e. Militärische Gesamtgeschichte des Krieges.

Das militärische Interesse an den Erfahrungen des Weltkrieges ist in Deutschland noch immer am stärksten von der Frage der Wirkung und der Kritik der Durchführung des Schlieffenplanes gefesselt. Um dieses Problem kreist die bedeutsamste militärische Neuerscheinung des Jahres, General Grœners Testament des Grafen Schlieffen ( 1205), das an den Ereignissen des Kriegsbeginns kritisch Erfolgsaussichten des wahren Schlieffenplanes und Versagen der Epigonen untersucht. Die einleitende Studie des Buches über die ersten Kämpfe in Belgien war schon aus den Preußischen Jahrbüchern bekannt. Sie ist erweitert durch Untersuchungen über die Schlachten in Lothringen, bei Longwy und Neufchateau. Vor allem sind aber die Probleme des Ostfeldzuges bis zum Herbst 1914 umfassend hereingearbeitet, wobei ihre Behandlung ähnlich, wie dies schon bei jener ersten Studie zu bemerken war, in der hypothetischen Konstruktion eines ideal möglichen Verlaufs der Operationen manchmal wohl etwas gewagt vorgeht. Sehr wichtig ist die eingehende Behandlung der Frage, ob 1914 eine Ostoffensive mit Defensive im Westen empfehlenswert und möglich gewesen sei. Sie kommt angesichts der schwer beherrschbaren Raumweite im Osten und der Stärkeverhältnisse im Westen, angesichts auch der Verletzbarkeit der dort liegenden lebenswichtigen deutschen Landesteile entschieden zu dem Schluß, daß der deutsche Feldherr von 1914 nicht mehr das Maß von Operationsfreiheit in der Aufgabe weiter südwestdeutscher Gebiete besessen hätte, wie der ältere Moltke in seinen Plänen bis 1890, und bejaht daher unbedingt die Notwendigkeit der Schlieffenschen Grundidee. -- Sehr bezeichnenderweise bleibt auch die Kritik an dem Heer von 1914 meist von dem Geist Schlieffens abhängig. Das zeigt charakteristisch eine Arbeit K. v. Wachters ( 1221), die als Ursache des Versagens von 1914 das Mißtrauen der Armee gegen den Geist, die Technisierung des militärischen Berufes vor 1914, anklagt und dies durch eine in der hier vorliegenden Gestalt wenig glückliche Parallelisierung von gewissen Erstarrungserscheinungen des Heeres mit der allgemeinen Kulturentwicklung stützen möchte. Im Grunde wiederholt auch er vor allem die Kritik der deutschen Heerführung von 1914 auf Grund der Schlieffenschen Pläne und zeigt sich so selbst in Abhängigkeit von dem Besten im Geiste dessen, was Gegenstand seiner Kritik ist. -- Eine beachtliche, klare Studie, im Selbstverlag des Verfassers erschienen, hat ein ehemaliger Intendanturbeamter, P. Gesche ( 1217), geschrieben, der mit gediegener Facherfahrung den Gründen für das


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starke Versagen der Heeresverpflegung im Kriege nachspürt. Er zeigt, wie der bürokratisch sparsam aufgebaute Apparat der Intendanturverwaltung, nur auf Friedenszwecke berechnet, von Anfang an für die Größe der Kriegsaufgaben nicht hinreichte und vor den unerhört großen Neuanforderungen notwendig in wachsendem Maße versagen mußte. Die ungenügende, allzu ängstlich sparsame Vorbereitung der Friedenszeit auf einen wirklich großen Krieg, verbunden mit bürokratischer Enge, erscheint damit als erste Wurzel von Übelständen, die dann durch die Wirtschaftsnot des blockierten Deutschland verhängnisvollen Umfang erlangten. -- Eine prächtige Selbstbiographie, die beste Tradition des alten Heeres widerspiegelt, hat K. Litzmann, der Sieger von Brzeziny ( 1220), begonnen. Sie ragt über den Durchschnitt militärischer Erinnerungen durch die knorrige Selbständigkeit des Verfassers hervor, der dieser Eigenschaft und seinem Mitwirken an Wilhelms II. schlesischer Manöverniederlage von 1890 im Frieden seinen vorzeitigen Abbau als Divisionskommandeur zu verdanken hatte. Nach Jahren politischer und publizistischer Betätigung, vor allem im Dienste des Deutschen Wehrvereins, wurde er darum erst im Oktober 1914 an die Front geholt, um durch jenen mit seinem Namen eng verknüpften Ruhmestag sich die Bahn zu höheren Führerstellen zu brechen.

Der Anteil der Marine am Weltkrieg hat unter Leitung Eb. v. Manteys ( 1214) eine neue volkstümliche Darstellung aus der Feder angesehener Marinefachleute erhalten, die jedoch weder stofflich, noch gedanklich Neues bringt. -- Ebenso waren schon bekannt die in einer Neuausgabe erschienenen wirkungsvoll schlichten Berichte des Grafen Dohna-Schlodien ( 1216) über seine beiden berühmten Kreuzfahrten mit der Möwe.

Ein französischer Oberst, Oehmichen ( 1210), hat sich an einem sehr dankbaren Thema versucht, einer Untersuchung über die Notwendigkeit einheitlicher Oberführung im Koalitionskriege, wie sie sich aus den Erfahrungen der Entente ergeben hat. Er schreibt als Bewunderer Joffres und kritisiert scharf, daß der einheitliche Ansturm der Entente, wie er 1916 planmäßig durchgeführt war, nicht 1917 auf Grund der Entwürfe des französischen Generalissimus fortgesetzt worden sei, die einen baldigen, durchschlagenden Sieg gewährleistet hätten. Der theoretische Ertrag besteht jedoch nur in dem Gemeinplatz, daß möglichste Vereinheitlichung empfehlenswert sei, der Gesichtskreis des Verfassers ist auf das französische Feld beschränkt, das ganze verwickelte Ineinanderspiel politischer und militärischer Faktoren in den einzelnen Staaten der Entente kommt in dem blassen, farblosen Buche nicht entfernt zur Anschauung. Es ist der Versuch eines ungenügenden Bearbeiters an einem an sich höchst verlockenden und fruchtbaren Stoffe.

Dagegen hat die militärische Literatur Englands einen der inhaltreichsten und lebendigsten Quellenbeiträge zur Geschichte des Weltkrieges überhaupt erscheinen sehen. Die von Caldwell herausgegebene, echt englische Life- and Lettersbiographie des Feldmarschalls Henry Wilson ( 1211) vergegenwärtigt in einer Fülle originaler Zeugnisse ein höchst fesselndes und bedeutsames Soldatenleben. Wilson, ein echtes temperamentvolles Kind Ulsters, ist seit 1906 als Leiter der englischen Generalstabsschule, seit 1910 als Direktor der Operationsabteilung der nach französischer, wie englischer Aussage grundlegende Vorbereiter der englischen Teilnahme am Festlandskriege von 1914 gewesen. Zeitig ein warmer Bewunderer General Fochs, hätte er 1911, zusammen mit


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Churchill und Lloyd George, am liebsten schon den Kampf gegen Deutschland eröffnet. Seine Tagebuchaufzeichnungen werfen ein grelles Licht auf die damals schon bestehende enge militärische Verbindung mit Frankreich und die Stärke der kriegslustigen Stimmung in England. Sie bedeuten ein überaus wichtiges Dokument für eine innere Geschichte der Entente, die hinter der Greyschen Formel der freien Hand zu dem wirklichen Kern der Dinge vorzudringen bemüht ist. Im Kriege wurde er durch seine persönlich engen Beziehungen zu den französischen Heerführern, dazu durch elastische Verbindung von Energie und Geschmeidigkeit der gegebene Mittelsmann zwischen französischer und englischer Heeresleitung, der von 1914--1917 das Beste für eine wenigstens leidliche Zusammenarbeit beider Heere geleistet hat. Eine ähnliche Mittelstellung nimmt er auch in dem spezifisch englischen Ringen zwischen der streng kontinentalen Strategie der Fachmilitärs und der Neigung der Politiker zu exzentrischen Offensiven ein. Wie Robertson sieht er in Frankreich den englischen Hauptkriegsschauplatz, teilt aber nicht dessen starre Ablehnung gegen jeden den Endsieg vorbereitenden Kräfteeinsatz auf den Nebenkriegsschauplätzen in Asien und auf dem Balkan. So war er 1918 der gegebene Nachfolger Robertsons, der trotz seiner souveränen Verachtung gegen die Kompromißgewohnheit der politischen »Frocks« ein erträgliches Verhältnis zwischen Regierung und Heeresleitung in England herstellte, nach dem Erfolg der deutschen Offensive aber ehrlich die Einsetzung des einheitlichen Oberbefehls Foch anzuerkennen vermochte. Der bedeutendste Soldat Englands im Kriege, als Mensch fesselnd durch temperamentvolle, ursprüngliche Natürlichkeit, ganz ohne jede würdevolle Steifheit, hat er in seinen Tagebuchaufzeichnungen einen der ungeschminktesten Quellenbeiträge zur Geschichte des englischen Anteils am Kriege gegeben, der den Gegensatz zwischen Soldat und Politiker nicht so systematisch, aber weniger durch Reflexion gebrochen beleuchtet als die nachträglichen Erinnerungen Robertsons, der außerdem unersetzlich ist für die Kenntnis der englisch-französischen Beziehungen während des Krieges.

Der italienische Generalstab hat seine offizielle Geschichte des Krieges mit einem einleitenden Bande ( 1212) begonnen, der zunächst nur die Rüstungsgeschichte Italiens bis zum Kriegsbeginn 1915 darstellt und mit einer vergleichenden Übersicht über die österreichische Heeresorganisation endet. Die etwas heikle Aufgabe dieser Arbeit bestand offenbar darin, verständlich zu machen, warum die italienische Armee trotz der einzigen Gunst jener Jahresfrist, die ihr für ungehemmte letzte Rüstung gelassen war, nach Kriegsbeginn doch keinen durchschlagenden Erfolg zu erringen vermochte. So ist der Band, in streng militärisch-technischer Form, versehen mit einer Fülle von statistischen Nachweisen, zunächst eine große Anklage gegen die säumige Rüstungspolitik des liberalen Italien vor 1914. Die Größe der Anstrengungen Cadornas vom Juli 1914 bis zum Mai 1915 kann dann nicht weggeleugnet werden. Dafür stellt der Schlußteil die materielle und innere Stärke der österreichischen Armee in überraschend günstigem Lichte dar und versucht zu behaupten, daß die schweren Verluste Österreichs im ersten Kriegsjahr durch die gesammelte Kriegserfahrung wieder zuungunsten Italiens aufgehoben worden seien. Die Summe tatsächlichen Materials, die der Band enthält, scheint jedoch zu versprechen, daß die Fortsetzung des Werkes für die stoffliche Fundierung des Studiums der italienischen Kriegsführung von wesentlicher Bedeutung sein wird.


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