Einzelnes.

Zur Geschichte des Investiturstreits erschien das wichtige und umfangreiche Werk von Voosen: Papauté et pouvoir civil à l'époque de Grégoire VII. ( 1605). Er entwickelt mit großer Belesenheit und Gelehrsamkeit die gregorianische Reformthese aus den zeitgenössischen kirchlichen Quellen heraus, begeht aber den prinzipiellen Fehler, sich als Historiker mit ihr völlig zu identifizieren. So kommt wie in den Arbeiten von Fliche, auf denen er vielfach fußt, ein ganz einseitiges Bild zustande, das der staatlichen Gegenpartei in keiner Weise gerecht wird. Das im 11. Jhd. in Geltung stehende germanische Kirchenrecht ist V. nur »confusion des pouvoirs«, welche durch die Reform wieder beseitigt wird. Alles »Revolutionäre« der Bewegung und alle Übergriffe Gregors VII. in die staatliche Domäne werden geleugnet. Der Wert des Buchs liegt in dem gewaltigen durchgearbeiteten Material. Aber die Ausbeutung und Benutzung gibt zu Bedenken Anlaß.

Dem Gegenpapst Mauritius Burdinus (Gregor VIII.) widmet C. Erdmann eine Monographie ( 1608a), welche durch Heranziehung des neuen in Portugal gewonnenen Urkundenmaterials die bisherigen Kenntnisse über Lebensumstände und Aufstieg des Mannes beträchtlich erweitern und modifizieren. Daß er durch Bestechung in Rom sich in eine Günstlingsstellung bei Paschal II. hineingearbeitet habe, ist ein Irrtum. Die neuen Urkunden ergeben, daß ihm 1115/16 vielmehr sein spanischer Rival Diego von S. Jago di Compostella, gestützt auf den Kanzler Johann v. Gaeta (Gelasius II.), an der Kurie den Rang ablief; damit erklärt sich Mauritius' Verzicht auf die Rückkehr nach Spanien und sein Frontwechsel zu dem gebannten Heinrich V. hinüber. Seine Haltung blieb jedoch auch fernerhin schwankend, und nicht Heinrich V., sondern die Frangipani waren es, die seine Aufstellung zum Gegenpapst betrieben. Seine Rolle als solcher -- ohne geschultes Kanzleipersonal und nur mit einer emsig geworbenen persönlichen Anhängerschaft aus den Kreisen der Wibertiner -- war kläglich, Heinrich V. hat sich nur während seines vorübergehenden Bündnisses mit den Frangipani um ihn gekümmert. In einem Anhang werden drei bisher als echt geltende Urkunden und Briefe als Falsa resp. Dictamina ausgeschieden.

Zu dem neuerdings viel behandelten Thema der päpstlichen Legaten sind drei Arbeiten zu nennen. Rony ( 1606) gibt (ohne neue Resultate) ein kurzes Lebensbild des Vertrauensmannes Gregors VII., Hugo v. Romans (Bischof von Die, Erzbischof von Lyon). A. Mercati ( 1609) veröffentlicht einen wertvollen Fund: das Original des ersten Legationsberichtes, den Nicolaus de Romanis im Jahre 1241 von seiner Mission in England zur Liquidierung des Konflikts mit König Johann ohne Land an Innocenz III. einsandte. -- Aus neu edierten Dokumenten der Instrumenta miscellanea des vatikanischen Archivs ergänzt Perrat


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( 1629) die erreichbare Kunde über den Legaten Clemens' V. im Orient, Kaplan Raymond de Piis, welcher in den cyprischen Wirren der Jahre 1398 ff. anläßlich der Verdrängung König Heinrichs II. von Lusignan durch seinen Bruder Amalrich von Tyrus und dessen bald folgender Ermordung eine, im Endeffekt freilich erfolglose, Rolle auf diesem für die kurialen Kreuzzugspläne wichtigen letzten Bollwerke abendländischer Herrschaft im Orient gespielt hat.

Ein andres, neuerdings viel behandeltes Thema (s. d. früheren Berichte) ist Marsilius von Padua und sein Defensor pacis. Prévité Orton ( 1615) untersucht die literarische Belesenheit des M. Patristik hat er wesentlich aus zweiter Hand, gut zu Hause ist er im Corpus iuris canonici und in Pseudoisidor. Seine historische Belehrung schöpft er aus Martin v. Troppau. Unter den antiken Autoren steht Aristoteles obenan. Im ganzen ist Buchgelehrsamkeit nicht das charakteristische Merkmal dieses revolutionären Geistes. M. Stimming ( 1614) stellte einen Vergleich zwischen der Gedankenwelt des M. mit derjenigen des Nicolaus v. Cues an. Eine ungedruckte Kölner Dissertation von Bettina Geissel ( 1613) handelt von M.s kirchenpolitischer Lehre.

Dem »ersten Renaissancepapst« Nikolaus V. (Parentucelli) widmet Pleyer ( 1023) eine Monographie, die ein allseitiges Bild seines Pontifikats mit besondrer Betonung der Kirchenstaats- und Italienpolitik entrollt. Beachtenswert ist die Interpretation der Renaissancefreundlichkeit des Papstes als eines in altbewährter päpstlicher politischer Praxis unternommenen Versuchs, die neue große Geistesbewegung in die Bahnen der Kirche zu leiten und in den Dienst des Papsttums zu stellen.

Zur inneren und Verfassungsgeschichte ist zu verzeichnen der Versuch von Ruffini Avondo ( 1610), die These von Wenck (s. vorigen Bericht) zu widerlegen, daß das Konklave des Jahres 1241 das erste gewesen sei. Doch ist es ihm nicht gelungen, der auf Glossatorennotizen gestützten Überlieferung von einem Perusiner Konklave im Jahre 1216, der man früher folgte, stärkeres Gewicht zu verleihen. Daß der Hostiensis auf einer mündlichen Überlieferung Tancreds (der das Konklave vom Jahre 1241 nicht mehr erlebte), fuße, hat R. nicht plausibel zu machen vermocht, und ebensowenig überzeugend ist der Hinweis auf das kommunale Vorbild von Piacenza, wo 1223 zwei Konklaves bei städtischen Wahlen gehalten wurden, und die Verbindungslinie von dort zu dem Plazentiner Gregor X., der die Konklaveordnung erließ. Kleine Beiträge zur avignonesischen Periode liefert G. Mollat ( 1619): Aufzeichnungen der Jahre 1304--28 über Bezüge und Funktionen kurialer Hofbeamter, in Ergänzung ähnlicher von Haller in Quell. u. Forsch. aus ital. Arch. I, 1898 veröffentlichter Aufzeichnungen, ferner eine Zusammenstellung des Hofstaats Nicolaus (V.) auf Grund seiner und Johanns XXII litterae communes-Register, endlich eine Miscelle über die Wahl dieses Nicolaus (V.), (Peter v. Corbara), E. Göller ( 1621) behandelt einen typischen Fall der Kollision zwischen Kapitelwahlrecht und päpstlichem Provisionswesen an Hand eines zum Schluß abgedruckten Prozeßakts, der bei der Inventarisierung der Instrumenta Miscellanea ans Licht gezogen wurde. Sella ( 1618) sammelt und erörtert, was seit Beginn des 13. Jhd. an Vorläufern der sog. Costituzioni Egidiane des Kirchenstaats in Gestalt von Einzelverordnungen der Päpste, Patrimoniumsrektoren, usw. resp. Notizen über solche, bekannt ist. Sie gehören überwiegend dem Bereich des Zivilrechts an und zeigen ein stetiges Ringen mit den legislatorischen


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Selbständigkeitsansprüchen der Kommunen. S. spricht die Hoffnung aus, daß weitere Archivfunde etwas von den älteren Sammlungen von Konstitutionen ans Licht fördern werden.


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