a) Allgemeines.

Wir haben zunächst einige darstellende Werke zu nennen, in denen hervorragende Gelehrte nicht nur den Fachgenossen in sorgfältig gewählter Form das Ergebnis der eindringenden Einzelarbeit ihres Lebens in einer zusammenfassenden Überschau oder in aneinander gefügten Einzelbildern vermitteln. Nur kurz können wir dabei zweier Werke gedenken, in denen zwei ausländische Gelehrte von Ruf, G. Volpe ( 682) und N. Jorga ( 683), die gesamte ma. Entwicklung in stoffreicher Zusammenfassung zu veranschaulichen versuchen. Wird dabei für die deutschen Verhältnisse auch keine neue Forschung gebracht, noch auch nur der augenblickliche Stand des Wissens immer voll und zutreffend wiedergegeben, so bieten beide doch dem deutschen Forscher auch für die deutsche Geschichte eine Reihe von Anregungen und Gesichtspunkten, die fruchtbar oder wenigstens einmal erwägenswert sind, weil hier alles einzelne nachdrücklich in die großen allgemeinen Zusammenhänge hineingestellt ist und dabei naturgemäß die außerordentliche Entwicklung ausführlicher zu Worte kommt. Beide Verfasser ergänzen sich dabei entsprechend ihren besonderen Arbeitsgebieten. Während bei Volpe das romanisch-germanische Abendland durchaus im Vordergrunde steht und dabei wieder Italien und allgemein die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Fragen stärker hervortreten, ist bei Jorga alles mehr von Osten her gesehen und zumal die byzantinische Geschichte ausgiebig berücksichtigt, und während Volpe seine Betrachtung bis auf die Zeit Karls V. und die volle Entfaltung des italienischen Humanismus und der italienischen Renaissance führt, bricht Jorga bereits mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken ab. Für Einzeltatsachen, Namen und Daten darf man allerdings, zumal für Gebiete, die den Verfassern ferner liegen, sich auf keines der beiden Bücher ohne weiteres verlassen, auch bei Volpe wenigstens nicht für Gebiete, wie z. B. die ostdeutsche Kolonisation. Jorga


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gibt wohl zahlreiche Hinweise auf Quellen und Literatur, aber diese vermeintlichen Belege wimmeln von Irrtümern und Fehlern aller Art, denen man auch im Text auf Schritt und Tritt begegnet.

Wenden wir uns zusammenfassenden Werken zur deutschen Geschichte im engeren Sinne für unsern Zeitraum zu, so stehen die Bücher von Haller und Hampe voran. Von der Wirkung, die Johannes Hallers ( 166 a) kraftvoll klarer Aufriß der deutschen Entwicklung dauernd ausübt, zeugt auch in diesem Berichtsjahr wieder ein neuer, im einzelnen durchgesehener Abdruck, schon das 18.--20. Tausend. Da das Werk früher als ganzes ausführlich gewürdigt und der in unsern Zeltraum fallende Abschnitt, der mit der eindringenden und historisch-politisch weitblickenden Wertung und Anerkennung der Kaiserpolitik einen Höhepunkt der Erörterung bildet, seit der 1. Ausgabe von 1923 nicht verändert worden ist, können wir uns hier mit diesem kurzen Hinweis begnügen. Wir weisen bei dieser Gelegenheit auch auf die ausführlichere Erzählung der deutschen Kaisergeschichte aus Hallers Feder hin, die bisher in diesen Jahresberichten noch nicht erwähnt ist (Johannes Haller, »Das altdeutsche Kaisertum«. Stuttgart, Berlin, Leipzig, Union Deutsche Verlagsgesellschaft, ohne Jahr, zuerst 1926 erschienen, uns in 5. Auflage vorliegend; 291 Seiten.) Wenn auch in dem Rahmen einer Sammlung »vaterländischer Volks- und Jugendbücher« ohne jeden gelehrten Apparat durchaus gemeinverständlich geschrieben, darf diese Darstellung mit der Zusammenfassung und Einordnung wichtiger eigener, zwar vielfach umstrittener, aber immer anregender und darum fördernder Forschungsergebnisse des Verfassers auch über ihren unmittelbaren Zweck hinaus Beachtung verlangen. Sie wird, zumal die Erzählung reichlich durch geschickt ausgewählte Abbildungen unterstützt ist, nicht nur ohne Zweifel in weiten Kreisen den geschichtlichen Sinn zu wecken verstehen und zur Schulung des historisch-politischen Urteils an ihrem Teil mitwirken, sondern wird auch zur Einführung in das Studium neben andern Hilfsmitteln mit Nutzen verwendet werden.

Ein geschmackvolles, feines Buch, das Werk eines kultivierten Geistes mit künstlerischem Empfinden, dem wir viele Leser wünschen, hat K.Hampe ( 170) vorgelegt. Er bietet keine geschlossene Darstellung der deutschen Geschichte des MA., hat aber in fein ziselierten Persönlichkeitsschilderungen wesentliche Stufen der Entwicklung, wenn auch mit Absicht nicht immer ihre Höhepunkte, lebensvoll gestaltet. Freilich sind die Mehrzahl dieser 8 »Herrschergestalten« aus seiner Feder weder den Fachgenossen noch einem weiteren Kreise unbekannt. Sie sind teils, wie Theoderich und Heinrich der Löwe, weitere Ausgestaltung früherer Zeitschriften-Skizzen, teils, wie Karl der Große, Otto der Große und Friedrich Barbarossa, eine verkürzte, im einzelnen sorgfältig nachgearbeitete Wiederholung der bekannten Abschnitte aus dem in 2 Auflagen verbreiteten Sammelwerke der »Meister der Politik«. Nur Heinrich IV. ist außer Rudolf von Habsburg und Karl IV., die schon das Ausklingen des MA. andeuten, ganz neu hinzugefügt. Stimmt Hampe grundsätzlich in der positiven Auffassung der Kaiserpolitik des früheren MA. mit Haller überein, so bildet sein Buch als ganzes doch den stärksten Gegensatz zu dessen in den »Epochen« ganz auf straffste Zusammenfassung und Herausarbeitung der ton- und richtunggebenden Linien und Probleme, in dem »altdeutschen Kaisertum« wesentlich auf klare und anschauliche Erzählung des tatsächlichen


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Verlaufes der Ereignisse gerichteten Geschichtschreibung. Es ist für den fachmännisch nicht ganz ungeschulten Leser reizvoll und lehrreich, zu verfolgen, wie sich dieser Gegensatz der Veranlagung und des Zieles zweier gleich hervorragender Gelehrter im einzelnen in der Beurteilung derselben Personen oder Ereignisse oder in der verschiedenen Auswahl des Stoffes auswirkt.

Zur Frage der ma. Kaiserpolitik hat Georg von Below ( 694) in seinem letzten Lebensjahre noch einmal das Wort genommen, um seine bekannte Erneuerung des Sybelschen Angriffes in einem besonderen Buche mit der ihm eigenen dialektischen Schärfe und unvergleichlichen Beherrschung auch der entlegensten Literatur umfassend zu begründen. Ohne Rückhalt verurteilt er die italienischen Unternehmungen der Ottonen, Salier und Staufer von Anfang bis zu Ende, weil dadurch der Ausbau der deutschen Verfassung in der Richtung auf eine starke und dauerhafte staatliche Macht verhindert worden sei. Bereits 962 (oder 951) ist für ihn das verhängnisvolle Jahr, das über das deutsche Schicksal entschied. Er bekämpft als »positivistisch« die Forderung, geschichtliche Vorgänge lediglich nach den Maßstäben und den Bedingungen ihrer Zeit zu messen. Er will sich zwar grundsätzlich bemühen, die von ihm als verhängnisvoll verworfene Politik der Kaiser aus der geschichtlichen Tradition und dem allgemeingeschichtlichen Zusammenhang zu verstehen und die Leistung des einzelnen, zumal Barbarossas, wenn man von der fehlerhaften Voraussetzung absieht, anzuerkennen. Er will zugleich aber auch die Politik der Päpste, der italienischen Städte und der deutschen Fürsten erklären. Er glaubt nicht die partikularen politischen Elemente für das Scheitern der italienischen Politik der Kaiser verantwortlich machen zu dürfen, sondern sieht umgekehrt in dieser die Ursache und die Rechtfertigung des Partikularismus, dessen Bildungen staatlichen Charakter hätten gewinnen müssen, weil das Reich und der König den Staat zu wenig für sich beanspruchten -- ein Urteil, das um so mehr Wunder nimmt, wenn er gleichzeitig mit besonderem Nachdruck die Bedeutung der Machtfrage unterstreicht und z. B. grade in Friedrich I., dem »Kompromißpolitiker«, freilich nicht ohne wahrhaft staatsmännische Eigenschaften, dem der größte, aber kaum der stärkste Teil des Buches gewidmet ist, ein wahres Schulbeispiel dafür findet, »wie ein Herrscher, der nicht die nötige Macht besitzt, die Idee der Gerechtigkeit und der 'mâsse' bei bestem Willen nicht zu verwirklichen vermag«. Als einzige Rechtfertigung der Kaiserpolitik könnte Below die »Leistung des Kaisertums für die Kirche«, das Papsttum gelten lassen. Aber, sagt er, wenn es auch »große, weltgeschichtliche Taten« waren, so hat eben hier ein Staat sich geopfert »für ein Ziel, das außerhalb seines Lebensinteresses liegt«. Nachdrücklich fordert Below eine Beurteilung nach absoluten Maßstäben; er findet einen solchen in »einer bestimmten Idee des Staates« und in der Anschauung, »daß es die Aufgabe der Staatsmänner ist, den Staat lebensfähig und kräftig zu erhalten«. Mit scharfer Kritik wendet er sich gegen die Darstellungen, die einen abweichenden Standpunkt vertreten, und, wie es ihm scheint, wenn auch in Abstufungen, oft mehr »Harfnergesang« oder »Legende« als politisch-historische Geschichtsauffassung bieten, besonders gegen Hampe. Auch wenn man Belows Ergebnis ebenso wie seine Beweisführung nicht anerkennen kann, wird man seinen scharf geschliffenen und viel Nachdenkliches bietenden Ausführungen immer mit Anteil folgen. Wir müssen dankbar dafür sein, daß es dem Verfasser noch vergönnt war, in diesem Buch selber den Gedanken die abschließende


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Form zu geben, die ihn so lange und so tief bewegt haben. Es wird, wenn auch mehr im Widerspruch, die Erörterung nicht nur vorübergehend befruchten und auch zur Vertiefung des historisch-politischen Verständnisses beitragen können, obwohl ihm selber eine wirklich historisch-politische Auffassung, wenn auch gefordert, im Grunde doch fremd ist. Dieses Buch eines führenden Historikers ist letzten Endes doch nicht so sehr historisch gedacht. Es behandelt die deutsche Politik fast, als wenn sie sich in einem luftleeren Raume hätte betätigen können; es rechnet mit dem Deutschen Volk und dem Deutschen Reich als einer von vornherein festen Größe und richtet den Blick lediglich auf die innere Verfassungsentwicklung, um danach das Urteil zu bemessen. Die Frage nach den internationalen Zusammenhängen in Politik, Wirtschaft und geistiger Kultur wird nirgends ausdrücklich gestellt, kaum je und wenn, so nur ganz unzulänglich andeutend gestreift. Die Grundtatsache, daß die Nationen und Nationalitäten nichts von Anfang an Gegebenes und nichts Unveränderliches sind, daß ein deutsches Volk und Reich eben erst unter den Ottonen aus den ostfränkisch-lotharingischen Stämmen und Gebietsteilen zusammenwuchs, ist nirgends gewürdigt. Ohne dies ist aber eine wirklich historische Wertung der Kaiserpolitik nicht möglich. Selbst wenn man z. B. zugeben würde, daß die Kraft des ma. Reiches durch seine italienische Politik und ganz besonders durch seine Papstpolitik zerbrochen sei, würde das nichts über Recht oder Unrecht der Kaiserpolitik sagen, falls nicht ein anderer besserer Weg unter den gegebenen Verhältnissen, unter denen gehandelt werden mußte, aufgewiesen wäre.

Mit Below berührt sich in manchen, ebenfalls dialektisch scharf gespitzten Gedankengängen und in der Bewertung wichtiger Einzelvorgänge Bernhard Schmeidler ( 684, 687, vgl. dazu meine Bemerkungen in der Hist. Zeitschr. Bd. 138 S. 176 f.), der dabei aber seine eigenen Wege geht und vor allem nicht Belows ausschließlich verfassungsgeschichtliche Einstellung teilt. Auch bei ihm handelt es sich um die innere Entwicklung des deutschen Reiches, um das Verhältnis von Königtum und Fürstentum, von Lokalgewalten und Zentralgewalt, aber wesentlich mit politischer und geographisch-politischer Blickrichtung und mit starker, ja überstarker Betonung des Gegensatzes von Norddeutschen und Süddeutschen. In seinem Breslauer Vortrage ( 684), dessen anregende Kraft schon in der freilich scharf kritischen Diskussion sich zeigte, führt er in raschem Gange durch die 3 Jahrhunderte der Ottonen, Salier und früheren Staufer, um zu zeigen, wie der Widerstand der Fürsten gegen das Königtum keineswegs nur aus Selbstsucht und Bosheit hervorgegangen, sondern von ihrem Standpunkt aus oft genug sachlich begründet, unter Umständen sogar ihr Standpunkt wohl besser berechtigt gewesen sei. In einem zweiten Vortrage in Hannover ( 687) ist das für das sächsische Herzogtum im einzelnen weiter ausgeführt. Schmeidler verteidigt nicht den Partikularismus als solchen, aber er sucht ihn, wie das die Pflicht des Historikers ist, in seinen Äußerungen sachlich zu verstehen. Er hat dabei gewiß richtig auf manche Gesichtspunkte aufmerksam gemacht, die nicht immer zu ihrem Recht gekommen sind, freilich allgemein und grundlegend das Gesamturteil über die Reichspolitik des früheren MA. doch wohl nicht umzustürzen vermögen. Der Anteil des Partikularismus an dem Zerfall der Reichsmacht bleibt bestehen, auch wenn er nicht bewußt reichsfeindlich, sondern vielfach nur Auswirkung kräftigen Eigenlebens und an sich achtenswerter Sonderbelange war. Die entscheidende Frage, ob Einzelbelange den


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Reichsbelangen vorgehen sollten, wo ein friedlich-schiedlicher Ausgleich nicht zu finden war, würde nur der bejahen können, der grundsätzlich einem mehr oder weniger losen Bündel von Teilfürstentümern den Vorzug vor einem zu möglichst einheitlicher Wirkung zusammengefaßten Reich mit starker Spitze geben würde. Das aber würde sicherlich auch der Meinung des Verfassers durchaus zuwider sein.

Anderer Art als die eben besprochenen Arbeiten sind die Pariser Vorlesungen von F. L. Ganshof ( 688), in denen er seinen Hörern in schlichtem Aufriß den staatlichen Aufbau des deutschen Imperiums vom Anfang des 10. Jhds. bis auf Heinrich III. zeichnet, ohne den Anspruch, Neues zu bieten, aber mit verständiger Verwertung der deutschen Forschung. Mit Recht betont er im Anfang mit Ranke die bestimmenden Einwirkungen der äußeren Politik auf die innere; der Gehorsam, den Heinrich I. und Otto I. im Innern fanden, beruht wesentlich auf ihren Erfolgen nach außen. Für Heinrich III., dessen erste Regierungshälfte den Höhepunkt der deutschen Machtstellung bedeutet, glaubt er, stark das Mißverhältnis zwischen den weitausgreifenden Zielen seiner Politik und den tatsächlichen Machtmitteln unterstreichen zu müssen. Wenn der Verfall der wesentlich auf die Reichskirche gestützten Reichsmacht auch erst während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. eintrat, so findet er ihn doch bereits stark vorbereitet durch die Entwicklung der kirchlichen Reformbewegung in dem halben Jahrhundert vorher.

Obwohl kein fachwissenschaftliches Werk und weit über unsern Zeitraum hinausgreifend, soll das Buch von A. Krauß ( 171) hier doch nicht unerwähnt bleiben. Denn es zeigt, welchen Widerhall und welche Ausgestaltung Anschauungen, wie sie von Below wissenschaftlich zu begründen versucht hat, in weiteren Kreisen finden, die aus der Geschichte praktisch lernen möchten. Der Verfasser, ein aus dem Weltkriege hervorragend bekannter österreichischer General, sieht in der ganzen deutschen Geschichte von Karl dem Großen bis zur Gegenwart einen einzigen großen Irrtum. Eine »deutsche« Politik hat es seit Otto I. nach ihm nicht mehr gegeben. Es gilt vollkommene Umkehr und Abkehr von den in der Vergangenheit beschrittenen Wegen, wenn das deutsche Volk eine Zukunft haben soll, eine Zukunft, die nur nach Beseitigung aller inneren Grenzen und Herstellung der vollen Einheit in Volk und Reich möglich ist. Immer wieder wird dieser Gedanke auf einer raschen Wanderung durch die ganze deutsche Geschichte dem Leser eingehämmert. Nicht der Partikularismus der Stämme, der bald überwunden wurde, sondern der Partikularismus der Teilfürsten, der durch die falsche römische Politik der Kaiser großgezogen wurde, und der durch die zufälligen Gebietserwerbungen dieser Teilfürsten geschaffenen Pseudo-Stämme hat in unserer Geschichte die unvergleichliche schaffende Kraft eines Staatsvolkes, wie es die Germanen und die Deutschen von Haus aus waren, nicht zu fruchtbarer Wirkung kommen lassen. Das Buch ist durch und durch unhistorisch. Der Verfasser verlangt immer nur absolut, das oder das hätte getan werden müssen, erklärt immer, das war ein falscher Weg. Aber die Frage, auf die alles ankommt, die Frage, ob nach Zeit oder Umständen ein besserer oder überhaupt ein anderer Weg vorhanden war, wird nie ernstlich gestellt. Die für jedes geschichtliche Urteil grundlegende Einsicht, daß alle menschliche Ordnung in ihrer Erscheinungsform zeitlich bedingt und zeitlich begrenzt ist, daß kein menschliches Handeln für die Ewigkeit Dauerndes zu schaffen vermag und, was ererbt, von jeder Generation stets neu


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erworben werden muß, kommt nicht zur Geltung. Das Buch ist lesenswert, aufrüttelnd, weil es, von tiefem sittlichen Ernst getragen, scharf und rücksichtslos auf sein Ziel stürmt; aber es fordert fast Seite für Seite, oft Satz für Satz zu scharfem Widerspruch heraus. Trotz scharfer Beobachtungen in manchem einzelnen gibt es als ganzes ein Zerrbild, wie es falscher kaum gedacht werden kann.

An weitere Kreise wendet sich das bekannte Lesewerk von J. Bühler ( 685). Der vorliegende Band bringt in frischer, gut lesbarer Übersetzung Auszüge aus den Quellen über die Geschichte des deutschen Ordens und über deutsche Kirchenfürsten zur Beleuchtung ihrer Persönlichkeit und ihrer Tätigkeit in ihrem Sprengel vom 10. Jhd. bis zum Ausgang des MA. (vom 13. Jhd. an fast ausschließlich für Köln). Aus den reichlich populären Anmerkungen müßten eine Reihe Schiefheiten und Versehen ausgemerzt werden.

Max Buchner ( 686) kommt in ebenfalls gemeinverständlichen Darlegungen zu dem Ergebnis: »Ohne den einigenden Faktor der deutschen Kirchenfürsten hätte vielleicht überhaupt kein deutsches Volk, kein deutscher Staat, keine deutsche Geschichte auf die Dauer sich bilden gekonnt.« Ist dieser Satz auch in dieser Fassung, wie jede Aussage über das, was nicht hätte geschehen können oder hätte geschehen müssen, anfechtbar, so wird doch niemand bezweifeln, daß an der deutschen Entwicklung, wie sie tatsächlich verlaufen ist, neben andern vielleicht ebenso wirksamen, vielleicht auch, was hier ganz dahinstehen soll, wirksameren Kräften, die deutsche Kirche einen sehr wesentlichen Anteil und damit ihr Verdienst hat.

Als theoretische Grundlage des fürstlichen Einflusses auf die Kirche behandelt Justus Hashagen ( 1693) das Gottesgnadentum, dessen ma. Hauptformen und dessen Vorgeschichte bis zurück zu Äußerungen und Anschauungen des älteren Christentums und römisch-imperialer Kreise, ja bis zu Vorstellungen der heidnisch-keltisch-germanischen Vorzeit er anregend, wenn auch nur kurz andeutend, umreißt. Gerade bei Karl dem Großen und seinem Kreise, in dem er damit das Vorbild der Ottonen und Staufer sieht, meint er immer wieder auch die national-heidnischen Grundlagen der engen Verbindung zwischen Gottesgnadentum und Kirchenregiment neben und gegenüber der viel weniger laienfreundlichen und widerspruchsvollen Gedankenwelt Augustins herauszufühlen.

Den Anteil des Erzstifts Magdeburg an der ostdeutschen Kolonisation des MA. umschreibt in großen Zügen W. Hoppe ( 1634), der den unmittelbaren Ertrag nach der Seite der Territorialbildung und der kirchlichen Machtstellung trotz vorübergehender Erfolge im 12. und 13. Jahrhundert doch nicht allzu hoch wertet neben der nur kurz angedeuteten kulturellen Befruchtung, die von Magdeburg weithin nach Osten ausging.

Wiederholt ist in neuerer Zeit über die Abgrenzung Lotharingiens und die in ihren Grundlagen auf den Vertrag von Verdun zurückgehende Grenze zwischen Deutschland und Frankreich verhandelt worden, wobei besonders der Verlauf der Grenzen untersucht und zum Teil abweichend von früher herrschenden Anschauungen bestimmt wurde (vgl. Jahresber. I S. 229, 238). In derselben Richtung bewegt sich anscheinend die bis 1125 geführte Arbeit von R. Voigt ( 389), die uns nur in dem kurzen Auszug im Jahrbuch der Dissertationen der Philosophischen Fakultät der Universität zu Berlin 1923--24 (Berlin 1925) S. 245--247 vorgelegen hat. Sie geht vor allem auf die flandrischen Verhältnisse und die Landschaft Waes westlich der Schelde unterhalb von Gent


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ein, die bis zu Otto dem Großen sicher unter Westfranken stand, später aber zum Reich gerechnet wurde. Dagegen würdigt G. W. Sante ( 388) in der Schulte-Festschrift die deutsche Westgrenze des 9. und 10. Jhds., d. h. die Grenze, die, 843 zwischen Westfranken und Lotharingien gezogen, seit 880 bzw. 925 Deutschland und Frankreich trennte, unter geographischen und politisch-geographischen Gesichtspunkten. Er kennzeichnet sie als eine »Trennungsgrenze«, die, »mit einer gewissen Gewalt durch die vorherige Einheit gezogen« und durch die nur teilweise Anlehnung an natürliche Abschnitte der Oberfläche von Anfang an belastet, doch durch Jahrhunderte ihre Aufgabe zu erfüllen vermochte, weil ein genügender physisch-geographischer Bestandteil die leichte Verletzbarkeit der dadurch an die Außenseite gerückten Zellgrenzen überwinden ließ. Indes bedarf dieses allgemeine Urteil der Ergänzung und Erläuterung bzw. Einschränkung durch die Heranziehung der tatsächlichen geschichtlichen Vorgänge besonders seit dem 13. Jhd., die nicht mehr in den Rahmen der Arbeit einbezogen sind.

Einen karolingischen Seitenzweig, die Nachkommen des Königs Bernhard von Italien und seines Sohnes Pipin, der als Stammvater der Grafen von Vermandois in Nordfrankreich bekannt ist, glaubt G. Pochettino ( 708) in Italien bis ins 12. und 13. Jhd. verfolgen zu können, besonders in den Grafen von Parma und Pavia im 10. und 11. Jhd., die von einem Mainfred und seinem Vater Hugo um die Mitte des 10. Jhds. ausgehen. Die Besitzverhältnisse lassen in der Tat einen Zusammenhang irgendwelcher Art sehr möglich erscheinen. Dieser kann aber auch durch die weibliche Linie gehen. Es bleibt eine zu große Lücke. Daß der genannte Hugo ein Sohn von Bernhards Enkel Bernhard war, ist reine Vermutung ohne irgendeinen bestimmten Anhalt; ob dieser Bernhard der gleichnamige vassus von 877 im Testament der Kaiserin Angelberga war, ist ebenso ungewiß. Auch sonst wird teilweise mit sehr unsicheren Vermutungen gearbeitet.

Zur Lage von Roncaglia bringt G. Revel ( 695) nach den Arbeiten von Güterbock, Solmi und Tononi, die er anscheinend nicht kennt, jedenfalls nicht anführt, nichts von besonderer Bedeutung.

Cannobio am Lago Maggiore hat niemals eine besondere Rolle in der Reichsgeschichte gespielt. Aber die Geschichte dieses kleinen Gebietes (nicht ganz so groß wie Liechtenstein) ist lehrreich als Beispiel für die allmähliche Zersetzung der alten und die Bildung neuer Ordnungen in Reichsitalien während des 10. bis 13. Jhds. Die Entwicklung wird gerade wegen der Kleinheit der Verhältnisse und der geringfügigen äußeren Eingriffe in ihren Grundlinien hier besonders deutlich, nachdem sie neuerdings so eindringend und umfänglich behandelt worden ist, wie wohl noch für keine andere ländliche Gemeinde. Freilich bleiben für die Anfänge, wo die Quellen versagen oder, wie die ältesten Urkunden ( 929 ff.), doch nicht in jeder Beziehung befriedigend behandelt erscheinen, Zweifel. Leicht möglich, aber doch nicht mit voller und letzter Sicherheit bewiesen, ist es, daß die Einigung der Vicini von Cannobio, die ihre reichsunmittelbare Stellung in den Statuten von 1211 bekundeten und diese politische Freiheit bis 1342, ihre kommunalen Vorrechte auch weiter unter den Visconti und ihren Nachfolgern bis zur Mitte des 19. Jhds. behaupteten, wie G. von Branca will, auf eine alte langobardische Arimannie zurückgeht, die durch die Auflösung der karlingischen Grafschaft Stazzona unmittelbar unter die Reichsregierung gekommen ist. Die Beziehungen zum Kloster Breme, das


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seit dem 10. Jhd. den alten Königshof besaß, bedürfen aber wohl noch weiterer Klärung. Die Regesten der zahlreichen, bei dieser Gelegenheit neu aufgefundenen Urkunden seit dem 12. Jhd., die C. Manaresi ( 674) veröffentlicht hat, sind uns nicht zugänglich gewesen. Aber inzwischen ist auch die darstellende Arbeit von Gerhard Frhr. v. Branca, dessen langjährige Forschungen den Anstoß dazu gaben, im Druck erschienen (»Geschichte der reichsfreien Republik Cannobio am Lago Maggiore«, Berlin, E. Ebering. Historische Studien Heft 174), die mit ihren reichlichen Belegen für die meisten Zwecke wohl vollen Ersatz bietet.

Nicht zum Reich gehörte in Italien der venetianische Freistaat. Aber es bestehen so vielfältige und wichtige Beziehungen, daß die eindringenden und vieles neu beleuchtenden Untersuchungen von P. Kehr ( 707) über Rom und Venedig bis zum späteren 12. Jhd. hier wenigstens schon wegen der Beiträge zur Kritik des Andrea Dandolo und der neuen Behandlung des Streites zwischen Grado und Aquileja, mit Nachdruck genannt werden sollen, auch wenn sie, aus den Arbeiten an der Italia pontificia erwachsen, in erster Linie der Kirchen- und Papstgeschichte angehören.

Die umfangreiche Sammlung gelehrter Aufsätze, die dem bedeutenden englischen Forscher Reginald Lane Poole von Freunden und Schülern gewidmet sind ( 154), erstreckt sich zeitlich über das ausgehende Altertum und das MA. bis zum 15. Jhd. und berührt inhaltlich naturgemäß vorwiegend England. Ohne auf die Bemerkungen von Falconer Madan ( 239) über Anhaltspunkte zur Herkunfts-Bestimmung von Handschriften, die Ausführungen von Ch. H. Haskins über eine italienische Summa Bernardi aus der Mitte des 12. Jhds. und von Z. N. Brooke über den Magister David von London, der 1169 ff. für den Bischof Gilbert Foliot von London und den englischen König Heinrich II. beim Papste in ihren Konflikten mit Thomas Becket tätig war, und sein Register, auf die Ausgabe des Legationsberichts des Kardinalbischofs Nikolaus von Tusculum an Innocenz III. vom 21. Okt. 1213 durch Angelo Mercati ( 1609) oder auf die an andrer Stelle erwähnte Untersuchung von C. W. Previté-Orton über die Zitate im Defensor Pacis ( 1615) näher einzugehen, nennen wir hier die beiden Beiträge von H. Ch. Davis und von A. L. Poole. Davis (»Some documents of the anarchy«) handelt über die Urkunden und das Itinerar der englischen Mathilde, der Witwe Heinrichs V., in den Jahren 1139--1142 und teilt dabei ein neues, von ihm zu der Versammlung in Reading Anfang Mai 1141 gesetztes Stück mit. A. L. Poole ( 711) führt uns in den Ausgang des 12. Jhds., in die Zeit des Enkels dieser Mathilde und des Staufers Heinrichs VI. Wenn der Kaiser während seiner letzten Krankheit Richard Löwenherz eine Entschädigung in Geld oder Land anbot, so sieht A. L. Poole darin ein Zurückgreifen auf die 1193 vereinbarte, aber nicht durchgeführte Lehnsübertragung des Arelats, was jedenfalls eher denkbar ist, als Winkelmanns Beziehung auf französisches Gebiet. In der Hauptsache beschäftigt sich der Aufsatz mit der Person des Savaric von Bath, der hier und sonst als Unterhändler zwischen dem Kaiser und dem englischen König eine Rolle spielt, und mit seinen im einzelnen freilich wenig greifbaren Beziehungen zu Burgund, besonders seiner auch hier nicht näher aufgeklärten Verwandtschaft mit dem Kaiser. Daß diese Verwandtschaft von Savarics Seite durch seine vielleicht nicht aus England stammende Mutter vermittelt wurde, ist möglich, aber keineswegs mehr; daß sie für Heinrich VI. über seine burgundische Mutter


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ging, ist immerhin wahrscheinlich; daß aber die gemeinsamen Ahnen grade in der Familie Simons I. von Oberlothringen zu suchen seien, steht völlig in der Luft. Mit gleichem Recht, aber ebensowenig brauchbarem Erfolg ließen sich nicht gar so wenig andere Möglichkeiten ausmalen. Es ist sehr erfreulich, daß die Bedeutung der Genealogie für die Geschichte immer mehr und allgemeiner wieder gewürdigt wird. Aber nur soweit sie sich auf sichere Tatsachen stützen kann, vermag die genealogische Betrachtungsweise wirklich fruchtbare Erkenntnisse zu vermitteln. Bloße Vermutungen sind hier noch gefährlicher als sonst.

Mit der Entstehung der deutschen Kaiserkrone, d. h. des in Wien befindlichen Stückes, hat sich Georg Haupt (Oberrhein. Kunst 2, 79--82; 3, 105--106) beschäftigt. Natürlich gebührt für die technischen Fragen dem Kunsthistoriker und Kunstgewerbler das erste Urteil. Doch haben sich anscheinend entscheidende Anhaltspunkte für eine bestimmte deutsche oder außerdeutsche Werkstätte noch nicht ergeben. Der Bügel wird mit Recht Konrad II. zugewiesen. Der Kronreif ist wohl sicher nicht wesentlich älter und wohl ebenso sicher nicht, was Haupt mit Recht abweist, gleich der 1032 aus Burgund an den Kaiser gekommenen Krone. Zu erwägen ist auch die Beziehung der Hiskias-Darstellung des Kronreifs auf Heinrich II., so daß man dann bereits diesen als Auftraggeber ansehen müßte, während ich für die Annahme Haupts, der Kronreif sei ein Geschenk des Papstes an Heinrich, jede greifbare Begründung vermisse und den Ausführungen über die theokratische und für das Kaisertum demütigende Gedankenwelt der Darstellungen des Kronreifs und einen Gegensatz zwischen ihnen und der Inschrift des Bügels nicht zu folgen vermag.


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