IV. Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

Gegen Rörigs Gründungsunternehmertheorie nimmt eine Äußerung von Willy Krogmann Stellung ( 1346). Der neue Gedanke, den Rörig in seinem »Markt von Lübeck« aus subtilen Stadtbuchforschungen folgerte, fand nur bei von Below und seiner Schule Widerspruch. Von dorther erfolgt auch jetzt dieser ziemlich gegenstandslose Angriff. Ihn zu rechtfertigen hätte es eingehender selbständiger Untersuchungen eines reifen Fachmannes bedurft. Es sei hier vorweggenommen, daß Rörig in seinen 1928 erschienenen »Hansischen Beiträgen« sich (S. 88 ff.) mit Krogmann auseinandersetzt, und daß Luise von Winterfeld in einer Besprechung dieses Buches (Hans. Gesch. Bll. 33, 1929, S. 183) eine kritische Stellungnahme zu Rörigs Lehrmeinung ankündigt. -- Die Arbeit über die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung Bremens ( 1555), die Georg Fuhse auf seiner staatswissenschaftlichen Doktordissertation über den Bremer Warenhandel aufbaut, hat ihren Wert in der Erschließung reichen statistischen Materials. Eine organische Einheit stellt sie ebensowenig dar, wie ihr Titel dem Inhalt entspricht. Tatsächlich wird wenig mehr als das 19. Jhd. behandelt. Der einleitende Abschnitt, der zur Vervollständigung kurz die Hansezeit behandelt, läßt nicht erkennen, welch treffliche Literatur hierüber zu Gebote steht. Die erste Hälfte des Ganzen füllt wesentlich ein nach den zeitgenössischen Gutachten und Verhandlungen gearbeiteter klarer Bericht über den Anschluß der Städte Bremen und Hamburg ans deutsche Zollgebiet. Die zweite Hälfte gibt ein Bild der neueren Entwicklung von Bremens Handel und Schiffahrt. Im Anschluß an die Gründung Bremerhavens wird beachtliches Vergleichsmaterial über die Korrektionsarbeiten in anderen nordwesteuropäischen Häfen geboten. Eine Darstellung der Handelsflotte berücksichtigt noch den Wiederaufbau bis ins Jahr 1927. Weiter werden die Schiffahrtslinien, die Werften, die einzelnen Handelszweige, sowie die Stellung der Haupthandelsartikel in der Bremer Wirtschaft betrachtet. -- Friedrich Bruns ( 1382) teilt eine im Münsterschen Stadtarchiv aufgefundene Zeichnung mit, die sich als Platzordnung des 1619 in Lübeck abgehaltenen Hansetages erwies, geht auf die Räumlichkeit im Lübecker Rathaus ein und erläutert die Anordnung aus dem Rezeß der Tagung. Die Darstellung eines Kredenztischs auf jener Zeichnung bietet ihm den Anlaß zu quellenmäßigen Mitteilungen über den Lübecker Ratssilberschatz. -- Hier berührt sich Bruns mit dem Gegenstand des umfangreichen Buchs von Johs. Warncke ( 1435). Unter den Gewerben bieten immer die kunstgewerblichen Zweige für die historische Bearbeitung den größten Anreiz. Warncke, der schon früher eine Geschichte der Lübecker Zinngießer herausbrachte, kann nun nach jahrelanger Sammeltätigkeit sein Werk über die Lübecker Edelschmiedekunst in einem stattlichen Bande vorlegen, eine wahre Fundgrube für den Gewerbehistoriker. Insgesamt erweitert Warncke die Zahl der bekannten Lübecker Meister auf 666 und darf damit gewiß im Rahmen des Möglichen auf Vollständigkeit Anspruch erheben. Außer den zahlreichen Edelschmiedearbeiten in Lübecker Besitz werden an 150 Stück außerhalb Lübecks namhaft gemacht, wovon 24 sich im Ausland befinden, hierunter zwei besondere Kleinodien:


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die Christkindwiege in Namur und der St. Jürgen der Schwarzen Häupter in Riga. Eine Wertung der Erzeugnisse im Vergleich mit denen anderer Landschaften hat sich Warncke allerdings versagt. Die beigegebenen 111 Abbildungen in vorzüglicher Wiedergabe bieten dafür aber wenigstens eine Möglichkeit eigener Urteilsbildung. Besonders zu begrüßen ist die zeichnerische Nachbildung und listenmäßige Zusammenstellung der Meistermarken, weil mit ihrer Hilfe sich die Herkunft aufgefundener Stücke bestimmen läßt. Im Text behandelt Warncke die Arbeitsweise der Goldschmiede, die Bräuche und Beziehungen ihres Amts. An den Ausführungen über die Arbeitstechnik läßt sich beobachten, wie viele Ausdrücke unserer Sprache diesem Gebiet entlehnt sind. Ein Register schließt das reiche Material der gediegenen Arbeit vollends auf. -- Franz Effinger wählte für seine Dissertation die Geschichte des Lübecker Fleischergewerbes im MA. ( 1492). Die umfangreiche Sorgfalt, die der Rat der Lebensmittelversorgung überhaupt zuwandte, die Gliederung des Fleischergewerbes in mancherlei Einzelgebiete (Küter, Knochenhauer, Garbereiter, Speckverkäufer), wie seine durch die Nebenerzeugnisse gegebene Berührung mit verschiedenen anderen Nahrungszweigen bieten der Darstellung ein reiches Feld. In Lübeck waren die Knochenhauer insofern in einer besonderen Lage, als ihnen seit dem verunglückten Aufstand der 1380er Jahre die Selbständigkeit stark beschnitten war und das Zunftleben entsprechend öfter Fühlung mit dem Rate zu nehmen hatte. Effinger hat alle einschlägigen Linien gewissenhaft verfolgt und auch fernerliegende Literatur in wünschenswertem Maße herangezogen. -- Eine staatswissenschaftliche Arbeit von Rudolf Freytag über die Gärtnerei Hamburgs und der Vierlande ( 1556), die freilich nur in Maschinenschrift vorliegt, geht in ihrem ersten Teil auf die geschichtliche Entwicklung ein, stellt dabei den hamburgischen Gartenbau in Zusammenhang mit der Gärtnerei überhaupt und berücksichtigt auch den Handel mit Gartenbauerzeugnissen. Im MA. überwog in Hamburg der Hopfenbau; die Belieferung der Stadt mit Gemüse erfolgte von Bardowiek aus. Mit der Zeit aber entwickelte sich eine rege Gartenkultur in den Vierlanden. Auf den Ausbau der Hamburger Kunst- und Handelsgärtnerei wirkte um die Wende des 18. Jhd. die Patriotische Gesellschaft fördernd ein. -- Die Verkehrsgeschichte ist in drei Arbeiten vertreten. Teubner, von dem wir bereits einige Studien über die Lübecker Postverhältnisse besitzen, veröffentlichte im Berichtsjahr zwei Aufsätze aus der Geschichte des Hamburger Postwesens. Im ersten ( 1558) wird ein klarer Überblick über die Schicksale des Danziger (pommerschen) Kurses gegeben, der -- seit dem 15. Jhd. nachweisbar -- in Hamburg den Anschluß an den Amsterdamer Botendienst fand und seit 1625 in die zwei Strecken Hamburg-Stettin und Stettin-Danzig aufgeteilt war. Die Arbeit führt durch die Verwicklungen und Verträge, welche sich für den Hamburger Postdienst nächst den Eingriffen der Thurn- und Taxisschen Post aus den politischen Verhältnissen ergaben (dem Übergang von Pommern an Schweden und Brandenburg, den Übergriffen Polens in Danzig, der Einmischung Dänemarks in das Lübecker Postwesen usw.). Der zweite Aufsatz ( 1557) geht von der französischen Okkupation aus, nach deren Beendigung zunächst die verschiedenen fremden Postanstalten in Hamburg noch ein kurzes Dasein führten, bis die Stadt 1821 die beteiligten Staaten abfand und ihr Postwesen in die eigene Hand nahm. Teubner bespricht dann die einzelnen Postlinien, das Technische

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der Organisation und schließlich den Übergang der hamburgischen Post an den Norddeutschen Bund. -- Aus seinen Studien zur dänischen Eisenbahnpolitik in Schleswig-Holstein skizziert Alfred Dreyer ( 1559) in einem Aufsatz die Winkelzüge des dänischen Protektionismus gegenüber Hamburg und Lübeck und zeigt, wie nachher durch die Entwicklung der Verhältnisse die Irrtümer dieser Politik zutage traten. -- Im Jahre 1843 tauchte in Lübeck der Plan auf, das Unternehmertum an der Walfischausbeutung der Südsee zu beteiligen. Julius Hartwig berichtet in einem Aufsatz ( 1554) über den Versuch, zu diesem Zweck eine Gesellschaft zu gründen, die indessen mangels ausreichender Aktienzeichnungen nicht zustande kam.


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