III. Bevölkerungsgeschichte.

Wie in den Vorjahren nahmen die Untersuchungen zur Bevölkerungsgeschichte des Preußenlandes aus national-politischen Gründen einen breiten Umfang ein. Besonders erfreulich ist, daß Gertrud Mortensen-Heinrich endlich ihre bereits 1921 fertiggestellte und seitdem in der Handschrift bereits mehrfach benutzte Arbeit über die Ausdehnung der litauischen Siedlung und Wildnis zur Ordenszeit im Druck vorlegen konnte. Eingehende Quellenuntersuchungen lieferten ihr den Nachweis, daß die Litauer noch um 1400 den Njemen nach Westen kaum überschritten hatten. Entgegen der lange geläufigen Annahme der neueren Forschung ward die Angabe Duisburgs aus dem 14. Jhd. bestätigt, daß die Stämme der Sudauer, Nadrauer und Schalauer zu den Preußen gehörten. Die Ergebnisse dieser Forschungen hat Hans Mortensen durch historisch-geographische Studien weiter ausgewertet ( 421). Er weist darauf hin, daß die Litauer, wie auch schon Buga betonte, erst im 6. Jhd. von Süden her in ihre jetzigen Wohnsitze eingedrungen sind. Die Grenze der litauischen Wanderung erblickt er in der Wasserscheide des Einzugsgebietes der mittleren Memel. Die Wildnis, die den Ordensstaat von Litauen trennte, ist nicht von ihm künstlich geschaffen worden, sondern durch einen starken Bevölkerungsrückgang bei den baltischen Völkerschaften im 13. und 14. Jhd. entstanden. Erst seit 1450 begann das Vordringen der Litauer in die einst preußisch besiedelten Landstriche.

Im engen Anschluß an die Untersuchungen Keysers über die Danziger Bevölkerung im 13. und 14. Jhd. hat Strunk Zahl und Herkunft der niederdeutschen Einwanderer gesondert erforscht ( 419). Er unterscheidet dabei niedersächsische (73 ', friesische (2 ' und niederfränkische (16 ' Einwanderer. Während anfangs gleichviel Neubürger aus Städten und aus Dörfern stammten, überwog schließlich die Zahl der ländlichen Einwanderer. Im ganzen nahm der Zuzug aus Niederdeutschland ständig ab. Während er bis 1369 noch 17,5 % der gesamten Neubürger betrug, sank er bis 1399 auf 12,3 % und bis 1434 auf 6,6 %.Im Anhang sind die Namen der Eingewanderten ortsweise vermerkt.

Eine bevölkerungsgeschichtlich überaus wertvolle Quelle hat Elisabeth


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Kloss veröffentlicht, die beiden Bürgerbücher der jetzt zu Polen geschlagenen Stadt Konitz aus den Jahren 1550--1770 und 1770--1850 ( 322). Sie bieten die Möglichkeit, die Entwicklung der Bürgerschaft noch aus der Zeit vor dem berüchtigten Lubliner Dekret von 1569, das die westpreußischen Lande gegen ihren Willen dem polnischen Staate einverleibte, bis in die erste Zeit der preußischen Herrschaft nach 1772 zu verfolgen. Außer den Namen der Neubürger und dem Tage ihrer Vereidigung werden später auch ihre Herkunft und ihr Beruf angegeben. Ferner werden einige Bemerkungen über Stadtereignisse eingefügt. Das zweite Buch nennt auch Alter und Religion der Neubürger. Der Eid wurde auch in der sogenannten polnischen Zeit stets in deutscher Sprache geleistet. Erst die preußische Regierung gestattete 1809 auch die Eidesleistung in polnischer Sprache. Unter 2000 Neubürgern der Jahre 1550--1770 wurden 1200 ausdrücklich als Handwerker bezeichnet, die Tuchmacher und Schuster standen zahlenmäßig unter ihnen an erster Stelle. Es ergibt sich daraus die Bedeutung des deutschen Gewerbes nicht nur für die Stadt selbst, sondern für die ganze Umgegend. Es fällt auf, daß häufig mehrere Bürger des gleichen Handwerks im gleichen Jahre das Bürgerrecht erwarben; so 1595 zwei Schneider, drei Leinweber, 7 Tuchmacher und 1615 9 Tuchmacher und 8 Schuster. Erst zur preußischen Zeit nahmen die Kaufleute bedeutend zu, unter denen die Juden aus den umliegenden kleinen Städten besonders hervortraten. Seit Einführung der Reformation 1555 waren die Bürger fast alle protestantisch. Erst seit dem Ende des 18. Jhds. vermehrte sich die Zahl der Katholiken. Die meisten Bürger wanderten aus Westpreußen und Pommern ein. Mittel-, Süd- und Westdeutschland sind nur gering vertreten. Leider hat die Herausgeberin es unterlassen, die Angaben statistisch auszuwerten. So können seit 1613 Bürgersöhne und Fremde unterschieden werden. Auch hätte die Zahl der jährlichen Einwanderer und ihre Herkunft im Durchschnitt der Jahrzehnte berechnet werden können. Ferner wäre es zweckmäßig gewesen, die Herkunft nach den einzelnen deutschen Mundartbezirken zu bestimmen, wie es etwa Strunk für die Alt-Danziger Bürgerschaft aus dem niederdeutschen Sprachgebiet getan hat. Sehr gering war die Zahl der Bürger polnischer Abkunft, wie mit Recht hervorgehoben ist. In dem älteren Bürgerbuch tragen nur 25 Personen polnische Personennamen, wobei jedoch nur in 6 Fällen wirklich polnische Abstammung nachgewiesen werden kann. Der Anteil Polens an der Bevölkerung dieser angeblich urpolnischen Stadt betrug somit gerade in der polnischen Zeit von 1550--1770 nur 0,3 %!Bemerkenswert ist, daß nach dem Sprachgebrauch der Bürgerbücher das Preußenland von der pommerschen Grenze bis zur Memel als Einheit aufgefaßt wurde. Danzig, Schwetz, Stargard lagen ebensogut in Preußen wie Königsberg und Memel. Genaue Verzeichnisse der in den Bürgerbüchern genannten Personen und Ortsnamen schließen die wertvolle Quellenausgabe ab.

Obwohl sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten bereits mehrfach mit der Herkunft der masurischen Bevölkerung beschäftigt hat, ermöglicht die stärkere Ausschöpfung der Quellen immer noch neue Erkenntnisse. So konnte Schmauch ( 424) nachweisen, daß bereits seit 1484 Neusiedler aus Masovien im Kammergut Allenstein, das dem Domkapitel von Ermland unterstand, einzogen. Besonders stark war die Einwanderung in den Jahren 1527--1537. Für das Kammeramt Mehlsack wurde der Anteil der slawischen Bevölkerung für die Jahre 1481--1549 nach dem Familiennamen berechnet. Obwohl das Slawentum


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ständig zunahm, erreichte es auch am Ende dieses Zeitraumes nur erst ¼ der Neusiedler.

Die große Zahl der Leichenpredigten, die in der Königsberger Stadtbibliothek aufbewahrt werden, stellen eine noch wenig ausgeschöpfte Quelle zur Personen- und Familiengeschichte dar. Tiesler ( 323) hat ihnen für die Zeit von 1579--1724 eine Reihe von Lebensläufen Königsberger Kaufleute und Handwerker entnommen, die auch für die Handels- und Gewerbegeschichte bedeutsam sind. Von dem altpreußischen Adelslexikon, das Johann Gallandi hinterlassen hat, wurde in der Zeitschrift »Prussia« eine zweite Lieferung veröffentlicht ( 321). Sie enthält die Stammtafeln so wichtiger Familien, wie von Alvensleben, von Arnswald, von Arnauld de la Perrière, von Arnim, von Auer und von Auerswald. So wertvoll diese genealogischen Hinweise sind, erscheint ihre Veröffentlichung, auf eine lange Reihe von Jahren verteilt, nicht zweckmäßig. Auch sind Quellenangaben zu vermissen. Eine sehr umfangreiche Geschichte seiner Familie legte der Danziger Pfarrer Hewelke vor ( 328). Da die Familie mehrere Jahrhunderte in Danzig und in der Weichselniederung und auch in mehreren westpreußischen und pommerschen Städten eine nicht unbedeutende Rolle im Handel und Braugewerbe spielte, bilden die zahlreichen Quellenauszüge wertvolle Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte. Besonders hervorzuheben ist die ausführliche Lebensgeschichte des Danziger Astronomen Johann Hevelke (Hevelius), dem im 17. Jhd. die Anfertigung wertvoller astronomischer Instrumente und die erste Mondbeschreibung zu verdanken ist. Den Briefwechsel des Gelehrten mit den bedeutendsten Naturforschern seiner Zeit hat der Verf. u. a. in Paris aufgespürt.


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