßt wird, der ihn erst richtig zur Geltung kommen läßt. Vor allem hätte eine scharfe Trennung der verschieden alten Bestandteile des Friedhofes durchgeführt werden und das Herausschälen der geschlossenen Grabfunde im Text und besonders bei den Abbildungen erleichtert werden müssen. Trotz dieser Mängel bildet das Eichhornsche Werk eine wahre Fundgrube für die frühgeschichtliche Germanenforschung, deren Ausschöpfung noch schöne Ergebnisse zutage fördern wird. Die Behandlung eines nur wenig älteren Gräberfeldes von Blönsdorf in der Provinz Sachsen durch Marschalleck ( 624) gibt ein gutes Beispiel, wie eine sachgemäße Fundveröffentlichung wohl knapp gehalten sein und doch die Bedeutung des Quellenstoffes zur Genüge herausarbeiten kann. Der Fundplatz gewinnt dadurch größeres Interesse, daß er einen sehr stark ostgermanischen, besonders wandalischen Einschlag aufweist und neben einer ganzen Reihe anderer Fundplätze in Mitteldeutschland das zeitweise Vordringen wandalischer Gruppen nach Westen bekundet, das sich bis ins untere Maingebiet verfolgen läßt. Eine große Verwandtschaft mit dem Material von Großromstedt zeigt gleichalte Tonware aus der Altmark, die Kupka ( 623) in dankenswerter Weise zusammenstellt. Sie verbindet die gleichartigen Gräberfelder des Niederelbegebietes und Mecklenburgs mit den thüringischen Friedhöfen zu einem großen swebischen Kulturkreis.

Aus Pommern legt Kunkel ( 629) kurz eine Reihe wertvoller Funde der ersten vier Jahrhunderte unserer Zeitrechnung vor, die von neuem dartun, welche große Bedeutung dieser Teil der Ostseeküste in germanischer Zeit gehabt hat. Römische Einfuhrstücke, wie Bronzegefäße, Sigillatateller, Glasbecher mit aufgemalten Gladiatoren u. a. sind hier in solcher Zahl und Güte gefunden worden, daß sich Pommern dem Nieder-Elbegebiet und Dänemark, wo bisher innerhalb des freien Germaniens die reichsten antiken Funde gemacht worden sind, wohl an die Seite stellen kann. Kennzeichnend für die hohe kulturelle Stellung der germanischen Bewohner Pommerns ist es, daß diesen Erzeugnissen des Römerreichs ebenbürtige einheimische Waren gegenüberstehen, von denen insbesondere zwei zierliche Silberbecher des ersten nachchristlichen Jahrhunderts hervorzuheben sind.

Ein ebenso bedeutungsvoller Landstrich wie Pommern war in der Vorzeit der Bezirk Stade an der Unterelbe. Leider mußten seine Bodenaltertümer ähnlich wie die pommerschen lange Zeit jeglicher Pflege entbehren. Eine Unzahl der wertvollsten unwiederbringlichen Urkunden der Vorzeit sind infolgedessen verlorengegangen. Der Entschluß- und Tatkraft des Lehrers Wegewitz ( 616) ist es gelungen, in wenigen Jahren Wandel zu schaffen und die Bodendenkmalpflege im Bezirk Stade zu organisieren. Wie viele Verluste an Altertümern der


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sächsischen Epoche der Bezirk infolge des erst jetzt einsetzenden Pflegedienstes zu beklagen hat, schildert auch Müller-Brauel ( 615) in seiner Zusammenstellung der sächsischen Friedhöfe bei Stade. Er sucht den für die Besiedlungsgeschichte Niedersachsens wichtigen Nachweis zu erbringen, daß die so zahlreichen sächsischen Urnenfriedhöfe nicht mit der Abwanderung der Sachsen nach England abbrechen, sondern sich, ähnlich wie in England, in Körpergräberfeldern fortsetzen. Bestätigt die weitere Forschung diese Annahme, dann ist auch der archäologische Beweis erbracht, daß Niedersachsen durch die Abwanderung von seiner Bevölkerung nicht völlig entblößt wurde. Der Erforschung der Wanderzüge der Sachsen hat sich in letzter Zeit vor allem der Göttinger Anglist Fritz Roeder angenommen. Unter richtiger Würdigung des Wertes gerade der archäologischen Quellen für diese Fragen stellt er mit großer Sorgfalt die verschiedenen Formen sächsischer Altsachen zusammen, die über die sächsische Besiedlungsgeschichte etwas aussagen können. Eine solche Vorstudie seiner Hauptuntersuchung bildet die Monographie über die sächsische Schalenfibel ( 614). Diese Fibelform läßt sich außer im Unter-Elbegebiet noch in Holland, Belgien und England nachweisen. Roeder legt ihre typologische Entwicklung und zeitliche Stellung im einzelnen dar. Möge es ihm vergönnt sein, seine ebenso gewissenhaften wie umfangreichen Forschungen so zu fördern, daß er bald eine abschließende Darstellung des gesamten Fragenkreises der Allgemeinheit zugänglich machen kann.

Bereits zur eigentlichen Geschichte leiten die Behandlungen der slawischen Kultur über. Auf diesem Gebiete werden die Burgwälle immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung gezogen. Albrecht ( 618), der diese Anlagen viel zu einseitig in der Hauptsache als Kultplätze ansehen will und ihren Charakter als Befestigungen unterschätzt, bringt auf zwei Karten die Westgrenze der Burgwälle in Nord- und Mitteldeutschland, eine als Vorarbeit verdienstvolle Studie. Endgültiges kann auf diesem Gebiete erst die geplante genaue Aufnahme sämtlicher Burgwälle bringen. Im Lübecker Bezirk ist bereits ein erfreulicher Anfang der Inventarisierung der Wehranlagen gemacht worden. Hofmeister ( 613) hat mit Unterstützung des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde in zwei Heften die Befestigungen des Gebietes zwischen Elbe und Ostsee, von Eutin bis Lauenburg, zusammengestellt und unter Vorlegung der archäologischen und geschichtlichen Quellen mit Beigabe von Plänen und Karten veröffentlicht. Er beschränkt sich nicht auf die frühgeschichtlichen Wälle -- vorgeschichtliche sind aus diesem Gebiet bisher nicht bekannt geworden --, sondern schließt auch die geschichtlichen Befestigungsanlagen ein; letztere bilden sogar den Hauptinhalt des Quellenwerkes. Die sorgfältige Zusammentragung des archivalischen Quellenstoffes und die großzügige Ausgestaltung mit Kartenbeilagen legen für das Werk ein ausgezeichnetes Zeugnis ab. Eine große Anzahl der Pläne hat der Verfasser nach eigenen Vermessungen herstellen lassen. Leider hat er sich bei der Darstellungsweise der Pläne allzusehr von dem Bestreben leiten lassen, dem Leser die Wehranlagen möglichst anschaulich und augenfällig darzubieten. Seine von ihm hartnäckig gegen kritische Äußerungen verteidigte Art der zeichnerischen Wiedergabe der Wälle entspricht nicht den Anforderungen, welche die moderne Kartographie an wissenschaftliche Pläne stellt. Sammlungen von Bodenurkunden von der Bedeutung der Hofmeisterschen müssen bestrebt sein, den tatsächlichen Zustand der


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Anlagen so genau und objektiv wie möglich darzustellen und alle subjektiven Zutaten und Unklarheiten nach Möglichkeit auszuschalten. Nur dann erhalten die Pläne dauernden Wert. Ist auch zuzugeben, daß die allen Anforderungen gerecht werdenden Höhenschichtenkarten für manche Benutzer schwer lesbar sind, so hätte dieser Umstand Hofmeister nicht dazu bestimmen dürfen, auf sie zu verzichten, sondern er hätte diesen unentbehrlichen Kartenurkunden als Erläuterung Pläne mit den von ihm gewählten anschaulicheren Bergstrichen in kleinerem Maßstabe hinzufügen können, um allen Wünschen nachzukommen. Aber auch in der vorliegenden Fassung bildet der mit soviel Liebe und Ausdauer geschaffene Atlas ein Burgwallinventar, dem in ganz Ostelbien bisher nichts Gleichwertiges gegenüber gestellt werden kann.

Auch von Rügen liegt eine Zusammenstellung der Burgwälle durch Petzsch ( 627) vor, die sich aber ganz andere, volkstümlichere Ziele steckt. In kurzer, flüssiger Form wird für weite Kreise, insbesondere für den Heimatsunterricht, eine Übersicht über die Wehranlagen Rügens, die fast ausschließlich der slawischen Epoche angehören, gegeben. Petzsch läßt vornehmlich die historischen Quellen zu Worte kommen und leitet seine Schrift durch eine anschauliche Schilderung der slawischen Kultur auf der Ostseeinsel ein.

Schuchhardt, dem die archäologische Untersuchung der wichtigsten Burgwälle Rügens zu danken ist, legt in diesem Jahre das Grabungsergebnis zweier Wälle der Lausitz vor ( 630), die nicht von den Slawen erbaut, sondern schon in der frühen Eisenzeit angelegt worden sind. Von besonderem Werte ist die Untersuchung des Walles von Starzeddel Kr. Guben, weil hier zum ersten Male der Innenraum einer solchen Wehranlage so gut wie vollständig freigelegt worden ist. In dem Wallinneren sind Pfostenhäuser unregelmäßig verstreut, aber so, daß ihr Eingang stets zur Wallmauer gerichtet ist, deren Innenfront von einer gepflasterten Straße begleitet wird. Der Mauergang ist also das Rückgrat der befestigten Ansiedlung, nicht etwa ein größerer Versammlungsraum im Mittelpunkt der Anlage. Schuchhardt hält auch in dieser Arbeit an seiner These fest, die Lausitzer Kultur, welcher der Starzeddeler Burgwall angehört, sei germanisch, obwohl die Forschung diese Annahme mit gewichtigen Gründen widerlegt hat. Damit fällt auch sein Versuch, in der Burganlage eine germanische Urform des Rundlings erkennen zu wollen.

Den Abschluß unseres diesjährigen Berichtes möge die wertvolle Zusammenstellung der deutschen Hacksilberfunde aus slawischer Zeit von Beltz ( 628) bilden. Im Anschluß an die Bekanntgabe des Fundes von Quilitz auf Usedom bringt der Verfasser eine Übersicht über diese eigenartigen Silberschätze des 9.--11. Jhds. deren Mischung von orientalischen und nordischen Schmuckstücken sich aus der Kreuzung des arabischen Handels nach dem Norden und der Wikingerfahrten nach dem Südosten erklärt. Mit reichem Wissen nimmt Beltz zu den vielen Fragen, die sich an diese Verwahrfunde knüpfen, Stellung, freilich in seiner anspruchslosen, übertrieben knappen, mitunter nur stichwortartigen Schreibweise, die den Wert seiner Ausführungen nur bei genauem Studium erkennen läßt. Der künftigen Forschung wird die handliche Zusammentragung des seit langem nicht bearbeiteten Fundstoffes treffliche Dienste leisten. Ein empfindlicher Mangel ist das Fehlen einer Übersichtskarte der Verbreitung der Hacksilberfunde, welche die Ausführungen von Beltz dem Leser


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besser veranschaulicht hätte. Möge der Nestor der deutschen Vorgeschichtsforscher recht bald Gelegenheit finden, sich über dieses wichtige Thema des frühgeschichtlichen Handels ausführlicher auszusprechen.[M. Jahn.]


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