§ 22. Deutsche Geschichte von 1815--1850.

(H. Christern.)

Eine Geschichte Europas im 19. Jhd. liegt von zwei englischen Historikern, Grant und Temperley ( 939) vor, die sich gleichmäßig für die Darstellung verantwortlich fühlen: nur die Vorgeschichte des Weltkrieges wird als ausschließlich von Grant verfaßt bezeichnet. Die Geschichte Englands tritt nach der Absicht der Verfasser zurück; es werden nur ihre Ausstrahlungen auf den Kontinent behandelt, aber auch dies nicht immer mit der erforderlichen Deutlichkeit: die bestimmende Wirkung der englischen Politik auf den Verlauf der Revolution von 1848 und die Haltung Englands im Kriege 1870/71 wird nicht geschildert. Die englische Politik gegenüber Deutschland erscheint in einem allzu hellen Licht des Wohlwollens in der Darstellung der Bündnisverhandlungen von 1898 und 1901. Im Rahmen der Jahresberichte kann auf eine so eingehende Charakteristik verzichtet werden, wie sie Hans Herzfeld mit sicherem Gefühl für die Stärken und Schwächen dieses Werkes in der Histor. Zeitschr. 39, S. 138 ff. gegeben hat und auf die ich für alle Einzelheiten verweise. Es muß hier betont werden, daß für die deutsche Geschichte sich neue Gesichtspunkte, eine tiefere Erfassung ihres Verlaufes nicht ergeben: so sorgfältig die Verfasser Quellen und Literatur benutzt haben, so vermißt man doch eine von Vorurteilen freie und aus den inneren Bedingungen der deutschen Geschichte geschöpfte Darstellung, wie sie andere Staaten, z. B. Italien, erfahren. Daß Deutschland durch drei Kriege und nicht durch Verhandlungen geeinigt worden ist, läßt sich freilich mit den Vorstellungen von einer mächtigen Gesellschaft der Nationen, wie sie das 20. Jhd. geschaffen hat, nicht vereinbaren. Die beiden Verfasser messen aber die Bismarcksche Geschichte an diesem Ideal; wobei sie dann natürlich die Machtpolitik Bismarcks als verwerflich empfinden. Gewiß


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lassen sie der Friedenspolitik Bismarcks nach 1871 Gerechtigkeit widerfahren, aber das von ihm geschaffene Reich beruht auf Gewalt, und so suchen sie hierin den letzten Anstoß für den Weltkrieg. Es bleibt für den deutschen Historiker lehrreich, daß selbst ein Werk, das sich einer großen, anerkennenswerten Objektivität befleißigt und sie auch auf weiten Strecken der Erzählung erreicht, doch -- wenn auch in feiner Form, aber vielleicht darum um so gefährlicher -- die deutsche Geschichte an Maßstäben mißt, die ihr innerlich fremd sein müssen. Das 19. Jhd. hat durch eine Reihe von einzelnen Bündnissen, Abmachungen, Konventionen und Allianzen jene übernationale, europäische Politik vorbereitet, die im Versailler Frieden von 1919 in der »Gesellschaft der Nationen« ihre Gestalt gefunden hat: diesem Gedanken ist am Schlusse des Werkes noch ein zusammenfassendes Kapitel gewidmet worden (wie auch einige andere beherrschende Tendenzen des 19. Jhds. in selbständigen Kapiteln am Schluß behandelt sind: das Wachsen der Nationalität, die Entwicklung des Repräsentativsystems und der militärischen Machtentfaltung).

Diese Bemühungen um Frieden und Einheit in Europa im 19. Jhd. können kaum als eine zureichende Vorgeschichte der »Gesellschaft der Nationen« gelten, denn sie sind niemals über einige kurzfristige und mit machtpolitischen Zwecken belastete Verbindungen hinausgekommen, abgesehen von internationalen Regelungen und Übereinkommen (wie der Weltpostverein) welche aber politisch doch nur eine sekundäre Bedeutung besitzen. Das schätzt auch Ottokar Weber ( 940) zu hoch ein, der die Idee des Völkerbundes bis auf die Heilige Allianz und den Vertrag von Chaumont (1814) zurückführt. Die Heilige Allianz war ein Schemen, die Quadrupelallianz und ihre Nachfolger dienten nur der Sicherung der Siegerstaaten gegen eine Erhebung des besiegten Staates (Frankreich). Dieses System von Staaten, in welches Frankreich auch aufgenommen wurde, bedeutete eine Wiederaufrichtung des politischen Gleichgewichtes in anderer Form. Nicht Bismarck hat diese europäische Einheit durch sein Bündnissystem zuerst durchbrochen wie Grant und Temperlev glauben, sondern sie hatte schon durch den Krimkrieg den ersten Stoß erlitten. -- Eine Rede von Busch über Deutschland und Österreich im 19. Jhd. ( 941) gleitet über die erste Jahrhunderthälfte schnell hinweg und gibt dann eine Darstellung von Bismarcks Politik gegen Österreich von 1852 ab und seiner späteren Bündnispolitik: Busch rechtfertigt den Rückversicherungsvertrag, ohne jedoch über den bisherigen Stand der Frage hinauszukommen. Das Schicksal der Deutschen im österreichischen Staat wird mit einem Satz abgetan, die Problematik des Anschlußgedankens am Schluß nur flüchtig gestreift.

Delbrücks Weltgeschichte ( 886) behandelt im Band 4 auch die deutsche Geschichte von 1815--50 (»Die Revolutionsperiode von 1789--1852«). Je näher das Werk der Gegenwart kommt, desto ausführlicher wird seine Darstellung. Delbrück gibt mehr Betrachtungen und Kommentare zu den Ereignissen als eine Erzählung der Tatsachen. Eine Neigung zur Kritik der historischen Überlieferung zeigen besonders die militärischen Abschnitte, welche in diesem Bande, der das Zeitalter Napoleons behandelt, stark überwiegen. Aber Delbrück bewegt sich hier auf einem ihm vertrauten Gebiet, das er durch eigene Forschung befruchtet hat. So nimmt er frühere Anschauungen und Thesen auf und scheut auch vor einer offenen Polemik nicht zurück; überall zeigt sich die scharf zugreifende, pointierte Form seiner Darstellung: am eindruckvollsten


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die Schilderung des Feldzuges 1815. Neben den militärischen und politischen Abschnitten fehlt es nicht an geistesgeschichtlichen, doch es wird nur das Erwachen des deutschen Geistes in der klassischen Literaturepoche dargestellt, während die Romantik fast ganz beiseite gelassen wird. Der Vergleich der Entwicklung der europäischen Staaten dient zur Veranschaulichung ihrer Eigentümlichkeiten, z. B. bei der Beantwortung der Frage, warum die Revolution in Frankreich und nicht in England oder Deutschland ausgebrochen sei, denn Delbrück betont im Grunde die Gleichartigkeit der sozialen und politischen Verhältnisse in Europa im 18. Jhd. Die preußische Reform läßt Delbrück nicht aus einer Anlehnung an die französischen »Ideen von 1789« entstehen, aber er hält sie auch nicht für ein eigenes deutsches Gewächs, vielmehr verweist er darauf, daß es sich hier um parallele Erscheinungen handle, welche auf dem gleichen Boden, dem aufgeklärten Absolutismus, erwachsen sind, der in Preußen zur höchsten Ausbildung gelangt sei und daher manche Anknüpfungspunkte für das Neue geboten habe. Diese vermittelnde Anschauung trifft noch nicht den letzten Kern der Frage und wir stehen heute vor Erörterungen, die diese alte Streitfrage unter ganz neuen Gesichtspunkten beleuchten werden.

Die polnische Frage hat die Politik Rußlands, Preußens und Österreichs während der 1. Jhdhälfte immer stark beschäftigt, zugleich als Gegenstand der Rivalität wie der gemeinsamen Sorge. Die revolutionären und nationalistischen Ideen, welche sich in Polen regten und den drei beherrschenden Staaten zu schaffen machten, zogen ihre beste Kraft aus den Anregungen, welche ihnen seit der französischen Revolution aus Frankreich hinüberkamen, vermittelt durch die polnischen Emigranten, welche seit 1795 in Paris ihre Zuflucht fanden. Handelsman ( 990) geht diesen geistigen Beziehungen zwischen Frankreich und Polen nach. Das Zeitalter Napoleons I. brachte den ersten Einbruch moderner staatlicher Ideen in das alte Polen. Der polnische Liberalismus der Zeit von 1815--1830 wurde von den Ideen B. Constants gespeist. Saint Simon, Fourier und vor allem Lamennais geben nach dem Aufstand von 1830/31 der neuen Generation Anregungen zu einer gewandelten politischen Anschauung. Die französischen und polnischen Freimaurer und politischen Gesellschaften bilden die zahllosen geheimen Kanäle, durch die die älteren französischen Ideen Rousseaus, Montesquieus und der Enzyklopädisten in Polen Eingang finden. Die konservative Partei Czartoryskis findet in Montalembert, Ballanche und Al. de Tocqueville ihre geistigen Quellen; sie sucht Verbindung mit dem französischen Ultramontanismus, um den Papst für die Sache Polens zu gewinnen: Montalembert vermittelt dabei. Ein Bericht Montalemberts über seine Eindrücke in Deutschland und Österreich, welche er auf einer Reise für die polnische Sache gewonnen hat, ist im Anhang abgedruckt; er spricht nicht eben freundlich über das politische Leben in Deutschland, und urteilt sehr abfällig über die süddeutschen Kammerversammlungen und die politischen Zeitungen. Der selbständigen Rolle, welche das preußische Posen in der politischen Bewegung spielt, schenkt der Verfasser besondere Beachtung. Hier lagen die Bedingungen sehr günstig. Daß hier, wie überhaupt in Polen auch deutsche politische Ideen neben den französischen bedeutend gewirkt haben, läßt der Verfasser nur eben durchblicken. Seine Sympathien gehen ganz zur französischen Seite und das mag eine gewisse Einseitigkeit der Darstellung bedingen. Aber da der Verfasser sein Material fast ganz aus polnischen und


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französischen Archiven geschöpft hat so bietet sein Buch für das Verständnis der preußischen und polnischen Polenpolitik wichtige neue Aufschlüsse.

Die anregende Kraft von Srbiks bedeutendem Werk über Metternich (Jahresberichte 1, Nr. 1111, S. 273) beginnt sich auszuwirken. Während Schüßler ( 943) in einem knappen Essay die Ergebnisse dieses Werkes in freier Bearbeitung darstellt, hat Winckler ( 944) ein Einzelproblem herausgegriffen und auf Grund neuer archivalischer Quellen untersucht: dabei kommt er für die politische Haltung, welche Metternich der Schweiz gegenüber einnimmt, zu einer wesentlich anderen Beurteilung als Srbik.

Die Wirkung des Metternichschen Systems auf das deutsche Geistesleben findet in dem 2. Band der Cottabriefe ( 942; s. Jahresberichte 1, Nr. 2538, S. 265 und 480) einen literarischen Niederschlag: da sich Frh. von Cotta seit 1815 der Politik zuwandte und diese in mehreren, z. T. parallelen Zeitschriften vertreten ließ, so haben die Politiker die Führung; es kommen beide Seiten zu Worte: von Metternichs publizistischen und politischen Helfern z. B. Gentz und Pilat; es überwiegen aber die Vertreter des Liberalismus: Varnhagen, Börne, Murhard, Böttiger. An Politikern, welche am Deutschen Bundestag mitwirkten, finden sich hier Wangenheim, Smidt, Gagern; andere bedeutende Persönlichkeiten wie Thiersch und Hormayr, Bernoulli sind vertreten; selbst die Dichter bleiben nicht von der Politik unberührt. Die ganze bunte Reihe von Namen wird dadurch innerlich zusammengefügt, daß ihre Briefe an ihren Verleger gerichtet sind, dessen Persönlichkeit reich genug war, um so viele verschiedenartige Geister an sich zu binden: denn es sind nicht nur rein geschäftliche Schreiben, sondern ganz persönliche Briefe, in denen die Absender vertrauensvoll von ihren Plänen und Absichten sprechen und sich in ihren Mitteilungen völlig zwanglos geben. Wenn auch von jedem einzelnen Briefschreiber nur eine kleine Auswahl gegeben ist, so finden sich doch wertvolle Zeugnisse für die politische Geschichte darunter. Der zähe Kampf zwischen Metternich und den Liberalen kommt in Briefen von Gentz und Pilat zum Ausdruck, welche Cotta wiederholt warnen und mit einem Verbot der Allgemeinen Zeitung in Österreich drohen. Gentz äußert sich bezeichnend: »Über europäische, asiatische, afrikanische, amerikanische Politik schreibe die Allgemeine Zeitung was ihr beliebt -- solange es nicht Österreich unmittelbar berührt. Fährt sie hingegen fort, das Staatssystem, die Staatsmänner und den Staatskredit Österreichs, auch nur durch boshafte Anspielungen, feindselig zu behandeln ... so sind wir unserer Würde -- wenn auch nicht unserem Interesse -- schuldig, dieser Zeitung den Eingang zu versperren.« (S. 52.) Das Echo auf der anderen Seite blieb natürlich nicht aus und war zuweilen recht heftig.

Die von Paul Wentzcke begonnene Geschichte der Burschenschaft ist von G. Heer ( 2043) fortgeführt worden. Da inzwischen schon der 3. abschließende, ebenfalls von Heer verfaßte, Band erschienen ist (Quellen u. Darst. z. Gesch. d. Burschenschaft Bd. 11, Heidelberg, C. Winter, 1929), so rechtfertigt es sich, das ganze Werk hier zu besprechen. Um der einheitlichen Auffassung willen muß man bedauern, daß Wentzcke durch andere Arbeiten gehindert worden ist, das Werk, wie er ursprünglich beabsichtigte, selbst zu vollenden. Sein erster Band (Quellen u. Darst. zur Gesch. d. Burschenschaft Bd. 6, 1919) gibt mehr als eine Geschichte der inneren Organisation einer studentischen Bewegung, er verknüpft sie aufs lebendigste und eindringendste mit den Ideen der


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Zeit, aus denen sie erwachsen ist: zunächst mit den aus der Studentenschaft selbst hervorgehenden Reformbewegungen. Wentzcke geht in seiner Vorgeschichte bis 1750 zurück und weist die Strömungen auf, die durch die französische Revolution und die napoleonischen Kriege im Studentenleben erzeugt werden: der Kampf zwischen den Orden und den Landsmannschaften führt zum Siege der letzteren, ohne ihren Partikularismus zu überwinden. Die Burschenschaft übernimmt viel vom Erbe der Landsmannschaften, bringt aber als das Neue einen demokratischen und nationalen Zug in das Verbindungsleben. Erst auf dem Grund dieser Zusammenhänge wird das Neue und Bleibende des Burschenschaftsgedankens verständlich, über deren Entstehung in Jena schon Herman Haupts Aufsatz von 1910 (Quellen u. Darst. z. Gesch. d. Burschensch. Bd. I) reichen Aufschluß gab: aber erst Wentzcke fügt diese Einzelentstehung in das Gesamtbild ein. Das wichtigste Ergebnis W.s sehe ich darin, daß er den doppelten Ursprung der Burschenschaft aus Aufklärung und deutscher Erhebungszeit herausarbeitet. Die Burschenschaftsbewegung ging nicht von einem Zentrum aus, sondern fand in vielen Universitäten ähnliche Bestrebungen vorbereitet. Jena behielt zwar die anerkannte Führung, aber da die Burschenschaft mit der territorialen Gestaltung Deutschlands rechnen mußte, so zeigt ihre Geschichte bei aller Einheit in den Grundgedanken große Verschiedenheiten in der landschaftlichen Auswirkung im evangelischen Norden und im katholischen Süden. Wartburgfest und Karlsbader Beschlüsse bilden die Einschnitte der Darstellung. Auch nach 1819 läuft die innere Entwicklung der Burschenschaft, wenn auch nunmehr im geheimen, fast ungestört weiter, ja die Karlsbader Beschlüsse verhinderten sogar den offenen Ausbruch eines Zwiespalts über Lebensfragen der Burschenschaft (I, S. 349). G. Heer behandelt im Band 2 ( 2043) die Demagogenzeit von 1820--1833 und im Bd. 3 die Zeit des Progresses von 1833--1859. Heer wie Wentzcke haben für ihre Arbeit eine Reihe wichtiger ungedruckter Quellen erschlossen, vor allem die Akten der Mainzer Untersuchungskommission und andere Archivalien, die für die Zeit von 1820 bis 1833 besonders reich sind. Für die Progreßbewegung dagegen fehlen gerade die amtlichen Quellen vollständig, weil die Verfolgungen aufgehört haben; hier boten Flugschriften und Lebenserinnerungen einen Ersatz: diese erste Zusammenfassung verdient darum um so höhere Bewertung. In anderer Hinsicht ist freilich die Darstellung dieser Zeit ein wenig dankbarer Stoff. Die Geschichte der Gesamtburschenschaft, welche vor den Karlsbader Beschlüssen so geschlossen und mächtig dastand, löst sich fortan fast ganz in die Geschichte der Einzelburschenschaften auf; daran ändern auch die verschiedenen Burschentage nichts, welche vor der Öffentlichkeit geheimgehalten werden müssen. Die Zeit ist erfüllt von den Kämpfen der Burschenschaften mit den Regierungen und von den eigenen inneren Zwisten, welche durch die Namen »Germanen« und »Arminen« gekennzeichnet sind. Der Einblick, der auf Grund der neuen Quellen in das Vorgehen der Regierung bei der Demagogenverfolgung, in die Technik der Untersuchungskommissionen, in die mildere Praxis der süd- und mitteldeutschen Staaten, der härteren Praxis Preußens gegeben wird, bedeutet einen Zuwachs unserer Kenntnis dieses Zeitalters Metternichs und seiner Regierungsmethoden. Die Geschichte der Burschenschaft wird immer ein harter Prüfstein zugleich für eine gerechte geschichtliche Würdigung Metternichs sein. Das Werk von Srbik, obwohl es zitiert wird, hat Heer nicht zu einer gerechteren

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Auffassung des Metternichschen Systems geführt: er sieht die Dinge, anders als Wentzcke, doch zu einseitig von der Burschenschaft her. Das hat ihn auch gehindert, die Burschenschaft tiefer aus den geistigen Bewegungen der Zeit zu erklären, die kurzen Andeutungen z. B. über den Einfluß des »Jungen Deutschland« (III, 5 f.) genügen nicht. Heer faßt sein Thema zu eng als Geschichte einer studentischen Bewegung und versagt sich jeden Ausblick auf die allgeschichtliche Bedeutung dieser Bewegung. Wo er dennoch auf sie hindeutet (z. B. für die deutsche Revolution von 1848, s. Bd. III, S. 125) bringt er nur sehr allgemeine Angaben. Auf die speziellen Ergebnisse des 3. Bandes wird im Jahresbericht 1929 zurückzukommen sein. -- Was Heer versäumt hat, läßt sich auch nicht durch die biographische Darstellung einzelner Burschenschaften ersetzen. Dennoch gibt die kleine Schrift von Koch ( 2044) über den Mitbegründer der Burschenschaft Riemann einen Einblick, wie der burschenschaftliche Gedanke auch in Kreise hineingetragen wird, welche von der großen Politik des Jahrhunderts kaum berührt wurden. Riemann lebte als Pfarrer in Neubrandenburg. Seine Tätigkeit im »Reformverein« und im mecklenburgischen Landtag 1848/49 kann kaum als eine politische Tätigkeit von Bedeutung angesprochen werden. Ein Politiker war Riemann nicht: seine historische Bedeutung erschöpft sich ganz in seiner Tätigkeit in der Burschenschaft. Um so deutlicher läßt sich an seinem Leben, das die Erfüllung der Jugendhoffnungen noch sah, erkennen, wie sehr die Burschenschaft als ein das ganze Volk mit nationalem und liberalem Denken durchsetzendes Ferment wirkte.

Friedrich List hat in der Gegenwart endlich die Beachtung und Würdigung gefunden, welche seine eigene Zeit ihm versagte. Eine Ausgabe seiner Werke, oft geplant, aber immer wieder zurückgestellt, ist jetzt durch die Friedrich List-Gesellschaft gesichert und der erste Band (Bd. IV der Ausgabe) ist im Berichtsjahr erschienen: er enthält eine bisher unbekannte Pariser Preisschrift Lists (aus dem Jahre 1837), welcher die Herausgeber den aus der Schrift entnommenen zutreffenden Titel »Natürliches System der politischen Ökonomie« gegeben haben. Die Schrift ist in ihrer französischen Originalfassung und zugleich in deutscher Übersetzung (von E. Salin) abgedruckt. Inhaltlich und formal bietet diese Arbeit, welche in den Akten der französischen Akademie als ungekrönte Preisschrift verborgen schlummerte und erst durch Sommer aufgefunden worden ist, eine völlig selbständige Darstellung von Lists nationalökonomischen Gedanken, welche als Ergänzung zum »Nationalen System der politischen Ökonomie« ihren eigenen hohen Wert besitzt. Auf ihren nationalökonomischen Gehalt an dieser Stelle einzugehen ist unmöglich, es kann dafür auf eine Anzeige des Ref. in der Dtsch. Lit. Ztg. 1928, Heft 39, Sp. 1920--1928 verwiesen werden und auf einen Bericht von Hermann Schumacher in »Die Reichsbahn«, Heft 47 vom 21. November 1928. Die Einleitung des Bandes (von Salin und Sommer) bietet auch dem Historiker sehr wichtige Aufschlüsse, so daß sich ein Hinweis auf Lists Werke auch an dieser Stelle rechtfertigt. Einen Überblick über die Ergebnisse und Aufgaben der Friedrich List-Forschung hat Ref. gegeben ( 1412 a und 1412 b).

Die Görresforschung über welche im vorigen Jahresbericht zusammenfassend referiert worden ist (Jahresbericht 2, S. 317--321), hat auch über das Jubiläumsjahr hinaus weitere Fortschritte gemacht: einige der erschienenen Schriften sind freilich nur als Nachlese zu betrachten. Aus dem Jahresbericht


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der Görresgesellschaft 1925/26, in welchem die Jubiläumstagung in Koblenz geschildert ist, ist vor allem die Festrede von Finke ( 948) hervorzuheben: diese warme, feinsinnige Würdigung hält sich von allen üblichen Übertreibungen frei und läßt dadurch ein sympathisches Bild des großen Kämpfers entstehen, in dem auch die Grenzen der Persönlichkeit nicht verwischt sind. Dieser Rede reiht sich der Aufsatz von Paquet ( 947) nicht ganz gleichwertig an. Buchner ( 945) hat als Herausgeber der »Gelben Blätter« einige Beiträge zum Görres-Jubiläum gesammelt, aus der besonders auf den Beitrag von Grünbeck hinzuweisen ist (identisch mit Jahresb. 2, Nr. 1185), in dem der unter persönlichem Antrieb des Königs Friedrichs I. geführte Kampf der württembergischen Regierung gegen den »Rhein Merkur«, mit Anführung von Aktenauszügen geschildert wird. Gegen die württembergischen Beschwerden konnte Hardenberg den »Rheinischen Merkur« decken, erst als auch das Ausland sich einmischte, wurde ein Verbot unvermeidlich. Follert beleuchtet im gleichen Hefte den Müchener Görreskreis von der persönlich-gesellschaftlichen Seite aus, der Beitrag Anton Doeberls über den alten Görres als Ahnherrn der katholischen Bewegung in Bayern und Deutschland wird diesem Thema nicht ganz gerecht. -- Unter einem höheren Gesichtspunkt hat Borinski ( 949) zu der gleichen Frage Stellung genommen: er untersucht zunächst Görres' Parteienlehre und auf Grund dieser Voraussetzungen stellt er die Frage nach der katholisch-politischen Parteibildung und dem Einfluß, den Görres auf sie geübt hat. Für die Parteienlehre ergibt sich, daß Görres nur in seiner mittleren Zeit Parteien im Staate anerkannte und sie aus allgemeinen Grundsätzen herleitete. Als Jakobiner und später als überzeugter Katholik kannte er nur eine Partei. Görres hat seine Parteienlehre in den Schriften »Deutschland und die Revolution« und »Europa und die Revolution« niedergelegt. Obwohl er erst im »Athanasius«, als die Parteienlehre für ihn bedeutungslos geworden war, zu einem Dualismus kommt (während er früher sechs Parteien unterscheidet), ist dieser doch in den genannten Schriften schon deutlich vorgebildet. Görres unterscheidet »Bindungsparteien« und »Spannungsparteien«. Borinski glaubt, daß Görres mit dieser Unterscheidung Grundlegendes getroffen habe (S. 38); er gibt dann aber zu, daß für die Gegenwart die Scheidung nach Bindung und Freiheit ihre zeitbedingte Richtigkeit zu verlieren scheint; eine andere Unterscheidung »die Fähigkeit oder Unfähigkeit an das Gute in der Welt und im Menschen zu glauben« wird als Merkmal des progressiven und konservativen Typus von Görres aufgestellt und von Borinski als allgemeingültig anerkannt Auch diese Kriterien werden sich kaum historisch brauchbar verwenden lassen: solche Unterschiede der Welteinstellung gibt es innerhalb jeder Partei, wenn auch vielleicht in der einen oder der anderen überwiegend. Wichtiger als diese Versuche, Görres' Parteienlehre einen mehr als historischen Wert beizulegen, ist der 2. Teil der Arbeit, der im einzelnen die Fäden bloßlegt, welche zwischen Görres und der katholisch-politischen Bewegung im 19. Jhd. verlaufen. Dabei ist Borinski freilich allzu stark von der Fragestellung des 1. Teiles seiner Arbeit beherrscht. Es kommt doch mehr auf die tatsächliche Wirkung von Görres' Lehre im »Athanasius« und in den »historisch-politischen Blättern« an, als darauf, ob der Münchener Görreskreis schon selbst als Partei angesprochen werden kann. Es gelingt der Nachweis, daß schon seit 1837 ein deutlicher politischer Einfluß der Görreskreises auf den Staat, besonders unter dem Ministerium

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Abel ausgeübt wurde. Mit der katholischen Parteibildung von 1848 ab fehlt ein unmittelbar organisatorischer Zusammenhang, aber der geistige ist sehr eng und lange fortwirkend. -- Eine nützliche Aufgabe ist es, einmal alle Urteile Görres' über den Protestantismus, die Reformation, Luther usw. zusammenzustellen und aus ihnen Rückschlüsse auf seine religiöse und politische Entwicklung zu ziehen. F. O. zur Linden ( 949a) hat diese Aufgabe, in freilich berechtigter Abwehr katholischer Übertreibungen, allzusehr im apologetischen Sinne behandelt und daher das reizvolle Problem nicht gefördert. Was er zu sagen hat, haben katholische Gelehrte oft schon besser und richtiger gesagt (Merkle, Spahn, Finke). Über den jungen Görres kommt der Verf. zu völligen Fehlurteilen, weil er ihn mit modernen politischen Maßstäben mißt, nur dem Görres des »Rheinischen Merkur« bringt er Sympathie entgegen, den alten Görres behandelt er rein polemisch und lehnt ihn ab. Görres läßt sich ebensowenig aus einer streng protestantisch gebundenen Weltanschauung verstehen, wie Luther aus einer katholischen. Ob diese Schrift ihren apologetischen Zweck erfüllt, muß hier unerörtert bleiben, zum tieferen wissenschaftlichen Verständnis von Görres trägt sie jedoch wenig bei.

Görres zur Seite tritt ein anderer rheinischer Politiker der Frühzeit rheinisch-politischen Lebens: Johann Friedrich Benzenberg ( 2021). Als Protestant und scharf beobachtender Naturforscher steht er in scharfem Gegensatz zu der mystisch-katholisch-romantischen Grundrichtung seines Landsmannes Görres. Und doch haben beide auch Gemeinsames: die Herkunft aus dem Rationalismus, die Liebe zur rheinischen Heimat, die Leidenschaft für die Neugestaltung des Vaterlandes und die Überzeugung von der Macht der öffentlichen Meinung. Beide konnten so ein Stück Weges zusammengehen: Benzenberg schickte dem Rheinischen Merkur Berichte aus Paris; später setzte er gewissermaßen die publizistische Arbeit von Görres im »Deutschen Beobachter« fort. Die von Heyderhoff herausgegebenen Briefe führen in die Jugend- und Manneswelt Benzenbergs lebendig ein: sein Forscherdrang und die Anregungen seines Lehrers Lichtenberg und seines Freundes Brandes hatten ihn der Astronomie zugeführt, welche ihn in einer Zeit der Naturphilosophie zu exakter Naturbeachtung veranlaßte. Von Politik ist in diesen Briefen noch nichts zu spüren: eine reiche Menschlichkeit, die sich auch den Gedanken der deutschen Klassiker, voran Goethe, öffnet, sucht ihre Bildung in allen Lebensgebieten. Als sich Benzenberg dann nach 1815 der Politik zuwendet, hat er auch auf diesem ihm bis dahin fremden Gebiet sofort seine ganz eigenwüchsige Persönlichkeit einzusetzen: die Briefe, welche sich auf seine politische Wirksamkeit beziehen, hat Heyderhoff in einer besonderen Sammlung vereinigt, auf die hier schon hingewiesen sein mag (Benzenberg, der Rheinländer und Preuße, 1815--1823, Bonn 1928); andere auf Benzenbergs wissenschaftliche Tätigkeit bezügliche Briefe wird Heyderhoff noch herausgeben, um ein volles Bild seiner vielseitigen und fortwirkenden Persönlichkeit zu bieten. Auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem weitblickenden Verfassungs- und Wirtschaftspolitiker hat wieder begonnen (vgl. die Arbeit von Röbel, Jahresbericht 2, Nr. 1668).

Das Buch von Müsebeck über Schleiermacher ( 2000) ist nicht als eine Abwandlung eines in seinen äußeren Grenzen bereits abgesteckten Themas anzusehen. Zwar hat Günther Holstein (»Die Staatsphilosophie Schleiermachers«,


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1922) bereits das gleiche Thema behandelt, aber Müsebeck stellt noch einmal die Frage nach den geistigen Zusammenhängen, in welchen Schleiermacher steht, und nach der Auswirkung seines Geisteslebens als einer geschlossenen Totalität auf die Lösung der staatlichen und nationalen Probleme (S. 9). Dem ersten Teil dieser Aufgabe, der Darstellung und Bewertung von Schleiermachers Staatsidee, gilt das 1., das 2. und die Hälfte des 3. Kapitels; die zweite wird in der 2. Hälfte des 3. Kapitels aufgegriffen und führt zu einem eindringenden Vergleich von Schleiermacher und Ranke; Rankes Geschichts- und Staatsauffassung weist einen starken Einschlag Schleiermacherschen Denkens auf. Auf andere mögliche Auswirkungen (auf Dahlmann, Treitschke, Droysen) wird eben nur hingewiesen, obwohl auch sie einer genaueren Erforschung wert wären. Im Gegensatz zu Dilthey, welcher die geschichtliche Auffassung Schleiermachers einseitig durch den Individualitätsbegriff bestimmen wollte, erkennt Müsebeck in Übereinstimmung mit der neueren Forschung über Schleiermacher die entscheidende Bedeutung des Begriffs des Absoluten, des Unendlichen, des Universums als Mittelpunkt seines Denkens. Schleiermachers Grundprinzip ist die Polarität zwischen Individualität und Absolutem. Die treibende Kraft der Geschichte ist die Polarität zwischen Gemeinschaft und Persönlichkeit. Schleiermacher unterscheidet sich scharf von der Romantik, von Kant, Fichte, Hegel, Wilhelm von Humboldt: allen diesen Beziehungen geht Müsebeck mit fruchtbarster Fragestellung nach, er bestimmt Schleiermachers Platz in der Geschichte der protestantischen Staatsidee von Luther bis zur Gegenwart. Zusammenfassend urteilt Müsebeck: »Schleiermachers Staatsidee und Nationalbewußtsein kann wohl als die höchste Vollendung angesehen werden, die der deutsche Idealismus in seiner Gesamtheit auf dem Gebiete politischen Denkens gewonnen hat.« (S. 100.)

In die Gedankenwelt der Demokratie und des Radikalismus führt das Buch von Dora Wegele ( 954), welche zwei Gestalten des Vormärz, Theodor Althaus und Malvida von Meysenbug, in ihrer gemeinsamen Geistesentwicklung darstellt: bemerkenswert auch hier -- und das läßt an Schleiermacher denken, so weltenweit entfernt dessen Ideen auch sonst sind -- der enge Zusammenhang zwischen religiösem und politischem Denken! Ein religiöser Grundzug des werdenden Sozialismus offenbart sich in Althaus. Zunächst Theologe, wächst Althaus in die Politik hinein, um in ihrem Strudel jung zu scheitern. Er zieht die in altaristokratischen Kreisen aufgewachsene Malvida von Meysenbug in seine Ideenwelt hinein und sie entfremdet sich daher ihrer Familie und ihrer Gesellschaftsschicht. Eine stärkere Aktivität des Denkens auf seiner Seite und eine stärkere Lebensenergie auf ihrer Seite führt schließlich zum Bruch zwischen Althaus und Malvida. Der frühe Tod Althaus' bringt einen versöhnenden Abschluß. Als politisches Ziel erstreben sie die demokratisch-sozialistische Republik auf kleindeutscher Grundlage, aber darüber hinaus wünscht Althaus die Bildung von relativ souveränen Nationalstaaten und einen mitteleuropäischen Staatenbund als zusammenfassendes Band und als Schutz der nationalen Minoritäten. Die sozialen Fragen nehmen einen breiten Raum in ihrem Denken ein: ein Glaube an die Kraft zur Besserung und geistigen Beeinflussung der Menschen lebt noch ungeschwächt durch trübe Erfahrung in beiden: Hebung des Arbeiterstandes durch Volksbildung und freie Assoziation liegen in ihrem Plan, also Ideen, die schon über die reine Demokratie hinausweisen


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in ein Zeitalter des sozialen Denkens. --Rapp ( 968a) nennt seinen Aufsatz »Uhland im politischen Leben«, nicht Uhland als Politiker, denn ein Politiker war er nicht, er besaß nur geringen politischen Ehrgeiz und Betätigungsdrang, zudem zeigen sich von früh an mancherlei Widersprüche zwischen seinem altrechtlichen (also: ständischen) Grundanschauungen und revolutionären Einflüssen. Rapp verfolgt Uhlands Entwicklung vom Altrechtler zum Liberalen und zum Demokraten.

G. Schweickhardts ( 982) Arbeit über Wilhelm Beseler und C. Gehrckes ( 983) Arbeit über Mommsen werden an anderer Stelle dieses Bandes als Beiträge zur Geschichte Schleswig-Holsteins behandelt: hier interessiert uns vor allem ihre Stellung zur Lösung der deutschen Frage im Jahre 1848. Wilhelm Beseler war mit seinem Bruder Georg als Abgeordneter in der Deutschen Nationalversammlung tätig: er trat im Oktober 1848 ein (nach der Auflösung der provisorischen Regierung in Schleswig-Holstein) und wurde im März 1848 mit Graf Reventlou zum Statthalter seiner Heimat gewählt: in der kurzen Zwischenzeit hat er sehr entscheidende Beratungen (über die deutsche Verfassung) und Ereignisse (Ausscheiden Schmerlings aus dem Ministerium) mithandelnd erlebt. Beseler trat persönlich nur wenig hervor, spielte aber im Augsburger Hof eine entscheidende Rolle. In der Frage der deutschen Einheit hat er sich nicht von partikularistischen Motiven leiten lassen, da er die Befreiung Schleswig-Holsteins nur in Verbindung mit einer Lösung der Einheitsfrage denken konnte. Die Verfasserin gibt eine ansprechende Charakteristik Beselers, doch mißlingt ihr der Versuch, die politische Parteistellung Beselers zu charakterisieren. Zwischen den Argumenten, die für eine liberale, und solchen, die für konservative Parteistellung sprechen, schwankt ihr Urteil sichtlich, so daß sie als Lösung dieses Dilemmas Beseler zu den Vätern der nationalliberalen Partei gesellt, hierin von den parteigeschichtlichen Anschauungen ihres Lehrers Wahls allzusehr abhängig. Die Kontroverse zwischen Meinecke und Brandenburg über die Fragen der Parteigeschichte ist übersehen worden. -- Mommsens Tätigkeitsfeld beschränkte sich ganz auf Schleswig-Holstein. Es ist Gehrcke ( 983) gelungen, durch sorgfältige Stilkritik seine Verfasserschaft für eine Reihe von Zeitungsaufsätzen in der Schleswig- Holsteinischen Zeitung sicherzustellen, wodurch sich das Material zur Beurteilung seiner politischen Stellung in Schleswig-Holstein sehr erweitert hat. Darunter sind auch zwei Artikel über den Entwurf der deutschen Reichsverfassung, welche Gehrcke im Anhang abdruckt, von besonderem Belang. Mommsen wägt darin das Maß von Zentrallsation ab, welches für Deutschland im Augenblick tragbar ist: am wenigsten Gefahr für das Bestehen der »Provinzialfreiheit« sieht er in einer Zentralisation ohne Kaiser (»durch die Zentralisation des Erbkaisers wird eigentlich der Konflikt zwischen Haus- und Zentralmacht auf den Thron gesetzt«). Auch aus außenpolitischen Gründen lehnt Mommsen das Erbkaisertum ab: dagegen will er die Einzelfürsten nicht beseitigen. Preußen soll die Führung in Deutschland übernehmen. »Preußen ist ein Staat; die anderen deutschen Länder alle sind nur Titularstaaten, aber faktisch Provinzen.« Mommsen überläßt es der deutschen Nationalversammlung, einen praktischen Weg zu finden, er will »um jeden Preis aber die Einheit Deutschlands!« -- Die Lebenserinnerungen Georg Christian Burchardis ( 984) besitzen allgemein-deutsches Interesse mehr durch die Tatsache, daß Burchardi der Verteidiger


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Arndts in Bonn zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse war, als durch seine politische und amtliche Tätigkeit 1848--1850: als Oberappellationsrat in Kiel, als Präsident der Landesversammlung und als dänischer Reichsrat für Holstein (1854--1861) hat er eine eigentlich politische Begabung nicht erwiesen.

Für eine Reihe Thüringischer Einzelstaaten (Sachsen-Meiningen, Sachsen- Weimar, Reuß jüngere Linie) sind parallele Untersuchungen unternommen worden über die Wirkung, welche die Revolution 1848 auf ihre Politik und innere Gestaltung ausgeübt hat, und zwar von Schocke ( 985), Huhn ( 986) und Wucher ( 987). Das bereitliegende archivalische und publizistische Material, daneben auch persönliche Nachlässe von leitenden Männern sind dabei ausgeschöpft und so ein vielseitiges, alle Lebenskreise darstellendes Bild der Umwälzungen entstanden. Handelt es sich hier auch im Vergleich mit den Bewegungen in Paris, Berlin, Wien und Frankfurt um einen Sturm im Wasserglase, so sind doch diese kleinen Länder in allen Erscheinungen Spiegel der Gesamtbewegung, sie lassen ferner im Rahmen einer mäßig umfangreichen Arbeit zu, alle von der Bewegung berührten Fragen -- neben den nationalen und verfassungspolitischen auch die wirtschaftlichen -- zu durchleuchten und zugleich die Stimmungen der Bevölkerung den größeren Ereignissen gegenüber erkennen: so liegt das Lehrreiche dieser Arbeiten gerade in dem räumlich kleinen Gebiet, welches sie behandeln. Ähnliche sorgfältige und in das Einzelne dringende Arbeiten möchte man für andere deutsche Kleinstaaten und die preußischen Provinzen wünschen.


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