IV. Städtegeschichte.

Seinen zahlreichen älteren Arbeiten über die Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte der Ordensstädte hat Arthur Semrau im Berichtsjahre einige neue Untersuchungen angefügt. Die seit Voigt strittige Frage, welche Unterschiede das MA. zwischen Bürgern, Einwohnern und Gästen gemacht habe, wurde nach den Willküren des 13. bis 15. Jhds. nachgeprüft ( 1356). Die Ausdrücke »burgenses« und »cives« wurden im gleichen Sinne gebraucht. Das Bürgerrecht war die Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben, für den Betrieb von Handel und Gewerbe und teilweise auch für den Erwerb von Grundbesitz. Doch konnten auch Einwohner ohne Bürgerrecht Haus und Hof kaufen. Nicht-Deutsche wurden als Bürger nur ausnahmsweise zugelassen. Erst nach 1410 drangen in die Städte des Kulmerlandes auch Polen ein. Als »inwohner, peregrini, incolae« wurden die Stadteinwohner bezeichnet, die, ohne das Bürgerrecht zu besitzen, sich in der Stadt dauernd aufhielten. Im Gegensatz zu ihnen waren die »Gäste«, die »forenses«, unter denen zumeist Ausländer verstanden wurden, in ihrer wirtschaftlichen Betätigung sehr beschränkt. Außer einem ortsgeschichtlich wichtigen Elbinger Zinsregister aus der Zeit um 1320 hat Semrau noch die Willkür Kulms aus der Zeit um 1400 veröffentlicht ( 1355). Die Durcharbeitung des Rentenbuches der Stadt Elbing ermöglichte ihm ferner die Aufstellung der dortigen Rats- und Schöffenlisten für die Jahre 1341--1372 und mehrfache neue Beobachtungen über die dort gültigen Rechtsverhältnisse. Die älteren Anschauungen von Brünnecks wurden dadurch besonders dahin berichtigt, daß die Geltung des Magdeburgisch-Kulmischen Rechtes vor der Verleihung des Lübischen Rechtes an die Neustadt nicht nachgewiesen werden kann ( 1354).


S.474

Die durch den Berichterstatter aufgeworfenen Fragen der ältesten Danziger Rechtsgeschichte haben erneute und eingehende Erörterungen mit den Ansichten von Stephan und Carstenn hervorgerufen ( 1352-- 1353). An dem Bestehen der Rechtstadt Danzig bereits im 13. Jhd. wurde dabei festgehalten. Für die künftige Städteforschung des Preußenlandes ist auch die große Arbeit von Paul Rehme über die deutschen Stadtbücher wichtig ( 1297). Die in der Literatur bereits behandelten Stadtbücher von Bartenstein, Elbing, Konitz, Kulm, Stolp und Leba werden von ihm eingehend besprochen. Als Ergänzung dazu ist eine Untersuchung der noch nicht veröffentlichten Stadtbücher erforderlich.

Im Gegensatz zur Rechts- und Siedlungsgeschichte des Ordenslandes wurde die Wirtschaftsgeschichte der Ordensstädte nur spärlich behandelt. Über die bisher nur sehr mangelhaft bearbeitete Handelsgeschichte der Stadt Königsberg gewährt Gans einen brauchbaren Überblick für die Zeit des zweiten Nordischen Krieges ( 1581). Er hat dazu vornehmlich die Akten des Geheimen Staatsarchives in Berlin und des Staatsarchives in Königsberg benutzt. Der Handel betraf damals hauptsächlich die Ausfuhr von Getreide aus Preußen, Litauen und Rußland und die Einfuhr von Salz. Die Schiffahrt lag zu einem Drittel in holländischen Händen. Eigene Reedereien und eigener Schiffsbau fehlten in Königsberg fast völlig. Die schwedischen Licentkammern und die Wirren der schwedisch-polnisch-russischen Kriege hinderten die wirtschaftliche Entwicklung, die auch die behördlichen Maßnahmen der preußischen Regierung, besonders nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., nicht wesentlich zu fördern vermochten. Im Gegensatz zu den Verhältnissen in Danzig fehlte den Königsberger Kaufleuten jeder Unternehmungsgeist. Sie klammerten sich trotz der augenscheinlichen Nachteile dieser Politik an die Erhaltung ihrer Stapelrechte und vertrieben deshalb die Ausländer nach Elbing und Danzig. Der Handel nach Spanien, England und Portugal nahm nur kurze Zeit einen größeren Umfang an. Die höchste Getreideausfuhr fand 1719 mit 19691 Last statt. Häufig wurde über unreelle Gewichte und Maße geklagt. Der Arbeit ist eine Übersicht über die Ausfuhr des Jahres 1700 beigegeben.

Als Vorarbeit für eine Königsberger Ratsliste legte William Meyer die Biographie von drei Königsberger Bürgermeistern aus dem 14. bis 16. Jhd. vor. Es ist erstaunlich, welche Fülle von Nachrichten aus zerstreuten Quellen zusammengestellt werden konnte ( 227). Sie gewähren wichtige Einblicke in die Stellung Königsbergs als Hanse- und Ordensstadt.

Das Gedächtnis ihres 600 jährigen Bestehens hat den Bürgermeister der Stadt Mohrungen, A. Weyde, veranlaßt, ihre Geschichte in allgemein verständlicher Form darzustellen ( 228). Die Stadt, den meisten nur als Geburtsort Herders bekannt, liegt in einer Gegend, die nach Ablauf ihrer germanischen Siedlungsperiode noch lange von Preußen bevölkert war und erst gegen Ende des 13. Jhds. der deutschen Besiedlung erschlossen wurde. Eine Urkunde Gregors IX. von 1231 deutet darauf hin, daß schon vor Ankunft des Deutschen Ritterordens das Christentum dort verbreitet war. Der Orden legte das Haus Mohrungen um 1280 an. Die Ortsnamen Saalfeld, Mühlhausen, Osterode, Mohrungen weisen auf den Harz und den Thüringer Wald als Heimat der deutschen Einwanderer. Ordensvögte sind seit 1331 bezeugt. Der städtischen Siedlung wurde die Handfeste 1327 durch den Obersten Spittler Hermann Graf von Oettingen verliehen. Nach der Reformation, die bald allgemein durchdrang,


S.475

gewann die Familie von Dohna, die das Amt verwaltete, starken Einfluß auf die weitere Entwicklung. Als Kind Mohrungens ist ferner der Theologe Abraham Calov zu nennen, der in Königsberg, Danzig und Wittenberg in der Mitte des 17. Jhds. einer der Vorkämpfer des Luthertums gegen die Reformierten war. Die Arbeit Weydes stützt sich auf gründliche Nachforschungen und stellt alle wesentlichen Nachrichten gut lesbar zusammen. Ein Vorzug ist die Beigabe von alten und neuen Stadtplänen und Stadtansichten.

Die gleichalterige Geschichte der benachbarten Stadt Mühlhausen schildert Guido Stark ( 229). Die Stadt wurde zwischen 1320 und 1329 begründet und erhielt 1338 ihre Handfeste. Sie war Sitz des Waldmeisters der Komturei Elbing. Im übrigen unterscheidet sich die Geschichte Mühlhausens nicht von der Geschichte anderer Städte dieser Gegend. Die Darstellung faßt alle erreichbaren Nachrichten mit Quellennachweisen knapp zusammen. Besonders wertvoll ist die Zusammenstellung der grundzinspflichtigen Bürger von 1531 und um 1546, der Erbbesitzer von 1614, der Bürger von 1693, 1750 und 1810, sowie der evangelischen Geistlichen, der Rektoren und Lehrer der Schule. Außer der Bevölkerungsgeschichte wird auch die Wirtschaftsgeschichte durch zahlreiche Quellenauszüge veranschaulicht. Leider fehlt dem Buch ein Stadtplan. Die als Lageplan beigefügte Verkleinerung des Meßtischblattes bietet keinen Ersatz.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)