V. Merkantilismus.

Louise Sommer ( 1412), nunmehr Privatdozentin an der Universität Genf, beweist ihre schon im Jahrgang 1925, S. 375, hervorgehobene Befähigung, in der Behandlung von Wirtschaftstheorien den Einfluß geistiger Strömungen mit außerordentlicher Gedankenschärfe und umfassendstem Wissen nachzuweisen. Es werden hier die Gründe entwickelt, aus denen der Merkantilismus nicht imstande war, eine subjektive Werttheorie hervorzubringen: das Übergewicht des staatlichen Denkens, der Einfluß des Naturrechts in seiner autokratischen Fassung u. a. Dagegen seien Wirtschaftsprobleme in subjektivistischer Weise, vom psychologischen Moment ausgehend, zuerst in Italien durchdacht worden, in dessen besonderer Entwicklung das »elément


S.339

étatiste« so völlig zurückgetreten war. Demgemäß ist auch die subjektive Werttheorie dort entstanden: Davazatti erläutert schon 1588 den Wertbegriff psychologisch, und Galliani wird 1750 der Schöpfer der modernen Werttheorie. Der »Etatisme« dagegen war besonders in Dtl. aufs stärkste begründet.

Wegen der vielen Berührungen zwischen dtem. und englischem Wirtschaftsleben sei auf die sehr umfangreiche Kopenhagener Dissertation von Astrid Friis ( 1509) über die Merchant Adventurers und den Kampf um ihr Tuchausfuhr-Monopol unter Jakob I., sowie auf den durch ein vorzügliches Register leicht auffindbaren wirtschaftsgeschichtlichen Stoff im 7. Band der Sammlung von Akten des englischen Privy Council ( 1510) wenigstens hingewiesen, obwohl sie unmittelbar die dte. Wirtschaftsgeschichte nicht berühren.

Eine merkantilistische Stadtgründung schildert Richard Frei ( 1547). Die Neustadt Hanau ist 1597 von reformierten Wallonen und Flamen, die vorher in Frankfurt Zuflucht, aber nicht die rechte Duldung gefunden hatten, gegründet worden; sie war eine reine Fremdenkolonie und Kaufmannsstadt, der stadtwirtschaftlichen Voraussetzungen entbehrend, ganz auf Versorgung von außen und auf Fernabsatz für ihre Produktion angewiesen. Sie zeichnet sich vor älteren Städten durch ein reicheres und fortgeschritteneres Gewerbeleben und freiere Organisationsformen ohne jeden Zunftzwang aus und trägt von vornherein einen modern-kapitalistischen Charakter. Die dortigen Manufakturen, teils ganz neu eingeführt oder doch mit verbesserter Technik arbeitend, gewannen vielfach weitesten Ruf und Verbreitung, besonders die Zeugmacherei (»Hanauer Zeuge«), die Seidenweberei und -färberei, die Posamentiererei, die Edelmetallverarbeitung und Juwelierkunst -- Hanau war die erste Goldarbeiterstadt Dtls., auch die Diamantenschleiferei kam da zuerst auf. Absatzfeld waren vornehmlich die Frankfurter Messen. Die Eigenart dieser Gründung und die im wesentlichen günstigen Ergebnisse dieses wirtschaftspolitischen Experiments werden in dem Buche treffend dargestellt; neben gedruckten Quellen und Literatur sind auch die Akten des Hanauer Stadtarchivs und des Marburger Staatsarchivs herangezogen.

Die Arbeiterfrage, die in der Zeit des Hochkapitalismus eine so gewaltige Bedeutung erlangt hat, ist für die frühkapitalistische Zeit noch nicht besonders untersucht worden, außer allenfalls in England. Sombart, der in seinem »modernen Kapitalismus« auf diesen Mangel hinweist, hat eine solche höchst erwünschte Untersuchung für die Anfänge des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen, 1685--1806, durch Kurt Hinze ( 1572) angeregt. Diese bestätigt im wesentlichen, was schon Sombart festgestellt: daß die Arbeiterfrage jener Zeit nicht sozialpolitischer Natur war, sondern im Mangel an geeigneten Arbeitskräften und der Schwierigkeit, solche zu beschaffen, bestand. Die Untersuchung befaßt sich denn auch in der Hauptsache mit der Frage des Arbeitsmarkts und der Arbeiterbeschaffung, die aus dem Auslande durch lockende Versprechungen und unmittelbare Anwerbung erfolgte, im Inlande aus dem städtisch-handwerklichen, dem landwirtschaftlichen und dem anstaltlich-militärischen Nexus. Es werden ferner die qualitative Seite gewürdigt, die Heranziehung oder Ausbildung geeigneter Kräfte, die Mittel der Leistungssteigerung; weiterhin die Konflikte bei der Arbeiterbeschaffung: Kampf der Staaten und der Unternehmer um den Arbeiter, die sich kreuzenden kapitalistischen und militaristischen Interessen; endlich die Ergebnisse, mit reichen statistischen Angaben.


S.340

In sorgsam methodischer Behandlung ist eine Fülle weitzerstreuter archivalischer und literarischer Nachrichten ausgewertet und wird ein eindrucksvolles Bild der Zustände entwickelt. In einem kann ich dem Verf. nicht beistimmen: wenn er den Arbeitermangel aus einem absoluten Bevölkerungsmangel erklären will. Denn die unbestreitbar großen Zahlen von Armen, Bettlern und Vagabunden, die hohen Mitgliederzahlen der Gewerke und ihre beständigen Klagen über »Übersetzung«, die vielen Gesellen, die nicht zum Meister gelangen konnten, sowie die vielen Pfuscher, Höker und Hausierer beweisen hinlänglich, daß es an Menschen nicht fehlte. Der Mangel war m. E. qualitativer Natur, es fehlte an Menschen, die zugleich tüchtig, willig und zuverlässig waren; dazu kam sehr wesentlich, daß Angebot und Nachfrage sich schwer begegneten, der Arbeitsmarkt durchaus unentwickelt war. Schließlich wird noch kurz die sozialpolitische Frage berührt und festgestellt, daß die Fürsorge des Staates nur den Unternehmungen, nicht den einzelnen Arbeitern galt; immerhin kenne ich Fälle, in denen von oben her entschieden dahin gewirkt wurde, daß Arbeiter nicht durch Betriebs-Einschränkungen oder -Einstellungen außer Nahrung gesetzt werden sollten. Es hätte hier auch auf Anläufe zur Selbsthilfe hingewiesen werden können, indem die Arbeiterschaften einiger Fabriken in Berlin, Eberswalde und Wriezen sich zunftmäßig organisierten und Sterbekassen anlegten.

Über eine merkantilistische Fabrikgründung -- Spiegel und künstliche Gläser --, die sich von 1709 bis heute erhalten hat, unterrichtet G. Krüger ( 1578) nach Akten des Berliner und Dresdener Archivs. Bemerkenswert sind die Übelstände der anfänglichen Administration und die viel besseren Ergebnisse nach Verpachtung an tüchtige Geschäftsleute; ferner daß die unvollkommene und unwirtschaftliche Holz- und Torffeuerung erst 1870 durch die zudem ganz nahegelegene Braunkohle ersetzt worden ist.

Eine völlig private Gründung war dagegen die Maschinenspinnerei von J. G. Brügelmann in Cromford bei Ratingen, 1783/84, nach Gemmert ( 1545) die erste des Festlandes, nachdem die Arkwrightsche Spinnmaschine 1768 erfunden war. Von landesherrlicher Seite ist erst nachträglich auf Ansuchen ein ausschließendes Privileg auf 12 Jahre verliehen und Schutz gegen Nachahmung zugesichert worden. Die Betriebsgeschichte liegt natürlich größtenteils außerhalb unserer Zeitgrenze; es sei hier nur (nach S. 17 ff.) auf die merkwürdigen Verhältnisse hingewiesen, die für die rheinische Industrie eintraten, als der Rhein infolge der französischen Eroberungen Zollgrenze wurde, und auf die Bemühungen der Rechtsrheinischen, in das französische Zollsystem einbezogen zu werden.

Zur Geschichte der inneren Kolonisation Friedrichs des Gr. bringt Curschmann einen interessanten Beitrag ( 1577), indem er einen großen zusammenfassenden Bericht Brenckenhoffs, des bedeutendsten Gehilfen des Königs auf diesem Gebiete, über seine Tätigkeit in Pommern 1762--1776 veröffentlicht. Einleitend schildert er Leben und Wirken Brenckenhoffs und gibt eine Übersicht der bisherigen Literatur über diese fesselnde Persönlichkeit, von der eine brauchbare Biographie leider noch fehlt.

Die Studie von August Müller ( 1583 a) über die preußische Kolonisation in Neuostpreußen bringt fast ausschließlich neues, aus den Archiven in Berlin, Königsberg und Warschau geschöpftes Material, da die Literatur, wie nachgewiesen


S.341

wird, so gut wie nichts bot. M. zeigt, daß die preußische Kulturarbeit (1796--1806) ergebnisreicher gewesen ist, als man sie zu beurteilen pflegte; sie war ganz das Werk des verdienstvollen Provinzialministers Friedr. Leop. v. Schroetter. Dieser verstand es, die ländlichen Kolonisten mit ungleich geringeren Kosten anzusiedeln und dabei wirtschaftlich viel sicherer zu stellen, als es in der früheren Neuerwerbung, Südpreußen, geschah. Auch die Besetzung der arg verkommenen Städte mit dten. Gewerbetreibenden wurde rüstig gefördert und hat den Zustand der Städte »in kurzer Zeit unglaublich verbessert«. Der größte Teil der Neusiedler ist dort geblieben. Es wird übrigens darauf hingewiesen, daß das Jahrzehnt preußischer Herrschaft nur einen kleinen Abschnitt einer dreihundertjährigen Entwicklung darstellt, denn auch vor und nach jener Zeit war man in Polen eifrig bemüht, dte. Kolonisten und Gewerbetreibende herbeizuziehen; natürlich geschah dies in preußischer Zeit mit besonderer Intensität.

Dem letzten der wenig glücklichen österreichischen Versuche, am Kolonialhandel Anteil zu gewinnen, ist die Untersuchung von v. Pollack-Parnau ( 1513) gewidmet. Das Bild ist das gleiche wie so oft: ein waghalsiger, anderwärts gescheiterter Abenteurer (Bolto) weiß für seine Pläne starkes Interesse zu erwecken, erlangt ein Oktroi und staatliche Unterstützung, eine Aktiengesellschaft wird gegründet, in der aber größte Uneinigkeit herrscht, schließlich (1785) großes Fallissement. Die Hauptsache war, daß die Wirtschaftslage nicht übersehen wurde, daß die gute Zeit für Einfuhr indischer Luxuswaren vorüber war, daß die Häfen Triest und Livorno sich nicht als aufnahmefähig erwiesen, daß Österreichs Interessen keineswegs auf überseeische Faktoreien und Kolonien hinwiesen, sondern auf kolonisatorische und wirtschaftliche Betätigung in Südosteuropa. Daß man mit einer Handvoll Menschen Kolonien (Delagoa, Nikobaren) zu gründen versuchte, erinnert an die Frühzeiten der europäischen Konquista und war um so weniger zu behaupten, als sich frühere Anwärter auf die entlegenen Gebiete (Portugal, Dänemark) meldeten.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)