3. Quellen und Darstellungen nach der Reihe der Ereignisse.

P. Haake ( 855) erweist sich mit seinem Buche wiederum als bester Kenner Augusts d. St., was auch schon seine früheren Schriften über diese Zeit kundtaten. Diesmal hat ihm aber der Zorn über Gurlitts Buch von 1924 die Feder mehr geführt als etwa die Liebe für den Herrscher, den er seit 30 Jahren bis in die geheimste Regung zu erforschen sucht. Was H. in den 3 Kapiteln von Augusts Jugend, Leben und Wirken vor uns ausbreitet, läßt immer und überall seine völlige Vertrautheit mit der Zeit und den Menschen um August d. St. erkennen, und doch will es mir scheinen, als ob H. den Barockmenschen in dem Wettiner zu wenig sähe und ihn zu streng bloß nach dem Pflichtgefühl und der innenpolitischen Wirksamkeit Friedrich Wilhelms I. von Preußen mäße. Man kann


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H. alles zugeben, was er über die verderblichen Folgen der Verbindung Sachsens mit Polen und über das politische Zurückbleiben hinter Preußen sagt, wenn man an die Vollendung in Friedrich d. Gr. denkt, aber es bleibt fraglich, ob Fr. Wilh. I. den Zeitgenossen bedeutender als August d. St. erschienen ist, und darauf kommt doch viel an. Schließlich ist mehr Friedrich I. von Preußen zum Vergleich mit August dem Starken heranzuziehen, und dabei wird eine Ähnlichkeit offenbar, die wohl auch die allgemeine Zeitanschauung richtiger spiegelt und zugleich mehr zugunsten Augusts spricht. Die Prophezeiung in Grebners »Seidenem Weltfaden« (58 f.) scheint mir jedenfalls so verblüffend auf August zugeschnitten gewesen zu sein, daß man ihren beherrschenden Einfluß auf ihn aus dem Zeitgefühl heraus nur zu gut verstehen kann. War dem gegenüber die Erziehung zum Einheit- und Machtstaat (S. 34) für August selbst als die größere Aufgabe anzusehen? Ich möchte das nicht bejahen, wenn ich auch nicht weniger als H. die Folgen von Augusts überspannter Politik für Sachsen und Deutschland bedauere. Diese hat H. mit kritischer Sonde bloßgelegt, und es ist erstaunlich, in welchem Grade ihm dabei Tatsachen- und Menschenkenntnis zur Verfügung stehen. Vielleicht sind nur die Sachsen doch etwas zu sehr als »Phäaken« geschildert (S. 8, 32, 36 u. ö.); denn sie erkannten -- wenigstens auf kulturellem Gebiete -- doch auch die schaffende Tatkraft Augusts und eiferten ihr vielfach nach. H. selbst läßt dem König in diesen Leistungen durchaus Gerechtigkeit widerfahren und würdigt nicht minder seine Tätigkeit für die Ausbildung der Armee, besonders in den letzten Jahren seiner Regierung. Im ganzen jedoch kämpft H. mit diesem Buche eben mehr gegen eine falsche Auffassung von August d. St. an, wie sie ihm Gurlitt verbreitet zu haben scheint, als daß er selbst das große abgeschlossene Bild von dem Wettiner gibt, das dieser trotz allem doch verdient. H. Beschorner ( 856) hat eine ausführliche Kritik zu Haakes Buch geschrieben, die zwar von H. scharf abgelehnt wird, aber im ganzen sachlich gehalten ist. Es bleibt nur zu wünschen, daß H. trotz Beschorners Zweifel und wiederum unter Berücksichtigung von dessen berechtigten Einwänden doch noch das Buch über August d. St. schreibt, das immer noch fehlt (vgl. auch S. 224.)

H. von Egloffstein ( 905) erörtert in seinem Buche ausführlich die Wünsche Karl Augusts von Weimar nach einer tätigen Anteilnahme am Kriege 1814 und seine Befehlsführung als Kommandeur des 3. Korps (Sachsen) in Belgien. Der Anhang mit den Briefen des Herzogs, Anmerkungen über die Quellenbelege und Register nehmen an Umfang beträchtlich mehr als die Ausführung ein und sind wegen ihrer vielen Hinweise auf Personen für die Zeitgeschichte wertvoll. Goethe allerdings kommt nur nebenbei vor, wichtig sind für ihn nur 3 Stellen (S. 171, 185, 200). --

Die Bewegung von 1848/49 in den thüringischen Staaten ist der Gegenstand einer ganzen Anzahl von Doktorarbeiten im Berichtsjahre gewesen. W. Wucher ( 987) schildert den Verlauf in den ehemals 3 reußischen Fürstentümern j. L. Über einzelne Persönlichkeiten möchte man noch etwas mehr wissen, wie z. B. über den Kanzler v. Bretschneider, der eine so wichtige Rolle spielt. Auch Fürst Heinrich LXXXII. von Lobenstein-Ebersdorf hätte in seiner Wunderlichkeit stärker gekennzeichnet werden können. Die Hauptergebnisse der teilweise recht stürmischen Bewegung waren die Vereinigung der bisher 3 Ländchen und der Abschluß einer Verfassung. In der äußeren Politik lehnte


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sich Reuß j. L. seit 1849 eng an Preußen an (Bretschneider) und wurde deshalb durch Olmütz tief enttäuscht. Vorher trieb die radikale Haltung des Landtages in der Domänenfrage die Regierung zur Erörterung der Anschlußfrage an Sachsen, während die Demokraten für einen Gesamtstaat Thüringen eintraten. Die Reaktion führte wieder zu einer erheblichen Beschneidung der Rechte von Landtag und Verfassung. E. Huhns Arbeit ( 986) befaßt sich mit dem Geschick des Großherzogtums Sachsen. Der Großherzog Karl Friedrich war kein überragender Geist, aber treu gegen seine Ratgeber (S. 228), und eben darum hatte er die Mißstimmung im Land schon seit 1830 geweckt, weil er allzu peinlich die reaktionären Anordnungen des Bundestages befolgte. Der Abgeordnete v. Wydenbrugk gab am 29. 3. 1847 mit seinem Antrag auf Vereinigung von Kammer- und Landschaftsvermögen einen weiteren nachhaltigen Anstoß zur Unzufriedenheit mit der widerstrebenden Regierung. Ja, W. ward dadurch noch 1848 recht eigentlich der Bahnbrecher für die revolutionäre Stimmung in Weimar, als Anfang März die Kunde von der Pariser Februarrevolution die Gemüter noch besonders erregte. Wydenbrugk mußte auf das stürmische Verlangen der Menge an Stelle von Chr. A. Schweitzer in das Ministerium berufen werden. Er hat mit v. Watzdorf zusammen für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung gearbeitet. Im großen ganzen wurden die Versuche, sie wieder zu stören, ohne Schwierigkeit unterdrückt. Die republikanische (und radikale) Agitation war nur im Neustädter Kreis etwas bedrohlicher; die Putschversuche von Anhängern Heckers und Struves in Jena und Weimar Ende September 1848 verpufften ohne ernstlichen Ausbruch. Im Oktober scheiterten an der Festigkeit der Regierung, die rechtzeitig für den Schutz durch Reichstruppen gesorgt hatte, die letzten Anstrengungen der Demokraten für eine revolutionäre Aufwiegelung im Großherzogtum. Die Arbeit schließt mit einer Auseinandersetzung der gesetzgeberischen Arbeit der beiden Landtage 1847/48. Die umfangreichste Arbeit ist die von W. Engel ( 1563). Auch sie offenbart gute Akten- und Literaturkenntnis und behandelt die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der 48er Bewegung im Herzogtum Meiningen. Die für den Durchgangsverkehr wichtigen Waldstraßen Meiningens zwingen seit den 20er Jahren zu Zollverhandlungen mit Norden und Süden. Dabei siegt der Gedanke einer Vereinigung mit Preußen und Bayern ebenso über eine einseitige Neigung zu Bayern und einen besonderen Zusammenschluß in Mitteldeutschland wie über die Volksmißstimmung gegen Preußen. (Joseph Meyer wollte lieber England an der Spitze eines »Zollvereins aller konstitutionellen Staaten« wissen und nannte die Verbindung mit Preußen »rechtswidrig und unnatürlich«, S. 11). Meiningen hat aber gerade mit seiner Anlehnung an Preußen den Mitteldeutschen Handelsverein gesprengt und die Bildung des Deutschen Zollvereins wesentlich gefördert. Im Lande selbst war nur die Industrie (Eisen und Glas) ganz für diese Entwicklung, das Handwerk ganz dagegen. Der Bauer blieb mindestens stark mißgestimmt. Die ganze Bauernschaft war innerlich zerwühlt und 1848 für radikale Forderungen leichter zugänglich als sonst. In den Handwerkerkreisen drehte sich der Kampf der Meinungen vor 1848 um Zunftrecht und Gewerbefreiheit. Die Regierung vermied dabei eine entschiedene Stellungnahme und schuf so auf beiden Seiten Unzufriedene, obwohl sie auch Schulbildung und Technik zu fördern suchte. Die gesellschaftliche Zersetzung offenbarte sich jedoch am stärksten in der neuen Schicht der Arbeiter und Fabrikbesitzer,

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deren Lebensumstände E. ebenfalls wie auch noch die beträchtliche Auswanderung mit ihren Ursachen und Wirkungen verständnisvoll behandelt. Es gelingt E. dadurch in der Tat, uns in den wirtschaftlichen und sozialen Nöten den eigentlichen Triebboden für die politisch revolutionäre Stimmung zu zeigen, die 1848 auch das Herzogtum Meiningen ergriff.

Wie diese sich im einzelnen auswirkte, schildert E. Schocke ( 985) gleichfalls aus guter Quellen- und Literaturkenntnis heraus. Die Vorgänge selbst ähneln auch in Meiningen denen in den anderen thüringischen Staaten. Über den zu lang hinausgeschobenen Reformen kommt es zu radikalen Vorstößen gegen die Regierung, die hier wie dort den Einzug von Reichstruppen zur Folge haben und dann an der Reaktion vollends zerschellen. Das schließlich ebenfalls vergebliche Mühen um eine Reformgesetzgebung (besonders hinsichtlich Domänenfrage, Feudallasten, Handwerkernot, Judenfrage) wird wie die Stellung Meiningens zur deutschen und gesamtthüringischen Frage in besonderen Abschnitten erörtert. Der Herzog wollte auf jeden Fall die Selbständigkeit seines Landes bewahren und glaubte sie 1849/50 am ehesten wieder im Anschluß an Preußen sichern zu können. Daher setzte er sich entschlossen für dessen Unionspolitik ein und wurde wie deren andere Anhänger durch Olmütz arg verstimmt. Neben Herzog Bernhard II. treten als Politiker hauptsächlich Speßhardt, v. Fischern, Seebeck und vorübergehend Hannibal Fischer, als geistige Führer besonders Joseph Meyer und Ludwig Köhler hervor.

H. Klocke ( 1025). Das Jahr 1866 brachte das letzte selbständige Auftreten Sachsens in der europäischen Politik. Der Eintritt in den Norddt. Bund nahm ihm jede Möglichkeit dazu, während sein tatsächlicher Wirkungsbereich freilich bereits vorher in gleichem Maße abgenommen hatte, wie Preußen zur Großmacht aufgestiegen war. Schon im Deutschen Bunde hatte die Souveränität der kleineren Staaten, wie Kl. richtig bemerkt, eigentlich nur auf dem guten Willen der beiden Großmächte Österreich und Preußen beruht. Aber immerhin waren sie hier das Zünglein an der Waage zwischen den beiden Großmächten gewesen, und gerade auch Sachsen hatte dabei wenigstens noch das Gefühl eigener politischer Bedeutung hegen können. Mit dem Eintritt in den Norddt. Bund konnte dieses nicht mehr vorhalten, und darum ist er ihm recht schwer gefallen. Kl. untersucht im einzelnen, welche Bemühungen Sachsen aufgewendet hat, um nach außen noch einen Schein von Selbständigkeit zu wahren, während es sich doch Bismarck in allen entscheidenden Fragen beugen mußte. Zunächst werden die Leiter der sächsischen Politik in ihrer Haltung zur deutschen Frage charakterisiert: erst Kg. Johann und dann Friesen, der nach dem Rücktritt Beusts die Führung der sächsischen Außenpolitik erhielt, obwohl er von Haus aus nur ein guter Verwaltungsbeamter war. Weiterhin werden die Zeiten von Nikolsburg bis zum Verfassungsentwurf für den Norddt. Bund und die ersten Verhandlungen darüber skizziert. Der König hat den Gang der sächsischen Politik doch stärker beeinflußt, als man bisher annahm. Auch die Beibehaltung der sächsischen Gesandtschaften im Ausland ist hauptsächlich von ihm betrieben worden. Dabei haben weder Beust noch Dalwigk den König mit antipreußischen Lockungen vom vorgezeichneten Wege der Pflicht abgebracht, obwohl König Johann zuweilen noch von bitteren Empfindungen über seine Einbuße an Herrschermacht übermannt wurde. Freilich steckt in seiner streng verfassungsmäßigen Haltung, die auch bei Ausbruch des Krieges 1870


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maßgebend blieb, ein guter Teil Resignation aus dem Bewußtsein heraus, nicht anders zu können. --


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