II. Darstellungen.

Nicht leicht wird man für einen anderen Abschnitt der deutschen politischen Geschichte so oft darauf angewiesen sein, Landesgeschichten aufzuschlagen wie für das MA. seit dem Interregnum. Daher ist sehr willkommen das Buch von Max Vancsa ( 177), eine Geschichte Nieder- und Oberösterreichs, die den ganzen hier zu besprechenden Zeitraum umspannt, ja noch ein wenig darüber hinausreicht. Mit Recht widersteht der Verfasser der Versuchung, etwa für die Zeit Albrechts I. und II., Friedrichs und Maximilians Reichsgeschichte zu schreiben; er beschränkt sich vielmehr darauf, auch in diesen Zeitabschnitten die Geschichte der im Titel genannten Lande zu behandeln, unter denen Niederösterreich naturgemäß an Bedeutung meist weit voransteht. In dieser Art gibt er die erste Zusammenfassung des Stoffes, ausgehend von einer dankenswerten Übersicht über die Quellen. Die Geschichte der materiellen und geistigen Kultur ist in die Gesamtdarstellung verwoben, was ja entschieden einer Behandlung in Sonderkapiteln vorzuziehen ist. Doch nimmt sie im allgemeinen keinen sehr großen Raum ein, weshalb auch Bedenken nicht viel besagen, die man etwa gegen die Annahme »des« Übergangs von der Natural- zur Geldwirtschaft in den ersten Jahrzehnten des 13. Jhd. oder gegen die Überschätzung des Humanismus oder die Bezeichnung Maximilians als des ersten modernen deutschen Herrschers (Herbst des MA. klingt ein wenig nach literarischer Mode, hat aber guten Sinn) äußern könnte. Durchaus wohlgelungen ist die Veranschaulichung der Wechselbeziehungen zwischen äußerer und innerer Politik, deutlicher gesagt: der durch äußere Politik bald geförderten, bald gehemmten Entwicklung der Stände, und mit Recht wird betont, daß damals die bis ins 18. Jhd. hinein bewahrten Grundlagen für viele politische und soziale Verhältnisse gelegt wurden.

Die Reihe der Einzelarbeiten eröffnet Sthamers ( 745) Studie zur Vorgeschichte der Sizilianischen Vesper. Seine Absicht ist, zwischen der völligen Verurteilung der angiovinischen Verwaltung durch Amari und dem allzu günstigen Urteil Saint-Priests den Weg zu einer unbefangenen historischen Würdigung zu finden. Als Grundlage verwendet er Protokolle von Zeugenverhören, die sich in den trümmerhaften und stark beschädigten Resten des einstmaligen Archivs der magistri rationales finden. Es handelt sich um Untersuchungen der Übergriffe von Beamten; das eine Protokoll von etwa 1274/77 betrifft Eboli, das andere von Anfang 1278 Neapel. Weit verbreitete Übelstände treten darin zutage, aber doch auch, wie Sthamer mit Recht hervorhebt, der Wille der Regierung, sie zu bekämpfen. Auch muß man beachten, daß, so wie es Ägypten für die Antike ist, Sizilien und England für die ma. Staatsverwaltung die klassischen Länder sind, einfach wegen ihres Quellenreichtums. Nun sind in England die Übergriffe der Beamten denen in Sizilien in hohem Maße ähnlich, (siehe das Buch von W. A. Morris über den Sheriff), so daß die Frage offen bleibt, ob nicht ein Teil der geschilderten Mißstände von der ma. Staatsverwaltung im allgemeinen fast unzertrennlich war. Zu beachten ist auch, daß die am schwersten belasteten Beamten nicht etwa Franzosen, sondern durchweg Süditaliener sind. -- Den bisher von manchen Historikern bezweifelten Plan Papst Nikolaus III., das Kaisertum vom deutschen Reiche zu lösen und aus den nichtdeutschen Teilen des Imperium selbständige Staaten zu machen, stellt Walther Neumann ( 746), Bussons und Rodenbergs Darlegungen erweiternd und verstärkend, in den Zusammenhang der päpstlichen Politik im 13. Jhd.


S.208

An den Ausgang des 13. Jhd. führt Karl Meyers Buch ( 743) über die Urschweizer Befreiungstradition. Die große Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft für die allgemeine deutsche Geschichte rechtfertigt seine Erwähnung an dieser Stelle. Gleich früheren, ziemlich allgemein abgelehnten Arbeiten des Verfassers enthält es des Anfechtbaren genug, aber ohne Frage auch beachtenswerte und selbständige neue Gedanken. Es bekämpft die seit Joseph Eutych Kopp herrschende Lehre, daß Befreiungssage und Tellsage ursprünglich ein Sonderdasein geführt hätten und erst nachträglich verbunden worden seien. Jener älteren Auffassung sei, so meint er, schon 1856, als man das Weiße Buch von Sarnen fand, der Boden entzogen gewesen, denn dieser Fund widerlegte die Meinung, bei Melchior Ruß liege noch die alte Tradition, bei Etterlin erstmalig ihre jüngere Ausgestaltung vor. Unzulässig sei es gewesen, daß man sich mit der Annahme heraushalf, dann habe eben Ruß, der später schreibt als das Weiße Buch, ältere Quellen gehabt als dieses. Freilich vermag Meyer selbst seine These, daß die -- als Kopie erhaltene -- Erzählung des Weißen Buches bis ins 14. Jhd. zurückgehe, auch nicht besser zu erweisen. Auch die von neuem vorgebrachte und wieder mit Faksimile gestützte Behauptung, daß durch Lesefehler aus Tilndorf -- Sewdorf und aus Tillen Gesler gemacht sein könne, wird schwerlich überzeugen. Dagegen wird man ihm vielleicht zugeben, daß der Versuch, die Tellsage mythologisch zu deuten, zu seltsamen Entgleisungen geführt hat, daß Kopps bündige Behauptung, zu der Zeit, von der die Bundeschronik rede, seien Vögte undenkbar, dem heutigen Stande der Verfassungsgeschichte nicht entspricht, daß die verschiedenen Zeitansätze für die Befreiung nicht die Ungeschichtlichkeit des ganzen Bundes beweisen, und daß nicht alles so lange mündlich weiterverbreitet sein muß, bis die erste uns erhaltene Niederschrift begegnet. -- Zweifellos wird noch manche Erörterung an dieses temperamentvolle Buch sich anschließen. Nach Meyers Überzeugung ist die Befreiung der Schweizer in die Regierungszeit Kaiser Albrechts zu setzen. Mit der Zeit seines Nachfolgers Heinrichs VII. beschäftigen sich zwei Arbeiten. Friedr. Schneider ( 748) bespricht die Frage, ob Dantes Urteil über die von Papst Clemens V. an Heinrich VII. verübte Täuschung zu recht bestehe, nachdem Francesco Torraca 1921 erklärt hat, er glaube nicht, daß eine solche Täuschung überhaupt stattfand. Dantes Urteil beruht zweifellos auf guter Kenntnis der Dinge; es trägt zwar der politischen Zwangslage des Papstes nicht Rechnung, aber aus keinem anderen Grunde, als weil an den Papst vermöge seines hohen Amtes der höchste Maßstab angelegt werden muß.

Heuberger ( 763) bespricht ein in deutscher Sprache zwischen 1316 und 1320 abgefaßtes Schreiben, das inhaltlich interessant ist, weil es einen sonst nicht bekannten Heiratsplan zum Gegenstande hat: Herzog Heinrich von Kärnten will seine Nichte Elisabeth dem Grafen Berthold VII. (X.) von Henneberg geben; wirklich geheiratet hat sie 1323 den Peter von Aragon. Bemerkenswert ist es auch darum, weil es wohl die älteste Aufzeichnung über Verhandlungen eines Landesherrn mit seinen ständischen Beratern darstellt.

Eng mit der Zeit und dem Schicksal dieses luxemburgischen Kaisers verknüpft ist das des Mainzer Erzbischofs Peter Aspelt, dem Pfitzner ( 774) eine kleine Studie widmet. Peter schafft schon 1296, wo er böhmischer Kanzler wird, Beziehungen zwischen Rheinland und Sudetenraum. Aber sie sind zunächst


S.209

persönlicher und zufälliger Art. Unter Heinrich VII. dagegen erscheint »die eminent deutsche politische Aufgabe: ein politisches Ganze zu bilden, bei dem auch die Außenglieder des Reiches, rheinisches Grenzland und Sudetenraum, dem lebendigen Blutkreislaufe des Reiches... angeschlossen worden wären,« vorübergehend lösbar.

An Erbens bekannte Forschungen anknüpfend, untersucht Bruno Wilhelm ( 749) die Verhandlungen zwischen Ludwig dem Baiern und Friedrich dem Schönen, soweit sie sich in der deutschen Erzählung »Der Streit von Mühldorf« spiegeln. Nur die längere (nach Erben frühere) Fassung spricht davon, die kürzere ließ dann wohl absichtlich die ganze Episode weg, weil sie sich für den eigentlichen Zweck dieses offiziellen Hofberichts, ungünstige Gerüchte über Friedrichs Verhalten zu entkräften, nicht verwerten ließ. Im Zusammenhang damit wird der Zeitpunkt des Augsburger Reichstages (nicht lange vor dem Ulmer Tage im Januar 1326) und zweier Kurfürstenzusammenkünfte (andere nahmen bloß eine an) erörtert.

In den Anfang der dreißiger Jahre des 14. Jhd. führt die folgende Untersuchung. Hans Hirsch ( 733) weist überzeugend nach, daß St. 4012, angeblich eine Urkunde Friedrich Barbarossas für das Bistum Cremona vom 3. April 1164, im Codex Sicardi von einer Hand des 14. Jhd. nachgetragen, eine Fälschung des 14. Jhd. ist, bestimmt, das zwischen Mantua, Stadt Cremona und Bistum Cremona streitige Piadena für dieses Bistum in Anspruch zu nehmen. Durch König Johann von Böhmen, auf den die Fälschung berechnet war, kam der Ort unter Vorbehalt des Besatzungsrechtes für Turm und Burg auch wirklich an das Bistum Cremona, dem er aber schon 1334 wieder entrissen war.

Ein wichtiges Stück aus der Geschichte der gleichzeitigen internationalen Politik behandelt Weiß ( 777) in einem Buche über Frankreichs Politik in den Rheinlanden am Vorabend des hundertjährigen Krieges. Mit gutem Blick für das Wesentliche zeigt er, wie Philipp VI. von Frankreich sich 1333/34 in den zwischen den niederländischen Territorien ausgefochtenen Streitigkeiten, in deren Mittelpunkt damals Brabant steht, eine beherrschende Stellung sichert. Wie er, vorwärts getrieben durch Johann von Böhmen, das Gleiche am Oberrhein anstrebt, indem er im Streit um das Mainzer Erzbistum für Balduin eintritt, später dann für eine Versetzung Heinrichs von Virneburg nach Lüttich und des dortigen Bischofs Adolf von der Mark nach Mainz. Dies mißlingt ebenso wie der damit zusammenhängende und für die deutsche Geschichte noch wichtigere Plan, den Rücktritt Ludwigs des Baiern herbeizuführen. Benedikt XII., der weder bei der Besetzung des Basler Bischofsstuhls noch in der Mainzer Angelegenheit den französischen Wünschen gehorcht, verhindert dann zwar durch seine übertriebenen Forderungen die Aussöhnung mit Ludwig, aber zeigt dem päpstlichen Kandidaten Heinrich von Virneburg so wenig Entgegenkommen, daß er diesen unfreiwillig zum Anschluß an den Kaiser treibt. (Hier setzt dann die schon im vorigen Jahresbericht S. 289 besprochene Arbeit von Uhl ein.) Um die Niederlage der französischen Politik auch am Niederrhein voll zu machen, schart England die meisten dortigen Mächte um sich, gewinnt vor allem Johann von Brabant und durch ihn die Möglichkeit, seine Truppen in Antwerpen zu landen. So gerüstet kann es den Krieg eröffnen, in dem es allerdings von seinem deutschen Bundesgenossen nicht allzuviel gehabt hat. -- Die wohlgelungene Arbeit verwertet vor allem auch das in Nova Alamanniae Bd. I


S.210

gebotene Material. -- Zur Geschichte Karls IV. liegen außer einer Entgegnung Hanischs gegen Novak ( 751) (vgl. Jahresber. 2. S. 290) vor allem Arbeiten vor, die die Lebensgeschichte seines Kanzlers Johann von Neumarkt betreffen. Hansel ( 752) hatte in einer früher geschriebenen, aber erst jetzt gedruckten Arbeit, die ich leider nicht erhalten konnte, im wesentlichen die Ansichten von Lulvès bestätigt. Hierauf erwidert Klapper ( 752), der nachweisen zu können glaubt, daß Johann nicht aus Schlesien, sondern aus Hohenmauth in Böhmen stamme und etwa 1340--1347 in der Kanzlei des Herzogs Bolko II. von Münsterberg tätig gewesen sei; wie mir scheint, bleibt doch auch gegen diese Lösung noch das eine und andere Bedenken. Stofflich steht diesen Dingen nahe die Arbeit von Schieche ( 734), die eine zuletzt von Burdach herangezogene Schweidnitzer Formularsammlung eingehend prüft und daraus einige Stücke zur Geschichte Karls IV. und Wenzels abdruckt.

Die Geschichte des früheren 15. Jhds. berührt O. Cartellieris Aufsatz ( 736) über Pero Tafur, der auch neben der im vorigen Bande der Jahresberichte S. 287 erwähnten Übersetzung des Berichtes von Pero Tafur von Wert ist, weil er sich nicht auf die nördlich der Alpen gelegenen Länder beschränkt, sondern auch über die Nachrichten, die die Mittelmeerländer betreffen, referiert.

Den Burgunderkriegen sind gewidmet der durch großzügige Auffassung ausgezeichnete Aufsatz Stenzels ( 756) über das Reich Karls des Kühnen und die Lande am Oberrhein und Ammanns sorgfältige Arbeit ( 769) über den Aargau in den Burgunderkriegen, die wegen der sehr spärlich fließenden Quellen sich nur eng begrenzte Ziele stecken durfte. Beachtet werden sollte auch die ihr beigegebene Karte, den Machtbereich Burgunds und seiner Gegner 1474--1477 darstellend, nebst den Erläuterungen dazu, die zeigen, daß vor kurzem anderswo mitgeteilte Karten des gleichen Gegenstandes nicht ganz genau sind. Die etwas leicht geschürzte Dissertation von Otto Cramer ( 757) über die innere Politik Ludwigs XI. von Frankreich steht weit zurück hinter dem ausgezeichnet geschriebenen und gründlicheren Buch von Pierre Champion über Ludwig XI. von Frankreich, das 1927 bei Honoré Champion in Paris in 2 Bänden erschienen ist. Es ist freilich mehr Biographie als Geschichte. Hier kann nicht näher darauf eingegangen werden.

Zur deutschen Geschichte im letzten Menschenalter vor der Reformation liegen mehrere Schriften vor. E. Kuphal ( 92) widmet Ludwig von Eyb dem Jüngeren eine kleine Arbeit, zu der er allerlei Ungedrucktes benutzt hat, und in der er u. a. Ulmanns Gründe für die Annahme, dieser Ludwig habe die bekannte Lebensgeschichte des Wilwolt von Schaumberg geschrieben, verstärkt.

Ernst Bocks ( 759) vortreffliche Behandlung des Schwäbischen Bundes, etwas vom Besten, was wir hier anzuzeigen haben, stellt seine Verfassungen hinein in den Gang der großen Politik, zeigt wie die Fürsten finanziell und politisch das Übergewicht im Bunde gewinnen, wie dieser ein wichtiger Faktor in der Politik Maximilians ist, eine schwere Krise um 1508 noch glücklich überwindet, aber nach den Ereignissen, die mit der Wiedereinsetzung des Herzogs Ulrich in Württemberg zusammenhängen, nicht länger bestehen kann. Auf die Ausführungen über das Bundesgericht sei besonders hingewiesen.

Mit der Erzählung von Maximilians Erlebnis an der Martinswand beschäftigt sich Badstübner ( 761). Er kommt zu dem Ergebnis, daß sie sicher


S.211

einen historischen Kern hat, und daß Maximilian das Kreuz wohl zwischen 1504 und 1507 errichten ließ.

Der gelehrte Liller Archivar Max Bruchet ( 758) widmet Maximilians Tochter Margarete ein stattliches Werk. Absichtlich zeichnet er nicht von neuem ihre Rolle in der großen Politik, sondern ihre persönlichen Schicksale. Besonderen Raum nehmen ein die Kämpfe um die ihr als Witwengut zugewiesenen Landstriche im Burgundischen und die Fürsorge, die sie diesen angedeihen läßt, zumal ihre Bauten in Brou en Bresse, die in der Kunstgeschichte mit Recht berühmt sind und neben französischen auch deutsche Meister (Konrad Meyt) beschäftigten. Der Abdruck von 100 Schreiben aus der überreichen Korrespondenz der Fürstin und eine auf Brou, eine zweite auf Margarete selbst bezügliche Bibliographie leisten der Forschung wertvolle Dienste.

Die innere Geschichte Deutschlands in den Jahren 1493--1517 ist erheblich bereichert durch Rosenkranz' ( 760) schönes, auch einen stattlichen Band Quellen umfassendes Werk über den Bundschuh. Der äußere Hergang der Bundschuhbewegungen von 1493, 1502, 1513 und 1517 ist darin geschickt und im wesentlichen abschließend erzählt. Wenn auch gegenüber dieser schönen Leistung Bedenken und Wünsche offen bleiben, so gelten sie vor allem der schärferen Differenzierung der verschiedenen Bewegungen und der geistesgeschichtlichen Erfassung ihres Ideengehalts; daß hauptsächlich Wiklif hinter ihren Forderungen stehe, erscheint mir nicht ganz überzeugend. Endlich wäre nicht schwer zu zeigen, daß die Mißbräuche, über die in jenen Landschaften geklagt wurde, anderwärts kaum in geringerem Maße bestanden.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)