2. Die einzelnen Territorien.

Die Periode, für die Hussarek ( 1770) die Anwendung des landesfürstlichen Nominations- und Bestätigungsrechts für österreichische Bistümer erörtert, fällt mit der langen Regierungszeit Kaiser Franz Josephs so gut wie ihrem ganzen Umfang nach zusammen. Der Verf. kann, weil er den einschlägigen Verhältnissen sehr nahe gestanden hat, aus der Praxis und aus dem Vollen schöpfen; seine Arbeit weitet sich zu einem verhältnismäßig umfassenden, auch kleine Züge geschickt verwertenden Panorama des Zusammenwirkens zwischen Staat und Kirche in Österreich von der Wiener Bischofskonferenz im Frühjahr 1849 und von dem im Jahre 1855 abgeschlossenen Konkordat bis in die Zeit des großen Krieges. Hussarek erklärt, der Kaiser sei fest davon überzeugt gewesen, »daß ihm die Erwählung von guten Bischöfen seltener vorbeigelungen sei, als wenn sie den kirchlichen Faktoren allein und völlig frei überlassen geblieben wäre« (S. 230 f.). Er selbst glaubt in Rückblick auf das Bild, das das kaiserliche Österreich in Staatsverwaltung und kirchlichem Leben geboten hat, bestätigen zu können, daß der österreichische Episkopat »sich in die großen Richtlinien der Entwicklung der katholischen Kirche im 19. Jhdt. und herüber bis in die Gegenwart vollkommen und reibungslos einzuordnen und an ihren Gestaltungen tätig und hervorragend mitzuwirken« vermochte (S. 232). Erst die Geschichtsschreibung der Zukunft wird zu entscheiden haben, ob dies Urteil als ein endgültiges übernommen werden kann.

Walz ( 1771) verzeichnet -- im wesentlichen aus dem Aktenmaterial des Generalarchivs des Dominikanerordens in Rom -- Konvente, Häuser und Schwesternklöster, Provinzobere und Schriftsteller der süddeutschen Provinz des Ordens von ihrer 1709 erfolgten Begründung bis zum vermutlich letzten Provinzkapitel, das genau hundert Jahre später in Kirchheim stattfand, und bis zum Tode des letzten Provinzvikars 1845. Erst einmal handelt es sich um allgemeine Querschnitte durch die Zeit um 1730 und das Jahr 1751; es folgen Listen der Provinzoberen, weiter über Quétif-Echard, Coulon und Wilms hinausführende, wenn notgedrungen auch ihrerseits wieder provisorisch bleibende Verzeichnisse der Schriftsteller in der Provinz, schließlich solche der Konventualen nach Klöstern. Walz' Arbeit kann nicht so sehr als Selbstzweck Geltung für sich beanspruchen denn als ein nützliches Hilfsmittel für die weitere Forschung.

Stellen die zur Jahrhundertfeier der Diözese Rottenburg zu erwähnenden Beiträge nur kürzere Aufsätze (1776--1780) dar, so hat das gleichzeitig vom Erzbistum Freiburg begangene Jubiläum Arbeiten von erheblichem Ausmaß und zum Teil auch von fachwissenschaftlichem Schwergewicht angeregt: im Rahmen dieses allgemeinen Überblicks mag nur hervorgehoben sein, daß die


S.375

Vorgeschichte der Oberrheinischen Kirchenprovinz durch Göller ( 1786) und auch durch Hefele ( 1783), daß die Gestalt eines Wessenberg durch Gröber ( 1782), die nach anderer Richtung beachtenswerte eines Franz Joseph Herr, wenn auch ohne strengere methodische Zucht, durch Rögele ( 1785), die Vicaris durch Rösch ( 1787) neue, sehr zu begrüßende Aufhellungen erhalten haben.

Das Bild, das P. Archangelus ( 1794) von der im Jahre der Übergabe der Stadt an Ludwig XIV. begründeten, 1682 durch Bischof Franz Egon von Fürstenberg bestätigten und später infolge der Revolutionsgesetzgebung wieder aufgelösten Straßburger Kapuzinerniederlassung entwirft, ist nach verschiedenen Richtungen sehr breit ausgemalt. Einmal sind die äußeren Schicksale des Klosters, insbesondere die Umstände seiner Entstehung und seines erzwungenen Untergangs, ausführlich umrissen. Weiter -- und das muß für uns noch wichtiger sein -- werden ausführliche Darlegungen über das gottesdienstliche Leben bei den Patres und über ihre umfassende seelsorgliche Tätigkeit insbesondere auf den Kanzeln und in den zahlreichen Wohlfahrtsanstalten Straßburgs geboten. Im einzelnen weisen die Bemühungen vielfach das Kolorit der barocken Frömmigkeit ihrer Zeit auf. Was der Seelsorge besondere Schwierigkeiten bereitete, war die Mischung der Konfessionen; Archangelus glaubt frühere Angaben von einem besonders erfolgreichen propagandistischen Eifer der Kapuziner dem nichtkatholischen Volksteil gegenüber wesentlich ernüchtern zu können. Die überwältigende Fülle von Einzelheiten, die bei ihm begegnen und zu einem Teil mehr als nur örtliches Interesse beanspruchen, wünschte ich nur manchmal durch Einfügung allgemeiner Gesichtspunkte auf eine perspektivisch noch weiter durchdachte Linie gebracht. --Scherers ( 1792) Gedenkbuch für Karl Braun (1820--1877) gilt einem elsässischen Landsmann des Verfassers, der politisch zu Frankreich, seiner ganzen Kultureinstellung nach aber zu Deutschland neigte. Als auch dichterisch begabter Priester hat er im Dienste der katholischen Journalistik, der Caritas und kirchlicher Einrichtungen zur Erziehung der Jugend ungewöhnlich gewirkt, bis Schwierigkeiten mit dem deutschen Regime ihn nicht lange vor seinem Tode dem Heimatland entführten. Die vorliegende Schrift gibt z. B. Mitteilungen über die seelsorgliche Betreuung der katholischen Deutschen in Paris Mitte der vierziger Jahre und über die 1848 in Gebweiler erfolgte Gründung des »Katholischen Volksfreundes«, eine acht Jahre hindurch bestehen gebliebene Zeitung, die zu den frühesten des Landes gehörte, deutsch geschrieben war und auch kirchliche und soziale Erörterungen pflegte. Sie handelt ferner über die Zustände auf dem Gebiet der kirchlichen Vereins- und der sozialen Tätigkeit im Elsaß kurz vor 1870. Auch mancher Hinweis auf die allgemeine und kirchenpolitische Lage im Lande fließt in die eine sich immer gleichbleibende sympathische Wärme ausstrahlenden Ausführungen mit ein. -- Auf Grund der einschlägigen Akten der Kultusabteilung des früheren elsaß-lothringischen Ministeriums in Straßburg behandelt Thiele ( 1791) den nach der Abtrennung des Elsaß von Frankreich im Jahre 1871 zwischen Bischof Raeß, dem Straßburger Generalgouverneur von Bismarck-Bohlen und Oberpräsident von Moeller einerseits, Raeß und Kardinalstaatssekretär Antonelli sowie den Straßburger Regierungsstellen und dem Reichskanzler Bismarck anderseits getätigten Schriftwechsel über die weitere Gültigkeit des Napoleonischen Konkordats. Die Debatte knüpfte an die durch


S.376

Raeß vorgenommene Besetzung von Pfarrstellen ohne Genehmigung der Regierung, freilich unter Vorbehalt des staatlichen Bestätigungsrechts im Fall weiterer Gültigkeit des Konkordates, an; die feste Haltung in ihm ist auf Seiten Bismarcks, der die vom Generalgouverneur angeordnete Sperrung der Gehälter für die Ernannten billigte und »die staatsrechtliche Überzeugung« (S. 360) aussprach, daß das Konkordat bisher für beide Teile verbindlich sei. »Sucht die Kirchengewalt den Konflikt, so wird die Staatsgewalt ihn aufnehmen müssen und dann ihre Sache mit pflichtmäßiger Entschlossenheit durchführen« (S. 358). Schimmert in diesem Satz beinahe schon so etwas wie Kulturkampfstimmung durch, so ist doch, nachdem Antonelli nach einem ersten weniger klaren Schreiben ausdrücklich zugegeben hatte, das Konkordat müsse bis zum Abschluß der freilich notwendigen neuen Übereinkunft beobachtet werden, alsbald wieder völlige Ruhe eingetreten. Bis 1918 hat sich dann an der Beobachtung des Konkordats nichts geändert.

Der nach kurzer Regierung als Bischof von Speyer verstorbene vormalige Münchener Theologieprofessor und Abt von St. Bonifaz dort Daniel Bonifazius von Haneberg, der zeitweilige gelehrte, unermüdlich tätige und markante Weggenosse Döllingers, war zuletzt durch Ph. Funk im »Hochland« -- 1925/26 I 154 ff. -- unter Benutzung im Archiv von St. Bonifaz ruhender, bisher unverwerteter Briefschaften feinsinnig interpretiert worden. Das jetzige Lebensbild von Huth ( 1796) ist nach der ihm bereits im »Literarischen Handweiser« -- 1927/28, Sp. 762 f. -- ebenfalls aus der Feder Funks zuteilgewordenen Besprechung die Arbeit einer in München lebenden Volksschriftstellerin, die nach Lage der Umstände lieber in der Deckung eines Pseudonyms blieb. So braucht kaum gesagt zu werden, daß aus ihm ein wissenschaftliches Profil Hanebergs nicht herausschaut, daß es neue Quellen nicht erschließt und überhaupt die Höhenlage des Funkschen Essays längst nicht erreicht. Erst eigentlich unerfreulich ist aber, daß es nach Funks Feststellung auf den 1878 von Hanebergs einstigem Münchener Freund und Fakultätskollegen Peter Schegg besorgten, schon ihrerseits nicht sehr weit gestochenen »Erinnerungen« an den Benediktinerabt nicht nur stillschweigend beruht, sondern sie über das gegebene Maß hinaus und nicht ohne sie noch zu verflachen ausnutzt. Da anderseits bei der ziemlichen Ausführlichkeit des Ganzen, den vielen in den Text verflochtenen Tagebuchnotizen, Briefen und Auszügen aus Hanebergs literarischen Arbeiten natürlich ein reiches Material zusammenkommt, darf man dem Buch immerhin bestätigen, daß es trotz seiner nicht zu leugnenden primitiven Züge doch auch eine gewisse pietätvolle Sinnigkeit zur Schau trägt.

Die Studie von Reichert ( 1797) korrespondiert in gewisser Hinsicht mit der schon ober charakterisierten Veits. Nur kommt sie als der erste Teil von Abhandlungen über die Säkularisation in Hessen-Darmstadt heraus und sieht infolgedessen die Säkularisation der Kurmainzer Ämter von der hessischen Seite her, beurteilt sie insbesondere im Zusammenhang mit der hessischen Entschädigungspolitik um die Jahrhundertwende. Man wollte die kirchlichen Bedürfnisse des großherzoglichen Hessen zeitweilig durch ein Bistum Seligenstadt befriedigen. Reicherts Arbeit ist reich belegt und erweckt außer durch ihre äußere Anlage auch durch ihr nüchternes Urteil volles Vertrauen.

Die Aufhellung der Entwicklung des politischen Katholizismus in Westfalen ist gegen diejenige in anderen überwiegend oder zu einem großen Teil katholischen


S.377

Provinzen Preußens, den Rheinlanden und in gewisser Weise auch Schlesien, bisher zurückgeblieben. Um so erfreulicher der Versuch von Huperz ( 1803), auf die Anfänge katholisch-politischer Vereinsbildung in Westfalen in den Jahren 1848 und 1849 literarisch das erste Licht zu werfen. Der Akzent liegt bei der Untersuchung, die er vorlegt, hart auf der Grenze zwischen kirchlicher und rein politischer Entwicklung; das Wissen um äußere Vorgänge und die zahlreichen Personalien stehen mehr im Vordergrund; die Schrift hat im ganzen vorbereitenden Charakter. Anderseits soll mit dem Lobe nicht zurückgehalten werden, daß sie eine bisher kaum herangezogene Literatur unter anderem an Sonntags- und Kirchenblättern gut berücksichtigt. Als ihr Hauptergebnis mag gelten, daß die damaligen katholischen Vereine in Westfalen nicht unerheblich dazu beigetragen haben, die Wahl kirchlich gesinnter katholischer Abgeordneter durchzusetzen und den kirchenpolitischen Verfassungsbestimmungen für Preußen eine den katholischen Volksteil befriedigende Form zu geben.

Der mit der Entstehungsgeschichte des Bistums Limburg bereits durch frühere Arbeit vertraute Nicolay ( 1804) legt diesmal einen Beitrag vor, dem immerhin mehr Vertiefung und eine wirkliche Abrundung zu wünschen wäre. Wie er jetzt ist, ist das verhältnismäßig Bedeutsamste an ihm der Bericht über die Verhandlungen des Generalvikariats Aschaffenburg mit dem Frankfurter Senat von 1816/17; alles übrige hat mehr Gelegenheitscharakter; wohl jeder den kirchlichen Verhältnissen der Restaurationszeit näher Gekommene könnte z. B. über eine so hervorstechende Persönlichkeit wie den Geistlichen Rat Franz Lothar Marx in Frankfurt leicht mit reicheren Mitteilungen und Materialien aufwarten, als diese Abhandlung es tut.

Auf Heckels ( 1805) Darlegung weise ich hier deshalb mit besonderem Nachdruck hin, weil sie, wie es in ihrem Untertitel heißt, »zugleich ein Beitrag zur staats- und kirchenrechtlichen Entwicklung« der Delegaturen Brandenburg- Pommern und Preußen links der Elbe und Havel ist. Wir erhalten in ihr nichts geringeres als einen überaus sorgsam zusammenfassenden Abriß der staatskirchenrechtlichen Lage beider Gebiete etwa seit dem ja für den Konfessionsstand in Deutschland maßgeblichen Normaljahr 1624. Es kann nicht versucht werden, diesen, so lehrreich er namentlich für die größere Delegatur Brandenburg-Pommern ist und so glücklich die rein rechtsgeschichtliche Betrachtungsart, die er aufweist, die Gegensätze, ohne sie zu verdecken, doch wenigstens in etwa abschleift, auch nur in Umrissen nachzuzeichnen. So sei nur betont, daß in Brandenburg-Pommern vor 1821 trotz des Wöllnerschen Religionsedikts, des Allgemeinen Landrechts und der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches noch der Westfälische Friede galt, die katholische Hierarchie dort also außer den bis 1806 in Brauch gewesenen mere spiritualia alle Rechte der Regierung überlassen mußte (vgl. S. 132 f.). Mithin war damals, wie Heckel zugespitzt sagt (S. 135), der katholische Referent im geistlichen Ministerium Schmedding, also ein Laie, in Wirklichkeit »Diözesanoberer«. Auch die kirchen- und staatsrechtliche Lage seit 1821 ist in der Abhandlung unter Heranziehung von Einzelvorgängen bis zur Zeit Aulikes und des Breslauer Fürstbischofs Foerster deutlich umrissen.

Funk ( 1808) bietet Erörterungen zur Geschichte Josephs von Hohenzollern, des Exekutors der Bulle »De salute animarum« und letzten Fürstbischofs von Ermland. Auf Materialien des einstmaligen Braunsberger Kirchenhistorikers


S.378

Franz Hipler beruhend, beleuchten sie insbesondere die besonnene Kirchenpolitik des Prinzen und die vielfachen Beziehungen seines Sprengels nach Westfalen und zum Sailerkreis hin. Die außergewöhnlich starke darstellerische Gestaltungskraft, über die Funk verfügt, kommt auch an einzelnen Stellen dieser seiner mehr vorbereitenden Studie zur Geltung. Vgl. meine Einzelanzeige in: Literarischer Handweiser 63 (1926/27), Sp. 758.

Das Werk von Kroess ( 1809), eines der uns in den letzten Jahrzehnten geschenkten großen Parallelwerke zur Geschichte der einzelnen Ordensprovinzen der Gesellschaft Jesu, umfaßt in seiner diesmal vorliegenden Fortsetzung politisch gesehen ungefähr die Regierungszeit Kaiser Ferdinands II., kirchlich gesehen die erste Periode der katholischen »Generalreformation« in Böhmen, an der die durch Teilung der österreichischen Provinz entstandene neue böhmische Provinz der Gesellschaft Jesu einen erheblichen Anteil hatte. Ihre Kollegien sind damals erweitert und um viele neue vermehrt worden, die Universität Prag kam unter ihre Leitung, sie hatten am »Reformationsverfahren« erheblichen Anteil, auch in Mähren sowie in Glatz und in einigen Fürstentümern Schlesiens betätigten sie sich nachhaltig. Anderseits brachte der Krieg mit den Sachsen und Schweden seit 1631 auch ihnen mannigfache Rückschläge und Gefährdungen. Handschriften und Druckwerke reichlich heranziehend, sich durchweg in schlichter Tatsachenschilderung Genüge tuend, erweckt Kroess namentlich durch die kritischen Vorbehalte, die er einleitend bezüglich der Verwertung der »Litterae annuae« der einzelnen Häuser seines Ordens für die Darstellung macht, für seinen Willen zu unbeirrbarer Sachlichkeit ein günstiges Vorurteil.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)