II. Darstellungen.

Die Geschichte der gesamten Merowingerzeit hat in dem weiteren Rahmen des Werkes von Lot ( 580), die politische Geschichte des Frankenreiches überhaupt bis zum Ende der ostfränkischen Karolinger in dem


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von A. Cartellieri ( 581) eine kurze Darstellung gefunden (vgl. das Referat S. 195). Daneben ist für den ganzen Zeitraum auch hier auf die eingreifende Neubearbeitung der Geschichte Bayerns von Riezler ( 182) hinzuweisen. Daß die Herrschaft der Franken im nördlichen Gallien nicht mit einem Schlage durch den Sturz des Syagrius geschaffen worden ist, legt Bloch ( 577) dar; er sieht in diesem Ereignis von 486 mit Recht den Abschluß einer längeren Entwicklung, der unter Chlodwigs Vater Childerich längst vorbereitet war (vgl. dazu Krusch, Neues Archiv 47, S. 66, Anm. 4; Levison, eb. S. 693 f.). In dieselbe Richtung weisen die Bemerkungen, die Holwerda im 16. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission ( 539) S. 136 ff. über die Anfänge des Frankenreichs im Hinblick auf die Bodenfunde in Holland und Belgien gemacht hat. Hamilton ( 653) erörtert die Nachricht des Theophanes über ein behaartes Mal, das die Merowinger im Rücken gehabt haben sollen, und vergleicht damit ähnliche Angaben aus anderen Ländern und Zeiten. Über die ersten Berührungen der Franken mit den Langobarden in Böhmen nach der Unterwerfung der Thüringer und über die Wanderung der Bayern von Böhmen nach Bayern um 535 äußert Dopsch ( 638) Vermutungen, die freilich recht unsicher sind. An das Ende der Merowingerzeit führt der Aufsatz von R. Holtzmann ( 403) über die Hoohseoburg, die der Hausmeier Karlmann 743 auf einem Feldzug gegen die Sachsen eingenommen hat; er erkennt darin nach dem Vorgang von Pertz Seeburg am Süßen See zwischen Halle und Eisleben, das auch dem Hassego (= Hochseegau, nicht Hessengau) den Namen gegeben hat (vgl. dazu jetzt Holtzmann und P. Grimm, Sachsen und Anhalt V, 1929, S. 366--381).

Karl dem Großen hat Hampe in seinen »Herrschergestalten des deutschen Mittelalters« ( 170) eine feinsinnige Charakteristik gewidmet, wie er sie ausführlicher schon 1922 im 1. Bande der »Meister der Politik« gegeben hatte. Er läßt hier auch (gegen E. Patzelt) den Begriff der Karolingischen Renaissance in der rechten Begrenzung gelten (vgl. auch Levison in 456), ebenso Naumann ( 457), der ihr Wesen gegenüber der »Ottonischen Renaissance« schärfer zu bestimmen sucht. Die kirchliche Stellung Karls steht im Mittelpunkt der gedanken- und geistreichen, aber auch an willkürlichen Einfällen und Vermutungen nicht armen Ausführungen von Rosenstock ( 654a). Das Staatskirchen- und Priesterkönigtum Karls, die theokratischen Ideen des Gottesgnadentums und der Herrschaft des rex et sacerdos in der Kirche »Europas« scheinen ihm verkörpert in den Kundgebungen der Libri Carolini und der Frankfurter Synode von 794, auch die Wahl von Frankfurt mit seinem Frankennamen als Sitz des Konzils eine bewußte Wendung gegen Byzanz und Rom. In der Synode erblickt er allerdings auch den Anfang zum Selbständigwerden der Kirche gegenüber dem Hof und der Hofgeistlichkeit, der Kapelle. Der Papst hat Karl 800 zum Kaiser gemacht, weil das Kaisertum »eine innerkirchliche Würde« war, der Papst wohl Untertan von Kaisern, aber nicht eines Königs wie Karl gewesen war; Leo III. rettete so die Tradition und Karls Abneigung galt nicht der Mitwirkung des Papstes bei der Krönung, sondern dem römischen Kaisernamen selbst.

Eine Einzelfrage behandelt der bisher nur im Auszug vorliegende Vortrag von Petot ( 658) über die von Karl dem Großen 789 und 802 geforderten Eide (MG. Capitul. I, 63, 92, 101 f.). Er bestreitet, daß dabei die alte Formel des Untertaneneides (leudesamium) geändert und durch den Vasalleneid ersetzt


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worden sei. 789 deutet nichts auf eine Änderung hin, und 802 sind homo und dominus als Untertan und König zu verstehen, nicht im Sinne der Vasallität (vgl. den Eid von 854, eb. II, 278). -- Die Beziehungen Karls zu dem Kalifen Harun-al-Raschid sind neuerdings wieder Gegenstand einer Streitfrage geworden, vor allem ob die Nachrichten der Reichsannalen zum Jahre 800 und Einhards im Leben Karls d. Gr. berechtigen, von einer Landschenkung Haruns an den Kaiser und von dessen Schutzherrschaft, einem »Protektorat« Karls, im Heiligen Lande zu reden. Unabhängig voneinander haben Kleinclausz ( 657) und Joranson ( 656) dies bestritten. Jener beschränkt die Schenkung des Kalifen auf das Heilige Grab im engsten Sinne, eine in den Felsen gehauene Höhlung von 7 Fuß Länge; dieser spricht der Nachricht Einhards von einer solchen Schenkung überhaupt die Glaubwürdigkeit ab und bestreitet jede politische Bedeutung der Übersendung der »claves civitatis et montis cum vexillo« durch den Patriarchen von Jerusalem im Jahre 800, beide wollen darin lediglich Reliquien, »Segensgaben« gleich anderen erkennen. Demgegenüber sind Vincent ( 655) und 1928 Bréhier (Revue historique 157, S. 277--291) wohl mit Recht für die Glaubwürdigkeit der einen und eine weitergehende Auslegung der anderen Nachricht eingetreten. Wird man auch den Begriff des »Protektorates« besser fallen lassen, so haben die Gesandtschaften von 797 bis 807 doch schwerlich nur dem Austausch von Höflichkeiten gedient; jene von dem Patriarchen -- sicherlich mit Zustimmung des Kalifen -- übersandten Gaben hatten symbolische Bedeutung, der Patriarch stellte sich dadurch unter den »moralischen Schutz« Karls, dieser erhielt in Jerusalem ein gewisses Schutzrecht zugestanden, das ihm und seinen Nachfolgern die moralische Grundlage gab, auf die Besserung der Lage der Christen in Palästina hinzuwirken, und ihm eine Anzahl Gründungen in Jerusalem ermöglichte.

Eine Lücke in der Verwaltungsgeschichte der Spanisch - Französischen Grenzgebiete unter Karl schließt Calmette ( 659) mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Annahme, daß dort nach dem Rücktritt Graf Wilhelms des Heiligen von Toulouse und »Gotien« 806 Bego († 816) sein Nachfolger geworden ist, ein Schwiegersohn Karls des Großen, der mit Wilhelm an der Eroberung der Spanischen Mark beteiligt gewesen war und als Graf in Ribagorza nachzuweisen ist, das damals zur Grafschaft Toulouse gehörte. Mit den Nachkommen des unglücklichen Königs Bernhard von Italien († 818), soweit sie dort geblieben sind, beschäftigt sich Pochettino ( 708); doch sind die Nachrichten für das 9. Jhd. sehr dürftig.

Der Aufsatz von Bréhier über die christliche Mission bei den Slaven im 9. Jhd. ( 660) knüpft an das im vorigen Jahrgang (S. 261) besprochene Buch von Dvornik an und faßt dessen Ergebnisse mit Kritik zusammen. In die Spätzeit der dort dargestellten mährischen Mission mit den Gegensätzen der griechischen und deutschen, den Ansprüchen der römischen und der bayrischen Kirche gehört der Brief Papst Stephans V. an den Mährenfürsten Sventopulk (jetzt MG. Epist. VII, 354 ff.), dessen Echtheit umstritten ist; Laehr ( 1631) macht es wahrscheinlich, daß er zum größten Teil echt, aber teilweise früh verfälscht worden ist.


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