IV. Kapitalismus.

Zu dem immer noch lebhaft erörterten Problem der Entstehung des modernen Kapitalismus seien zunächst die Darlegungen zweier Franzosen erwähnt. Henri Hauser ( 1505) hat eine Reihe von Abhandlungen, die ausschließlich Frankreich betreffen, zu einem Buche vereinigt. Die erste dieser Abhandlungen, über die Ursprünge des modernen Kapitalismus in Frankreich (über Arbeitsordnung und Arbeitsteilung, Kapitals-Konzentration und Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit) enthält drei Vorträge, die schon 1901 gehalten und nur wenig überarbeitet sind. Aktueller ist die zweite über die wirtschaftlichen Anschauungen Calvins, wobei auch Weber und Troeltsch berücksichtigt werden. Weiterhin wird über die Formen der Arbeitsorganisation -- zünftlerische, freie und privilegierte Betriebe -- im alten Frankreich gesprochen sowie über die Zunftorganisation in Dijon und Bourgogne und ihre Aufhebung im Anfang des 17. Jhd. Vorläufer des Merkantilismus behandeln zwei Studien über Barthelemy de Lafflemas, den ersten Controlleur général du commerce ( 1602), und sein soziales System, und über den Colbertismus vor Colbert, worin aus den cahiers der Generalstände und aus Ordonnanzen des 15. und 16. Jhds. die Anläufe zu jener Wirtschaftspolitik aufgezeigt werden.


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Es wird dann das vortreffliche und seiner Zeit unentbehrliche Lehrbuch der Handelskunde, »Le Parfait Negociant« des Jacques Savary, das 1675 in erster Auflage erschien und dann zahlreiche Neudrucke, Bearbeitungen und Übersetzungen erfuhr, gewürdigt. Schließlich folgt eine Auseinandersetzung mit H. Sée über das Wort »industrie« und die industrielle Entwicklung.

Henri Sée selbst ( 1506) widmet eine kritische Betrachtung den bekannten Theorien von M. Weber und Troeltsch einer-, von Sombart anderseits über den Einfluß der Puritaner und der Juden auf die Entwicklung des modernen Kapitalismus. Obwohl er das Geistvolle und Erkenntnisfördernde jener Untersuchungen lebhaft anerkennt, führt er eine Reihe von Tatsachen dafür an, daß die genannten religiösen Ursachen nicht ausschließlich wirksam waren, sondern daß auch vor ihrem Erscheinen kapitalistischer Geist sich schon mannigfach bekundet hat (Fugger, iberische Juden in Amsterdam erst seit 1593).

Desgleichen weist Mohr ( 1456) in seiner aus der Schule J. Strieders hervorgegangenen Arbeit überzeugend nach, daß er abweichend von Sombarts bekannten Feststellungen der Warenhandel auch im MA., und besonders im 15. und 16. Jhd. sich schon sehr stark mit Spekulation befaßt hat. Solche war in Getreide, Wein, Salz, Tuch und Barchent sehr häufig, auch das spekulative Lieferungs- oder Zeitgeschäft war durchaus bekannt. Im 16. Jhd. trat dazu der spekulative Fernhandel auf Grund eines schon wohl ausgebildeten kaufmännischen Nachrichtenwesens, mit Markt- und Kursberichten, besonders Spekulationen in Pfeffer u. a. Gewürzen, Safran und Farbstoffen (Waid, Krapp). Schließlich wird auch die weniger wahrnehmbare Spekulation in Grundstücken behandelt. Für die Untersuchung sind vornehmlich die hessischen, Kölner und oberdten. Quellenwerke verwendet und die Literatur in sehr ausgiebiger Weise herangezogen.

Einen speziellen Beitrag zur Geschichte des Frühkapitalismus liefert die Untersuchung von Schöningh ( 1473) über eine der vornehmsten Augsburger Patrizierfamilien, die Rehlinger. Reichliches Material dafür bot das Familienarchiv der Frhrn. v. Rehlingen zu Hainhofen und das Wiener Hofkammerarchiv. Die Handelsstellung und das Vermögen des Hauses hat Georg d. Ältere (1470--1553) seit 1503 durch den Handel mit Venedig und durch Metallgeschäfte in wechselnder Vergesellschaftung begründet. Nächst ihm tritt besonders Marx Conrad (1575--1672) hervor, der als fähiger Finanzmann eine wichtige, doch auch tragische Rolle bei der antikaiserlichen Partei im 30jährigen Kriege spielte. Die Familie ist danach, wie so manche andere, vom städtischen Patriziat zum Landadel übergegangen, aus dem sie übrigens auch entsprossen war. Schöningh will mit dieser Darstellung einen weiteren Beleg für die von seinem Lehrer Strieder vertretene Anschauung erbringen, daß in den Familien die eigentlichen Träger frühkapitalistischer Wirtschaftsgesinnung zu erblicken seien.

Furger ( 1458) weist in seiner auf gründlicher Literaturausnutzung beruhenden, sehr klar geführten Untersuchung nach, wie und warum die ma. Bedarfswirtschaft, die zünftlerische Produktionsordnung gerade in den Textil gewerben schon früh gesprengt wurde. Die Gründe liegen einerseits in den Marktverhältnissen: wenn der Rohstoff von auswärts beschafft werden mußte, wie es für feine Wolle, Seide, Baumwolle immer der Fall war, und der Absatz der Fertigwaren nach außerhalb stattfand, wurde der Kaufmann als Verleger


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Beherrscher der Produktion. Auf der anderen Seite spricht »die dem langen Produktionsprozeß der Textilkunst immanente Tendenz zur Produktionsteilung« mit, indem einzelne an diesem Prozeß beteiligte Berufshandwerker, sei es Weber oder Färber oder Appreteure, sich Leitung und Verlag des ganzen aneignen, die übrigen zu Lohnwerkern machen. Es wird eingehend verfolgt, wie sich im einzelnen die Stellung der verschiedenen Handwerker und Unternehmer in den großen Wollengewerben der Niederlande, von Florenz, Paris, der dten. Tuchmacherstädte, in den Seidengewerben von Lucca, Venedig, Florenz, Genua, Paris, Köln, Zürich, im Leinwand- und im oberdten. Barchentgewerbe gestaltete. Es sei hingewiesen auf die Zunftkäufe, die kollektiven Lieferungsverträge, die in der Oberlausitzer Leinweberei durch Nürnberger und Leipziger (S. 61 ff.) und schon vorher in der oberdten. Barchentindustrie (S. 67 ff.) geschlossen wurden. In einem zweiten Teil wird das entwickelte Verlagssystem in den schweizerischen Textilgewerben des 16.--18. Jhds. behandelt, das namentlich im Züricher Baumwollgewerbe im 18. Jhd. vollkommen ausgebildet war. In der Züricher Seiden- und Floretindustrie und der Baseler Seidenbandindustrie kam teilweise auch die fabrikmäßige Herstellung auf. In diesen beiden Kantonen gewannen die städtischen Unternehmer, begünstigt durch die merkantilistische Staatspolitik, geradezu Monopole und Herrschaft über die Arbeiter. Bei der Schilderung des St. Galler Leinengewerbes wäre der Nachweis erwünscht gewesen, inwiefern sie »die älteste moderne Großindustrie in Landen dter. Zunge überhaupt« geworden ist und wodurch sie sich über die doch wesentlich frühere oberdte. Leinen- und Barchentindustrie hinausentwickelt hat.

Jakob Strieder ( 1465) teilt aus den von ihm 1917/18 durchforschten Notariatsakten des Antwerpener Staatsarchivs einen am 20. Jan. 1548 geschlossenen Vertrag des Fuggerschen Hauses mit dem Faktor des Königs von Portugal mit, worin jenes die Lieferung einer großen Menge von Messingwaren (Arm- und Beinringe, Töpfe, Becken, Kessel u. a.) an die Lissaboner Indienkammer für den Handel mit Guinea übernimmt. Er verbindet damit Angaben über die dte. Metallindustrie jener Zeit und den Ausfuhrhandel dter. Metallwaren, der damals noch von großer internationaler Bedeutung war.

In einem weiteren Aufsatz schildert Strieder ( 1463) die Handelsverbandspolitik Jacob Fuggers und stellt fest, daß sie im Gegensatz zu fast allen Gesellschaftsbildungen jener Zeit stand, indem Fugger bewußt jede Vergesellschaftung mit anderen Familien oder verdienten Faktoren, was stets zu Streitigkeiten in der Leitung führte, ablehnte und fremdes Blut unbedingt ausschloß. Der große Mann wollte Alleinherrscher sein, was er seinen Familienangehörigen gegenüber unbedingt durchsetzte.


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