b) Urkunden, Briefe, Rechtsquellen.

Den ersten Platz unter den Quellenveröffentlichungen dürfen die Urkunden Lothars von Supplinburg beanspruchen, die Emil von Ottenthal und Hans Hirsch, unterstützt von einer Reihe jüngerer Gehilfen aus der Schule des Wiener Instituts, als reife Frucht außerordentlich umfassender und langwieriger Vorarbeiten vorlegen ( 669). Die Ausgabe unserer deutschen Königs- und Kaiserurkunden ist mit diesem Bande wieder einen guten Schritt vorwärts gekommen. Er zählt als der 8. Band in der Quartreihe der Diplomata der Monumenta Germaniae historica, der erste in deren 2. mit 1125 beginnender und die Staufer bis 1197 umfassender Abteilung, während Band 6 und 7 für die Urkunden Heinrichs IV. und Heinrichs V. freigelassen sind. Neben 4 italienischen Gerichtsurkunden der Kaiserin Richenza


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werden in 131 Nummern 139 Urkunden bzw. Briefe u. dgl. Lothars und ein Schreiben der Kaiserin, vereinzelt nur als kurzes Regest, gebracht. Davon sind 8 mittelalterliche Fälschungen, aber auch eine Anzahl weiterer mehr oder weniger verfälscht. Gut drei Fünftel aller Stücke gehören den letzten 4½ Jahren nach der Kaiserkrönung an. Ungedruckt war nur ein Mandat für Monte Cassino aus dem Register des Petrus Diaconus, das hier wie andere an derselben Stelle überlieferte Stücke günstiger als gewöhnlich beurteilt wird. Daß gerade bei den besonderen Verhältnissen dieser außerhalb der geschlossenen Reihe der Überlieferung stehenden Regierung die Durcharbeitung auch der bekannten Stücke wertvolle Ergebnisse gebracht hat, versteht sich von selbst. Nach Hirsch bedeutet die Kanzlei Lothars weniger einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Reichskanzlei als einen Einschub, da unter Konrad III. wieder an Heinrich V. angeknüpft wird. Nicht ganz einverstanden können wir uns grundsätzlich mit dem Verzicht auf vollständige Verzeichnung aller Drucke erklären, eben weil für diese Zeit kein modernes Regestenwerk vorliegt und in naher Zukunft wohl auch kaum zu erwarten ist. Auch die Neuerung des im übrigen durchaus verdienstlichen Registers, die Personen nicht unter ihrem Vornamen, d. h. damals ihrem eigentlichen, maßgebenden Namen, sondern unter dem öfter wechselnden und noch öfter fehlenden und dann im Register stillschweigend ergänzten Zunamen einzureihen, erscheint für die Fortsetzung der Kaiserurkunden des 12. Jhds. nicht nachahmenswert. Gar zu oft wird der Benutzer erst zweimal suchen, ehe er die gewünschte Stelle findet, abgesehen von andern Unzuträglichkeiten. Den dux Henricus in der wohl weiterer Prüfung zu unterziehenden Nr. 21 S. 31, 28, in dessen ducatus Abbenrode im Harzgau liegt, findet man z. B. im Register nur unter Baiuaria, weil Heinrich der Stolze nach der herrschenden Anschauung vor 1137 nicht Herzog von Sachsen gewesen ist. Auch wer, ob zu Recht oder zu Unrecht, bezweifelt, daß der Schreiber hier an einen Herzog von Sachsen gedacht habe, wird eine solche Anordnung nicht gerade sehr deutlich und bequem nennen können.

Um Entstehung und Bedeutung des Gesetzes Ottos III. gegen die Entfremdung von Kirchengut vom 20. Sept. 998 (MG. Const. I Nr. 23) bemüht sich A. Visconti ( 1292). Doch vermag seine Annahme, daß dieses Gesetz, weil nur auf einer Synode, nicht auf einer allgemeinen Reichsversammlung erlassen, keine Rechtskraft erlangt habe, in keiner Weise zu überzeugen; auch die Vermutung, am Schluß sei von einer Absetzung Arnulfs von Reims, wie er statt Mailand lesen will, die Rede, ist ganz abwegig und wäre, wenn die Textgestaltung Weilands beachtet wäre, wohl kaum aufgestellt worden.

In der Urkunde Ottos III. für Metz über Saarbrücken von 999 (DO. III. 316), auf die auch die Erwähnung einer angeblichen Urkunde Ottos I. von 951 geht, hält H. Wilkens ( 666) die Stelle über Völklingen, Quierschied und Warandt für interpoliert, aber ohne wirklich durchgreifende Begründung. -- Einen Ortsnamen in der Urkunde Ottos III. für seine Schwester Sofie (von Gandersheim, DO. III. 67) berichtigt E. Schröder (»Zu den Urkunden K. Ottos III.« Neues Archiv 47, S. 244).

Weiter ist von kleineren Beiträgen zu den deutschen Königsurkunden die Veröffentlichung einzelner neuer Stücke zu nennen. B. Schmeidler ( 668) hat eine Urkunde Heinrichs IV. für Jakobsberg bei Mainz vom 6. Okt. 1069, W. Kraft ( 672) eine Konrads IV. für den Reichsmarschall Heinrich von Pappenheim


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vom 23. Aug. 1248 aus Augsburg, wichtig für das Itinerar, veröffentlicht. Eine Ergänzung des Itinerars bringt auch die kurze Urkunde des Königs Wilhelm von Holland für seine Mutter vom 31. Dezember 1249 (»Datum apud Sande«), die W. G. Feith und S. W. A. Drossaers ( 673) aus dem Kartular der Beginen von Gravenzande veröffentlicht haben. Sie hat im übrigen, wie die andern von ihnen gedruckten Stücke, nur örtliche Bedeutung (Übertragung des Landes der verstorbenen Aleidis, Frau des Egidius von Rijswijck).

In die Zeit Friedrich Barbarossas gehören 7 Briefe, die A. Brackmann ( 670) aus einer Prager Handschrift als echte, wenn auch in ihrem Wortlaut wohl nicht ganz unveränderte Stücke mitteilt und erläutert (einige Verbesserungen zum Text in der Hist. Zeitschr. 138 S. 414; in Nr. 1 ist Z. 4 das ergänzte imperiali wohl zu streichen, der Raum scheint dafür nicht zu reichen). 5 Stücke, darunter 2 Schreiben des Kaisers, betreffen den Streit eines Grafen B. von Schaumburg mit einem Grafen B. von Laufen; 2 andere, ein Schreiben des Papstes Kalixt III. an den Kaiser und die Antwort darauf, in denen der Papst zur Herstellung der Einheit in der Kirche mahnt und der Kaiser sein Kommen mit Heeresmacht zu diesem Zwecke für das kommende Jahr verheißt, weist der Herausgeber zu 1169; doch könnten sie wohl, wenn sie nicht doch Stilübungen sind, auch geradezu zu 1173 anzusetzen sein.

Auch W. Möllenbergs ( 288) eingehende Behandlung der wichtigen Handschrift des ausgehenden 12. Jahrhunderts mit Magdeburger Urkunden, die aus dem Klosterarchiv Unser Lieben Frauen in Magdeburg stammt, ist nicht nur von landesgeschichtlicher Bedeutung. Er sieht in ihr kein Formelbuch, sondern den diplomatischen Nachlaß dreier Magdeburger Notare aus der Zeit Wichmanns, die gleichzeitig Prämonstratenser in U. L. Fr. waren; insbesondere möchte er den Schreiber A mit dem späteren Bischof Alexius von Brandenburg (1190--1192) gleichsetzen -- eine anregende Vermutung, die aber vielleicht, wie auch anderes, noch nicht das letzte Wort bedeutet.

Über eine Brief-Handschrift des späteren 13. Jhds. in der Bibliothek Landau-Finaly in Florenz macht R. Davidsohn ( 671) bemerkenswerte Mitteilungen. Er verzeichnet daraus 39 Schreiben aus der Zeit Friedrichs II. und seiner Nachfolger bis 1265, die vom Kaiser selbst, von den Päpsten von Honorius III. bis Alexander IV., von italienischen Kommunen, wie Mailand, Bologna, Brescia, u. a. herrühren, die zum Teil allgemeine Reichsangelegenheiten (die Gefangennahme der Prälaten 1241, den Tod des Kaisers usw.), meist aber Verhältnisse Italiens und des christlichen Orients betreffen. Leider gibt er keine vollständige Übersicht über den Inhalt der Handschrift, da er die aus S. F. Hahns Collectio Monumentorum, der eine sehr ähnliche Vorlage benutzt haben muß, in die Regestenwerke übergegangenen Stücke übergeht, soweit nicht Verbesserungen anzubringen sind, und die von ihm als erdichtet betrachteten Stücke bis auf einige fortläßt. So wird noch eine weitere Prüfung der Handschrift, gerade auch im Hinblick auf solche Stilübungen, nützlich sein. Ein Mailänder Schreiben, das Davidsohn als jüngstes Stück der Sammlung in den Oktober 1265 weist, rühmt die della Torre als treue Anhänger der Kirche und Karls von Anjou; doch scheint mir das kein Grund gegen die mögliche Echtheit des Schreibens Konradins, mit dem dieser zwei Jahre später dieselben della Torre zum Anschluß an seine Sache auffordert (Reg imp. V 4838). Aus derselben Handschrift ergänzt Davidsohn zu dem daraus im Neuen Archiv XI


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466 ff. mitgeteilten langen Gedicht über die Zerstörung Mailands 1162 die Widmungsverse an den Bischof (Arnulf) von Lisieux, die in dem Verfasser einen von diesem aufgenommenen Mailänder Flüchtling zeigen. Ein anderes Stück, eine Novelle in elegischen Versen, läßt auf häufigeren Seeverkehr von Pisa nach der Nordsee (»per altum equor ad arthoas plagas«) schon um die oder kurz nach der Mitte des 13. Jhd., nicht erst seit Anfang des 14. Jhd., schließen. Eine andere Handschrift derselben Privatsammlung aus der 2. Hälfte des 15. Jhd. enthält ein Urkundenbuch der Grafen Fieschi von Lavagna, darunter die aus einem Druck bekannten Kaiserurkunden von 1161 an und den vollen Wortlaut der nur auszugsweise gedruckten Einigung zwischen Genua und den Lavagna vom 23. Nov. 1166.

Zur Geschichte der Markgrafen von Tuscien hat A. Falce ( 138) wieder mancherlei urkundliches Material mit gelehrten Erläuterungen veröffentlicht. Die Stücke betreffen, soweit sie echt sind, außer einem Aretiner Placitum des Markgrafen Rainer von 1016, das Haus Canossa, besonders Bonifacius II. und seine beiden Frauen Richilde und Beatrix. Das älteste Stück ist eine Schenkung des Ahnherrn Adalbert Atto an S. Apollonius in Canossa, deren vermutlich verderbtes Datum (11. Jahr Kaiser Ottos, 4. Indiction) aber sicher nicht 961 (eher 976? 978?) sein kann. Inzwischen sind diese Artikel auch bis ins 12. Jhd. fortgesetzt und gesammelt in Buchform erschienen (A. Falce, Documenti inediti dei duchi e marchesi di Tuscia. Secoli VII--XII. Florenz, Leo S. Olschki, 187 S.; Erscheinungsjahr auf dem Umschlag 1929, auf dem Innentitel 1927). Ob die zahlreichen modernen Fälschungen wirklich alle den Abdruck und eine ausführliche Besprechung verdienten, mag man bezweifeln. Für die berüchtigte »Camerotto«-Handschrift in Volterra wäre am ersten vielleicht von einer vollständigen Übersicht und zusammenhängenden Prüfung des gesamten Inhalts noch etwas Nutzen zu erwarten. Jedesfalls sollte bei so handgreiflichen Erfindungen wie Nr. XIV (Kreierung von Rittern durch den Kaiser 1046!), wenn man schon Papier und Zeit auf sie verwenden will, nicht auch nur zweifelnd ein echter Kern für möglich gehalten werden.

Außerordentlich wichtig auch für die allgemeine und politische Geschichte nicht nur der schweizerischen Teile des alten Reiches wegen der reichen Literaturangaben und der Übersicht über die Geschichte der einzelnen Archive ist die Fortsetzung der Germania pontificia von A. Brackmann ( 122 a und 1600). Dieser 2. Teil des 2. Bandes verzeichnet die Papsturkunden bis 1198 aus dem Schweizer Teil des Konstanzer Sprengels und aus dem Bistum Chur und weiter, obwohl nicht zu der Mainzer Kirchenprovinz gehörig, aus den Sprengeln von Sitten, Genf, Lausanne und Basel, so daß hier sehr bequem das ganze Gebiet der heutigen Schweiz vereinigt ist mit Einschluß des im Mittelalter kirchlich Basel unterstehenden Sundgau (Ober-Elsaß), aber ohne das Tessin mit dem im 6. Bande der Italia pontificia von Kehr behandelten Lugano. Für das weltliche Gebiet der Bischöfe von Basel gibt die sehr ausführliche »Bibliographie du Jura bernois« von Gustav Amweg (Porrentruy 1928, im Selbstverlag) u. a. einzelne ergänzende Hinweise auf Privatbibliotheken.

Sehr scharfsinnige Beobachtungen über die Nachtragung der Datierung einschließlich der Ortsangabe hat Eduard Sthamer ( 271) zunächst in den Originalen Karls I. von Anjou und in seinen Registern gemacht; er hat denselben Tatbestand dann auch anderwärts, ja ganz allgemein ohne Beschränkung


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auf einzelne örtliche und zeitliche Gruppen und besonders auch in den deutschen Königsurkunden und in den Papsturkunden nachzuweisen versucht. Sicherlich wird die weitere Verfolgung solcher an sich ja nicht durchaus unbeachteter, aber noch nie in diesem Umfang im Zusammenhang behandelter Erscheinungen in mehr als einer Beziehung fruchtbar und nötig sein, wenn auch vorläufig feste neue Ergebnisse über die Kanzlei des ersten Anjou hinaus kaum gewonnen sind und im Rahmen dieser knappen, mehr hinweisenden und anregenden Erörterung auch kaum beabsichtigt waren. Insbesondere erscheint die Benutzbarkeit urkundlicher Itinerare bei der nötigen Vorsicht im großen ganzen auch jetzt erheblich noch nicht beeinträchtigt, zumal die Beziehung einer nachgetragenen Ortsangabe auf den Ort des Ausstellungsbefehls nicht gerade befriedigt. Denn dieser mußte oder konnte jedesfalls dem Schreiber von vornherein bekannt sein. Wenn sich darum sowohl Orts- wie Tagesangabe nachgetragen finden, und wenn das auch, wie Sthamer meint, in verschiedenen Absätzen geschehen ist, so kann man aus diesem Grunde schwerlich den Ort auf den Ausstellungsbefehl, den Tag auf die Besiegelung beziehen und deswegen grundsätzlich bezweifeln, ob der Ort noch der Aufenthaltsort an dem genannten Tage war. Daß jede Datierung bis zum Beweis des Gegenteils grundsätzlich zunächst als nicht einheitlich aufzufassen sei, soweit wird man vorläufig wohl nicht gehen dürfen.


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