§ 20. Deutsche Geschichte von 1648--1740.

(M. Braubach.)

Zusammenfassende Darstellungen der Geschichte von 1648--1740 sind im Berichtsjahre nicht erschienen. Dagegen liegt eine beträchtliche Anzahl von Veröffentlichungen und Arbeiten über einzelne Zeitabschnitte, Ereignisse und Persönlichkeiten vor, deren wissenschaftlicher Ertrag nicht gering ist.

Eine der unglücklichsten Folgen des Dreißigjährigen Krieges für Deutschland, der Einfluß nämlich, der durch den Westfälischen Frieden zwei außerdeutschen


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Mächten auf deutsches Land und auf deutsche Politik eingeräumt wurde, tritt uns in zwei Aufsätzen deutlich entgegen. W. Klinsmann schildert, übrigens ohne jede Angabe von Quellen und Literatur, die Einrichtung der schwedischen Herrschaft im Erzbistum Bremen und im Bistum Verden ( 835). In der Auseinandersetzung mit der Krone Schweden, die in den Fundamentalrezessen von 1651 und 1652 ihren Abschluß fand, vermochten die Landstände wohl ihre sozialen Vorrechte, nicht aber ihre politische Macht zu wahren. Für die allgemeine deutsche Geschichte jener Jahre sind die Versuche der Schweden, die Reichsunmittelbarkeit der Stadt Bremen zu vernichten, die ebenso wie das Vorgehen gegen das Bremer Domkapitel den Kaiser, den Reichstag und die Fürsten des niedersächsischen Kreises in Bewegung setzten, von Bedeutung. Leider bricht die Darstellung unvermittelt vor Beginn des sogenannten Bremischen Krieges ab. Einen Ausschnitt aus der weit gefährlicheren Einmischung der zweiten fremden Macht, Frankreichs, in die deutschen Angelegenheiten nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges gibt K. Rheindorf ( 836). Er behandelt den Versuch Mazarins, die deutschen Fürsten und den von ihnen beschickten Reichsdeputationstag in Frankfurt im Jahre 1656 zu energischem Einspruch gegen den Kaiser zu bewegen, der entgegen den Bestimmungen des Friedensvertrags Truppen zur Unterstützung der in den Niederlanden und in Italien kämpfenden Spanier entsandt hatte. Der Erfolg blieb in diesem Falle allerdings dem Vertrauensmann des Kardinals, Gravel, versagt.

Man weiß, wie sehr die französische Politik unter Mazarin sowohl als später unter Ludwigs XIV. persönlicher Leitung bemüht war, vor allem den Wittelsbacher in Bayern sich zum Bundesgenossen zu machen. Zur Zeit des schwachen Ferdinand Maria fand sie für dieses Ziel den besten Helfer am Münchener Hofe in des Kurfürsten Gemahlin Adelheid von Savoyen. M. Strich hat in der Biblioteca del Rè zu Turin und in der Biblioteca Vaticana Briefe dieser Fürstin gefunden, die sie -- weniger allerdings in politischer als in allgemein menschlicher und in literarischer Beziehung -- in einem neuen Lichte erscheinen lassen ( 840). Wir lernen Adelheid -- vor allem aus der Korrespondenz mit dem italienischen Dichter Bernardino Bianchi -- als weiche, um den fernen Freund besorgte Frau und zugleich als eine an den geistigen Strömungen der Zeit lebhaften Anteil nehmende Freundin der Musen kennen. Strich schickt dem Abdruck der wichtigsten Briefe einen Essai über die Kurfürstin voraus, in dem nebenbei auch über einige bisher unbekannte politische Vorgänge berichtet wird. So erfahren wir, daß die der »welschen Dame« feindliche Partei in München im Jahre 1657 den schließlich ergebnislosen Versuch machte, den Herzog Maximilian Philipp, Ferdinand Marias jüngeren Bruder, mit der Prinzessin Maria Elisabeth von Wolfenbüttel zu verheiraten, um durch sie Adelheids Einfluß zu bekämpfen.

Dem allmählich anwachsenden Unwillen über die französischen Übergriffe verdankte nach dem holländischen Krieg das sogenannte Laxenburger Bündnis vom 10. Juni 1682 seine Entstehung. Ohne wichtigere neue Tatsachen zu bringen, schildert A. Leiß die maßgebende Mitwirkung des Fürsten Georg Friedrich von Waldeck, den er übrigens mit Unrecht »überall siegreich« nennt (Niederlage bei Protzko 1656), an diesem Vertrag des Kaisers mit den Ständen des fränkischen und oberrheinischen Kreises ( 839). Er berichtet zugleich von einem publizistischen Nachspiel des Bündnisses, einer auf brandenburgische Angriffe


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erwidernden Flugschrift »Apologie des sogenannten Waldeckischen Rezesses«, als deren Verfasser wohl Waldeck selbst trotz seiner Ableugnung angenommen werden kann. -- Die Laxenburger Allianz hatte keine Folgen, der Kaiser sah sich in den folgenden Jahren genötigt, seine Kräfte gegen die Türken zu wenden. Noch war der Türkenkrieg nicht zu Ende, als Ludwig XIV. in das Reich einbrach, um sich seine Eroberungen der vergangenen Zeit zu sichern. Die hauptsächlich durch brandenburgische Truppen durchgeführte Zurückwerfung der Franzosen vom Niederrhein im Jahre 1689 behandelt M. Braubach hauptsächlich auf Grund der Relationen des mit dem Kommando in der Stadt Köln betrauten kaiserlichen Generals v. Beck ( 843).

Die Seele des Widerstandes gegen die Eroberungs- und Hegemonietendenzen des Sonnenkönigs in Europa war in jenen letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts Wilhelm III. von Oranien. Man wird es lebhaft begrüßen, daß N. Japikse damit begonnen hat, die umfangreiche Korrespondenz Wilhelms und seines langjährigen Freundes und politischen Vertrauten Bentinck zu veröffentlichen ( 841). Eine Quelle wird uns damit erschlossen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit und der Politik des großen Oraniers wie für die Kenntnis der Zustände und Vorgänge in ganz Europa zu seiner Zeit von größtem Wert ist. Der Herausgeber ist zunächst einmal an die Ausschöpfung des Archivs der Bentinck-Portlands in Welbeck Abbey gegangen; der erste Band dieser Abteilung der Publikation, der den Briefwechsel zwischen Wilhelm und Bentinck und die Schreiben aus den Generalstaaten (Gaspar Fagel, Anthonie Heinsius u. a.) an sie enthält, ist im Berichtsjahre erschienen. Japikse schickt ihm eine Einleitung in holländischer und englischer Sprache voraus, in der er nicht nur über die Ausgabe berichtet, sondern auch einen kurzen, aber vortrefflichen Überblick über die Beziehungen zwischen dem Fürsten und Bentinck gibt. Schon der Inhalt dieses Bandes erstreckt sich vielfach auf Geschehnisse im Reich und an den Höfen deutscher Fürsten (vgl. u. a. die Aktenstücke über die Sendung Bentincks nach Berlin im Jahre 1688), noch mehr wird dies bei dem zweiten Bande der Fall sein, der die Korrespondenz aus Deutschland, England, Spanien und Frankreich bringen soll.

Eine eigenartige Stellung nimmt in den großen europäischen Auseinandersetzungen jener Zeit das Fürstbistum Lüttich ein. Es gehörte dem Namen nach noch zum Reiche, war jedoch gemäß seiner Lage starkem Druck und Gegendruck von seiten Frankreichs, der spanischen Niederlande und der Generalstaaten ausgesetzt. Wie die Lütticher seit Ende des 15. Jhds. bemüht waren, ihre Selbständigkeit und ihre Wohlfahrt durch Aufrichtung einer von den benachbarten Mächten anerkannten Neutralität zu retten und zu bewahren, schildert P. Harsin in dem einleitenden Teil einer aufschlußreichen Arbeit, deren Hauptabschnitte die politischen Vorgänge in Lüttich von 1688--1718 auf Grund einer gründlichen Durchforschung der Lütticher, Brüsseler und Pariser Archive darstellen ( 842). Sehr eingehend wird vor allem der Verlauf der Bischofswahlen von 1688 und 1694 uns vorgeführt, von denen die erste den bisherigen Domdechanten d'Elderen, die zweite den Wittelsbacher Josef Clemens zur fürstbischöflichen Würde erhob. Ein Vergleich der Regierungszeiten beider ergibt die merkwürdige Tatsache, daß die Lütticher unter einem fremden Fürsten weit besser fuhren als unter einem Bischof, der aus ihren Reihen stammte. Im übrigen enthält die Schrift für Verlauf und Abschluß des pfälzischen


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Krieges sowohl als auch des spanischen Erbfolgekrieges wichtige Beiträge, die nicht allein Lüttich und seine Fürsten betreffen.

Über das rein Biographische und Lokalhistorische erhebt sich in manchen Teilen auch die Jenaer Dissertation Chr. Brodbecks über den kurmainzischen Statthalter zu Erfurt Philipp Wilhelm von Boineburg ( 837). Nicht nur daß unsere Kenntnis über die Persönlichkeit und Politik des gewiß nicht unbedeutenden Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (gest. 1729) um manche Züge bereichert wird -- das Wiesentheider Archiv der Schönborns diente dem Verfasser als ergiebige Quelle --, wir erfahren auch hier und da etwas über nicht nur Erfurt und Mainz betreffende politische Vorgänge, an denen der jüngere Boineburg -- es handelt sich um den Sohn des bekannten Beraters Johann Philipps von Schönborn -- irgendwie beteiligt war. Seine Berichte aus Wien, wo er sich 1695/96 um das Reichsvizekanzleramt bewarb, sind da zu nennen, ferner aus seiner späteren Erfurter Zeit vor allem seine Mission nach Leipzig zu Karl XII. von Schweden und August dem Starken von Sachsen- Polen in den Jahren 1706 und 1707. Die zweifellos vorhandenen, aber früher stark übertriebenen Verdienste Boineburgs um Erfurt schränkt Brodbeck auf das richtige Maß ein; als Mensch besaß der ehemalige Zögling Leibniz' manche liebenswerten Eigenschaften, aber auch manche Schwächen. -- Weniger deutlich lernen wir die Persönlichkeit eines anderen Diplomaten jener Zeit, Edzard Adolf von Petkums, kennen, die im Mittelpunkt der Abhandlung H. G. Müllers über den Ausgang des in den letzten Jahren des 17. Jhds. viel Aufsehen erregenden Güstrower Erbfolgestreits steht ( 845). Die auf den Akten des Neustrelitzer Hauptarchivs beruhende Arbeit bildet gewissermaßen die Fortsetzung der Rostocker Dissertation W. Winklers, die den Verlauf der Streitigkeiten zwischen Schwerin und Strelitz bis zum Ausscheiden Gutzmers 1699 dargestellt hatte. Allerdings kommt in ihr die Schweriner Seite nicht zu Wort, so daß sich mitunter wohl ein etwas einseitiges Bild ergibt. Wenn auch in der Hauptsache ein Abschnitt mecklenburgischer Geschichte aufgehellt wird, so ergeben sich doch durch die Tatsache, daß an der Beilegung des Konflikts die verschiedensten Mächte, u. a. der Kaiser, Brandenburg, Hannover, Schweden, Dänemark, beteiligt waren und dabei aus eigenem Interesse oft gegeneinander arbeiteten, Ausblicke auf die allgemeine deutsche und europäische Geschichte der Zeit. Bemerkenswert ist, daß Petkum, der Hauptträger der Strelitzer Politik, Ende 1700 sogar den Versuch machte, Frankreich für die Unterstützung der Sache seines Herrn zu gewinnen.

Während Neuerscheinungen zur Geschichte des Großen Kurfürsten nicht vorliegen, hat das Berichtjahr einige Veröffentlichungen über die Regierungszeit seines Sohnes und Nachfolgers, des ersten Preußenkönigs, gebracht. G. Schnath hat den Briefwechsel seiner hannoverschen Schwiegermutter, der klugen Kurfürstin Sophie, mit ihm, seiner Gemahlin, seinem Sohn und seiner Schwiegertochter, soweit er erhalten ist, herausgegeben ( 851). Der Ertrag nach der politischen Seite ist verhältnismäßig gering. Gerade nach dieser Richtung bieten dagegen die auf gründlichen Archivstudien in Berlin und Wien sich aufbauenden Forschungen A. Berneys über die Politik König Friedrichs gegenüber dem kaiserlichen Hof in der ersten Hälfte des spanischen Erbfolgekrieges wertvolle Aufschlüsse ( 852). Anschaulich wird die Entwicklung der preußisch-österreichischen Beziehungen vom Bündnisse


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des Krontraktates bis zur völligen Entfremdung im Jahre 1707 geschildert. Treten auch die vielverschlungenen Verhandlungen zwischen Wien und Berlin, die von preußischer Seite hauptsächlich durch den sehr begabten Gesandten Christian Friedrich v. Bartholdi geführt wurden, in den Vordergrund, so entrollt sich im ganzen doch ein Bild der gesamten preußischen Politik jener Zeit sowohl gegenüber den kriegerischen Wirren im Westen als auch gegenüber dem gleichzeitig im Norden und Osten entbrannten Kampf. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, bemerkt sei nur, daß Berney für eine günstigere Beurteilung des Politikers Friedrich eintritt, als sie bisher üblich war. Ob mit Recht? Man mag gewiß zugeben, daß das von Berney erschlossene Material manche Beschlüsse des Königs und manche Vorgänge, die zu ihnen führten, in einer neuen Beleuchtung zeigt, und daß sich daraus eine Abschwächung der von der früheren Geschichtschreibung gegen ihn erhobenen Vorwürfe ergibt. Man wird sich aber doch davor hüten müssen, ihn zu sehr entlasten zu wollen, eine Politik zu rechtfertigen, die sich doch nur zu oft in den Zielen und den Mitteln vergriff und sich in den großen wichtigen Fragen in keiner Weise durchzusetzen verstand. Gerade im Hinblick auf eine Gesamtwürdigung ist es zu bedauern, daß Berney seine mit zahlreichen Exkursen versehenen Untersuchungen nicht auf die Jahre nach 1707 ausdehnt, für die er selbst »einen schlechthin unentschuldbaren Mangel an Weitblick, das Walten einer unklugen und versäumnisreichen Politik« seitens Preußens feststellt. Die Arbeit Berneys vermittelt reiche, meist nicht allzu erfreuliche Eindrücke von den damals am Wiener Hofe leitenden Persönlichkeiten, insbesondere auch von dem Thronfolger und späteren Kaiser Josef. Es scheint danach wie auch nach den einleitenden Ausführungen zu einer andern Abhandlung desselben Verfassers, die über die Hochzeit Josefs mit der Prinzessin Wilhelmine Amalie von Braunschweig im Jahre 1699 berichtet und kulturhistorisch interessante Briefe der Brautmutter über dies Ereignis bringt ( 850), daß die politischen Fähigkeiten dieses Habsburgers bisher erheblich überschätzt worden sind. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Berney uns eine Biographie Josefs I. schenken würde.

Zur Geschichte des spanischen Erbfolgekrieges liegen noch einige weitere Beiträge vor. Daß der vor den Truppen der Verbündeten nach Namur geflüchtete Kurfürst Josef Clemens von Köln sich in der französischen Bewachung keineswegs sehr wohl fühlte, beweisen die von M. Braubach mitgeteilten Anträge betreffs Unterstützung bei einem etwaigen Fluchtversuch, die er durch einen Kölner Pfarrer an den kaiserlichen Bevollmächtigten am Niederrhein kommen ließ ( 846). Nach dem südöstlichen Kriegsschauplatz führt uns eine auf Berner, Turiner, Pariser, Londoner und Haager Archivalien beruhende Arbeit E. Bonjours, die in der Hauptsache den an Intrigen reichen diplomatischen Kampf zwischen Frankreich und Savoyen in den von Parteiungen zerklüfteten Kantonen der Schweiz in den Jahren 1703 und 1704 darstellt ( 845 a). Die Niederlage Savoyens in diesem Kampf wurde gekrönt durch den Verrat des Generals Reding, der das savoyische Fort Bard ohne Kampf den Franzosen überlieferte. -- Die Vorgänge im Süden Italiens während des Krieges behandeln die einleitenden Abschnitte des umfangreichen Buches H. Benedikts, dessen Hauptteil allerdings den Schicksalen des Königreichs Neapel in den späteren Jahrzehnten gewidmet ist ( 848). Das Werk, das in jenen ersten Abschnitten


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die ältere Arbeit M. Landaus über Rom, Wien, Neapel während des spanischen Erbfolgekrieges vielfach ergänzt, gibt im übrigen eine ausführliche Schilderung der Epoche österreichischer Herrschaft in Neapel unter Berücksichtigung nicht nur der Politik, Verwaltung und Wirtschaft, sondern auch der kirchlichen Verhältnisse, der kulturellen Lage, der geistigen Strömungen aller Art, des Theaters, der Musik usw. Es bringt zugleich aber auch wichtige Nachrichten für die Geschichte Karls VI. und seiner Umgebung -- in einem besonderen Kapitel wird die so überaus einflußreiche spanisch-italienische Kolonie in Wien behandelt --, für die Zustände in der gesamten österreichischen Monarchie, für die Anfänge der österreichischen Kriegsmarine, für die Wirtschaftspolitik des Kaiserstaats u. a. m. Leider ist es dem Verfasser nicht immer gelungen, eine klare, lesbare Darstellung zu geben und in dem gewaltigen Material, das ihm im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv vorlag, das Nebensächliche von dem Wichtigen zu scheiden.

Während im Westen und Süden Habsburg und Bourbon ihren Streit um die spanische Erbschaft austrugen, spielte sich im Norden und Osten der große Nordische Krieg ab, an dessen Ende der Zusammenbruch der schwedischen Macht und der Aufstieg Rußlands stand. An diesem Kampf war auch ein deutscher Fürst maßgebend beteiligt, der Kurfürst-König von Sachsen-Polen August der Starke. Die Persönlichkeit dieses bedeutendsten Herrschers aus dem Wettinerhause, oft verzeichnet von Dichtern und Literaten, hat doch auch stets schon das Interesse ernsthafter Forscher wachgerufen. Nachdem vor einigen Jahren C. Gurlitt sein Leben und Wirken hauptsächlich von dem Standpunkt des Kunsthistorikers aus beschrieben hat, läßt nunmehr P. Haake seinen früheren Studien eine Biographie Augusts folgen, die neben seinem Mäzenatentum vor allem auch seine Politik zur Darstellung bringen will ( 855). Das Buch, ursprünglich für Velhagen u. Klasings Monographien zur Weltgeschichte bestimmt, verzichtet ganz auf den wissenschaftlichen Apparat: den Forscher wird dies wenig erfreuen, aber auch der Lesbarkeit wird in gewisser Beziehung dadurch Eintrag getan, denn Einzelheiten, Belege, Auseinandersetzungen mit anderen Meinungen, die in Anmerkungen gehörten, mußten nun in den Text gebracht werden, in dem sie mitunter störend wirken. Ein anderer Mangel scheint mir in der unübersichtlichen Einteilung zu liegen. Das ganze Werk ist nur in drei Kapitel zerlegt, von denen das erste »Jugend und Umwelt« mit der Schilderung des Lebens Augusts bis zur Thronbesteigung eine ausgezeichnete Übersicht über die politische und wirtschaftliche Entwicklung Sachsens und über die Aufgaben, die hier einen zielbewußten Herrscher erwarteten, verbindet, das zweite »Aufstieg und Absturz« die Darstellung von dem Regierungsantritt in Sachsen bis zu dem demütigenden Frieden von Altranstädt 1706 führt, während in dem dritten »Neue Kämpfe. Welt und Werk. Ausgang« wenig glücklich die Beschreibung der zweiten Hälfte der Regierungszeit mit einer Würdigung von Augusts Persönlichkeit, seiner politischen Ziele und Erfolge bzw. Mißerfolge und seiner künstlerischen Bestrebungen verbunden ist. Diesen Nachteilen, die mehr äußerer Natur sind, stehen nun allerdings, wie ich glaube, Vorzüge gegenüber, die in dem inneren Wert des Buches begründet sind und daher bei der Gesamtbeurteilung entscheidend mitsprechen müssen. Das Werk beruht auf einer umfassenden Kenntnis der Archivalien und Literatur, die es ermöglichte, der Persönlichkeit und der Wirksamkeit des Kurfürsten-Königs nach


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allen Seiten hin gerecht zu werden. Besonders bemerkenswert ist die eingehende Darstellung der Innenpolitik, der Auseinandersetzung mit den Ständen, der Verwaltungsmaßnahmen usw. Man muß sich in der Tat, wie Haake es tut, wenn man die Bedeutung Augusts als Staatsmann, Politiker und Landesherr richtig erkennen will, die Frage vorlegen: wie hat die Außenpolitik, wie haben diese weitgreifenden dynastischen Bestrebungen, die den Wettiner zu einer Figur auf dem europäischen Schachbrett machten, auf die Gestaltung der inneren Verhältnisse des Kurstaates eingewirkt, wie sah das Ergebnis für seine Machtstellung in Deutschland aus? Auf diesem Wege wird man dann allerdings zu einem anderen Urteil kommen als Gurlitt: man wird mit Haake feststellen müssen, daß August der Starke schuldig ist, um luftiger Projekte willen die letzte Gelegenheit versäumt zu haben, den Vorsprung, den Brandenburg- Preußen vor Sachsen gewonnen hatte, wieder einzuholen. Es hat nicht an Mahnungen und Warnungen gefehlt, wie Johann Friedrich v. Wolfframsdorffs Portrait de la cour de Pologne, wie Augusts eigene Regel pour la posterrites beweisen, er ist ihnen schließlich trotz mancher Ansätze nicht gefolgt. So muß dem politischen Historiker der Banause Friedrich Wilhelm von Preußen höher stehen, als sein glanzvoller und gewandter »Gevatter« in Dresden. -- Die Besprechung, die H. Beschorner den »neuesten Biographen« Augusts des Starken, in der Hauptsache allerdings Haake, zuteil werden läßt ( 856), enthält manche beachtenswerte Sätze und Urteile. Im ganzen scheint mir allerdings die Kritik an Haakes Buch -- bei aller Anerkennung der Leistung -- doch schärfer ausgefallen, als notwendig war. Insbesondere dürfte der Vorwurf, daß »die für die Sachsen oft zu starke preußische Einstellung« Haake »dem gepriesenen Rankeschen Ideale strengster geschichtlicher Objektivität entfremdet und ihm keine unbefangene Auffassung seines Helden ermöglicht« habe, doch wohl viel zu weit gehen. Durch diese und andere Besprechungen und Angriffe hat sich neuerdings wieder Haake veranlaßt gesehen, zur Feder zu greifen und sich und seine Auffassung in einer Sammelschrift, in der Rundfunkvorträge über Sachsen im Zeitalter Augusts des Starken mit einem Essai über August den Starken im Urteil der Gegenwart, einer für das Neue Archiv für sächsische Geschichte bestimmten, dort aber abgelehnten scharfen Entgegnung auf Beschorners Kritik und einer Miszelle über ein Wortspiel Augusts des Starken vereinigt sind, zu verteidigen ( 856).

Noch sind einige Arbeiten und Veröffentlichungen zu nennen, die uns in die letzten Jahrzehnte der hier zu behandelnden Periode führen. Kirchlich-religiöse Zustände jener Zeit treten uns in einem Aufsatz G. Hechts ( 853) und in einer kurzen Mitteilung M. Braubachs ( 849) entgegen. Hecht schildert den Werdegang der aus der Pfalz stammenden preußischen Staatsmänner und Beamten, die bei den Interventionen Preußens zugunsten der protestantischen Ansprüche auf die Heiliggeistkirche in Heidelberg in den Jahren 1705 und 1719/20 mitgewirkt haben. Es handelt sich dabei einmal um den bekannten Minister König Friedrichs I. Graf Wartenberg und den Hofprediger Karl Konrad Achenbach, dann um den preußischen Residenten in Frankfurt Philipp Reinhold Hecht. Braubach druckt einen Brief Max Emanuels von Bayern an seinen zum geistlichen Stand bestimmten Sohn Clemens August vom 3. September 1724 ab, in dem der Vater dem Sohne Skrupel wegen Erteilung der Weihen auszureden sucht. -- In die wenig erfreulichen Zustände in dem österreichischen


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Heer nach dem Abschluß des Spanischen Erbfolgekriegs leuchtet A. Rosenlehner hinein, wenigstens ist dies der wichtigste Ertrag seiner Studie über die oft recht verdrießliche Stellung des früh verstorbenen Erbprinzen Josef Karl von Pfalz-Sulzbach als Inhaber eines kaiserlichen Kürassierregiments ( 847).

Zu Schluß sei an dieser Stelle noch auf die wichtige englische Publikation der Instruktionen für die englischen Gesandten bei den übrigen Mächten Europas vom Regierungsantritt Wilhelms III. von Oranien bis zum Beginn der französischen Revolution hingewiesen, die ein wertvolles Gegenstück zu der bekannten französischen Sammlung, dem Recueil des instructions données aux ambassadeurs de France bildet. In früheren Jahren sind ein Teil der Instruktionen für Schweden (1689--1727), ein Teil der Instruktionen für Frankreich (1689--1721) und die Instruktionen für Dänemark (1689--1789) erschienen, im Berichtjahr liegt nun ein vierter Band vor, der die Fortsetzung der Instruktionen für Frankreich (1721--1727) bringt ( 858). Es sind in dieser englischen Sammlung nicht nur die grundlegenden Anfangsinstruktionen, sondern sämtliche Weisungen an die englischen Gesandten enthalten, wir gewinnen so ein zusammenhängendes Bild der englischen Politik gegenüber den einzelnen Mächten Europas. Gerade der letzterschienene Band, dem der Herausgeber L. G. Wickham Legg eine über die politische Lage jener Zeit, über die Absichten Englands und über die Tätigkeit der englischen Gesandten am französischen Hof (Sir Robert Sutton 1720--1722, Sir Luke Schaub 1721--1724 und insbesondere Horatio Walpole 1723--1727) gut unterrichtende Einleitung vorausschickt, enthält bei der damals besonders engen Verknüpfung der englischen Politik mit den Plänen des Hauses Hannover viel Material auch zur deutschen Geschichte.


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