III. Deutsche Politik im Jahrzehnt der Reichsgründung.

Onckens große Publikation über den Großherzog Friedrich von Baden und die deutsche Politik ( 995) ist ein Gegenstück zu der im vorigen Berichtsjahr (S. 328 f.) erwähnten Publikation desselben Verfassers über Napoleon III. Bot uns die Veröffentlichung über die französische Rheinpolitik wichtigstes Quellenmaterial zur Beurteilung der außenpolitischen Probleme, die die Reichsgründung begleiteten,


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so erschließt die Veröffentlichung über den badischen Großherzog eine überaus wichtige Quelle zur inneren Geschichte der deutschen Frage. Eine Auswertung des hier dargebrachten überreichen Materials, das mit den Zeiten des Krimkrieges einsetzt und mit dem Abdruck des den größten Teil des zweiten Bandes füllenden Tagebuchs des Großherzogs Friedrich von Baden aus den Jahren 1870/71 endet, ist hier selbstverständlich nicht möglich. Onckens Einleitung, die gesondert schon im vorigen Jahr erschien (vgl. Bibliographie, Jahrgang 1926, Nr. 1248) charakterisiert nicht nur Persönlichkeit und politische Bedeutung des Großherzogs, sondern die Probleme der deutschen Politik jener Jahre. Die menschlich sympathische Persönlichkeit und die politische Bedeutung des Großherzogs als Gegenspieler und Bundesgenosse Bismarcks treten in der Einleitung wie in der Publikation deutlich hervor. Er teilte gewiß manche Irrtümer der liberalen Generation seiner Zeit, mit deren Anschauungen er ganz anders innerlich verbunden war, als der preußische Kronprinz und Kaiser Friedrich. Großherzog Friedrich war im Grunde der einzige deutsche Fürst jener Jahrzehnte, der wirklich tief vom nationalen Gedanken ergriffen und für ihn Opfer als Fürst eines Einzelstaates zu bringen bereit war. Auch das Tagebuch von 1870/71, das als historische Quelle überaus wichtig ist, zeigt im Gegensatz zu dem entsprechenden Tagebuch des späteren Kaiser Friedrich, wie sehr er diesem als Politiker überlegen war. Für die meisten die Reichsgründung begleitenden Ereignisse erhalten wir in der Publikation wichtiges neues Quellenmaterial, so etwa über den Fürstentag von 1863; vor allem treten das Verhältnis von Staatsmacht und nationaler Idee, der liberalen Generation zu Preußen, überhaupt alle Probleme der nationalen Bewegung in manche neue Beleuchtung. -- Die Arbeit von Hofmann ( 1049) über »Badens Anteil an der Reichsgründung« ist eine klare populäre Zusammenfassung, die nachträglich noch die Onckensche Veröffentlichung benutzt hat. Sie schildert, spezieller auf die badischen Verhältnisse beschränkt, die Haltung nicht nur der badischen Regierung, sondern auch die politischen Strömungen in Baden in den Zeiten der Entstehung des Deutschen Reiches.

Der in unserem Berichtsjahr erschienene Band IV der Gesammelten Werke Bismarcks ( 1011) umfaßt die Zeit vom Antritt seines Ministeriums bis zum Ende des Jahres 1864. Im Gegensatz zu den früheren Bänden der Politischen Schriften, in denen nur relativ wenig ungedruckte Stücke enthalten waren ist die große Mehrzahl der in diesem Band wiedergegebenen amtlichen Schreiben bisher noch nicht gedruckt worden. Sie sind, wie der Herausgeber Friedrich Thimme mit Recht sagt, eine Ergänzung der großen deutschen Aktenpublikation nach rückwärts und eröffnen ganz neue Einblicke in die außenpolitische Werkstatt Bismarcks in den Zeiten vor der Reichsgründung, hier also zunächst der Jahre 1862--1864. Auch dieses reichhaltige Material hier zu würdigen, ist nicht möglich. Im Mittelpunkt steht natürlich die schleswig-holsteinische Frage, wobei interessant ist, wie früh und wie geschickt Bismarck schon in den Zeiten, in denen er offiziell am Londoner Protokoll festhielt, die Loslösung von ihm vorbereitete. Der Gesamteindruck der Veröffentlichung ist, daß Bismarck noch durchaus nicht bewußt auf den Bruch mit Österreich hinarbeitete, vielmehr noch bestrebt war, ein Zusammengehen der beiden deutschen Großmächte in Deutschland und gegenüber dem Ausland herbeizuführen. Dabei wird mehrfach, freilich wohl im Wesentlichen taktisch


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bestimmt, der gemeinsame Gegensatz gegen die Revolution und das Eintreten für das konservative Prinzip betont. Der Kernpunkt ist, durchaus in Übereinstimmung mit den Darlegungen A. O. Meyers über den Bundestagsgesandten, das Festhalten des preußischen Machtanspruches der Gleichberechtigung mit Österreich. Daß man sie in Wien nicht zugestand, hat den Gedanken einer kriegerischen Auseinandersetzung wohl erst im Wesentlichen hervorgerufen.

Die Veröffentlichung K. A. von Müllers über »Treitschke als Journalist« ( 1009) enthält zwölf Artikel, die Treitschke vom Januar 1860 bis Januar 1861 für die Süddeutsche Zeitung schrieb. Da er sie als Leipziger Korrespondent verfaßte, stehen die sächsischen Zustände vielfach im Vordergrund. Ein Artikel enthält eine interessante Empfehlung der Preußischen Jahrbücher, ein anderer vom Dezember 1860 schildert »die Aufgabe der Preußischen Politik«. Die Veröffentlichung ist ein interessantes Zeugnis für Treitschkes Tätigkeit, wenn auch für die Entwicklung seiner politischen Anschauungen Neues aus diesen Artikeln nicht hervorgeht.

Von Arbeiten über bestimmte außenpolitische Probleme der Zeiten der Reichsgründung sei zunächst auf die Greifswalder Dissertation Büschers ( 1012) über Schweden-Norwegen und die schleswig-holsteinische Frage hingewiesen, die ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der schleswig-holsteinischen Frage ist, weil sie die sonst kaum berücksichtigte Haltung Schweden-Norwegens, auch auf Grund der Akten des Reichsarchives Stockholm, schildert. Büscher beginnt mit einem Rückblick auf die Entwicklung des »Skandinavismus« und behandelt dann die Politik Schweden-Norwegens in der schleswig-holsteinischen Frage, vor allem im Hinblick auf diese Bestrebungen des »Skandinavismus«, deren Bedeutung aber nicht zu überschätzen sei. Die schwedische Politik hat vor allem 1848/49 politisch zugunsten der Dänen einzuwirken versucht, sich freilich vorsichtig von dem Risiko eines Eingreifens zurückgehalten. Eine wirklich selbständige Politik war Schweden nicht möglich. Man segelte im Fahrwasser der Großmächte, vor allem Rußlands. Im Herbst 1863 versagte der »Skandinavismus« und erhielt, wie Büscher es ausdrückt, seinen Todesstoß. Dänemark sah sich von Schweden verlassen.

Das Buch von Albrecht ( 1016) über Optionen und Optanten in Nordschleswig ist infolge des Todes des Verfassers mehr eine Materialsammlung als eine abgeschlossene Darstellung, und benutzt im Wesentlichen die Akten der Regierung in Schleswig, nicht die des Oberpräsidiums in Kiel und der Berliner Ministerien. Trotzdem ist das hier dargebotene Material höchst wichtig und aufschlußreich und schildert mit der Optantenfrage einen Teil des nationalen Kampfes in Nordschleswig bis in den Weltkrieg hinein. Die Schwierigkeit lag darin, daß die Mehrzahl der Optanten nicht aus nationalen Gründen, sondern um sich der Wehrpflicht zu entziehen optierte, aber dann wieder in das Deutsche Reich zurückkehrte. Die Fülle der daraus erwachsenden Schwierigkeiten über die staatsrechtliche Stellung der Optanten und ihrer Kinder ist nie definitiv gelöst worden.

Der Aufsatz von Pingaud ( 996) über die äußere Politik des zweiten Kaiserreichs gibt, in Auseinandersetzung mit Onckens Publikation und ihrer Einleitung, eine knappe zusammenfassende Betrachtung über die Politik Napoleons III., die mancherlei wichtige Bemerkungen zur gesamten außenpolitischen Situation in den Zeiten der Reichsgründung enthält, wenn man dem Verfasser


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auch durchaus nicht in allem zustimmen kann. -- Der Aufsatz von Max Springer ( 997) versucht nicht sehr überzeugend Napoleon als »Vorkämpfer des modernen Imperalismus« zu charakterisieren und damit das Zukunftskräftige seiner Politik zu betonen.


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