I. Quellen.

Auch diesmal beschäftigt sich ein Aufsatz mit Gildas, dem einzigen britischen Gewährsmann aus der Zeit der germanischen Eroberung Englands. Lot ( 640) erörtert den Quellenwert des Werkes; er betont stark die Schwächen und Irrtümer von Gildas, seine Unkenntnis der älteren britischen Geschichte und legt dar, wie bei ihm nur wenige Einzelheiten aus der näheren Vergangenheit als zuverlässig gelten können und der Wert auf den Angaben über das südwestliche Britannien in Gildas' eigener Zeit beruht, der so »ein schwaches Licht in finsterer Nacht« darstellt. Man vermißt S. 234 f. eine Berücksichtigung der Arbeit von W. Meyer über den h. Albanus (Abhandl. der Göttinger Gesellsch. d. Wissensch., Phil.-hist. Klasse, N. F. VIII, 1, 1904) und der neuen Ausgabe von Constantius' Leben des Germanus von Auxerre (SS. rer. Merov. VII, 225--283).

Den urkundlichen Quellen der Merowingerzeit gelten die Untersuchungen ihrer Sprache von Vielliard ( 444) und Martin ( 445) und die in anderem Zusammenhang zu würdigenden Arbeiten über das Formularbuch des Markulf von Sproemberg ( 272) und Zatschek ( 273) (vgl. S. 129), von denen die zweite in die Karolingerzeit hinübergreift; zur Ergänzung verweise ich auf die wenig bekannten »Untersuchungen zu den Urkunden Karls des Großen« von Georg Kleeberg, eine Berliner Dissertation von 1914, die auch die Verwendung Markulfs in der Kanzlei Karls behandelt. Mit dem 634 in Verdun ausgestellten Testament des Diakons Adalgisel-Grimo, einer der ältesten echten Urkunden des Frankenreichs, beschäftigt sich Levison in dem ersten Teil seines Aufsatzes zur Geschichte des Klosters Tholey ( 1676), der von erzählenden Quellen über jene Zeit namentlich auch die späte Vita des Bischofs Paulus von Verdun und die Vita Chraudingi des Abtes Richard von St. Vannes († 1046) berührt. Die große Urkundensammlung der Académie des inscriptions et belles-lettres ist um die von Levillain bearbeiteten Urkunden der Karolinger Pippin I. und Pippin II. von Aquitanien bereichert worden ( 652); die Ausgabe bedeutet nicht


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sowohl eine Vermehrung der vorher bekannten Diplome wie ihre kritische Bearbeitung. Die umfangreiche Einleitung behandelt nicht nur das Urkundenwesen der beiden Könige, sondern auch die Ausdehnung Aquitaniens in der ersten Hälfte des 9. Jhds. und die in den Urkunden erwähnten Gaue des Landes.

Von den erzählenden Quellen der Merowingerzeit hat die hervorragendste, die Historien Gregors von Tours, durch Dalton ( 639) die erste vollständige englische Übersetzung erhalten; der Einleitungsband gibt zunächst ein Bild von Gregors Leben und Werk und schildert sodann die staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Merowingerreichs, dessen größter Geschichtschreiber weiteren Kreisen der englisch redenden Welt so in ansprechender Weise nahe gebracht wird, wenn das Werk auch nicht eigentlich eine Förderung der Wissenschaft bedeutet.

Als Verfasser der um 830 in St. Denis entstandenen, König Dagobert I. (623--639) behandelnden Gesta Dagoberti sucht Buchner ( 643) Abt Hildvin von St. Denis wahrscheinlich zu machen, ohne doch entscheidende Gründe zu geben, so wenig wie Levillain, der den Verfasser in dem späteren Erzbischof Hinkmar von Reims erkennen wollte, und auch die Beziehungen zur Geschichte des 9. Jhds., die beide in den Gesta zu erkennen glaubten, scheinen mir höchst unsicher. Deren Verfasser beansprucht für sein Kloster eine gewisse Freiheit von der Gewalt des Pariser Bischofs entsprechend dem in c. 51 (SS. rer. Merov. II, 424) ausgeschriebenen Privileg Chlodwigs II. von 654 und stellt die frühere Zeit bischöflicher Herrschaft dazu in Gegensatz (c. 3. 50, S. 402. 423); im Hinblick auf diese wenigen Sätze kann man aber nicht die ganze umfangreiche Quelle als von einer entsprechenden Tendenz »durchzogen« und »beseelt« hinstellen.

Für die meist späten und wenig glaubwürdigen Lebensbeschreibungen Merowingischer Heiliger der Diözese Besançon kann fortan die Übersicht von Zinzius ( 1644) als Führer gelten; hier sind sowohl die Bischofsviten jener Metropole, die von Protadius, Donatus, Nicetius, Migetius und Claudius, kritisch gesichtet, wie die von Klosterheiligen, vor allem die der Äbte Deicolus von Lüders und Ermenfred von Cusance, deren Viten auch praktische Zwecke verfolgen, Besitz- und Rechtsverhältnisse der Gegenwart durch Zurückverlegung in die Vergangenheit zu sichern suchen. Die Untersuchung der ältesten Vita Amandi, des Klostergründers und Missionars des 7. Jhds., von der im vorigen Jahrgang (S. 256) berichtet wurde, hat de Moreau in seine Biographie des Heiligen ( 654) übernommen, in der er, soweit es die dürftigen und teilweise wenig zuverlässigen Quellen gestatten, das unruhige Leben des eigenartigen Mannes in ansprechender Form im Rahmen der Zeitgeschichte dargestellt hat. Kaum hatte Amandus in seinem Kloster Elno, dem heutigen Saint-Amand-les- Eaux, sein Grab gefunden, da erschien 678 in dem nahen Lande der Friesen Bischof Wilfrid von York: die Mission der Angelsachsen auf dem Festland setzt damit ein. Über das in anderer Weise ebenfalls sehr bewegte Leben Wilfrids sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet durch die Vita, die ihm der Presbyter (Aeddi?) Stephanus gewidmet hat, bei aller Einseitigkeit eine der bedeutendsten geistlichen Biographien des früheren MA., und es ist mit Dank zu begrüßen, daß Colgrave ( 642) von dieser für die englische und fränkische Geschichte gleich wichtigen Quelle, die zuletzt im Rahmen der SS. rer. Merov. (VI, 163--263) erschienen war, eine handliche Sonderausgabe besorgt hat, die von einer englischen Übersetzung begleitet ist. Die gesammelten Aufsätze von


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Pfister über das Elsaß ( 148) enthalten auch seine lesenswerte Abhandlung über die Vita Odiliae. Die 1200-Jahrfeier des Todestages von Bischof Hugbert von Maastricht-Lüttich († 727) hat den Anstoß zu dem Aufsatze gegeben, in dem der Bollandist Coens ( 641) zwei späte Ausläufer der Hubertus- Legende behandelt und durch das Jubiläum veranlaßte belgische Neuerscheinungen über den Heiligen und das nach ihm benannte Kloster St. Hubert bespricht.

Der Streit mit Much über die Aussprache des alten Bayernnamens (s. Jahrgang 1925, S. 612) hat Krusch zu der Untersuchung der von Müllenhoff um 520 angesetzten Fränkischen Völkertafel geführt; er zeigt, daß die verschiedenen Fassungen anders zu beurteilen sind und der Text erst dem 7. oder 8. Jhd. angehört (die Benutzung durch Nennius nötigt übrigens nicht mehr, in das 7. Jhd. zurückzugehen, s. eb. S. 225). Zugleich bringt er wichtige Beiträge zum Verständnis des erst der Karolingerzeit angehörenden Kosmographen von Ravenna, ausgehend von dem angeblichen Lande Baias.

Die 1927 erschienenen Entgegnungen von Krusch, Levillain und Baudot auf den Versuch von Buchner, die Clausula de unctione Pippini als eine Fälschung des 9. Jhds. zu erweisen ( 644), sind bereits im vorigen Jahresbericht S. 257 erwähnt worden. Buchner will auch in der Vita des Bischofs Chrodegang von Metz († 766) »eine kirchenpolitische Tendenzschrift aus der Mitte des 9. Jhds.« erkennen ( 1631 a) und sie mit dem Streben des Metzer Bischofs Drogo (823--855) nach der erzbischöflichen Würde und dem päpstlichen Vikariat in Zusammenhang bringen; die Annahme scheitert aber allein an der Tatsache, daß in der Vita Chrodegangi das von dem Lütticher Bischof Stephan (901--920) verfaßte Leben des h. Lambert benutzt ist: sie ist in Wirklichkeit ein erbaulicher Panegyrikus des 10. Jhds. und hat mit den Wünschen Drogos nichts zu tun (s. Levison, Neues Archiv 48, S. 230 ff.).

Bereits im vorigen Jahrgang ist S. 262 f. des 1926 erschienenen Teiles von Bd. XXX der Scriptores der Mon. Germ. hist. ( 122) gedacht worden. Für die Karolingerzeit sind daraus außer den dort bereits erwähnten Salzburger Annalen noch hervorzuheben die von Hofmeister bearbeitete alte Vita Lebvini mit ihren wichtigen Nachrichten über die Stammesversammlung der Sachsen zu Marklo und Idos von Baethgen herausgegebene Geschichte der Translation des h. Liborius nach Paderborn im Jahre 836, beides Quellen, die im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts bekannt geworden sind und früher nur in jüngeren Bearbeitungen vorlagen; der Karolingerzeit gehört auch das von Hofmeister neu herausgegebene Leben des Einsiedlers Philipp von Zell in der Bayrischen Pfalz an. Lehmann ( 246) bringt aus der Römischen Handschrift Verbesserungen zu der Kaiserliste am Rande von Ostertafeln (MG. Auct. ant. IX, 751 ff.), mit denen die Überlieferung der ältesten Fuldaer Annalen in Verbindung steht (s. Jahrgang 1925, S. 226), und gibt ferner das bisher nur aus einer Abschrift bekannte, berühmte Schreiben Karls des Großen an Abt Baugulf von Fulda über die Pflege der Wissenschaften (MG. Capitul. I, 79) mit Hilfe einer zweiten, älteren Handschrift neu heraus. Nestler ( 648) führt aus, daß Alcvins Briefe 264 und 265 entgegen der Annahme Dümmlers (MG. Epist. IV, 421 ff.) verschiedenen Jahren angehören; den zweiten setzt er zu Ostern 804 an, als Zeit des ersten vermutet er Herbst 799. Über Esselborns, als Einleitung zu seiner Übersetzung der Translatio Marcellini et Petri gedachte Schrift über


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Einhards Leben und Werke ( 645) ist bereits im Jahrgang 1925, S. 226 f. berichtet worden.

Nur späten Ausläufern des Sagenkreises um Karl den Großen ohne geschichtliche Grundlage gehören an die von Quint herausgegebene mitteldeutsche Fassung des »Karl und Elegast« ( 646) und die von Hämel ( 647) behandelte Rolandlegende, nach der Adalhard-Genesius von Corbie in Cartagena begraben und dort von seinem angeblichen Bruder Roland gesucht und gefunden worden sein soll.

In das Menschenalter nach dem Tode Karls führen die Darlegungen von K. Beyerle ( 244) über die dritte Gruppe der Reichenauer Formulare (MG. Formulae 364--377); anknüpfend an Forschungen besonders von Dümmler, deutet er die Sammlung von Musterbeispielen als ein von Abt Walahfrid Strabo angelegtes Briefbuch, dessen Stücke sämtlich dem 2. Viertel des 9. Jhds. zugewiesen und zum großen Teil zur Jugend und Abtzeit Walahfrids in Beziehung gesetzt werden. Den gleichen Jahrzehnten entstammt die berühmte Briefsammlung des Abtes Lupus von Ferrières; der bereits früher um sie durch seine Forschungen verdiente Levillain legt die erste Hälfte einer neuen, von einer französischen Übersetzung begleiteten Ausgabe ( 650) vor, auf die nach dem Abschluß des Ganzen zurückzukommen sein wird. Levison ( 456) erweitert die Kenntnis der Schriften von Lupus durch die Mitteilung einer Predigt für das Fest des h. Jodocus aus einem Londoner Codex; sie ist etwa um 860 verfaßt, die Heimsuchungen durch die Normannen geben den zeitgeschichtlichen Hintergrund ab. Endlich gilt auch die Dissertation von Leonardi ( 651) einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Zeit Ludwigs des Frommen, Agobard von Lyon und seiner Publizistik; doch beschränkt sich der gedruckte Teil wesentlich auf eine Inhaltsangabe und Zergliederung der einzelnen politischen und kirchenpolitischen Schriften des streitbaren Erzbischofs.

Die Grandes Chroniques de France aus dem Ende des 13. Jhds. haben für die Geschichte des Frankenreichs keinen unmittelbaren Quellenwert, sondern sind von Bedeutung nur als eine Kompilation, die auf die Vorstellungen des späteren französischen MA. von der Zeit der Merowinger und Karolinger stark eingewirkt hat. Die neue, 1920 begonnene Ausgabe von Viard hat mit dem 4. Bande ( 649), der mit der Regierung Ludwigs des Frommen einsetzt, den Ausgang der französischen Karolinger erreicht; die Einleitung unterrichtet zusammenfassend über die Quellen (unterdessen ist 1928 schon der 5. Band, bis 1137, gefolgt).

Die geschickte Übersicht über die christliche lateinische Dichtung des MA. von Raby ( 434) berücksichtigt natürlich auch die wesentlichen lateinischen Dichtungen des Frankenreichs und damit eine Reihe hervorragender Quellen für die Geschichte namentlich der geistigen Kultur.

Die sehr nützliche Sammlung arabischer Berichte über Gesandtschaften an germanische Fürstenhöfe, die Jacob ( 662) aus späteren Kompilationen herausgehoben und ins Deutsche übertragen hat, kommt zwar überwiegend erst für die Zeit der Ottonen in Betracht; doch gehört die Erzählung über eine Gesandtschaft, die Abdurrahman II. von Cordova um 845 zu einem Normannenkönig geschickt hat (S. 37 ff.), noch in die Karolingerzeit.


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