d. Einzelne Phasen der diplomatischen Geschichte des Krieges.

Die Literatur ist nahezu völlig beschränkt auf Zeitschriftenaufsätze, die überwiegend nur von Materialwert sind. Die russisch-türkischen Verhandlungen bei Kriegsausbruch behandelt Mirkine-Guetzevitsch in der Monde Slave ( 1187). Er verknüpft die Behandlung des Enverschen Bündnisfühlers bei Rußland in den ersten Augusttagen 1914 mit einem Angriff gegen das Aktenmaterial der Pokrowskischen Dokumentenpublikation, das er an einem einzelnen Punkte in sehr konstruierter und nicht überzeugender Weise der tendenziösen Unvollständigkeit zu überführen sucht. -- B. E. Shatzky hat in der Revue d'hist. de la guerre mondiale seine vorjährige Abhandlung über die russische Meerengenpolitik im Kriege ( 1189) bis zur Revolution von 1917 fortgesetzt. Interessant ist an dem Aufsatze die Behandlung des Jahres 1916, in dem die Aussichtslosigkeit der russischen militärischen Lage nacheinander das russische Hauptquartier unter Alexejew und die Regierung Stürmers zu dem Gedanken eines Separatfriedens mit der Türkei hindrängte. Das Verhältnis Rußlands zu seinen Verbündeten verschob sich dadurch so stark, daß England immer eifriger die Meerengenverlockung auszuspielen bemüht war, während das russische Interesse an dem 1915 so heiß begehrten Zugeständnis zeitweise bis auf den Nullpunkt herabsank. -- Die gleiche Zeitschrift hat nach russischer Vorlage einiges Material zu dem Ringen um die Frage der polnischen Autonomie gebracht, das im Schoße des russischen Kabinettes dem Sturze Sasonows ( 1190) vorausging. Diese Ministerratsprotokolle zeigen, wie die Mehrheit der russischen Minister im Sommer 1916 selbst dem Gedanken einer ganz bescheidenen politischen Autonomie des russischen Polens noch einen zähen Widerstand entgegen stellte. -- Die Monde Slave veröffentlichte zwei Dokumente zur Geschichte der Petersburger Interalliierten Konferenz im Jahre 1917 ( 1191). Ein Protokoll des Außenministers Pokrowski beschäftigt sich vor allem mit Beratungen der Verbündeten über ihre griechische Politik, die einen Sieg des intransigenten französischen Standpunktes besonders über Bedenken Italiens brachten. Ein an den Zaren gerichtetes geheimes Memorandum Lord Milners enthält eine bittere Kritik an der bürokratischen Hilflosigkeit der russischen Kriegswirtschaft und


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unterstreicht die Begrenztheit der englischen Kreditmöglichkeiten in diesem Jahre schwerster Sorgen für die Entente. Die Anerkennung, die Milner der Tätigkeit der Semstwos und der Städteunion zollt, grenzt, soweit es die Rücksicht auf den Adressaten erlaubte, an die Aufforderung, durch Gewährung einer Verfassung der als unfähig erwiesenen Herrschaft von Bürokratie und Selbstherrschertum ein freiwilliges Ziel zu setzen.

Zur Politik der Zentralmächte im Kriege hat Arthur Weber nach den Materialien der Tiszabriefe die Stellung des Grafen gegenüber dem drohenden Eingreifen Italiens in den Weltkrieg ( 1188) behandelt, die nach langem, zähem Kampf gegen alle Konzessionen, nach der Beseitigung des als allzu weich verworfenen Berchtold im Anfang 1915, in letzter Stunde, verspätet und bestürzt, weitestgehende Opfer bringen wollte, um Ungarn vor dem gefürchteten gleichzeitigen Doppelangriff von Italien und Rumänien zu retten. -- In Deutschland hat die Diskussion über die angeblichen oder wirklichen Friedensmöglichkeiten von 1917 fortgedauert. So hat V. Bredt nach der Aufsehen erregenden Vernehmung Michaelis' und Kühlmanns durch den Untersuchungsausschuß in einem neuen Aufsatz über die päpstliche Friedensaktion ( 1193) seine alten, innerpolitischen Anklagen gegen die deutsche Antwort auf den päpstlichen Friedensschritt aufrecht erhalten. Der Streit geht zur Zeit um die Frage, ob die dem Siebenerausschuß vorenthaltene Antwort an den Nuntius vom 24. September 1917 in der belgischen Frage ein Nein oder ein bedingtes Ja, wie es Kühlmann beansprucht, gegenüber der vom Papste gewünschten Verpflichtung zu voller souveräner Wiederherstellung Belgiens nach dem Kriege bedeutet. -- Im großen Zusammenhang der Entwicklung des Jahres 1917 behandelt die gleiche Frage der päpstlichen Friedensvermittlung Martin Spahn im Hochland ( 1194), wo er zu dem sehr abweichenden Ergebnis kommt, daß, wenn jemals Aussichten auf ernsthafte Friedensverhandlungen bestanden hätten, dies nur Anfang Juli bei dem ersten Besuche des Nuntius in Berlin der Fall gewesen, daß diese Aussicht aber über dem Ausbruch des deutschen Verfassungskonfliktes zur gleichen Stunde zerstört worden sei. -- Die Abhandlung von Benesch in der Monde Slave über die Versuche eines »Weißen Friedens« im Jahre 1917 ( 1196) bringt zu den grundlegenden Problemen nichts Neues, für die diplomatischen Unterhandlungen wiederholt sie meistens die Darstellung Richard Festers. Aus eigener Erinnerung berichtet er über den Kampf der tschechischen Propaganda in den Ententestaaten gegen die für ihre Sache bedrohliche Möglichkeit eines Separatfriedens mit Österreich und über die wertvolle Verbindung, die sie auf der sozialistischen Konferenz in Stockholm mit der Sozialdemokratie des eigenen Heimatlandes aufnehmen konnte.

Eine letzte Gruppe von Aufsätzen führt in die Ostpolitik des Jahres 1918. Die Preußischen Jahrbücher brachten eine Denkschrift des Grafen Georg Waldersee aus dem Stabe Oberost über die Lage in den russischen Randländern vom 25. Januar 1918 ( 1198). Sie warnt vor Überschätzung der Kräfte des deutschen Baltentums und sieht in den Polen die schwerste Gefahr für die deutschen Interessen, deren sie jedoch durch eine energische militärische Verwaltung Herr zu werden hofft. -- Die Revue d'hist. de la guerre mondiale enthält zwei Beiträge ( 1199-- 1200) über die Versuche einer deutschen Thronkandidatur in Finnland: eine französische Darstellung nach finnischen Materialien von Beaurain, die deutlich die schwache Machtgrundlage dieses Wunsches der finnischen Rechtsparteien,


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zugleich aber ihr zähes Festhalten an dem Gedanken zeigt, und als zweites den Warnungsbrief, durch den der Führer der finnischen Bauernpartei, Schaumann, im September 1918 ihren Kandidaten, den Prinzen Friedrich Karl von Hessen, von der Annahme des Thrones abzuhalten suchte.

Zum Ausgang des großen Krieges liegen die beiden einzigen größeren Werke vor, die für 1927 an dieser Stelle zu erwähnen sind. Das sind in erster Linie die umfangreichen Erinnerungen und Dokumente des Prinzen Max von Baden ( 1201), historisch wertvoll zunächst durch den Reichtum gleichzeitiger dokumentarischer Aufzeichnungen, die ihnen einverleibt sind und sie zu einem unentbehrlichen Beitrag zur Kenntnis des Jahres 1918 machen. Das menschlich anziehende Bild, das diese Erinnerungen von dem unglücklichen Fürsten geben, hat freilich nicht vermocht, die früheren Bedenken gegen den Politiker zu zerstören, der, keiner festen politischen Gruppe angehörend, weder die Energie, noch den elementar sicheren Instinkt zu einer führenden Stellung in hoffnungslos kritischer Lage besaß. Das ausgedehnte Material des Buches zeigt deutlich, wie fern er trotz wachsender Verflechtung mit dem politischen Meinungskampf bis 1917 den eigentlichen politischen Tagesfragen gestanden hat. Der ethische Imperialismus, den er in diesen Jahren als theoretische Grundlage seiner politischen Überzeugungen ausbildete, ist bei ihm persönlich doch sehr viel weltfremder, als er anscheinend bei seinen inspirierenden politischen Freunden in der Zentrale für Auslandsdienst gewesen ist, deren Nachrichten- und Denkschriftenmaterial in ausgedehnten Auszügen wiedergegeben wird. Als er 1918 auf den Posten des leitenden Staatsmannes berufen wurde, erwies sich seine Einsicht nahezu ständig seiner Kraft in einer hoffnungslos verfahrenen Lage überlegen. So ist er von Niederlage zu Niederlage geschritten, selbst ein Teil des Verhängnisses, das ihn seine Freunde zu bannen berufen glaubten. Die sympathische französische Besprechung von Appuhn ( 1202), die für das Urteil Frankreichs charakteristisch ist, deutet ihn doch viel zu stark in das Realpolitische um und sucht irrig, in seinem ehrlichen Idealismus die Züge bewußter politischer Berechnung in viel zu starkem Maße zu entdecken. Versöhnend bleibt an der tragischen Erscheinung des Prinzen das ehrliche Streben nach objektiver und versöhnlicher Beurteilung von Männern, mit denen er in seiner kurzen Amtszeit schwere Kämpfe zu bestehen hatte. So ist sein Werk eine Apologie, die politisch nicht durchschlagende Kraft besitzt, wohl aber das menschliche Bild einer innerlich vornehmen, wenn auch weichen Erscheinung gegen alle Zweifel sicher stellt.

Der Geschichte der Versailler Konferenz hat K. F. Nowak ( 1203) eine Darstellung gewidmet, die seine bekannte literarische Gewandtheit in dem alten blendenden Lichte zeigt. Er ist in diesem neuen Buche nicht so stark wie in seinen Conradarbeiten an einen feststehenden subjektiven Standpunkt gebunden und hat so eine flüssige und fesselnde Schilderung der Konferenz geben können, die der Aufgabe einer vorläufigen geschichtlichen Darstellung sehr viel eher genügt als seine früheren Bücher. Auch dieses Mal hat er die vorhandene Literatur ergänzt durch vertrauliche Befragung von »zahlreichen Staatsmännern, Diplomaten und hohen Militärs aus beiden Lagern, die führend an der Konferenz Anteil genommen haben«. Er arbeitet, ohne sehr in die Tiefe zu gehen, besonders die Charakteristik der leitenden Staatsmänner mit glänzender Plastik heraus. Wo dabei seine neuen Materialien zur Verwendung gekommen


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sind, muß der Benutzer freilich erschließen, ohne immer in seinen Vermutungen das Gefühl der Sicherheit zu haben. Vielleicht wird auch dieses Buch wie schon heute der »Untergang der Mittelmächte« einmal dadurch überflüssig werden, daß Nowak seine Materialien selbst in authentischerer Form vorlegen kann. Deutlich erkennbar ist, daß ihm besonders von seiten des Grafen Brockdorff-Rantzau wertvolle Informationen zugeflossen sind. Infolgedessen sind beachtungswert die Teile des Buches, die über die Rolle Deutschlands im zweiten Teile der Konferenz handeln. Die Tätigkeit Brockdorffs, die Reibungen, die er mit dem Kabinett in der Heimat hatte, die Bedeutung der in Deutschland arbeitenden französischen Propaganda werden durch mannigfache neue Mitteilungen beleuchtet, die freilich bei der unkontrollierbaren Art der Nowakschen Quellenbenutzung nur als Anhalt für spätere Untersuchung anzusehen sind.


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