§ 31. Territorialstaat im Zeitalter des Absolutismus.

(C. Petersen.)

Zur Geschichte der Staats- und Rechtstheorie des 17. u. 18. Jhds. sind im Berichtsjahr ein paar wichtige Schriften vorgelegt worden. Erik Wolf ( 1992) hat mit Hilfe moderner »geistesgeschichtlicher Methode«, die er selbst von Rickert und Simmel einerseits, von Dilthey und (offenbar hauptsächlich) Gundolf andrerseits herleitet, sich um eine »Gestaltgeschichte der Rechtswissenschaft« bemüht, d. h. er will die jeweiligen Antworten auf die Fragen der Rechtsgegebenheiten als Ausdruck bestimmt gearteter Menschen und diese selbst als Verkörperungen von »Sinnproblemen« ihrer Zeit erfassen. Als »ersten Versuch einer Vorarbeit« einer solchen künftigen »Gestaltgeschichte der Rechtswissenschaft« legt er seine Schrift über Grotius, Pufendorf, Thomasius vor. Jeder Teil der Arbeit gliedert sich dreifach: zunächst werden die »psychologischen und soziologischen Bedingungen« jedes Denkers umrissen -- d. h. die biographischen Voraussetzungen des Werkes werden in sorgfältiger Zusammenstellung, in Verbindung mit den geistesgeschichtlichen Daten gegeben -- ohne daß man doch sagen dürfte, daß ein besonders farbiges und individuelles Lebensbild daraus entstünde. Dann folgt jedesmal das, was Verf. die Ruhmesgeschichte oder »Legende« seiner Helden nennt, d. h. die Einmaligkeit der Person und ihrer Lehre wird durch ihre Brechung in der Nachgeschichte veranschaulicht, zugleich als Beweis der Aussichtslosigkeit, eine vergangene Theorie »an sich« wieder herzustellen. Und schließlich wird der begriffliche Gehalt, das Denksystem »im Lichte der gewonnenen Gestalterkenntnis« erfaßt. Die drei behandelten Rechtsdenker stellen zusammen die »Gestalt des Naturrechts« erschöpfend dar, als die »einzige große Geschichtswerdung und Geschichtswirkung der Rechtsidee«. Das Naturrecht ist nicht so sehr eine Wissenschaft wie eine Gesinnung: mit ihm tritt der Mensch durch sein Menschsein als Norm der gesamten Lebens- und Einheitsgestaltung in die Erscheinung. Das Wesen dieser Norm aber ist das Recht. Als Bahnbrecher dieser Gesinnung wird Grotius hingestellt, der »den scholastischen Identitätsgedanken menschlicher und göttlicher Natur« aufhob, so dem Menschen, im Zustande seiner ursprünglichen Reinheit betrachtet, »selbständiges, unabhängiges Dasein« gab. Aus seinem Wesen allein fließt mit Notwendigkeit das Naturrecht, d. h. die Fähigkeit der Lebensbewältigung. Als solche ergreift das Naturrecht bei Grotius noch das Gesamt der Menschheit, gemäß seinem humanistischen »universalistischen Individualismus«, für Pufendorf nur noch den Staat und für Thomasius nur noch den Bereich der Einzelseele. Grotius' Rechtsbegriff erwuchs aus der Auseinandersetzung von Gott und Mensch, Pufendorfs Rechtsbegriff aus der zwischen Staat und Mensch, der des Thomasius aus der zwischen Mensch und Mensch. So findet das Naturrecht mit Thomasius sein natürliches Ende, trotz gespenstischen Weiterlebens in dogmatischen Lehrbüchern. Andrerseits wird der naturrechtliche Entwicklungsgang dahin bestimmt, daß Grotius in dem Geiste der triebhaft verbundenen Gesellschaft das Wesentliche gesehen habe, Pufendorf im Willen, »in der freien Möglichkeit individueller Verpflichtung und Befugnis«, Thomasius aber in der Macht als letztem Geltungsgrunde rechtlicher Verpflichtung (S. 123). Dabei tritt der Gegensatz hervor, daß Grotius mehr den Trieb zur Gesellung, Pufendorf mehr das juristisch geknüpfte Band der Gesellschaft


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im Auge hat. -- Mit alledem ist der Kern und das Wesen des Naturrechts schön und richtig umschrieben. Aber man darf fragen, ob die angewandte Methode eigentlich zu den Ergebnissen führt, ob nicht auch die entwickelnde geistesgeschichtliche Methode sie eben so sicher erreicht. Ob die Rechtstheorie überhaupt der »gestalthaften Erfassung« in dem hier gemeinten Sinne unterliege, darf höchst zweifelhaft scheinen. Es verrät wenig Sinn für Maße, wenn Begriffe, die mit Recht von Führern heutiger Geisteswissenschaft für die großen Phänomene und Gestalter wie Cäsar oder Nietzsche geprägt werden, die also auf höchst lebendige und schöpferische Gestalten Anwendung finden, wie etwa die der »Legende«, der »Ruhmesgeschichte«, der »Gestalt« überhaupt, nun gar auf ein Begriffs- und Wissenschaftssystem angewendet werden. Auch kann nicht behauptet werden, daß diese neue Methode zu besonderen neuen Ergebnissen führt, abgesehen von den drei Mittelteilen, wo über das Weiterleben der Theorien gehandelt wird: hier ist sie am Platze, wo durch die Stellungnahme der Zeitgenossen und Nachlebenden zugleich diese Beurteiler sich gegenseitig in fruchtbarer Weise spiegeln. Für die Gründlichkeit und Fruchtbarkeit dieser Arbeit ist nicht die Terminologie und nicht die reichlich hoch bewertete neue Methode ausschlaggebend gewesen, sondern die Fähigkeit zum anschaulichen Sehen theoretischer Gebilde.

Frauendienst ( 1994) behandelt Christian Wolff als Staatsdenker. Er hat seine Arbeit als eine Anwendung des von Fr. Meinecke in seiner »Idee der Staatsräson« neugeprägten Begriffs »Staatsdenker« auf Chr. Wolff gedacht, d. h. er will die Staatslehren Wolffs auf ihren Erfahrungsgehalt hin untersuchen, »in dem Spiegel von Wolffs Prinzipien das Bild erkennen, das er von dem zurzeit ihrer Formulierung tatsächlich existierenden Staate und der Staatenwelt in sich aufgenommen hat« (S. 82). Die Überzeugung, daß »kein Staatsdenker, auch nicht ein Theoretiker vom Schlage Wolffs, die letzten Wurzelfäden zerschneiden kann, die seine Anschauung vom Staate mit seiner Zeit verknüpfen« (S. 170), hat ihn in diesem »Forschen nach dem Erzbilde des konkreten Staates bei Wolff« (S. 91) geleitet, bei diesem erfahrungsfeindlichsten, angeblich rein abstrahierend »aus der Vernunft entwickelnden« Denker. Im ersten Teil seiner Arbeit sucht der Verf. daher durch Darstellung der Lebens- und Werkgeschichte Wolffs zu erschließen, »wieweit das Erlebnis des Staates bei ihm möglicherweise gehen konnte« (S. 82). Trotz der Breite dieses Teiles, die der Verf. selbst empfindet, hat er doch nur an einer Stelle auf eine Beziehung Wolffs zu der Staatspraxis hinweisen können, auf seinen Verkehr mit dem hessischen Kammerpräsidenten (S. 43). Nur insofern wird in diesem Teil das Problem im Auge gehalten, als einerseits Wolffs Geistesart, als die jahrhundertgemäße, von der Friedrich Wilhelms I. schroff abgehoben wird (S. 53) und andrerseits Wolffs staatstheoretische Lehren als in keiner Beziehung zu Friedrich II. stehend gekennzeichnet werden (S. 60). Der zweite Teil erweist dies durch eingehende Zergliederung der Wolffschen Staatslehre, wie sie in seiner »Politik« von 1721 vorliegt, und zwar nach den verschiedenen Staatsorganen und Staatstätigkeiten. Der aufgeklärte Absolutismus »etwa auf der Wende Friedrich Wilhelms I. zu Friedrich d. Gr.« (S. 113) springt aus allem hervor. Die Grundstruktur des Wolffschen Staates ist die des Polizeistaates Friedrich Wilhelms I. Darüber hinaus aber spiegelt seine Lehre den Fridericianischen Staat vor. Seine Idee der »Einheit


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des Staatsganzen« in Gesetzgebung und Verwaltung mag er der Beobachtung französischer Verhältnisse verdanken (187 f.). Anders steht es mit seiner Herleitung des Regenten. Hier wird behauptet: »Die Stellung der Wolffschen Monarchen zum Staat ist ähnlich der jedes einzelnen Individuums« (128), ein Gedanke, den grade neueste Forschung in einigen Sätzen Friedrichs des Großen nachweist. So wenig also sonst der Verf. Wolff als originalen Geist auffaßt, so behauptet er doch in diesem wichtigen Punkte eine unabhängige Schöpfung Wolffs auf dem Gebiet der Staatslehre -- und dies müßte als das einzige Eigentümliche in Wolffs Staatsanschauung gelten. Jedoch hat der Verf. diese seine Behauptung nirgends aus Wolffs Schriften belegt, er hat sie nur aus ihnen gefolgert, besonders aus der Tatsache, daß Wolffs Maxime von der Beförderung der Wohlfahrt und Sicherheit (S. 127) als eine für das menschliche Individuum schlechthin verbindliche ausgesprochen sei. Aber Wolff selber hat diese Folgerung nirgends ausgesprochen, wie es doch Friedrich d. Gr. getan hat. Die bloße Tatsache, daß bei Wolff kein Wort steht, das den Herrscher von den Staatspflichten des Individuums ausnehme, kann die Behauptung des Verf. nicht begründen. Ebensowenig kann man ihm folgen, wenn er in den Worten über die allgemeine Wehrpflicht (S. 123 f.) das Wiederauftauchen eines altgermanischen Grundsatzes und Volksgedankens finden will. Hier liegt deutlich eine einfache rationalistische Schlußfolge Wolffs aus seinem Begriff der Gesellschaft vor. Interessant für die Zeitspiegelung der Wolffschen Politik ist, daß er im Grunde nur eine Innenpolitik kennt (S. 169) und ganz im Gegensatz zum Wesen des preußischen Staates, der aus den Bedürfnissen eines starken Heeres seine Struktur empfing, das Heer aus den Bedürfnissen der inneren Wohlfahrt herleitet. W. kennt nur einen Schutzkrieg und auch diesen nur in beschränktem Maße. Hier spiegelt sich die ganze Diplomaten- und Gleichgewichtspolitik der Friedenszeit, in der Wolffs Politik entstand. Besonders betont wird der Zusammenhang dieser Lehren mit der Politik Friedrich Wilhelms I. (S. 173). So mußte Wolff denn auch die Idee der »Staatsräson« als eine gewissenlose Politik des Nutzens ablehnen. Statt dessen entwirft er in den vom Verf. erstmalig genauer analysierten Staatsschriften von 1730 und 1731 ein Bild des leidenschaftslosen, einem System der Wahrheit, das apriorischer Vernunft entspringt, folgenden Regenten. Niemals ist eine wirklichkeitsblindere, starrere Politik gelehrt worden als hier in diesen Ausführungen Wolffs, mit denen widersprüchlicherweise die Darlegung des Verf. über den Wirklichkeitsgehalt der Wolffschen Staatslehren schließt.

Luckwaldt ( 865) will der heutigen »nationalen Agitation«, die Friedrich d. Gr. zum »Führer zu neuer Größe und neuem Glück erhebt«, die wahren Anschauungen des Königs vom Staat und Fürstentum entgegenstellen, als zeitgebunden, vielfach widersprüchlich, jedenfalls heute unanwendbar. Er stellt die theoretischen Äußerungen einer demokratisch-vertraglichen Herrscherlehre denen einer ausgeprägt patriarchalischen Herrschermacht gegenüber und betont nachdrücklich, daß jene erstere nur eine moralische Festlegung der Königsgewalt bedeute, aber jede gesetzliche Bindung für den Herrscher ablehne. In Wahrheit sei Friedrich trotz aller volksvertraglichen Theorien strengster Absolutist nicht nur im dynastischen Sinne, sondern durch das Bewußtsein persönlicher Überlegenheit und durch die Anschauung, daß ein politisches System nur aus einem Kopfe entspringen


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kann. Verf. verweist auf die bekannten Stellen, in denen jede Ministerregierung schroff abgelehnt wird. Er sieht die Notwendigkeit der Zentrierung der Politik in einem Kopfe nicht ein, sucht sie aber aus Friedrichs Denken zu verstehen. Gewiß hätte er Friedrichs Einherrschertum klarer erfaßt, wenn er auf dessen Übereinstimmung mit Friedrichs philosophischem Systembegriff hingewiesen hätte, die sich schon aus den angeführten Stellen aufdrängt. Entgegen der nationalen Agitation der Friedericusleute betont er die humanitäre, eudämonistische Gesinnung des Königs, und gegen die Legende von seinem Menschenverächtertum stellt er die These von seiner aufrichtigen Menschenliebe und will sogar deutlich utopisch klingende Sätze nicht als Phrase, Pose, Selbstbetrug, sondern als Staatstheorie werten, wobei er doch sogleich zugeben muß, daß gegenüber den Fragen des Machtstaates solche humanitäre Ideen praktisch immer wieder problemlos versanken, besonders wenn er mit Meinecke feststellt, daß Friedrich nie versucht habe, der Barbarei seines Militarismus eine ethischere Grundlage zu geben. Gelungener ist der Schlußteil des Aufsatzes, worin ausgeführt wird, daß trotz Friedrichs Rationalisierung niemals die Anschauung des Einheitsstaates in ihm ganz durchgedrungen sei, daß ihm immer ein starker Sinn für territoriale Besonderheit geblieben sei und daß ebenso trotz aller scheinbar demokratischen Vertragslehre, trotz scheinbarer Lehre vom allgemeinen Staatsbürgertum der Adel und das Bauerntum, also das feudalistische System letztlich in seiner Anschauung undurchbrechbare Formen der sozialen Schichtung, also wesensbestimmend für seinen Staat geblieben sind. So kommt L. zu dem Ergebnis: »Friedrichs Staatspraxis und Staatstheorie waren zeitgebunden und sind nicht in größerem Umfang wieder herzustellen, so gern man einzelne goldene Regeln befolgt sehen möchte!« -- Hier interessiert nicht der politisch-polemische Ausgangspunkt der Schrift, die übrigens neue Erkenntnisse über Friedrichs Anschauung vom Staate nicht bringt, vielleicht auch nicht bringen will. Nicht ganz verständlich aber ist, daß die Ansätze zu einer tieferen Erfassung dieser Anschauung, wie sie vor allem bei Dock und Gierke vorliegen, vom Verf. nicht beachtet werden. Dies begründet sich wohl in der merkwürdig unhistorischen Behandlung der vom Verf. gestellten Frage: was bedeutet Friedrichs Staatsdenken für uns? Historisch gesehen würde diese Frage nicht bedeuten: was ist von seinen Gedanken heute unmittelbar praktisch zu verwerten? -- dies wäre übrigens selbst für Politiker eine müßige Frage -- sondern: welche Bedeutung hat Friedrichs Staatsdenken für die Entwicklung des Staatsdenkens überhaupt und mithin für uns? Bei solcher Fragestellung könnten aber die Erkenntnisse der genannten Forscher nicht übergangen werden: daß bei Friedrich unzweideutig erstmalig die Andeutung des Gedankens der Staatspersönlichkeit im Sinne der Lebenseinheit von Herrscher und Volk als eine für die ganze Folgezeit grundlegende vermerkt ist. Dieser Befund würde freilich zu einer dem Ergebnis des Verf. entgegengesetzten Erkenntnis führen: nicht »einzelne goldene Regeln«, die bei Friedrich durchaus widersprüchlich sind wie alles Einzelne, sind zu befolgen, sondern die freilich erst zart angedeutete Ansicht des Staates als eines alle Glieder, auch den Fürsten, gemeinschaftlich verpflichtenden Ganzen.

Nur wenig Schriften zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Territorien im Zeitalter des Absolutismus erfordern in diesem Jahre ein näheres


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Eingehen, die meisten haben nur allerspeziellstes Interesse, einige der wichtigeren waren mir auch nicht zugänglich.

Mehring ( 1363) beweist die von einigen Forschern, besonders von Hippel, bereits behauptete These, daß weder von Montesquieu noch von Voltaire irgendein Einfluß auf die strafrechtliche Tätigkeit Friedrichs d. Gr. anzunehmen ist. Dieser hat von 1740 bis 1746 gewisse neue Grundsätze des Strafrechts durch Kabinettsorders selbstschöpferisch ins Leben gerufen. Bis zu dieser Zeit hatten aber weder Montesquieu noch Voltaire in Schriften oder Briefen irgendeine Auslassung über eine Reform des Strafrechts gegeben. Die im weiteren Verlauf von Friedrichs Regierung erlassenen strafrechtlichen Verordnungen sind sämtlich aus den in den Kabinettsordern der früheren Jahre aufgestellten Grundsätzen hergeleitet. Besonders gilt dies Verhältnis von Montesquieus »Dissertation sur raisons d'établier ou d'abroger les lois«, die 1748 geschrieben ist, aber bisher als Beweis für die Abhängigkeit Friedrichs von Montesquieu galt. Der Verf. muß auf Grund der Ergebnisse seiner Untersuchung die Frage umkehren und annehmen, daß wahrscheinlich von einem Einfluß Friedrichs d. Gr. auf Montesquieu und Voltaire zu sprechen ist, soweit es sich um die Strafrechtsideen handelt. Auf Montesquieus genaue Kenntnis von Friedrichs Gedankenwelt weist der Verf. uns hin. Von Voltaire ist das Gleiche ohne weiteres sicher. Worauf der Verf., und vor ihm schon Stölzel, deutet: daß Friedrich nicht von Montesquieu und Voltaire, dagegen von Leibniz und Wolff in strafrechtlicher Hinsicht abhängig sei, wäre in Ergänzung dieser Arbeit zu untersuchen, würde allerdings, wenn es zuträfe, die Behauptung des Verf. vom Selbstschöpfertum Friedrichs auf diesem Gebiet wieder zunichte machen. Klinkenborg ( 1362) widerlegt die von Koser in dessen Vortrag von 1911 aufgestellte und seitdem maßgebend gebliebene Ansicht über die Entstehung der Geheimen Ratsordnung vom 13. Dezember 1604. Nach dieser Ansicht war der Geheime Rat geschaffen worden, um den beiden nach dem Tode Georg Friedrichs von Ansbach in kurbrandenburgische Dienste übernommenen Räten, besonders O. v. Bylandt Frh. v. Rheydt, die Möglichkeit freier Betätigung gegenüber dem Kanzler v. Löben zu schaffen, der den Kurfürsten in allen politischen Fragen beriet und beherrschte. Aber der Vergleich des von Bylandt angefertigten Entwurfs der geheimen Ratsordnung mit der tatsächlich erlassenen widerlegt diese Ansicht, denn letztere ist in allen Stücken gegen den Bylandtschen Entwurf gerichtet, sowohl im Inhalt wie in der Form. Die Ordnung beruht nicht auf dem nach pfälzischem Vorbild geschaffenen Entwurf Bylandts, »sondern in ihr sind die bisher in Brandenburg geltenden Grundsätze kodifiziert und schärfer, als bisher üblich war, umrissen worden.«

Fr. Walter ( 1371) geht von der Unklarheit des 18. Jhds. über den Begriff »Polizei« aus, indem er in dieser Unklarheit das entscheidende Hemmnis für die staatsrechtliche Organisierung der Polizei, eine der ersten Vorbedingungen einer erfolgreichen Merkantilpolitik, findet. Er entwickelt den Begriff Polizei seit dem 16. Jhd., da man darunter noch die Gesamtheit der »inneren Verwaltung«, mit Einschluß von Justiz, Militär und gewissen finanziellen Angelegenheiten, verstand, durch alle Phasen hindurch, bis zu dem österreichischen Polizeiwissenschaftler Sonnenfels hin, wo schon die Lösung des Problems angedeutet ist: daß nämlich die Polizei eine Funktion der inneren Verwaltung ist, und zu Pütter, der den Polizeibegriff im eingeschränkten Sinne klar aufgezeigt


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hat. Entscheidend aber wurde im Jahre 1782 die Übernahme der Polizeiangelegenheiten in Österreich durch Graf J. A. von Pergen, der die Gestaltung der Polizei in Österreich auf 60 Jahre hinaus bestimmt hat. Dieser hat die Unterscheidung des weiteren und engeren Polizeibegriffes in die Praxis überzuführen gestrebt, wenn auch nicht ohne wiederholte Rückschläge, die den erreichten Fortschritt in der Organisation wieder zu vernichten drohten. Schon bei Pergen findet sich die ganz moderne Definition des Begriffes der Polizei: »Die Polizei ist nicht Prinzip der Regierung, nicht innere Verwaltung selbst, sondern nur Mittel der Regierung, Mittel der Verwaltung.« Ebenso hat er schon die Unterscheidung des öffentlichen und des geheimen Dienstes für die Entwicklung der Polizeipraxis richtig festgelegt (S. 28). Die vorbildliche Grundlage der gesamten Polizeiorganisation hat dann Pergen seit 1782, als er die Leitung und Organisierung der Wiener Polizei übernahm, durchgeführt. Die Ausführungen der Arbeit gelten dieser praktischen, von schweren Rückschlägen bedrohten Organisationsarbeit Pergens, die erst 1793 ganz durchgeführt werden konnte, als Pergen von Franz II. wieder zum »Polizeiminister in allen Erblanden« ernannt wurde.


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