I. Allgemeine Wirtschaftsgeschichte.

Wenn Karl Brinkmann ( 1416 a) es unternimmt, auf dem knappen Raum von 160 Seiten die gesamte Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Urzeit bis zur Gegenwart zu behandeln, so muß von vornherein betont werden, daß es sich hier nicht um einen jener Abrisse oder Einführungen handelt, die nur einen gedrängten und unzureichenden Extrakt des Tatsachenmaterials bieten. Vielmehr hat hier die souveräne Beherrschung des gewaltigen Stoffes, ein ungewöhnliches Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit, Zusammenhänge höchst geistvoll aufzuspüren und die Probleme mit meisterlicher Kürze zu umreißen, eine äußerst fruchtbare Synthese entstehen lassen. Das kleine Buch ist von Gedanken schwer durchsättigt, es ist kein bequemer Leitfaden für Anfänger, zumal da auch die sprachliche Form dem Verständnis entgegenwirkt. Das Zusammenwirken der grundlegenden Faktoren -- von geistigen Dispositionen, Politik, Wirtschaft und Technik -- wird mit bemerkenswerter Gedankentiefe im Verein mit großer Wirklichkeitsnähe überraschend eindringlich dargelegt. Indem immer das Wesentliche mit großer Treffsicherheit hervorgehoben wird, ist auch die kurze Behandlung der älteren Wirtschaftsstufen reich an fruchtbaren Ergebnissen. Das »Mittelalter«, hier natürlich im geistig-kulturellen, nicht im bloßen Zeitsinne aufgefaßt, wird schon ausführlicher in seiner Eigenart in bezug auf Agrarwesen, Handel, Gewerbe und soziale Struktur betrachtet. Das Hauptgewicht liegt jedoch in der Darstellung der neuen Formen von Wirtschaft, Wirtschafts- und Sozialpolitik: des Frühkapitalismus, des Merkantilismus und des Hochkapitalismus. Eine kurze Literaturübersicht


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am Anfang und die Anmerkungen am Ende des Buches lassen den gründlichen wissenschaftlichen Unterbau erkennen.

Von größtem Wert für das Studium der Wirtschaftsgeschichte ist das kleine, aber ungemein inhaltreiche Werk von Proesler über die Epochen der dt. Wirtschaftsentwicklung ( 1417). P. bringt darin einleitend nicht weniger als 33 Vorschläge zur Gliederung der ökonomischen Entwicklung, wie sie von Thukydides bis Max Weber gemacht sind, in der Hauptsache aber den eigenen Abriß einer dt. Wirtschaftsgeschichte in sowohl begrifflicher wie zeitlicher Gliederung. Das Schema ist zeitlich: Altertum -- 500, Früh-, Hoch- und Spätmittelalter -- 1250, -- 1525, -- 1807(!), Neuzeit in 3 Stufen: -- 1834, -- 1879, -- 1914 (Zollverein, Neumerkantilismus, Weltkrieg); begrifflich: 1. Wirtschaftszweige -- Agrarwesen, Gewerbe (untergeteilt in Kleingewerbe, Verlag, Fabrik), Handel u. Verkehr --, 2. Wirtschaftsauffassungen, 3. polit. Organisationsformen der Wirtschaft, endlich 4. Wirtschaftsstufen, gekennzeichnet a) nach Verkehrsausweitung (Haus-, Stadt-, Volkswirtsch.), b) nach Umsatzarten (Natural-, Geld-, Kreditwirtsch.). Die Ausführungen zu den einzelnen Entwicklungsperioden geben bei aller gedrungenen Kürze ein erschöpfendes Bild, besonders glücklich erscheint mir das zu den Wirtschaftsauffassungen Gesagte. Hinsichtlich der zeitlichen Gliederung werden sich die agrarischen mit den Gewerbe- und Handelsverhältnissen nie unter einen Hut bringen lassen; Verf. hat sich für die Urproduktion als chronologischen Einteilungsgrund entschieden mit der allerdings nicht ganz glücklich erscheinenden Begründung, daß man noch in neuester Zeit darüber gestritten habe, ob Dtl. nicht noch zur landwirtschaftlichen Autarkie zurückgehen solle. Wenn nun von solcher Betrachtung her das Ende des MA. kühn bis zum Beginn der (preußischen) Bauernbefreiung hinausgerückt wird, so ist nicht recht einzusehen, warum trotzdem auch 1525 noch als Epochenscheide beibehalten ist, wofür weder agrar- noch gewerbegeschichtlich ein Grund besteht. Auch die für 1250 angeführten Gründe (S. 68 f) sind nicht recht stichhaltig; für 1100, das hier nur in einer Anmerkung berücksichtigt wird, ließe sich dagegen, und zwar ausschlaggebend, das Aufkommen von Bürgerschaften und städtischem Leben anführen. Die Dreiteilung im 19. Jhd. geht wohl zu weit; haben etwa ästhetische Beweggründe mitgesprochen, daß man 3 ma. und 3 neuzeitliche Epochen schuf? Die Literaturangaben sind trotz ausgiebiger Zitate nicht ganz vollständig, es fehlt z. B. Ziekursch, schles. Agrargeschichte.

Wesentlich einfacher gibt sich das Buch von Melvin M. Knight über das Wirtschaftsleben Europas bis zum Ende des MA. ( 1447). Es ist eine saubere, leicht faßliche, von Problemen nicht beschwerte Schilderung. Im I. Kapitel werden die Grundlagen des europäischen Wirtschaftslebens dargestellt: Urzeit und alter Orient, antike Kolonisation, die griechischen Stadtstaaten, besonders Blüte und Niedergang von Athen, die großen Reiche und ihre Verwaltung, Alexanders Eroberungen und das hellenistische Ägypten; im II. das römische Wirtschaftsleben. Es folgen: III. die europäische Mittelmeerwelt im MA, IV. das wirtschaftliche Erwachen des nördlichen Europa und das Aufkommen des Städtelebens, V. die Landwirtschaft (the manor), VI. Handel und Gewerbe im nördlichen Europa. Hinter jedem Kapitel folgen kurze Literaturübersichten als Anweisungen für eingehenderes Studium; es sind natürlich in der Mehrzahl englische Werke angeführt, unter den dten. vermißt man die neuere Literatur:


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Max Weber, Sombart, Dopsch; von Below ist nur eine kleine Gelegenheitsschrift zitiert, dagegen wird die doch mehr populäre als wissenschaftliche Geschichte der sozialen Entwicklung von Müller-Lyer gerühmt.

Wirtschaftsgeschichte in zerstreuter Form bietet eine stattliche Sammlung von Abhandlungen, Essais, Vorträgen und Besprechungen aus dem Nachlaß des verstorbenen Professors der Wirtschaftsgeschichte an der Universität Manchester George Unwin ( 1507). Der Herausgeber, der Londoner Dozent Tawney schickt eine ausführliche Lebensbeschreibung des hervorragenden Gelehrten voraus, aus der wir entnehmen, daß dieser auch in Dtl. studiert und damals zum Anhänger der wirtschaftsgeschichtlichen Methode Schmollers geworden ist. Dies erweist sich auch aus der zugleich weitausgreifenden und tiefschürfenden Art, mit der er sein Wissensgebiet bearbeitet. Die Sammlung selbst enthält großenteils unveröffentlichte Arbeiten, vereinigt damit aber auch viele in Zeitschriften verstreute und sonst schwer zugängliche Stücke und Vorträge; es wird damit ein vielgestaltiges Bild von dem Wirken des Gelehrten geboten. Aus dieser Fülle seien kurz angeführt: Artikel bzw. Vorträge über das Studium der Wirtschaftsgeschichte, Abhandlungen über die Ursprünge der ma. Stadt, die soziale Entwicklung im alten London, über Zünfte, die Wirtschaftspolitik Edwards III., die Merchant Adventurers und den Kampf mit der Hanse, die Suffolker Tuchindustrie, Handel und Geldwesen im England Shakespeares, über die Werttheorie u. a. Besonders anziehend sind die aus dem Nachlaß mitgeteilten Studien zu einer Handelsgeschichte, an der U. längere Zeit gearbeitet hat, da sie zum Teil wenig betretene Pfade einschlagen, so über die Handelswege nach der Levante im 1. nachchristlichen Jahrtausend, über Nomaden- und Karawanenhandel, über die Anfänge des seßhaften Handels, über indische Faktoreien im 18. Jhd. Auch einige geschichtsphilosophische Essais und gründliche und sympathische Anzeigen einiger dten. Werke finden sich. Im ganzen ist diese Sammlung eine ungemein wertvolle Ergänzung zu den größeren Arbeiten des englischen Forschers, seine Industrial Organization und seine Londoner Gildegeschichte.

P. Mombert will in seiner Geschichte der Nationalökonomie ( 1408) weder eine Literatur- noch eine Dogmengeschichte seiner Wissenschaft geben, sondern die sozialökonomischen Gesamtanschauungen in den Mittelpunkt stellen, indem er die Persönlichkeiten samt ihren Anschauungen in den ganzen wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Entwicklungsprozeß ihrer Zeit hineinstellt, die Beziehungen der Persönlichkeiten und ihrer Lehren mit ihrer ganzen Zeit aufweist. Da er auch die Autoren häufig selbst zu Worte kommen läßt, ist die Darstellung lebendig, anschaulich und lehrreich. Sie behandelt zunächst die Entstehung und Vorstufen des ökonomischen Denkens bis zu dessen staatswirtschaftlicher Ausbildung im sog. Merkantilismus, diese einbegriffen. Im Hauptteil folgt die Nationalökonomie als Wissenschaft: der Übergang zur naturrechtlich-individualistischen Auffassung, das (klassische) System des ökonomischen Liberalismus, dessen Gegner -- Sismondi, der Sozialismus, die politische Romantik, die historisch-relativistische Richtung --, schließlich die neueren Richtungen und Strömungen, zumal die psychologisch-subjektivistische. Auf kritischen Apparat ist verzichtet, die Literaturangaben dienen zum Hinweis für weiteres Studium.


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