I. Quellen und Darstellungen nach der Reihe der Ereignisse.

P. Th. Hoffmann ( 46) berichtet, daß die Bestände des Altonaer Stadtarchivs, die im Laufe der Jahrhunderte zusammengekommen sind, vielen Zufälligkeiten ausgesetzt waren und daher auch zum großen Teil lückenhaft blieben. Die Akten aus der Zeit der Herrschaft der Schauenburger hatte die Landesbehörde bereits eingezogen, als 1640 Altona unter dänische Oberhoheit kam. Bei Einäscherung der Stadt durch die Schweden und der deswegen erfolgten Flucht (im J. 1713) und auch während der Napoleonischen Kriege ist wertvolles Gut verlorengegangen. Und ohnehin sind im 18. Jhd. mancherlei Teile nach Kopenhagen oder nach Glückstadt geschafft worden. Nur Bruchstücke gelangten 1876 nach Altona zurück; die wichtigsten Personalakten usw. behielt das Kopenhagener Reichsarchiv. Seit der dänischen Zeit hat sich das Altonaer Stadtarchiv aus einem Oberpräsidial- und einem Rathausarchiv herausgebildet, von denen das eine für die politische Entwicklung, das andere für die Stadtgeschichte bedeutsam ist.

W. Biereye ( 723) wird in fesselnder Darstellung zum ersten Male der Persönlichkeit und dem Wirken des tapferen Grafen Albrecht von Orlamünde gerecht, der 1202 durch König Waldemar II. von Dänemark, seinen Neffen, mit Holstein belehnt wurde, dessen Andenken aber durch die siegreichen Schauenburger später so gut wie völlig ausgelöscht worden ist. B. hebt hervor, daß Albrechts Belehnung insofern einen politischen Charakter trug, als er stauferfreundlich war, die Welfen aber die Rückforderung der eroberten nordelbingischen Gebiete seitens Dänemarks betrieben. Abgesehen von Albrechts Kriegstaten (Kämpfen gegen die Schweriner Grafen, gegen die Welfen, gegen den Erzbischof von Bremen; Kreuzzug nach Livland) wird seine kolonisatorische


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Tätigkeit durch B. gewürdigt, die sich als Ansiedlung freier Bauern vor allem auf die Elbmarschen und Wagrien (Ostholstein) erstreckte. Auch geht B. auf Albrechts Sorge für die Klöster Preetz und Neumünster und für kirchliche Einrichtungen in Lübeck wie für das Bistum Ratzeburg ein. Da auch Albrecht, wie früher der Schauenburger Adolf III., zur Begründung eines ihm ergebenen Hof- und Beamtenadels zwecks Befestigung seiner Herrschaft überging, hat die Masse des holsteinischen Adels sich enttäuscht von ihm abgewandt, so daß seine Niederlage bei Mölln 1225 gegen die Schweringer, namentlich aber dann die Schlacht bei Bornhöved 1227 das Ende seines Regiments und die Rückkehr der vertriebenen Schauenburger herbeiführten. Der Gestürzte ward durch Güter auf Alsen, die der Dänenkönig ihm als einem der Treusten seiner Parteigänger verlieh, in freilich bescheidener Weise für den Verlust Holsteins entschädigt.

In einer Studie über den hochbedeutenden nordeuropäischen Staatsmann und Humanisten Heinrich Rantzau sucht O. Brandt ( 802) den wesentlichen Gehalt seiner zahlreichen Relationen an die drei dänischen Könige Christian III., Friedrich II. und Christian IV. herauszuheben und gelangt dabei zu dem Ergebnis, daß der Sitz dieses Statthalters der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein geradezu das zentrale Bureau des europäischen Nordens für alle Nachrichten über die politischen Ereignisse im 16. Jhd. gebildet hat. So konnte die europäische Stellung Heinrich Rantzaus, der überallhin seine Verbindungsfäden hatte, stärker als bisher dargetan werden. Alle Geschehnisse des Zeitalters der Gegenreformation, die Vorgänge in Spanien, Frankreich, Italien, wie die im Osten, in Polen, Rußland und der Türkei, der spanischenglische Weltkampf und der nordische Siebenjährige Krieg, finden in Rantzaus Relationen ihren Niederschlag und zumeist auch eine besondere Beleuchtung. Auch für die Kulturgeschichte des deutsch-dänischen Nordens sind Rantzaus Relationen von Wichtigkeit.

Die 2. Auflage von O. Brandts Werk über Geistesleben und Politik in Schleswig-Holstein um die Wende des 18. Jhds. ( 895) bringt verschiedene Zusätze aus dem bisher unbekannten Tagebuch des späteren Gymnasialdirektors in Rinteln Carl Eduard Brauns, der in dem nationalpolitisch erregten Jahre 1813 Hauslehrer auf Schloß Emkendorf war: der nationalpolitische Einschlag der Emkendorfer Bewegung findet dadurch aufs neue eine Bestätigung. Auch die im Lavater-Archiv aufbewahrte, gleichfalls von O. Brandt veröffentlichte Korrespondenz Lavaters mit Mitgliedern des Emkendorfer Kreises (Nordelbingen Bd. 5) konnte für die Darstellung der religiösen Ideenwelt verwendet werden. -- Eine verdiente Anerkennung ist J. Brocks älterem Werk über die Vorgeschichte der schleswig-holsteinischen Erhebung ( 979) durch eine vorzügliche Übersetzung ins Dänische zuteil geworden. Mit Recht weist Aage Friis in dem Vorwort zu dieser dänischen Ausgabe darauf hin, daß das Buch einen entscheidenden Wendepunkt auf seiten der deutschen Forschung in der Behandlung der deutsch-dänischen Frage bedeute, namentlich auch im Hinblick auf die erstmalige ausgiebige Heranziehung dänischer Quellen und Literatur. -- C. E. Andersens Veröffentlichung ( 1014) von Briefen des Stiftsamtmanns von Ripen Grafen M. S. W. Sponneck und des Gutsinspektors J. M. Ramsøe auf Gram an den Grafen Knud Bille Brockenhuus-Schack, den in Deutschland weilenden Besitzer dieses Gutes, ist für die Geschichte des dänischen Nationalgefühls


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in Nordschleswig zur Zeit der schleswig-holsteinischen Erhebung reich an interessanten Aufschlüssen. Während früher die Verwaltung des großen Gutes von schleswig-holsteinisch gesinnten Beamten ausgeübt worden war, hat Sponneck es fertiggebracht, dieselbe ausgesprochen dänisch gerichteten Händen zu übertragen und der Ausbreitung der deutschen Ziele einen Riegel vorzuschieben. Aus den Briefen, die bis zum Jahre 1867 reichen, geht der ganze Zwiespalt zwischen Dänen und Deutschen in Nordschleswig ergreifend hervor: die stete Furcht der Dänischgesinnten bei den Wahlen, die Deutschen könnten den Sieg erringen, die Erkenntnis mancher Schleswig-Holsteiner, daß die dänische Verwaltung und ihr Beamtenstab oft bei weitem besser war, als die antidänische Propaganda ihnen dies hingestellt hatte, die treue Anhänglichkeit an Dänemark, die sich am Geburtstag des dänischen Königs in verschiedenen Kreisen durch dänische Beflaggung und in einzelnen Schulen durch Singen dänischer patriotischer Lieder bekundete, die beginnende Mißstimmung über das häufig zu schroff auftretende preußische Regiment in Nordschleswig, die Hoffnung der Dänischgesinnten auf Napoleon III., der Konflikt, in den viele bei der Frage der Ablegung des Eides für den preußischen König gerieten, usw.

Durch W. Klüvers sorgfältige Ausgabe der Lebenserinnerungen des Kieler Professors und späteren Oberappellationsgerichtsrats Chr. Burchardi ( 984) ist eine bisher unbekannte, nicht unwichtige Quelle zur Geschichte der schleswig-holsteinischen Bewegung im 19. Jhd. erschlossen worden. Wenn auch Burchardi politischer Ehrgeiz fern lag und ihm keine führende politische Rolle zugefallen ist, so hat er doch in den dreißiger und vierziger Jahren das Amt eines Mitgliedes und Präsidenten der holsteinischen Ständeversammlung und in den fünfziger Jahren das eines Mitgliedes und Vizepräsidenten des dänischen Reichsrats innegehabt und hat in letzterem in Kopenhagen »mit Zähigkeit und Mäßigung« die schleswig-holsteinische Sache vertreten, wenn auch ohne Erfolg. Besonders sind die Schilderungen des damaligen Universitätslebens in Kiel und auch in Bonn kulturgeschichtlich anziehend, wie auch das kleine Buch angesichts der vielen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen sowie sonstigen Bekanntschaften Buchardis personalgeschichtlich von entschiedenem Werte ist. -- G. Schweickhardts Arbeit über Wilhelm Beseler ( 982) hebt die enge Verknüpfung des schleswig-holsteinischen und des deutschen Zieles bei dieser starken Führerpersönlichkeit heraus. Wichtig ist die eindringende und ausführliche Untersuchung der amtlichen Schriftstücke, die Beseler als Mitglied der Provisorischen Regierung und später der Statthalterschaft verfaßt hat, wie auch seiner politischen Korrespondenz und der Protokolle der Stände- bzw. Landesversammlungen, in denen er sich entscheidend betätigte. Auch Beselers Wirksamkeit als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung wird von Schw. zum ersten Male eingehend behandelt: Beseler gehörte der Partei des »Augsburger Hofes« an, jener aus dem rechten Flügel des »Württemberger Hofes« hervorgegangenen Gruppe, die wohl theoretisch die Volkssouveränität vertrat, praktisch aber bereit war, die Regierungsvorschläge zu prüfen, und demnach sich auch für die konstitutionelle Monarchie erklärte. Wie Beseler die möglichst starke Zusammenfassung der Einzelstaaten gegenüber allem Partikularismus forderte und dem Verlangen nach starker politischer Macht Sprache verlieh, so ist er, der einstige Verfechter des Augustenburger Erbrechts, mit der Annexion Schleswig-Holsteins durch Preußen einverstanden


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gewesen und hat mit staatsmännischem Verständnis der Politik Bismarcks zugestimmt. -- Auch für Theodor Mommsen, dessen publizistischer Tätigkeit in Schleswig-Holstein C. Gehrcke ( 983) nachgeht, war die Einheit Deutschlands unter preußischer Führung das höchste Ziel, dem er die schleswigholsteinischen Sonderwünsche unbedingt unterordnete. Mommsens publizistisches Auftreten ist gleichbedeutend mit seiner Leitung des amtlichen Organs der Provisorischen Regierung, der »Schleswig-Holsteinischen Zeitung«: für seine Untersuchung konnte G. Mommsens Handexemplar derselben benutzen. Indem G. sein Hauptaugenmerk auf Stilkritik legt, ist er häufig in den Irrtum verfallen, gewisse Wendungen für originale Äußerungen Mommsenschen Geistes halten, die doch nur allgemeine Erscheinungen der Publizistik der damaligen Zeit gewesen sind. Interessant ist die ablehnende Haltung die der Liberale und Demokrat Mommsen gegenüber dem von der Provisorischen Regierung gemachten Vorschlag einer Volksabstimmung in den nördlichen Gebieten des Herzogtums Schleswig einnahm. Nichts als »schwächliche Humanität« erblickte er in solchen Plänen, von deren Durchführung er geradezu die Staatsauflösung befürchtete. -- P. v. Hedemann-Heespen hat in seinem Werk über die Herzogtümer Schleswig-Holstein und die Neuzeit aus genauester Kenntnis der schleswig-holsteinischen Eigenart heraus die eingreifende Auffassung vertreten, die Schleswig-Holsteiner seien 1864 durch die augustenburgisch-bismarcksche Differenz auf die liberale Seite gedrängt worden und alsdann nur aus einem gewissen Beharrungsvermögen liberal geblieben, so daß gerade ihr Liberalismus als Beweis für ihren Konservativismus zu gelten habe. Dieser Anschauung sucht H. Hagenah ( 980) mit Hinweis auf die Geschichte des weitgehend liberalen schleswig-holsteinischen Staatsgrundgesetzes von 1848 zu widersprechen. Zunächst muß aber auch H. einräumen, daß dieses Staatsgrundgesetz mit Rücksicht auf die Frankfurter Nationalversammlung und ihre Ziele jene ausgesprochen liberal-demokratischen Bestimmungen (nach dem Muster der belgischen Verfassung) erhielt, daß überhaupt der nationale Gedanke erst den Antrieb zum liberalen gegeben hat. Richtig ist allerdings, daß von dem Augustenburger später, 1863, wenn er diese Verfassung auch anerkannte, doch ihre Revision ins Auge gefaßt wurde, und daß die Schleswig-Holsteiner an jenem Staatsgrundgesetz festgehalten haben zum Teil aus Gegensatz zu dem Adel, der sich damals dem konservativen Preußen in die Arme warf. Allein schon in dem steifen Beharren an einem durch die stark veränderten Verhältnisse bereits überholten Gesetz als einer Überlieferung der Erhebungszeit liegt eben doch ein kräftiger konservativer Zug, und der sog. Liberalismus der Schleswig-Holsteiner kann erst recht nicht mehr dem sonst in Deutschland üblichen doktrinären Liberalismus der sechziger Jahre gleichgestellt werden: ihr Liberalismus ist in der Tat selbst damals schon konservativ. -- A. Büscher hat ( 1012) treffend herausgearbeitet, wie die ursprünglich rein geistige Bewegung des »Skandinavismus«, der Zusammengehörigkeit von Dänen, Norwegern und Schweden, durch dänische Einwirkung in ein politisches Fahrwasser übergeführt worden ist. Innerpolitisch wie außenpolitisch -- und hier in der schleswig-holsteinischen Frage -- hat sich der Liberalismus des Skandinavismus mit Eifer bedient. Aber B. betont mit Recht, daß Unklarheit in Ziel und Wollen geherrscht, daß man das Wort überschätzt und sich am Reden begeistert habe. Das Schwergewicht legt B. auf die Untersuchung des Verhaltens

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der schwedischen Politik gegenüber der dänischen, das angesichts der Stellung der Großmächte zur schleswig-holsteinischen Frage über eine bloße moralische Unterstützung nicht hinausging und auch nicht hinausgehen konnte. Bedeutsam ist die Tatsache, daß in Schweden von konservativer Seite dem liberalen Skandinavismus ein Pangermanismus entgegengestellt wurde, der das Entzünden eines Streites mit »dem großen deutschen Volk« aufs schärfste bekämpfte. Immerhin hat Schweden beim Zustandekommen des Waffenstillstandes von Malmö 1848 als Vermittler eingegriffen, so daß schwedische Truppen Nordschleswig besetzten. Im Jahre 1863 aber ist König Karl XV. von Schweden- Norwegen in seinen Zusagen dem dänischen König gegenüber schon sehr weit gegangen, und nur das geschickte und energische Handeln des schwedischen Staatsrats Gripenstedt hat ein Bündnis Schwedens mit Dänemark verhindert und dadurch Schweden auch vor der Verflechtung mit Dänemarks Katastrophe bewahrt.

Der Wert der Schrift von M. Albrecht ( 1016) beruht besonders darauf, daß hier die großen Schwierigkeiten erörtert werden, die das Recht der Option verursachte, wie es der Artikel 19 des Wiener Friedens 1864 für die Bewohner der früher mit Dänemark verbundenen Gebiete vorsah. Dabei wird auch der eigenartigen Stellung der Optantenkinder gedacht, d. h. derjenigen, die nicht im Inlande nach der Option geboren, und daher »staatenlos« waren. Da die Grundlage der staatsrechtlichen Stellung der Optanten von vornherein unklar war, ist auch das ohnehin schon wenig glückliche Vorgehen der preußischen Regierung noch unsicherer und unsteter geworden. Ausführlich werden die verschiedenen Stadien der preußischen »Nordmarkpolitik« kritisch beleuchtet. Auf den Kampf der Optanten gegen den preußischen Staat, der sich zu einer immer heftigeren irredentistischen Bewegung entwickelte, werden manche neue Lichter geworfen.


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