V. Gründung und inneres Leben der Reformationskirchen im 16. Jhd.

Auf die Bildung des »politischen Protestantismus« bezieht sich der Aufsatz von Kühn ( 789), der seine These, daß die die Speyerer Protestation veranlassende Proposition nicht von Karl V., sondern von seinem Bruder Ferdinand stamme, in seiner Schrift über den Speyerer Reichstag, 1929, inzwischen ausführlich begründet hat. Wenn danach zweifellos Ferdinand durch sein scharfes Auftreten die Hauptschuld an der Protestation der evangelischen Fürsten und Städte trägt, so ist der Titel des Aufsatzes doch insofern irreführend, als er die Tatsache verdeckt, daß die Politisierung auch der evangelischen Bewegung schon vor 1529 im Gange war. -- Auf die in derselben Zeit sich entwickelnde, zunächst in der Confessio Augustana gipfelnde offizielle evangelische Bekenntnisbildung bezieht sich die Erklärung der Augustana, die Hans Heinrich Wendt veröffentlicht hat (»Die Augsburgische Konfession mit Erklärung des Inhalts und Beifügung der Hauptquellen, Halle, Buchhandlung des Waisenhauses). W. hat die Absicht, die C. A. aus der reformatorischen, speziell der Lutherschen und der Melanchthonischen Theologie heraus zu interpretieren, kombiniert mit dieser theologiegeschichtlichen Interpretation freilich eine systematisch-theologische Wertung im Blick auf die neuere theologische Problementwicklung, die dann oft breiteren Raum einnimmt als die historische Erklärung, die vieles übergeht. Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte stützt er sich zu ausschließlich auf Kolde und beachtet weder die Erweiterungen noch die


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Schwankungen unserer Kenntnis, die seitdem eingetreten sind; eine treffende Zusammenfassung unseres Wissens gibt Fr. Blanke in »Religion in Geschichte und Gegenwart«, 2. Aufl., I, 1927, Sp. 651 ff.

Die zahlreichen lokal- und territorialgeschichtlichen Beiträge ( 1866 ff.) müssen hier beiseite bleiben. Der Aufhellung der allgemeinen innerprotestantischen Entwicklung dienen Pl. Althaus' »Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur« (Gütersloh, Bertelsmann), eine durch Ergänzungen und Verbesserungen aus dem Nachlaß des Genannten erweiterte Zusammenfassung seiner diesbezüglichen Leipziger Universitätsprogrammschriften, die der Agendenforschung und der Erforschung der Erbauungsliteratur wertvolle Anregungen gegeben haben. Das Interessanteste ist, daß A. dabei durch Vergleich der evangelischen mit der katholischen Literatur auch die überkonfessionelle Formengemeinschaft aufgedeckt hat, die trotz der konfessionellen Spaltung bestanden hat, und die Rückschlüsse auf den Gang der weithin gemeinsam verlaufenden Frömmigkeitsgeschichte der getrennten Konfessionen gestattet. Die katholische Christusmystik und subjektive Kontemplation, ebenso die Kasuistik dringt schon im 16. Jhd., wie die genealogischen Untersuchungen und Quellenanalysen A.s gezeigt haben, aus der katholischen, besonders der jesuitischen Erbauungsliteratur in das evangelische Schrifttum ein, lange vor Johann Arndt und seinen Weggenossen um die Wende des 16. zum 17. Jhd., zu denen auch der durch seine Dogmatik als ein Hauptvertreter der lutherischen Orthodoxie geltende Johann Gerhard mit seinen Meditationes sacrae, 1606, gehört. Die Kombination des Luthertums mit der ihm ursprünglich wesensfremden ma.lichen Mystik und ihrer Idee einer geistlichen Vermählung Christi mit der Seele, die innerhalb der Dogmatik zur Ausbildung des vielumstrittenen Stückes von der unio mystica geführt hat, bahnt sich hier an. Diesen Prozeß hat auch Otto Ritschl in seiner unten zu besprechenden Dogmengeschichte des Protestantismus ( 1810) gut verfolgt.


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