1. Gesamtdeutsche Entwicklung.Das
»Enchiridion« des aus dem Nassauischen stammenden Franziskaners Nikolaus Herborn (
1742) ist eine durch ihr ansprechendes lateinisches Sprachkleid erfreuende,
1529 auf Wunsch des Herzogs Johann III. von Cleve-Jülich-Berg abgefaßte volkstümliche
Verteidigungsschrift gegen die Lutheraner ähnlich dem vier Jahre früher erschienenen gleich betitelten
Büchlein Ecks. Stark auf die Heilige Schrift gestützt, legt Herborn die kirchliche Lehre, wenn auch nicht in
allen ihren Teilen, positiv dar, einerseits mit der Schönheit der idealen Kirche lockend, anderseits die
Mißstände des Zeitalters offen rügend. Seine mehr als Durchschnittskenntnisse bezeugende Arbeit ist
einstmals zweimal nacheinander herausgekommen; sie darf als ein lehrreiches Beispiel für ihre ganze Gattung gelten.
Die jetzige Neuausgabe ist von Schlager mit viel Umsicht nach den allgemeinen Grundsätzen des
»Corpus Catholicorum« hergestellt worden. Ihr Verfasser gehörte 1529 dem Convent in Brühl an und
wirkte zugleich als Domprediger in Köln. -- Aus der Erkenntnis heraus, daß die theologische Anschauungswelt
der Zeitgenossen Luthers, die bei der Kirche verharrten, in der doppelten Bezugnahme auf den Reformator selbst und auf
das spätere Tridentinum vielseitiger und gründlicher weiterer Aufhellung bedarf, untersucht
Jedin (
1743) die um die Probleme Erbsünde und Konkupiscenz, Willensfreiheit und
Gottesbegriff, Natur und Gnade gruppierte Schrift des Johannes Cochlaeus »De libero arbitrio hominis« von
1525. Dem Kern seiner Ausführungen schickt er verständigerweise ausgiebige Mitteilungen über die
einschlägigen Gedanken bei Luther und Melanchthon einerseits, die sich wieder nach Gruppen und Schulen gliedernden
katholischen Theologen vor dem Jahre 1525 anderseits voraus. Die letzte Absicht bei der Schrift des Cochlaeus war,
»den Determinismus vom Volke fernzuhalten und wegen seiner verderblichen Konsequenzen vor ihm zu warnen« (S.
58). Eine gerade sehr hohe Einschätzung unter den das gleiche und ähnliche Themata behandelnden
schriftstellerischen Versuchen gebührt ihr nicht; z. B. in Luthers Gedankengänge bezeugt ihr Autor nur wenig
Einfühlung. Jedin greift über die seiner Arbeit eigentlich gestellte Aufgabe in klärenden Darlegungen
über Literaturkenntnis und Arbeitsweise des Cochlaeus, sein Verhältnis zur via antiqua und zum Humanismus
sowie seine eigene religiöse Entwicklungslinie noch wesentlich hinaus; unmittelbar am bedeutsamsten ist dabei die
These, daß Cochlaeus sich nicht während seiner römischen Jahre
S.365 1517--19 unter dem Einfluß des Oratorio dell divino amore zum kirchlichen Leben zurückgefunden hat, sondern ständig »ein im Kern gläubiger Katholik« (S. 121) geblieben war. --Beckers ( 1745) Studie über das theologische und kirchenpolitische Schrifttum des Herzogs Georg von Sachsen begreift die auf den Herzog, ob mit oder ohne sichere Beweise, der Überlieferung gemäß zurückgeführten Flugschriften und weiteren literarischen Arbeiten, auch eine Reihe Gedichte, Erlasse und Briefe von ihm, ein, chronologisch von 1522 bis 1532 weiterschreitend. Das Schrifttum des Herzogs legt außer von einer bemerklichen theologischen Bildung von seiner überzeugten Verbundenheit mit der alten Kirche sowie zähen und forschen Gegnerschaft wider die Person Luthers Zeugnis ab; es beweist auch, daß der Herzog »nicht der unbarmherzige Verfolger gegnerischer religiöser Anschauungen war, als welcher er oft hingestellt worden ist« (S. 197). Becker zeigt an manchen Stellen seiner Untersuchung einen ehrlichen Willen, den beiden miteinander in Streit befindlichen Religionsparteien gerecht zu werden; die Frage nach der Höhenlage dieses oder jenes Urteils in Kontroversfragen bei ihm sei hier erst gar nicht aufgeworfen.Schmidlin (
1741) versucht den Nachweis, daß Roms Bemühungen um die
katholische Restauration in Deutschland trotz nicht zu leugnender Mißgriffe und Schattenseiten »mit der
hingebungsvollsten und opferwilligsten Muttersorge die deutsche Kirche aus deren Abgrund zur eigenen Höhe
emporgezogen und dem Rachen ihrer inneren wie äußeren Feinde entrissen« hätten (S. 377). Man
möchte der an die einschlägigen wissenschaftlichen Hauptwerke des letzten halben Jahrhunderts eng angelehnten,
überaus sachkundigen, nur ein wenig im großen hingeworfenen Skizze eine sehr sorgsam und mit feinem Pinsel
durchgeführte Ausmalung wünschen. --Pastors (
1746) Papstgeschichte ist im Berichtsjahr noch unter den Augen ihres, solange
er lebte, unermüdlichen Verfassers im Erscheinen ganz wesentlich vorangekommen: In ihrem elften, dem nicht immer
nach Verdienst gewürdigten Pontifikat des Aldobrandini-Papstes Klemens VIII. (1592--1605) gewidmeten Band hat sie
die Schwelle vom 16. zum 17. Jhd. überschritten; der anschließende zwölfte Band hat, abgesehen von der
nur nach kurzen Wochen zählenden Geschichte der Regierung Leos IX. (1605), die um so längere und nach
außen und innen ereignisreichere Pauls V. (1605--21) nur Darstellung gebracht und damit sogar schon in die
Anfangsperiode des Dreißigjährigen Krieges hineingeleuchtet. Beide Bände widmen sich im
Gesamtgefüge der vielseitigen Erörterungen und Überblicke, die sie wie ihre Vorgänger enthalten, in
eingehender Weise auch der fortschreitenden Schilderung der katholischen Restauration in Deutschland, ja, sie
gehören durch ihre zusammenfassende Darstellung dieser Dinge mit zum Erheblichsten, was zur neueren Geschichte der
katholischen Kirche bei uns hier auf diesen Seiten zu verzeichnen ist. Der weit angelegte Überblick über die
Verhältnisse in den einzelnen deutschen Landesteilen, zu dem Pastor ausholt, kann an dieser Stelle auch im
allerkleinsten Maßstab nicht nachgezeichnet werden. Es muß genügen, darauf hinzuweisen, daß um
die Jahrhundertwende »die katholische Reformation und Restauration« -- um diese Verschiedenes mit
verschiedenem Namen nennende, in unserem Werke öfters wiederkehrende Doppelbezeichnung zu übernehmen
-- außer etwa in Salzburg und in Bamberg erhebliche Fortschritte machte. Pastor hat sicher recht, wenn er diese
Entwicklung
S.366 mehr noch als auf die heftigen Gegensätze der Epoche zwischen Lutheranern und Calvinisten und die eifrigen Bemühungen eines Clemens VIII. selbst auf die frühere Wirksamkeit des Papstes Gregor XIII. zurückführt. Die Ausbildung zahlreicher junger Deutscher im Collegium Germanicum und die Gesamttätigkeit des Jesuitenordens, nicht zuletzt auch die Ansiedlung der Kapuziner in Deutschland leisteten bei ihr die größten Dienste. Aber auch mit eigenen Anregungen griff der Heilige Stuhl in die Geschicke Deutschlands ein. Die Voraussetzung für alle Restaurationsbestrebungen war unter Clemens VIII. wie unter Paul V. eine zielbewußte Personalpolitik, die einen Maximilian von Bayern eng an sich heranzog, die die Konversion eines Wolfgang Wilhelm von Neuburg förderte, die einerseits auf die Kaiserwahlen einwirkte, anderseits die Nuntiaturen klug besetzte und auf eine dem kirchlichen Interesse entsprechende Besetzung der Bischofsstühle und Ersetzung ungeeigneter Inhaber sorgsam achtete. Das Jubiläum des Jahres 1600 wob dank dem Zustrom auch zahlreicher deutscher Pilger ein besonderes Band der Zusammengehörigkeit zwischen hüben und Rom. Schließlich kam die durch Neuausgabe der Vulgata und des Index unter Clemens VIII., des Rituale Romanum unter Paul V. sowie die auf anderen Gebieten, z. B. dem der Ordensreform, von beiden Päpsten für die Gesamtkirche ausgeübte Tätigkeit auch Deutschland zugute; umgekehrt hat auf die Galilei unter Paul V. zuteilgewordene Behandlung das Widerstreben der kurialen Kreise gegen die Lehre Luthers eingewirkt, daß jeder sich die Heilige Schrift nach eigenem Gutdünken erklären dürfe. Abschließend braucht hier kaum festgestellt zu werden, daß auch in den beiden neuen Bänden der Papstgeschichte die fürsorgliche, vielseitig quellenmäßige, dazu entlegene Literaturnotizen aufspürende Behandlung der Probleme ganz die alte ist und daß die Darstellung manches Schmuckstück aufweist. Es liegt, wo sie das durch die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen flutende religiöse Leben mit Worten aufzufangen unternimmt oder wo sie die großen Heiligengestalten, die der Kirche in jener Zeit der Erneuerung geschenkt worden sind, vor uns erstehen läßt, eine innere Verbundenheit mit dem Gegenstand über ihr, die wohl vom Standpunkt jeder geschichtsmethodischen Auffassung aus nicht anders als ein erheblicher Vorzug des Werkes bezeichnet werden kann. Das Charisma, den Einzelvorgang in große geistesgeschichtliche Kategorien einzuordnen, war Pastor nach Veranlagung, Ausbildung und ihn tragender Zeitrichtung bekanntlich nicht in hervorstechender Weise auf seine Forscherlaufbahn mitgegeben worden. -- Daß Metzlers ( 1747) Charakteristik der Person, der Anschauungen und der Wirksamkeit des hl. Petrus Canisius auf weitere Kreise wirken soll, folgert zunächst einmal aus dem trotz seiner Kürze auch Gelegenheitsäußerungen kleinsten Umfangs nicht verschmähenden Literaturverzeichnis, das sie einführt, namentlich aber aus dem Hauch predigtartiger Salbung, der über dem gerne Wendungen pietätvoller Devotion und Schriftworte verwendenden Text liegt. Mag die Arbeit auch sehr sorgsam aus den Quellen, das heißt in der Hauptsache aus Braunsbergers großer Ausgabe der Briefe und Akten des Heiligen geschöpft sein, mag sie dies oder jenes zutreffender zeichnen als es vorher geschehen war, und mag sie vor allem das Geschehene verlässig zusammenstellen, man darf doch gewisse Zweifel hegen, ob der Verfasser sein Auge immer dem heiligen Ordensgenossen und -vorbild gegenüber genügend geschärft hält und ob, wenn er etwa gelegentlich Auffassungen Otto KarrersS.367 die eigenen gegenüberstellt, die weitere Überschau und die rechte Intuition nicht bei Karrer ist. Auch die Erkenntnis der menschlichen Begrenztheiten eines Bellarmin ist bekanntlich nicht schon aus der Beschäftigung der Ordensgenossen mit dem Kardinal und Seligen herausgewachsen!Veit
(
1750) liefert eine von der Blässe einer mehr oder weniger unlebendigen
Betrachtungsart nicht angekränkelte Arbeit über den Zusammenbruch des Mainzer Erzstuhls infolge der
französischen Revolution; z. B. verdienen seine gelegentlich (S. 68) eingestreuten Worte von der viel mehr ans
Licht zu stellenden Bedeutung des katholischen Pfarrhauses für Religion, Kultur und Gesellschaft ein vielfaches
Echo. Die Studie faßt eine Reihe von Einzelabhandlungen zusammen, ist freilich durch den ihr vorgesetzten Titel
nicht hinreichend deutlich charakterisiert. So wertvolles Material nun auch in den schon mit den
Territorialverhältnissen der Reformationszeit beginnenden, die Besitzverhältnisse und die kirchliche Lage im
Laufe und zu Ende des 18. sowie noch zu Beginn des 19. Jhds. umschreibenden Skizzen steckt und so vielsagend etwa die
mitgeteilten aus der Zeit des Rastatter Kongresses stammenden Briefe des in die ihm zukommende geschichtliche Geltung
längst noch nicht eingesetzten Mainzer Weihbischofs Valentin Heimes sind, dem Ganzen eignet etwas noch nicht
völlig Ausgereiftes und organisch Zusammengeschmolzenes, und man kann nur hoffen, daß dies und ähnliches
zum Teil noch unbehauenes Gestein doch allmählich das feste Bauwerk der Zustände im Mainzer Erzstift kurz vor
seinem Untergang liefern wird. --Bierbaum (
1753) kommentiert und ediert vatikanische Archivalien des Aktenfaszikels
»Acta Congregationis Consistorialis« 1821, pars II. Sie betreffen hauptsächlich den 1820/21
stattgehabten amtlichen Austausch des Sekretärs der Konsistorialkongregation Raffaele Mazio, des preußischen
Unterhändlers Niebuhr, des Sekretärs der Kongregation De propaganda fide Tedicini und des Vizesuperiors der
holländischen Missionen Ciamberlani, der die sich damals zwischen der Kurie und Preußen vorbereitende
große Vereinbarung handelt, Materiell ging es vor allem um die Umschreibung der Diözesen, die Jurisdiktion
des Vizesuperiors über die nunmehr preußischen Gebiete von Emmerich und Elten, die Aufstellung eines
förmlichen Aktes über die für die Dotationen in Aussicht genommenen Forsten, den Zeitpunkt der
Übergabe der Dotationen, das landesherrliche Veto bei den Bischofswahlen, das Verhältnis der früheren
Domherren zu den neueinzurichtenden Kapiteln und die Reservation von Kanonikaten für Professoren der Theologie in
Breslau und Münster. Der darstellende Teil der Abhandlung hält ständig enge Fühlung mit der sich
großenteils auf bekannte Namen stützenden bisherigen Literatur, wirkt dadurch lebendig und förderlich
und drängt die Frage nach dem inneren Recht der selbständigen Veröffentlichung einzelner Aktenschnitzel
zu einem so umfassenden Thema mehr oder weniger zurück. Die breiten Reflexe auf die Lage und die Forderungen von
-- gestern, in die er ausläuft und die in der Anregung gipfeln, das Bischofswahlrecht der Domkapitel in
Preußen bestehen zu lassen, bewegen sich schon außerhalb der für einen rein historisch gemeinten
Bericht wie den hier zu gebenden geltenden Grenzziehung. --Doeberl (
1754) liefert nach zahlreichen kleinen Einzeluntersuchungen nunmehr eine
prägnante Formulierungen bietende, aus erfreulicher geistiger Weite gesehene, von Sympathie und Verstehen
beschwingte, gerade deshalb aber auch die persönlichen und zeitgeschichtlichen Bindungen seines Helden
höchstens noch einmal ganz
S.368 unwillkürlich abschwächende Gesamtskizze über Johann Michael Sailer, den einzig bedeutenden Moralisten und Pädagogen, die große Führergestalt des katholischen Deutschland bei der Überwindung der kirchenfremden Aufklärung. »Es hat im 19. Jhd. in Bayern und Deutschland Gelehrte gegeben, die tiefer als er die Theologie erfaßten, die schärfer als er den Kampf wagten; aber es hat kaum einen Theologen gegeben, der für alle kirchlichen Fragen ein stärkeres Empfinden gehabt hätte, keinen, der von den verschiedensten Richtungen ... so verstanden worden wäre wie er« (S. 121). Eine gewisse Umwertung in dem vergleichenden Urteil über gläubige Aufklärung und sie ablösende kirchliche Restauration, von der man seit einiger Zeit sprechen darf, wird weiter von der Person Sailers auszugehen und an ihr sich zu orientieren haben.Grisar (
1755) stellt fest, daß der Vater des preußischen Unionsprojekts
von 1849 kein anderer als der Katholik von Radowitz war, die kirchlich gerichteten Katholiken wenigstens im
preußischen Westen sich ihm aber so gut wie vollzählig versagten. Dagegen erhielt die durch Radowitz
proklamierte ausgesprochen preußische Politik Unterstützung durch einen Aristokraten wie den Grafen
Fürstenberg-Stammheim oder durch Konvertiten wie Karl Gustav Nikolaus Rintel und Ludolf von Beckedorff. Die bei
Grisar gestreifte Frage, in wieweit die österreichische Haltung der großen Mehrheit des katholischen
Volksteils kirchlich und inwieweit sie auch politisch bestimmt gewesen ist, kann innerhalb der Grenzen seines Aufsatzes
ebensowenig schon eine letzte Beantwortung finden, wie sie ihr in der sonstigen bisherigen Literatur geworden ist; sie
bedarf noch einer auf breitester Grundlage angestellten, überaus feinsinnig scheidenden Erörterung. Daß
beide Motivkomplexe auf die Stellungnahme einwirkten und daß sie häufig ineinander spielten, steht
natürlich längst außer allem Zweifel. --Brauers »Ketteler« (
1756) ist nicht etwa ein Parallelwerk zu Pfülf oder Vigener. Kein
eigentlicher Historiker führt hier die Feder; neue Materialien werden nicht beigebracht. Die Schrift ist offenbar
dem Umstand zu verdanken, daß ein von einem akademischen Katheder aus wirkender Sozialwissenschaftler und
Sozialpolitiker, der sich von den großen Persönlichkeiten des neueren Katholizismus und ihrer Gedankenwelt
besonders angezogen weiß, das persönliche Bedürfnis empfand, zu einer näher bestimmten Meinung
über die eigentliche Wesensart des Mainzer Bischofs zu gelangen und sich von dem gewonnenen Gedankenbild dann durch
die literarische Fixierung innerlich loszulösen. Erklärlicherweise bleibt Brauers gefällig und
anschaulich geschriebenes Büchlein aber von der bisherigen Literatur und in bezug auf manche Dinge auch von der
Legende weiter katholischer Kreise über die Zusammenhänge noch erheblich abhängig; vergleichsweise am
gewichtigsten sind seine Ausführungen über Ketteler als Sozialreformer. --Ried (
1757) wirft von neuem die Frage nach Kettelers Stellung zur päpstlichen
Infallibilität vor und auf dem Vaticanum auf, und zwar, was das Wesentlichste ist, auf Grund des im Mainzer
Generalvikariat befindlichen, ihm vollständig zugänglich gewordenen Materials. Dies läßt keinen
Zweifel darüber, daß der Bischof bis zum 18. Juli 1870 ein Gegner des Dogmas in seiner schließlichen
Formulierung war und diese Form »mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bis in die letzten Tage vor
seiner Abreise« von Rom bekämpft hat (S. 658). Sein Unfehlbarkeitsbegriff war »ein
wesentlich anderer ... als der der Majorität, deren Schema er in erster Linie aus prinzipiellen,
erst in zweiter Linie aus Opportunitätsgründen
S.369 bekämpfte« (S. 717). Und zwar war er prinzipieller »Gegner des Dogmas des papae solius et independenter infallibilis« (S. 695), forderte seinerseits vielmehr die Heranziehung der Bischöfe »in irgendeiner, wenn auch noch so losen, Form ... zur Mitentscheidung« (S. 687). Der Zusatz in der Konstitution »Unigenitus« »non autem ex consensu Ecclesiae« war ihm natürlich besonders unwillkommen (S. 725). Gelegentliche ein wenig auffällige Beteuerungen von ihm konnten nur den Sinn haben, daß er in seinen Glauben an die Unfehlbarkeit wie die, daß die Unfehlbarkeit des Papstes der »Stern seines Lebens« sei, der Kirche stets auch die ihres Oberhauptes einbezogen habe (vgl. S. 692). Ried umschreibt die Haltung des deutschen Episkopats vor dem Vaticanum und zeichnet den Gang der vatikanischen Verhandlungen unter Benutzung und reichlicher wörtlicher Einflechtung Kettelerscher Aufzeichnungen im einzelnen sorgfältig nach. Seine Darlegungen erwecken einerseits den Eindruck verständigen Sicheinfühlens in die Stellungnahme des seelisch immer stärker bedrängten Bischofs, anderseits tadelfreier Objektivität gegen die Konzilsmehrheit, römische Kurie und die Person Pius' IX. Es ist gut, daß die seit Vigeners aufrüttelndem Aufsatz in der 1915 erschienenen Festgabe für Dietrich Schäfer nie mehr recht zur Ruhe gekommene Debatte um Kettelers Haltung zur Infallibilität durch ihn diesen, man darf wohl annehmen, allseitig überzeugenden Ausklang gefunden hat.Die Übersicht von Fuchs (
1758) skizziert mehr andeutend als ausführend, manchmal durch feine
Antithesen und Paradoxien anregend und überraschend, immer beziehungsreich und geistvoll die Verbindung und
Spannung zwischen deutschem Katholizismus und Kultur von den Zeiten eines Leopold von Stolberg und Sailer, eines
Möhler und Eichendorff bis in unser den früheren Zusammenhang der Dinge allmählich wesentlich wandelndes
oder gar aufhebendes Jahrhundert hinein. Was in einer in die Fesseln der historischen Methode eingeschnürten rein
fachwissenschaftlichen Arbeit nicht oder wenigstens nicht mit diesen Worten gesagt werden könnte, ist hier unter
den Gesichtspunkten einer geistig belangvollen Kulturkritik hellhörig und mit manchmal erquickender Offenheit
ausgeführt. Manche Urteile treffen in ihrer Prägnanz den Nagel auf den Kopf. So etwa dasjenige über das
Preußen des 19. Jhds., das sich wie andere Staaten »der Kirche als eines Instrumentes bedienen«,
»aber sie zugleich zugunsten der dynastischen Religion zu schwächen versuchte« (S. 18). Oder das
andere, daß der wissenschaftliche Katholizismus im ausgehenden 19. Jhd. Gefahr lief, »sich mit
Rücksicht auf die positivistische Wissenschaftsmethode, speziell den Historismus der Zeit auf ein begrenztes
neutrales Gebiet drängen zu lassen, wo man, nicht minder tüchtig als die andern, mit Emsigkeit seinen Acker
bestellen konnte, ohne sich vom Glauben determiniert, aber auch ohne sich von ihm beschwingt zu zeigen« (S. 36).
Über anderes mag man streiten, z. B. darüber, ob Hermann Schell nicht doch zu isoliert gesehen und deshalb
seine geistesgeschichtliche Geltung ein wenig übersteigert ist. Der Anlaß zu dem Aufsatz, die im Jahre 1903
erfolgte, in der Entwicklung des deutschen Katholizismus in der Tat epochale Gründung von Karl Muths Monatsschrift
»Hochland« aus dem Zusammenhang der Entwicklung vor diesem Zeitpunkt zu deuten und ihm zu vergliedern, gibt
ihm eine genau bestimmte Zielsetzung. Der Geist des Verfassers ist, um eine Wendung, die er einmal gebraucht (S. 54),
auf ihn ganz persönlich zu beziehen, der Geist der Kirche, welche der
S.370 Welt entgegenschreitet. Ich erachte diesen, zugleich die ganze ungemein hochstehende Festschrift, die Fuchs mit dem charakterisierten Beitrag einleitet, beherrschenden Geist eines Katholizismus, der an seine geistige Sendung glaubt, für die jüngste Geschichte des neuzeitlichen deutschen Katholizismus so wesentlich, daß ich hier mit einem verhältnismäßig eingehenden Wort bei ihr verweilen wollte.Die Entwicklung und die Kämpfe der katholischen Kirche in Preußen von ihrer Neuorganisation durch die
Zirkumskriptionsbulle »De salute animarum« im Jahre 1821 bis zu der abermals eine partielle Neuordnung
verfügenden »Solenne convenzione« zwischen Kurie und Staat vom Jahre 1929 haben ihren Hauptschauplatz
und ihren Brennpunkt zweifellos in der erst durch den Wiener Kongreß ganz in die Hut des Staates gelangten
Rheinprovinz gehabt. Diese verfügte von allen Gliedern des Staatskörpers über den am meisten beweglichen
Menschenschlag; ihre zu einem großen Teil an die Luft geistlicher Territorien gewöhnte Bevölkerung hatte
für die an protestantischen Anschauungen orientierte kirchenpolitische und kirchliche Haltung Preußens nicht
gerade sehr viel Sinn; mit der Nachbarschaft und ideellen Einwirkung Belgiens und Frankreichs war eine besondere Nuance
kirchlichen Selbstgefühls und kirchenpolitischen Freiheitsdrangs gegeben. So hat gerade die Erforschung der
rheinländischen Entwicklung ihre besondere Bedeutung und darf ein überprovinzielles Interesse für sich in
Anspruch nehmen. Ja, in dem letzten großen Werk des kürzlich heimgegangenen Bonner Kirchenhistorikers
Schrörs (
1763) erzwingt diese Entwicklung sich von neuem die Beachtung, man kann ruhig
sagen, der gesamten Historikerwelt. Im Mittelpunkt dieses Werkes steht die Frage nach der eigentlichen Verursachung und
den Umständen jenes im November 1837 akut gewordenen Konflikts der preußischen Regierung mit dem Kölner
Erzbischof Clemens August Freiherr Droste-Vischering, der selbst über die deutschen Grenzen hinaus Aufsehen erregte
und mehr als jedes andere Ereignis der vormärzlichen Ära in unserem Vaterland den kirchlichen und
kirchlichpolitischen Feuerbrand in die Gemüter warf. Schrörs hat den Gegenstand nicht vollständig,
sondern nur nach seinem »einheimischen« oder »verwaltungspolitischen« Teil behandelt, den
»auswärtigen« oder »diplomatischen« beiseite gelassen. Das hängt damit zusammen,
daß er zwar ein sehr reichhaltiges gedrucktes und ungedrucktes Material benutzen und verarbeiten, den
einschlägigen Inhalt der Zentralarchive diesseits und jenseits der reichsdeutschen Grenzen aber nicht oder nur zu
einem Teil einsehen konnte; insbesondere die Durchsicht und Verwertung der vatikanischen Akten mußte er anderen
Händen überlassen. In dieser Begrenzung ist die Aufgabe von ihm mit dem ganzen Aufgebot einer
ungewöhnlichen und in abgeklärter Altersreife stehenden Gelehrsamkeit, Kombinationskraft, geist- und
bildreichen Darstellungsart bewältigt worden; das Werk, das vorliegt, ist glänzend geschrieben und vermag weit
über die Fachkreise hinaus zu fesseln. Viele Einzelerkenntnisse in ihm werden dauernd in Geltung bleiben; auch im
großen bedeutet es einen mächtigen Schritt vorwärts. Wenn ich hier zu seinen Hauptergebnissen, auf
meiner bereits in den »Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein« 114 (1929), S. 140 ff.,
veröffentlichten Einzelbesprechung fußend, aber sie, wie ich hoffe, nicht nur wiederholend, kurz Stellung
nehme, so glaube ich eine persönliche Vorbemerkung nicht unterlassen zu dürfen. Ich hatte den Vorzug, mit
Professor
S.371 Schrörs zur Zeit der Abfassung nicht nur dieses Buches in ständigen persönlichen Beziehungen zu stehen, an die ich gerne und pietätvoll zurückdenke. Die bei diesem Verkehr gemachten Wahrnehmungen haben mich nun zu der, wie ich hoffe, nicht als überheblich deutbaren Meinung geführt, daß ein letztes Urteil über die Arbeiten des Verstorbenen nur für den möglich ist, dem seine menschliche Wesensart genau vertraut war. Nur er hat erfahren, daß dieser bedeutende Gelehrte hie und da Wolken erspähte, wo für die meisten Menschen blauer Himmel war. Nur er kann auch wissen, in welchen Fällen er mit Vorliebe solche Wolken sah. Nur er kann sich schließlich ganz darüber klar geworden sein, daß die kein Ausweichen duldende Bestimmtheit und Überlegenheit, die Schrörs wie im persönlichen Verkehr so literarisch durchweg zur Schau trug, die auf ihn folgende Generation keineswegs von genauester Nachprüfung seiner Beweisführungen und Schlußfolgerungen entbinden darf. Entschließt man sich nun aber bei den »Kölner Wirren« zu solchen Nachprüfungen, so wird das Ergebnis sein: Eine restlose Zustimmung zu den Aufstellungen ist nicht wohl möglich. Die Konvention von 1834 zwischen Berlin und dem Episkopat der Kölner Kirchenprovinz vermag den Kölner Erzbischof Graf Spiegel nicht derart schwer zu belasten, wie Schrörs es wenigstens an manchen Stellen seines Buches will; abgesehen davon, daß sie Kompensationen einbrachte, erklärt sie sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade aus der Zuspitzung der Lage. Weiter hat Droste trotz Schrörs, solange er in Münster lebte, von der Konvention noch nichts gewußt; die Annahme, daß sein Handeln auf die von Berlin aus an ihn gerichtete Anfrage durch den Wunsch, die Kölner Würde zu erlangen, bestimmt war, ist nicht bewiesen. Auch Schrörs' These steht bisher nicht fest, daß er als Erzbischof erst im Frühjahr 1837 durch Vermittlung des Grafen Reisach von Rom veranlaßt werden mußte, den staatlichen Stellen den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Andere Ausführungen von Schrörs, z. B. seine Behauptungen über die Unzulänglichkeit der Kölner Amtsführung Drostes, nicht zuletzt in der Haltung zum Hermesianertum, oder diejenigen über seine zeitweilige Neigung zum Lavieren in praktischen Mischehefällen oder das sich gegenseitig bedingende Neben- und Durcheinander von Mischehen- und hermesianischem Konflikt oder über die vielen Schiefheiten bei Tatsachenangaben in Görres »Athanasius« werden in ihrem Kerne dauerndes Besitztum unserer Erkenntnis bleiben. Im allgemeinen denkt der Verfasser zu ausgesprochen kirchenrechtlich systematisierend und zu wenig historisch einfühlend. Damit hängt zusammen, daß er die Darstellung der rheinischen Ereignisse trotz mancher Anläufe zu einer vergleichenden Betrachtungsart zu sehr isoliert; der für sein Thema eigentlich notwendige Boden einer vergleichenden Aufarbeitung des wichtigeren auch nur Deutschland betreffenden kirchenrechtsgeschichtlichen Materials in der Mischehenfrage ist nicht gewonnen. Weiter ist das Buch mit offener Kritik den Berliner Stellen gegenüber mehr als freigebig und wird im Vergleich dazu die römische Kurie sehr geschont. Zum Teil mögen diese Schwächen freilich damit zusammenhängen, daß Schrörs in einem Vorgefühl der kommenden Todeskrankheit sein großes Werk nicht mehr genügend hat ausreifen lassen; es konnte so von allen Unvollkommenheiten nicht gesäubert werden. Im ganzen bleibt es, wie gesagt, eine die frühere literarische Beschäftigung mit dem Kölner Ereignis weit überbietende, in vieler Hinsicht magistrale Untersuchung, dank der der Name des Verfassers auchS.372 auf diesem Forschungsgebiet weiterleben wird. -- Mit dem schon genannten Reorganisator des großen Kölner Sprengels vor hundert Jahren, Erzbischof Ferdinand August Graf Spiegel, dem Schrörs namentlich das manche feine Beobachtung bietende Eingangskapitel seines Buches gewidmet hat, haben sich auch andere Federn beschäftigt. Schneider ( 1760) hat geglaubt, den jedem den einschlägigen Personen Näherstehendem aus Pertz' großer Lebensbeschreibung des Freiherrn vom Stein bekannten Briefwechsel zwischen Spiegel und Stein ohne Hinweis auf die frühere Veröffentlichung noch einmal drucken zu sollen; die Briefe haben bei ihm hie und da noch Zusätze, die Pertz offenbar nur deshalb beiseite gelassen hat, weil er sie für belanglos hielt. --Schnütgen ( 1761) diskutiert auf dem hintergrund allgemeiner Ausführungen über den Anno santo des Jahres 1825 und die für das Jahr darauf, wie üblich, erfolgte Extensio Jubilaei von der Urbs auf den Orbis die Haltung Spiegels und seines Trierer Suffraganbischofs Hommer zu den Veranstaltungen, namentlich der von 1826. Es fallen dabei auf die polizeistaatliche Enge der preußischen Regierung Lichter, die mit ihren Besorgnissen und Vorsichtsmaßnahmen freilich nicht allein stand; vor allem aber treten bei den beiden rheinischen Bischöfen Auffassungen zutage, die man nicht anders als vorrestauratorisch nennen kann. -- Auch in einem anderen Beitrag von Schnütgen ( 1759) steht Spiegel mit im Vordergrund: Einer aus Berliner, Kölner und Düsseldorfer Akten gegebenen vorläufigen Klärung des Feiertagsproblems in Rheinpreußen vor hundert Jahren. Die überraschende Antwort auf die Frage, weshalb trotz der von Spiegel 1829 nach Fühlungnahme mit der Regierung in Rom erreichten Approbierung eines genau umschriebenen Feiertagsprogramms später doch eine Reihe von katholischen Feiertagen einen staatlichen Schutz nicht gewonnen haben, muß dahin lauten, daß durch Kabinetsordre vom 5. Juli 1832 seitens der Regierung eine Festlegung von »gesetzlichen« Feiertagen erfolgte, die von den spezifisch katholischen Feiertagen nur Allerheiligen miteinbegriff. Gewiß knüpfte diese Ordre an Bestimmungen älteren Datums an und mag durch wirtschaftliche und sittliche Zeiterscheinungen erleichtert worden sein. Aber sie geschah ganz unvorbereitet und einseitig seitens der Regierung, stellte sich zur Tatsache und zum Geist der wenige Jahre vorher mit kirchlichen Stellen vereinbarten Regelung in argen Widerspruch und hat den bis heute andauernden Dissens von staatlichen und kirchlichen Feiertagen geschaffen.Da Foersters (
1768a) Werk über Adalbert Falk gemäß der in seinem Titel
schon ausgesprochenen Einschränkung des Themas mit Ausnahme eines vorbereitenden und eines abschließenden
Kapitels lediglich der Ministerzeit seines Helden gilt, diese Ministerzeit ihren wesentlichen Inhalt und ihre
außergewöhnliche Tragweite aber durch den Kulturkampf erhalten hat, so will es, so paradox diese
Notwendigkeit in mancher Hinsicht auch erachtet werden mag, vornehmlich hier im Rahmen des Berichts über
katholische Kirchengeschichte der Neuzeit gewürdigt sein. Was dem Buche sein eigentliches Schwergewicht verleiht,
ist der Umstand, daß es den reichen Nachlaß Falks benutzen konnte: Aufzeichnungen über seine Familie
und ihn selbst, ein von 1877 bis 1898 reichendes Tagebuch und eine große Sammlung amtlicher Dokumente und Briefe
in Originalen und Abschriften. Der Inhalt dieses Nachlasses bestimmte auch die äußere Ökonomie des
Foersterschen Werkes: Einmal haben die verwerteten oder sogar im Wortlaut wiedergegebenen Aktenstücke und
Briefschaften
S.373 nicht unwesentlich zu dem stattlichen Umfang beigetragen, in dem es vor uns liegt, anderseits ist dank dem 1877 einsetzenden Tagebuch Falks der Ausgang seiner Ministerzeit besonders eingehend dargestellt. Über die Einzelgeschichte der preußischen Regierungspolitik in den Kulturkampfsjahren und namentlich über die Politik der Umkehr um 1878 verbreitet die Arbeit sehr viel neues Licht; das Gegenspiel zwischen Falk und Bismarck, Falk und Wilhelm I., Falk und der Kaiserin Augusta, den Berliner Stellen und den Vertretern Roms wird durch sie zweifellos um vieles deutlicher. Foerster versichert an der Spitze des Buches, sich um »Tendenzfreiheit« bemüht zu haben; wenn er aber an der nämlichen Stelle (S. XII) als seine Absicht kund gibt, den Kulturkampf »von protestantischer, staatlicher Seite« aus zu schildern, so gibt das Ineinander dieser beiden Absichten doch immerhin schon zu denken. Von wirklicher Tendenzfreiheit kann denn auch nicht die Rede sein. Ich selbst habe mich noch kürzlich im Artikel »Kulturkampf« des »Staatslexikons« (5. Bd. III, Sp. 673 ff.), wie ich glaube, abwägend dahin geäußert: »Das Problem, ob die Aufnahme des passiven Widerstands gegen die staatliche Gesetzgebung im Kulturkampf die einzig mögliche Form der Selbstbehauptung für Klerus und Volk gewesen sei, ist rein akademisch kaum zu lösen; die Macht der Verhältnisse selbst hat gegen vereinzelte Widersprüche den Entscheid gefällt.« Für Foerster sind diese ganzen Dinge kaum ein »Problem«. Der katholisch-kirchliche Standpunkt liegt seinem Denken so fern, daß der Gegensatz zu ihm einfach selbstverständlich erscheint. Erst recht fehlt jedes Verständnis für Charakter und geschichtliche Notwendigkeit der Deutschen Zentrumspartei. Der um der kirchlichen Selbstbehauptung willen mit unendlichem Idealismus, wenn auch unter Fehlgriffen im Einzelkampf, zusammengeschmiedete Block von Episkopat, Klerus und Volk erhält, einer in der heutigen Literatur in dieser Form nicht mehr häufig begegnenden Übung entsprechend, das Stigma der »Ultramontanen« und wird mit ihm abgetan. Mit der mehrfach verfochtenen These, daß die Kirche, speziell das Papsttum Pius' IX., die Hauptschuld am Kampfe trage, ist eine Diskussion hier leider nicht wohl möglich. Lapidare Sätze wie »Der gesamte Klerus vom Kaplan bis zum Bischof war jedem Einflusse des Staates auf seine Erziehung, Anstellung, Amtsführung entzogen, in sich geschlossen und hermetisch abgesperrt« (S. 143) liegen nicht mehr auf der Ebene einer nur sachlich abwägenden Schilderung. Auch die Betonung des Buches, daß aus der Kulturkampfsgesetzgebung für die Gegenwart viel zu lernen sei (z. B. S. 156), spricht nicht für rein akademische Wissenschaftlichkeit. Schließlich ist die Methode, Auszüge aus Reden Falks zu geben, ohne doch seine Gegner in der Debatte entsprechend zu Worte kommen zu lassen, kaum recht geeignet, den Sachverhalt wirklich klar zu stellen. Nach der anderen Seite sei gerne hervorgehoben, daß auch das Billigkeitsgefühl des Verfassers manchmal durchbricht: So in der Frage, die an die die Grenze gegenüber der Freiheit und Selbständigkeit der Kirche weit vorschiebende erste Reihe der kirchenpolitischen Gesetzgebung anknüpft, ob es wirklich Aufgabe des Staates sei, »die Katholiken gegen ihre Kirche zu schützen« (S. 150 f.), so weiter in der Preisgabe der auf Falk persönlich zurückgehenden Ordensgesetzgebung (S. 264). Auch Falk zeigte bei dem Andrängen Bismarcks und anderer hie und da Mäßigung: Etwa in seiner Zurückhaltung gegenüber dem Altkatholizismus oder gegenüber dem Plan, die ZirkumskriptionsbullenS.374 der zwanziger Jahre nicht weiter anzuerkennen; erhebliche Qualitäten als Jurist, auch ein sittliches Durchdrungensein von seiner Aufgabe sollen ihm gewiß nicht abgesprochen werden -- aber daß dieser Theoretiker heute so verteidigt werden muß, wie Foerster es namentlich in seinem »Schlußwort« (S. 700 ff.) versucht, besagt doch alles. Unser Buch ist keine in allen seinen Teilen ausgeglichene Leistung, noch weniger eine Biographie von Künstlerhand. Immerhin geben ihr das innerlich bewegte Thema, die lebendige Anteilnahme des Verf. am Gegenstand, die vielen persönlich wirkenden Dokumente auch bei starker Betonung der gegen mache Auffassung zu vertretenden Bedenken im ganzen und im einzelnen etwas Spannungsvolles. |
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