Aus deutschen Geschichtschreibern und Briefen der Salierzeit u. a., besonders aus Wipo, der Vita Bardos von Mainz, Norberts Vita Bennonis und verschiedenen Quellen der Zeit des Investiturstreits, hat B. Schmeidler ( 1635) Belege für die weltbejahende, diesseitsfröhliche Lebensauffassung gegenüber der weltflüchtigen Askese gesammelt, die auch im 11. Jhd. (geschweige denn in den beiden vorhergehenden Jahrhunderten) keineswegs die Alleinherrschaft hatte und überhaupt, wie mir scheint, in Deutschland kaum je so scharf, jedenfalls nicht schärfer und einseitiger, wie in den romanischen Ländern sich ausprägte.

Der Vorbereitung einer neuen Ausgabe von Donizos Vita Mathildis dient die Untersuchung von L. Simeoni ( 679), die grundsätzlich freilich kaum neue Gesichtspunkte aufstellt, aber im einzelnen sachkundig manche richtige Bemerkung bringt, in SS. XII den Ausfall von 4 Versen hinter Vers 596 bemerkt und in dem Gesamturteil über den (nach Kehrs Vorgang mit dem Canossaner Abt von 1136 gleichgesetzten) Verfasser und sein Werk im allgemeinen die richtige Linie einhält. Das Werk ist danach nur eine Lobschrift auf die große Gräfin als die einzige wahre Bundesgenossin des Papstes; für ihre und ihres


S.743

Hauses Geschichte ist es bei kritischer Benutzung von hohem Wert, während die großen geschichtlichen Ereignisse, soweit sie nicht Canossa unmittelbar berührten, sich der Kenntnis oder dem Verständnis des Verfassers entzogen. Ausführlich behandelt Simeoni die Vorgänge in Canossa im Januar 1077; indessen wird seine Ansicht von einer dreitägigen Buße des Königs bereits als Folge einer durch Mathilde vermittelten vorläufigen Zusicherung des Papstes trotz scharfsinniger Begründung schließlich doch wohl nicht haltbar sein. -- Ebenfalls in den Atti e Mem. d. R. Dep. di storia patria per le prov. modenesi ser. VII, vol. IV (1927) S. 1--17 hat Angelo Mercati das prächtige Evangeliar behandelt, das Mathilde um 1100 an Polirone schenkte, und daraus u. a. den Liber vitae (mit vielen Teutonici und Loterengi) abgedruckt.

Die Mitarbeit an dem 8. Diplomata-Bande (s. u.) hat Heinz Zatschek (»Zu Petrus Diaconus«, Neues Archiv 47, S. 174--224) von der Besitzbestätigung Lothars von Supplinburg für Monte Cassino, an deren Abfassung der Cassineser Mönch Petrus neben dem leitenden Kanzleibeamten stark beteiligt war, und dem zwischen 1134 oder früher und Januar 1137 angelegten Register des Petrus auch zur Beschäftigung mit seiner Fortsetzung der Cassineser Chronik Leos, des späteren Kardinalbischofs von Ostia, geführt. Er möchte das Werk des Petrus im ganzen etwas günstiger beurteilen, als gewöhnlich geschehen ist, allerdings geradezu von einer Zuverlässigkeit desselben solange noch nicht sprechen, ehe nicht die Cassineser Privaturkunden im Zusammenhang untersucht sind. Schon jetzt haben sich ihm die Angaben über den klösterlichen Besitz in der Chronik des Petrus bei der Vergleichung mit den urkundlichen Vorlagen nicht wesentlich unzuverlässiger als die Leos erwiesen. Auf die früher (1926, S. 265) erwähnte Untersuchung von Smidt hat Zatschek dabei noch nicht eingehen können. Er hat nur nachträglich auf sie hingewiesen.

Wenig Brauchbares bringt die Untersuchung von Eugen Perfeckij ( 742) über die Opatovizer Annalen. Der Versuch, diese und andere kurze annalistische Aufzeichnungen aus Böhmen unabhängig vom Cosmas auf eine auch von diesem benutzte und allmählich weiter fortgesetzte »Böhmische Fürstenchronik« zurückzuführen, ist so, wie es hier gemacht wird, jedenfalls völlig mißlungen.

Die Erörterung über die Marbacher Annalen hat Robert Holtzmann ( 663) wiederaufgenommen. Mit Haller und anderen verwirft er Blochs in der Tat nicht genügend gestützte Annahme einer Hohenburger Chronik von 1209 bis 1212 als Zwischenstufe zwischen den mutmaßlichen »Straßburger Reichsannalen« und der uns vorliegenden Form des Werkes vom Ende der 30er Jahre des 13. Jhds., dessen Ausarbeitung auch er wohl mit Recht gegen Bloch nach Marbach, nicht nach Neuburg, setzt. Mit Recht betont er auch, daß die in dem 1. Teil benutzte gute gleichzeitige Quelle, eben die mutmaßlichen »Straßburger Reichsannalen«, in diesem nicht vollständig und nicht unverändert vorliegen dürfte, wenn auch der Hinweis auf die kurzen Annalen von St. Leonhard in Basel kaum durchschlagend und die eingehend erörterte Stelle über den Erbreichsplan Heinrichs VI. zu 1196 als späterer Einschub nicht erwiesen erscheint. Denn von einem grundsätzlich völlig freien, durch keinerlei Recht des Blutes beschränkten Wahlkönigtum, wie es in Deutschland 1077 aufgestellt und seit 1125 zu allgemeiner Anerkennung gelangt war, konnte doch in Frankreich weder 1196 noch irgendwann früher seit der Thronbesteigung der Kapetinger die Rede sein, trotz der jeweils in Form einer Wahl erfolgenden Anerkennung


S.744

des jeweiligen Königssohnes. Daß es sich bei der Wahl in Deutschland nicht mehr bloß um die wohl ziemlich allgemein in dieser Form erfolgende Anerkennung des an sich berechtigten Blutserben, sondern um eine rechtlich durch keinerlei erblichen Anspruch beschränkte Verfügung der Wähler über den Thron handelte, ist ja gerade der entscheidende Unterschied der deutschen (und später auch der polnischen) Verfassungsentwicklung.

Mit dem auch für uns sehr wichtigen dänischen Geschichtschreiber Saxo Grammaticus beschäftigt sich ein Buch besonderer Art, das der werktätigen und nachahmenswerten Begeisterung eines Verehrers seines großen Landsmannes seine Entstehung verdankt. Auf Veranlassung des Apothekers A. E. Sibbernsen hat Carl S. Petersen in einem vortrefflich ausgestatteten Bande, der auch dem Fachmann Freude und Nutzen bringen wird, Abbildungen der handschriftlichen Bruchstücke und wichtigsten Drucke bis zu Grundtvigs Übersetzung von 1818 vereinigt (Apoteker Sibbernsens Saxobog. Saxos Danmarkshistorie gennem Tiderne i Text og Billeder. C. A. Reitzels Forlag. København 1927. 174 Seiten) und dazu außer Einzelerklärungen und einer Zusammenstellung der neueren Saxo-Literatur eine Einleitung geliefert, in der er besonders die Beurteilung Saxos durch den Wechsel der Zeiten verfolgt und auf die Entstehung des Angers-Fragmentes und der Hauptausgaben eingeht. Besonders dankenswert ist die vollständige und, mit Ausnahme des Lassenschen Fragmentes, in Originalgröße ausgeführte Wiedergabe der Handschriften-Bruchstücke. Daß die Bruchstücke aus Angers schon um 1200 sollten geschrieben sein können, ist mir freilich noch immer schwer glaublich, und darum möchte ich auch ihre Deutung als Autograph oder Diktat Saxos noch weiter mit mehr als einem Fragezeichen versehen. Was H. Brix ( 681) etwa zu dieser Frage beigesteuert hat, vermag hier nicht gesagt zu werden, weil dieser Band der Aarbøger for Nordisk Oldkyndighed og Historie auf deutschen Bibliotheken noch nicht erreichbar war und die Kong. Nord. Oldskrift-Selskab in Kopenhagen, die diese Zeitschrift herausgibt, auf die Bitte um ein Besprechungsstück nicht geantwortet hat.

Wenn auch keine eigentliche Geschichtsquelle, ist die im Alten Testament steckengebliebene Reimchronik Rudolfs von Ems doch ein sehr reizvolles und lehrreiches Denkmal des deutschen Geisteslebens der ausgehenden Stauferzeit. Als ein »Lieblingsbilderbuch des Mittelalters« schildert sie Karl Löffler ( 264), indem er von 2 textlich nicht bedeutenden, aber überaus reich illustrierten Stuttgarter Handschriften des ausgehenden 14. Jhdts. besonders die eine von 1384 (Bibl. fol. 5), aus Westfalen stammend und früher in Waldeckischem Besitz, näher bespricht.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)