V. Verfassungskämpfe und deutsche Frage 1840--1870.

Der Briefwechsel


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Kaiser Wilhelms mit seiner Schwester Alexandrine, der früh verwitweten Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin, den J. Schultze im Rahmen der Publikationen des Kaiser-Wilhelm-Institutes herausgegeben hat ( 957), steht durch seine zeitliche Ausdehnung fast einzigartig da. Er erstreckt sich über eine Zeitspanne von 76 Jahren und vermittelt uns die Kenntnis eines überaus innigen geschwisterlichen Verhältnisses. Die Briefe des alten Kaisers, sehr sympathisch in ihrer Einfachheit und Gehaltenheit, bringen nicht gerade Neues zur politischen Geschichte der Zeit, sondern sie bewegen sich vorwiegend um die Ereignisse eines weitverzweigten Familienkreises und um die Erinnerungen vergangener Erlebnisse, deren wiederkehrende Jahrestage Bruder und Schwester in treuem Gedächtnis ehren. Fast stärker als bei Wilhelm macht sich politisches Temperament in den Briefen der Großherzogin Alexandrine bemerkbar, die auch in Mecklenburg ihr preußisches Empfinden lebhaft bewahrend, in der Erhaltung eines starken Königtums und im Verharren beim System der politischen Allianz die unerschütterlichen Garantien für Preußens Zukunft erblickte. -- J. Schultze hat weiterhin einige Briefe des Prinzen Wilhelm an den Ministerpräsidenten Rudolf v. Auerswald aus dem Sommer 1848 publiziert ( 960). Da es uns bisher gerade für diese Zeit an Unterlagen fehlte, die über die politische Einstellung des Prinzen hätten Auskunft geben können, so konnte der Schluß gezogen werden, daß Wilhelm damals noch an eine friedliche Lösung der bestehenden Spannungen geglaubt habe. Es ergibt sich aber jetzt aus den Briefen an Auerswald, daß er aufs energischste jedem Nachgeben gegenüber den Bestrebungen der Paulskirche und jedem Verzicht der Krone in den inneren Machtkämpfen widersprochen hat. Die Briefe sind spontane, dringender Sorge um den Staat entsprungene Äußerungen, die auf Erhaltung des Großstaates Preußen und auf Wahrung der königlichen Prärogative bestehen. -- F. Fiedler ( 959) hat zwei Abschnitte aus den Aufzeichnungen des Prinzen Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, an deren durchgängiger Verläßlichkeit schon immer Zweifel bestanden, zum Gegenstand einer quellenmäßigen Nachprüfung gemacht. Er gelangt dabei zu dem Ergebnis, daß die Erzählungen des Prinzen über die Berliner Märzrevolution in verschiedenen Punkten von anderen, als zutreffend erkannten Berichten abweichen und sich dadurch als irrig erweisen, was entschuldbar erscheint, da sie weit später niedergeschrieben wurden, ohne daß dem Prinzen gleichzeitige Notizen zur Verfügung standen. Als gut fundiert erweisen sich dagegen die Teile, die von der Belagerung von Paris berichten. Sie fußen auf einem genauen Tagebuch und entspringen der Kenntnis eines Mannes, der selbst im Zentrum der Ereignisse stand. --

G. Masur ( 958) bestimmt in gehaltvollen Ausführungen den geistesgeschichtlichen Ort der Staatsgedanken Stahls und zeigt ihre religiöse Verankerung in der Welt des strengen Luthertums, in das Stahl durch den Umgang mit dem Erlanger Freundeskreis mehr und mehr eindrang. Die dortige protestantische Theologie, die in doppelter Kampfstellung gegen einen vordringenden Katholizismus und einen lauen Rationalismus Front machen mußte, entsprach in ihrem Wesen individuellen und ererbten Zügen in Stahls Persönlichkeit und wirkte so dahin, diese Züge kraftvoller und schärfer zu entwickeln. Stahl blieb ihr auch nach seinem Fortgang von Erlangen innerlich verbunden, wie sein Briefwechsel mit Rudolf Wagner zeigt. -- Ein Aufsatz L. Dehios über Benedict Waldeck ( 961) zeichnet mit großer Sicherheit den geistigen und


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politischen Entwicklungsgang dieses populärsten Parlamentariers Preußens. Er führt aus dem münsterschen Professorenhause, in dem sich ein warmer, doch toleranter Katholizismus mit dem Geiste der französischen Aufklärung wohl zu vertragen wußte, durch eine Zeit glühender Bewunderung Napoleons und eine merkwürdige Epoche der Begeisterung für die Ideen Hallers erst im Jahre 1848 zur Festlegung auf das radikalpolitische Programm.


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