§ 29. Territorialverfassung und Ständestaat.

(H. Spangenberg.)

Die Entstehung der Landesherrlichkeit ist immer noch ein beliebtes Thema. Aber das Problem selbst ist trotz zahlreicher Dissertationen, die sich mit dem schwierigen Stoff befaßt haben, verhältnismäßig wenig gefördert worden, weil die Verfasser meist unter dem Einfluß der herrschenden Lehre nach gewohntem Schema die Ableitung der landesherrlichen Gewalt aus der gräflichen bzw. vogteilichen Gerichtsbarkeit zu erweisen suchen, statt den Quellenstoff vorurteilsfrei zu prüfen und das Problem als solches zu fördern. Beispiele dieses Verfahrens bieten zwei Dissertationen von Joh. Somya ( 1328) und Antonie Mock ( 1320) für die Grafschaften Berg und Württemberg. Die rechtliche Grundlage der bergischen Landesherrlichkeit erkennt Somya übereinstimmend mit v. Below, nach dem das bergische Territorium aus kirchlichen Vogteien entstanden sein soll, in der »grafengleichen, vogteilichen Blutgerichtsbarkeit«: die Grafen seien als Vögte hochgekommen; eine ganz eigentümliche »gründliche Verschmelzung von Grafschaft und Vogtei« habe stattgefunden, »die wir sonst nicht finden.« Andererseits aber spricht S. von einem ausgedehnten, vier Ämter umfassenden Allod im Deutzgau, in dem die Grafen »wohl auch


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Grafschaftsrechte besaßen«. Den Ausgangspunkt der landesherrlichen Gewalt der Grafschaft Württemberg (der Fortsetzung des alten Remstalgaues) bildeten »die gräfliche Gewalt und im besonderen die hohe Gerichtsbarkeit«. Nach A. Mock entstand die landesherrliche Gewalt hier schon in der zweiten Hälfte des 13. Jhd. (S. 43), obwohl die Verleihung des Blutbannes an die Grafen »zum erstenmal 1439 nachweisbar« ist. Wie es scheint, gelangte die landesherrliche Gewalt in Württemberg erst spät zur vollen Entwicklung. Auffällig ist, daß die Grafen von Württemberg das Befestigungsrecht, Markt- und Zollregal im 14. Jhd. überhaupt noch nicht, das Münzregal erst seit 1374 besessen haben sollen. Beide Autoren beschränken sich im wesentlichen darauf, die vogteiliche bzw. gräfliche Gerichtsbarkeit als Wurzel der landesherrlichen Gewalt festzulegen; sie gehen dagegen an der Kernfrage vorbei, wie es denn eigentlich gekommen ist, daß die Grafen die einstmals amtsweise, im Auftrage des Königs ausgeübten Hoheitsrechte später zu eignem Recht besessen haben, wie die Gerichtsbarkeit sich in eine Gerichtsherrlichkeit, das Amt in eine Herrschaft verwandelte, und ebenso wenig erörtern sie die Bedeutung der Grundherrschaft für die Entstehung der landesherrlichen Gewalt; die grundherrliche Theorie ist für sie scheinbar erledigt. Weit vorurteilsfreier behandelt Stoppel ( 1347) das Territorium der Bischöfe von Ratzeburg, einen von der Grafschaft eximierten Immunitätsbezirk. Ausgehend von der Erwerbung des Reichsfürstenstandes durch die Bischöfe und einer sorgfältigen Bestimmung des bischöflichen Grundbesitzes stellt St. fest, daß sich die landesherrliche Gewalt, wie es ähnlich z. B. auch in der Fürstabtei Essen (vgl. Jahresberichte, Jahrg. 1926 S. 382) geschah nur auf dem geschlossenen Grundbesitz der Bischöfe, nicht dagegen auf dem Boden des bischöflichen Streubesitzes durchsetzen konnte. Sie entwickelte sich im Bistum Ratzeburg seit Erwerbung der Vogtei über das Land Boitin durch Bischof Ulrich (i. J. 1261), also aus der vogteilichen Gerichtsbarkeit, die sich nach dem Wegfall der königlichen Bannleihe verselbständigte. Seitdem konnten die Bischöfe mit Hilfe einer Reform der Verwaltung, der Ämtereinteilung u. dgl. ihr Territorium abrunden und die landesherrliche Gewalt fester in die Hand nehmen. Ausdehnung und Lage des bischöflichen Grundbesitzes veranschaulicht eine Karte. Beachtenswert sind auch St.s Ausführungen über das herzogliche Markding Herzog Heinrichs des Löwen (S. 32 ff.), ein »neben oder vielmehr über dem Gericht der Grafen und der bischöflichen Vögte« stehendes, vermutlich auch für die Kolonen der drei bischöflichen Immunitätsbezirke zuständiges Gericht, dessen Eigenart sich aus der Organisation der Markgrafschaften erklärt, wo der Markgraf nicht unter Königsbann, sondern »bei eignen Hulden« dingte. -- Weitere Beiträge zur Entwicklung der Landesherrlichkeit bzw. zu ihrer Vorgeschichte bieten Hans Pirchegger ( 1308) in kurzen Ausführungen über den steirischen Landesfürsten und sein Territorium und R. Heuberger ( 1309 a) für das Brixener Fürstentum. Die Grundlage für die weltliche Machtstellung der Brixener Kirche ist durch Konrads II. Verleihung von Grafschaftsrechten (1027, Juni 7) gelegt worden, die H. bestimmter auf die Grafschaft Norital (Eisacktal) zu deuten sucht. Die der Kirche Trient von Konrad II. (1027, Juni 1) verliehene Grafschaft Bozen ist bei dieser Gelegenheit offenbar durch den Kaiser von der Noritaler Grafschaft abgetrennt worden.

Die Rechtsordnung der landständischen Verfassung zur Zeit


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ihrer vollen Entwicklung im 16. Jhd. ist für eine ganze Anzahl deutscher Territorien bereits erforscht worden, für Jülich-Berg (v. Below), Schlesien (Rachfahl), die Mark Brandenburg (M. Haß, Clausnitzer, Bracht, Winter, Schotte), Hessen (Siebeck), Fürstentum Lüneburg (W. Krosch, 1914), Braunschweig- Wolfenbüttel (Herm. Koken, 1914), auch für einzelne geistliche Fürstentümer wie das Erzstift Magdeburg (K. Krütgen, 1914), Trier (G. Knetsch, Peter Schwarz 1915) usw. Und doch reicht die Zahl der Monographieen noch längst nicht aus, um mit Hilfe einer vergleichenden verfassungsgeschichtlichen Betrachtung, welche das Gemeinsame und das Singuläre feststellt, den Typus der landständischen Verfassung Deutschlands zuverlässig beschreiben zu können, zumal auch die für den Charakter der Verfassung wesentlichen Momente, das ständische Gesetzgebungsrecht, der ungleich ausgeprägte Dualismus und der Vertretungscharakter der Stände nicht immer eingehend und treffend genug erörtert sind. Der Bestand an brauchbaren Monographieen wird in dankenswerter Weise bereichert durch L. Krause ( 1387), der zum erstenmal die in Mecklenburg besonders eigenartig ausgebildete, im wesentlichen bis zum Jahre 1918 fortbestehende Verfassungsform im Anschluß an Hegels und Steinmanns bekannte Arbeiten aus dem reichhaltigen Schweriner Material der Jahre 1555 bis 1575 systematisch darstellt. Die ergebnisreiche Arbeit Krauses gliedert sich in vier Abschnitte, welche 1. die beiden Träger der öffentlichen Gewalt, Landesherren und Stände, 2. das Verhältnis der Träger der öffentlichen Gewalt zueinander, 3. die Funktionen der öffentlichen Gewalt, 4. das Verhältnis der Landstände zur Gesamtheit der Untertanen (Gesetzgebungsrecht, Dualismus, Vertretungsscharakter) behandeln. Die »gemeinen Stände« Mecklenburgs umfaßten seit der Mitte des 16. Jhd. die Ritterschaft und die Städte des Landes; der Prälatenstand verschwand seit der Reformation. Das Standschaftsrecht der Ritterschaft haftete nicht am Burgenbesitz (Jülich-Berg), sondern (wie in der Mark Brandenburg und wahrscheinlich auch in Hessen) am Lehngut. Mecklenburg eigentümlich war es, daß die beiden Hafenstädte Rostock und Wismar neben den Landstädten (bis 1918) eine besondere Kurie des Landtages bildeten und daß die Landtage regelmäßig ohne »Abschluß, der das Ergebnis eindeutig feststellte«, endeten; es gab keine »Abschiede«. Das »Prinzip der Ungenauigkeit herrschte hier bis in die allerjüngste Zeit« (S. 33, 112, Anm. 8); »man vermied auf jeden Fall, mochte man sich einigen oder nicht, das eine oder das andere klar zum Ausdruck zu bringen.« Die mecklenburgischen Stände besaßen, wie ähnlich auch die brandenburgischen und hessischen, keinen verfassungsmäßig garantierten Anteil an der Landesgesetzgebung, geschweige denn eine eigne gesetzgebende Gewalt, während die Stände z. B. in Schlesien Gesetze mit derselben Gültigkeit erlassen konnten, wie sie den fürstlichen Gesetzen zukam; und wenn auch ein großer und wichtiger Teil der Finanzverwaltung in den Händen der Stände lag, der ständige Schuldentilgungsausschuß von etwa 1555 bis zum Revolutionsjahr 1918 als ständisches Organ fungierte, so trat der dualistische Charakter der Verfassung hier (auch in Hessen) in längst nicht so scharfer Ausprägung hervor, wie in Schlesien und anderwärts. Das Verhältnis der Landstände zur Gesamtheit der Untertanen ferner nahm in Mecklenburg schon deswegen einen eigenartigen, besonders von altdeutschen Zuständen (Jülich-Berg) abweichenden Charakter an, weil es hier keine landtagsunfähigen Grundherren und keine freien Bauern, mithin auch keine Untertanen gab, die nicht durch

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einen Grundherrn oder eine Stadt vertreten waren. Der durch die Landtagsbeschlüsse erfaßte Kreis deckte sich also tatsächlich »mit der Summe der durch ihre patrimonialen Obrigkeiten Vertretenen«. Deswegen jedoch mit Krause den mecklenburgischen Landständen den Vertretungscharakter abzusprechen, scheint mir bedenklich zu sein. Martin Haß glaubt in der rechtlichen Stellung der Stände der Mark Brandenburg, wo sich ebenfalls »die landtagsunfähigen Bevölkerungsteile haarscharf mit denen deckten, die nur als Hintersassen der Landtagsfähigen galten«, wenigstens »Ansätze« einer Landesrepräsentation zu erkennen (die kurmärkischen Stände, S. 312, 311), weil die beiden Kurien, Ritterschaft und Städte »nicht bloß sich selbst, sondern zugleich auch das Land als ideelle Einheit« vertreten haben. -- Die ständischen Kämpfe Mecklenburgs bilden den Hintergrund eines von P. Steinmann ( 1348) in der Reincke- Bloch-Festschrift publizierten, vermutlich von der Universität Rostock verfaßten römisch-rechtlichen Konsiliums aus dem Jahre 1482. Das Gutachten behandelte die Frage, ob »die Rostocker auch schuldig seien, den Herzogen zu Mecklenburg Landbede und dergleichen Hilfgeld zu geben«. Aus diesem Konsilium glaubt Steinmann den Nachweis herleiten zu können, daß die Rezeption des römischen Rechts auch in Mecklenburg im Staatsrecht begonnen habe.

Die Kenntnis der territorialen Lokalverwaltung ist im Berichtsjahr durch zwei Dissertationen gefördert worden. Der Titel der ersten von H. Falk ( 1330) verfaßten Dissertation »Geschichte der kurmainzischen Behördenorganisation in Hessen und auf dem Eichsfelde vom 12. bis zum Ende des 14. Jhd.« ist irreführend; denn »Behörden« hat es während jener Zeit im Erzstift Mainz ebenso wenig gegeben, wie sonst irgendwo in Deutschland. F. will die Entstehung und Entwicklung des Beamtentums in einem Teile des Mainzer Erzstiftes, nämlich in 16 hessischen und 8 eichsfeldischen Ämtern, darstellen und eine Übersicht über den Verwaltungsbau der lokalen Ämter geben. Die beiden ersten, bis 1300 etwa reichenden Kapitel beschließen den Teildruck der Dissertation, in den Kapitel 3 (»Amtmann und Kellner«) und Kapitel 4 (»Die Ämter vornehmlich im 14. Jhd.«) nicht mehr einbegriffen sind. Die Ansicht F.s, daß der wesentliche Fortschritt der Amtsverfassung, die auch im Mainzer Erzstift seit der zweiten Hälfte des 13. Jhd. entstand, »zunächst gar nicht in der Beseitigung des Lehnwesens gelegen habe«, scheint mir unhaltbar zu sein. -- Die Verwaltung eines einzelnen, im kursächsischen Lande gelegenen Bezirks, des Amtes Wartburg, wird von E. Debes ( 1386) mit zeitlicher Beschränkung auf das erste Drittel des 16. Jhd. in aller Ausführlichkeit dargestellt: der Umfang des Amtes, sein Beamtentum, Ein- und Ausgabewesen, Militär- und Gerichts-, Zoll- und Geleits-, Jagd- und Forstwesen. Anhang 2 enthält eine Zusammenstellung von Warenpreisen und Löhnen aus damaliger Zeit.

Die Fürstenlehren des Johannes von Indersdorf für Herzog Albrecht III. von Baiern-München (1436--1460) und seine Gemahlin, deren Beichtvater Indersdorf war, hat E. Gehr ( 1313) auf Grund der vierzehn lateinischen und deutschen Kodices der bairischen Staatsbibliothek herausgegeben; sie bilden die Ergänzung zu den bereits von Westenrieder publizierten Tischreden desselben Verfassers. Als Quelle ist in den Fürstenlehren außer der Bibel und unbekannten lateinischen Spruchsammlungen vor allem das secretum secretorum des Roger Bacon benutzt worden.


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