IV. Innen- und außenpolitische Probleme in den Jahren 1866--1867.

Die Arbeit von Wendel ( 1022) über »Bismarck und Serbien im Jahre 1866« zeigt, daß Bismarck über die bereits bekannten Pläne eines ungarischen Aufstandes hinaus auch mit Serbien und Südslawen im Wesentlichen auf dem Wege über Italien sehr intensiv verhandelte. Der Verfasser benutzt preußische, österreichische und serbische Akten und zeigt, daß nicht erst, als ein französisches Eingreifen drohte, sondern schon vorher Bismarck über einen Aufstand der Südslawen und ein Eingreifen Serbiens gegen Österreich verhandeln ließ. Zur Auslösung eines solchen Kampfes war die Landung italienischer Truppen in Dalmatien geplant. Im Wesentlichen der schnelle Ablauf der Ereignisse von 1866 hat nach Wendels Ansicht ein Ergebnis dieser sehr ernsthaften Verhandlungen verhindert. Ein Aktenanhang, der fast die Hälfte des Bandes bildet, bereichert die interessante Publikation. -- Eine ähnliche Verbindung Bismarcks mit revolutionären Kräften im Jahre 1866 zeigt der Aufsatz von G. Mayer ( 1021), der zum Teil auf Grund von ungedrucktem Material Beziehungen zwischen Bismarck und der Redaktion des »Sozialdemokrat« nachweisen kann, die ein unverzinsliches Darlehen erhielt. Auch die Haftentlassung von Schweitzers steht nach Mayers Ansicht mit diesen Dingen im Zusammenhang. -- Auch der von Dehio ( 1017) mitgeteilte Briefwechsel zwischen Rodbertus und Ziegler zeigt eine ähnliche Tendenz der damaligen Politik Bismarcks. Die Einleitung Dehios wie die Briefe deuten auf Beziehungen Bismarcks zum linken Flügel der bürgerlich-demokratischen Bewegung. Der Briefwechsel ist überhaupt aufschlußreich für die innenpolitische Situation Deutschlands in den Zeiten des Krieges von 1866 und beweist über die Möglichkeit eines taktischen Zusammengehens hinweg eine gewisse Verwandtschaft der politischen Haltung Bismarcks mit, wie Dehio es ausdrückt, »der staatlich gesinnten Demokratie« gegenüber der Masse der bürgerlich Liberalen.

Die von Schmidt ( 1018) in einem Aufsatz über das Kavalleriekorps Prinz Albrecht bei Königgrätz mitgeteilten Aufzeichnungen Radeckes, damals Adjutant des Kavalleriekorps Prinz Albrecht, behandeln vor allem die Frage, warum es nach der Schlacht von Königgrätz zu keiner einheitlichen Verfolgung durch die Kavallerie kam. Die Aufzeichnungen sind einige Tage nach der Schlacht niedergeschrieben. Sie werden ergänzt durch einen sehr viel späteren kurzen Nachtrag aus dem Jahre 1905, der von der fieberhaften Erregung des Königs und Moltkes spricht, da die Lage zunächst alles andere als günstig schien. Radecke scheint daraus erklären zu wollen, daß der Befehl zur Verfolgung zu spät gegeben wurde.

Der Aufsatz von Roloff ( 1020) über die Vorgänge in Brünn und Nikolsburg soll, wie schon der Titel zeigt, nachweisen, daß »nicht Bismarck, sondern der König isoliert« war. Er sucht sich bei seiner kritischen Untersuchung von dem die Literatur allzu stark beherrschenden Einfluß der späteren Erzählungen Bismarcks freizumachen und prüft neben den Berichten Benedettis alle Aussagen der sonst beteiligten Persönlichkeiten. Roloff weist darauf hin, daß, wenn Bismarck in den Verhandlungen mehrfach von höheren Friedensforderungen


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spricht, die er bekämpft habe, das noch nicht viel besage, weil er dieses taktische Mittel auch sonst in Verhandlungen angewendet habe. Er meint, tatsächlich habe es keine Opposition der Generale gegeben, die im Gegensatz zu Bismarck überspannte Forderungen für den Friedensschluß vertraten. »Die Erzählung von einer militärischen Fronde gegen Bismarck hat sich also als Legende erwiesen.« Auch die Gegensätze zwischen König Wilhelm und Bismarck schwächt Roloff ab, die Erzählung vom Weinkrampf des Königs, von Abdankungsabsichten sind nach ihm ebenfalls Legende. Der Aufsatz ist methodisch wichtig, aber wir möchten meinen, daß Roloff in seiner These allzu weit geht und in dem inzwischen veröffentlichten Band VI der Gesammelten Werke Bismarcks zeigt sich an mehreren Stellen, daß Bismarcks spätere Schilderungen doch nicht so unrichtig sind, wie Roloff meint, und daß z. B. Roon nicht für schnellen Abschluß des Friedens war.

Die kurze Abhandlung von Leclère ( 1023) über Bismarcks Stellung zu Belgien 1866/67 betont vor allem auf Grund der Onckenschen Publikation, daß die belgische Frage noch mehrere Monate nach dem Prager Frieden akut geblieben sei und daß Bismarck bereit war, Belgien Frankreich zu opfern. Daß Bismarck die französischen Pläne auf Annexion Belgiens zeitweise begünstigte, ist seit langem bekannt gewesen. Daß die eigentliche Initiative für solche Pläne bei Frankreich lag, betont auch der Verfasser, so daß es wenig Sinn hat, wenn er die damalige Haltung Bismarcks mit dem Einmarsch in Belgien 1914 in Parallele stellt. -- Die Groninger Dissertation von Hamstra ( 1024) über die Luxemburgische Frage ist wichtig, weil sie neben der gedruckten Literatur die Berichte der holländischen Gesandtschaften in Berlin und Paris benutzt, ohne daß damit das bekannte Bild sich wesentlich ändert. Natürlich wird in dieser Arbeit die Politik Hollands stärker als sonst herausgearbeitet.

Klockes Arbeit ( 1025) über die sächsische Politik und den Norddeutschen Bund ist ein wichtiger, auf bisher unbekanntem sächsischen Archivmaterial beruhender Beitrag zur Geschichte der Reichsgründung. Nach knapper Charakterisierung des Königs Johann und des Ministers v. Friesen wird die Haltung Sachsens bei der Gründung des Norddeutschen Bundes eingehend geschildert. Der Verfasser betont, daß Sachsens Politik von vornherein sehr enge Grenzen gezogen waren und daß bei Lage der Dinge ein Widerstand gegen den Eintritt in den Norddeutschen Bund und gegen Preußens Forderungen nicht möglich war. Man habe das in Sachsen erkannt und versucht, mit Preußen loyal zusammenzuarbeiten. Da man auf politischem Gebiet nichts retten konnte, legte man das Schwergewicht auf die Erhaltung der Selbständigkeit der sächsischen Armee, die man nur teilweise erhalten konnte, und auf Rettung der Gesandtschaften. Klocke betont, daß es sich dabei im Grunde nur um formale, nicht um reale Souveränitätsrechte gehandelt und daß der militärische Ehrbegriff der Dynastie stark mitgesprochen habe. Versuche, die politische Macht des neuen Bundespräsidiums zu schwächen und die Stellung des Bundesrates zu stärken, hatten keinen Erfolg. Bei äußerlich versöhnlicher Haltung und bei Entgegenkommen in Einzelheiten hielt Bismarck an seinen Grundforderungen entschieden fest. Er drohte immer wieder mit dem Parlament, falls eine Vereinbarung mit der sächsischen Regierung scheitere. Dann könne man demokratischer und »deutschnationaler« regieren. In Sachsen empfand man die ganze Haltung Bismarcks als großpreußische Machtpolitik und fühlte sich annektiert. So zeigt


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die Arbeit, wie stark die Verwandtschaft dieser Verhandlungen Bismarcks mit Sachsen zu den entsprechenden mit den süddeutschen Staaten im Jahre 1870/71 war. Die Politik Sachsens von 1867--1870 schildert Klocke nur knapp, da die Akten hier unergiebig sind; auch in diesen Jahren habe die sächsische Politik loyal im Rahmen des Norddeutschen Bundes gehandelt, aber im Wesentlichen »aus der Einsicht des Nichtanderskönnen«, mit einem gut Teil Resignation.

Die Münchner Dissertation von Cornelius: Der Friede von Nikolsburg und die öffentliche Meinung in Österreich ( 1019) behandelt unter Benutzung der Presse die Haltung der öffentlichen Meinung in Österreich im Jahre 1866 vor, während und nach dem Kriege, ist also umfassender als ihr Titel. Im Gegensatz zu den heute vielfach üblichen Dissertationen über Pressethemen, die diese schwierige Quelle meistens nur äußerlich benutzen, darf man sagen, daß Cornelius seiner Aufgabe gut gerecht geworden ist und uns ausgezeichnet und sorgfältig über die Stimmungen und Anschauungen in Österreich im Jahre 1866 unterreichtet.


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