II. Deutschland, Österreich und Preußen in den 50er Jahren.

A. O. Meyers Buch über »Bismarcks Kampf mit Österreich am Bundestag« ( 1004), soll, wie das Vorwort sagt, »Neuland für die Erkenntnis Bismarcks gewinnen« und tut das in unerwartet reichem Maße. Wir kannten Bismarcks Tätigkeit am Bundestag bisher aus seinen eigenen, seit langem veröffentlichten Berichten. A. O. Meyer hat jetzt im Wiener Staatsarchiv die Berichte der österreichischen Präsidialgesandten als wichtigste neue Quelle benutzt, und daraus erwächst ein Bild des Bundestagsgesandten Bismarck, das die bisherigen Anschauungen über seine Entwicklung vom Anhänger zum Gegner Österreichs unter den Frankfurter Eindrücken bestätigt, aber darüber hinaus für die persönliche Eigenart Bismarcks wie für die deutsche Geschichte der 50er Jahre viel Neues und Wertvolles bringt. Neben dem Wiener und einigen anderen Archiven sind auch die seit langem gedruckten, aber so gut wie nie benutzten Protokolle der Bundesversammlung mit herangezogen worden. Wir erhalten dadurch zum erstenmal eine Schilderung der politischen Vorgänge am Bundestag in den 50er Jahren, die sehr deutlich zeigt, wie unmöglich der Bundestag als politische Körperschaft war und wie wenig er als aktiver politischer Faktor bedeutet hat. Vor allem werden die Persönlichkeiten der drei Gegenspieler Bismarcks in Frankfurt, die österreichischen Präsidialgesandten Graf Thun, Prokesch von Osten und Graf Rechberg, die wir bisher im Wesentlichen nur aus den bitteren und sarkastischen Kritiken Bismarcks kannten, in feinen Charakteristiken gezeichnet. Der Vergleich der österreichischen Berichte mit denen Bismarcks zeigt, daß Bismarck im allgemeinen der angreifende Teil gewesen ist und daß er ohne allen Zweifel für diese österreichischen Gesandten ein höchst unbequemer Gegenspieler war. A. O. Meyer betont, daß Bismarcks eigene Berichte schon darum ein falsches Bild seiner Ansichten geben, weil er oft wichtige Äußerungen der eigenen Regierung verschwieg, und weil seine Berichterstattung auch eine Art politisches Kampfmittel gegenüber der eigenen Regierung war und er deshalb alles bewußt zurückstellte, was ihr das Rückgrat gegenüber Österreich schwächen konnte. Charakteristisch ist auch das diplomatische Vorgehen Bismarcks,


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der auf der einen Seite rücksichtslos mit diplomatischen Finten arbeitete, auf der anderen Seite mit rückhaltsloser Offenheit seine Gegner überraschte. Das erste Ziel Bismarcks am Bundestag war, in Übereinstimmung mit seiner Regierung, die Parität zwischen Preußen und Österreich, die in den Zeiten Metternichs in Frankfurt bestanden hatte, wiederherzustellen, nicht der Bruch mit Österreich und nicht die Zerstörung des Bundes. Für diese Parität kämpfte er mit allen Mitteln. Erst als er erkannte, daß Österreich sie nicht gewähren wollte und daß Preußens eigenes Interesse am Bundestag nicht gewahrt werden könne, und seit der Wandlung der außenpolitischen Situation durch den Krimkrieg, beginnt er etwa seit 1857 auf den Bundesbruch und auf den Kampf mit Österreich hinzuarbeiten, was er seiner Regierung verbarg. Österreichs Einwirkungen ist dann, was man bisher nicht wußte, im Wesentlichen die Abberufung Bismarcks aus Frankfurt zu verdanken. Er verließ die Stadt in tiefster Erbitterung und in einem Augenblick, wo die kühnsten Träume einer preußischen Machtpolitik gegen Österreich in Erfüllung zu gehen schienen. Bismarcks immer häufiger werdenden Andeutungen der bewaffneten Entscheidung des deutschen Dualismus, auch den Österreichern gegenüber ausgesprochen, folgt 1859 das kühne Programm, den Krieg dieses Jahres zu benutzen, um die preußische Armee »nach Süden aufbrechen, die Grenzpfähle im Tornister mitnehmen und sie entweder am Bodensee oder da, wo das protestantische Bekenntnis aufhört vorzuwiegen, wieder einzuschlagen«. A. O. Meyer hat sicher recht, daß die Durchführung jenes Planes verhängnisvoll gewesen wäre, »sicherlich kein Deutsches Reich ... sondern nur ein Großpreußen« geschaffen hätte. Auch darf man meinen, daß dieser Plan doch etwas aus der persönlichen Erbitterung über die Abberufung von Frankfurt als aus kühler realpolitischer Überlegung erwuchs.

Einen der Frankfurter Gegenspieler Bismarcks behandelt die Arbeit von Engel-Jánosi Graf Rechberg ( 1005). Sie beruht auf reichhaltigem Aktenmaterial der Archive in Wien, Berlin und München. Rechberg, der Sohn einer schwäbischen Adelsfamilie und eines bayrischen Ministers, wird in den bayrischen Staatsdienst nicht aufgenommen und tritt in den Dienst der österreichischen Diplomatie. Eng verbunden mit Metternich, den er 1848 bei seiner Flucht begleitete, teilt er dessen gesamte politische Anschauungen. 1849--1850 als Nachfolger Schmerlings in Frankfurt, dann in schwieriger Stellung als politischer Vertreter neben Radetzky in den italienischen Gebieten Österreichs, schließlich wieder in Frankfurt, leitete Rechberg nach Ausbruch des Krieges 1859 bis Ende 1864 die österreichische Außenpolitik. Der Verfasser läßt mit Rücksicht auf die bevorstehende Publikation von Srbik die deutsche Frage zurücktreten, auch Rechbergs Haltung gegenüber Schleswig-Holstein wird nur knapp berührt und ebenso mit Rücksicht auf das Buch von A. O. Meyer seine Tätigkeit am Bundestag nur kurz behandelt, wobei Engel-Jánosi Rechberg positiver beurteilen möchte als A. O. Meyer. Wichtig sind vor allem die Abschnitte über die österreichische Politik im Kriege von 1859 und seine Haltung in den folgenden Jahren bis zum polnischen Aufstand 1863. Die innere Schwäche des österreichischen Staates wird sehr nachdrücklich betont und in ihr der Grund gesehen, warum Rechberg eine unbedingt friedliche Außenpolitik verfolgte. Er war vor allem entschieden für eine Verständigung mit Preußen und mußte, obwohl man ihm später die Schuld an der österreichischen Niederlage von 1866 gab, zurücktreten, weil er diesen Gesichtspunkt im Ministerium


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trotz Unterstützung des Kaisers nicht durchsetzen konnte. Eine Reihe von Schreiben Rechbergs von 1866 bis in die 90er Jahre hinein gelten vor allem der Rechtfertigung seiner Politik gegen diesen Vorwurf. Die Arbeit ist ein überaus wichtiger Beitrag zur Geschichte der österreichischen Außenpolitik der 50er und 60er Jahre. Zur Kritik möchten wir nur darauf hinweisen, daß das Wort »großdeutsch« wohl mit Unrecht für Rechbergs Politik mehrfach gebraucht wird.

Den Nachfolger Bismarcks am Bundestag, Guido v. Usedom, behandelt der Aufsatz von Reinhold Müller ( 1007) auf Grund von Briefen an Bunsen und Gruner. Trotz Bismarcks scharfem Urteil über Usedom und trotz beider persönlichen Gegensätzen zeigt die Veröffentlichung Müllers, daß Usedom nicht nur die Richtigkeit der Haltung Bismarcks am Bundestag anerkannte, sondern dieselbe politische Richtung verfolgte, wie dieser; Preußen solle am Bund als europäische Großmacht auftreten. Usedom kämpfte scharf gegen ein Eingreifen zugunsten Österreichs im Jahre 1859, blieb aber in Berlin ziemlich ohne Einfluß. Er selbst plante eine Mobilmachung mit Besetzung der Mainlinie, die Preußen eine Schiedsrichterrolle zwischen Österreich und Frankreich gegeben hätte.

Der auf archivalischen Studien beruhende Aufsatz von Dehio ( 1010): Die Pläne der Militärpartei und der Konflikt zeigt, daß ein am 16. Februar 1861 vom König unterzeichneter »Feldzugsplan« für den Fall des Ausbruches der Revolution Truppenteile aus allen Teilen Preußens gegen Berlin in Marsch setzen wollte. Der Verlauf der Operation war für diesen Fall bis in alle Einzelheiten vorbereitet. Erst nach dem dänischen Krieg wurde der Plan aufgehoben. Dehio betont, daß hinter diesen Plänen, die die Revolution bekämpfen sollten, und die vor allem von Roon und Manteuffel getragen wurden, der Gedanke des Staatsstreiches stand. Den Urhebern wäre der Ausbruch der Revolution nicht unerwünscht gewesen, um diesen militärischen Mechanismus in Szene zu setzen und die Verfassung stürzen zu können. Sprach doch Roon von der Hoffnung auf »das stärkende Schlammbad einer neuen Revolution«.

Die beiden Aufsätze von Boutenko ( 1001): Über ein französisch-russisches Allianzprojekt von 1856 und Riker ( 1002): Über das europäische Konzert von 1857 und die Moldau behandeln zwei für die allgemeine außenpolitische Situation nach dem Krimkrieg wichtige Einzelfragen. Boutenko schildert den vergeblichen Versuch, eine französisch-russische Allianz nach Abschluß des Krimkrieges zustande zu bringen, dessen Gelingen für die spätere Politik Bismarcks eine erhebliche Erschwerung bedeutet hätte. Der Aufsatz von Riker behandelt die höchst verwickelten Verhandlungen der europäischen Mächte über das Schicksal der Moldau und Walachei in den Zeiten nach Abschluß des Krimkrieges, zum Teil auf Grund ungedruckten Materials. Der Aufsatz ist auch für die gesamtpolitische Situation und den Charakter der Napoleonischen Politik wichtig.


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