V. Kirchengeschichte.

Die Anfänge engrischen Christentums berührt Flaskamp ( 1629). Die nordenglischen Glaubensboten aus der Schule Wilbrords hatten bei den Sachsen ebensowenig vermocht wie die vielfach bemühten südenglischen Geistlichen unter Führung des Bonifatius. Erst der im Frühjahr 772 einsetzenden »Predigt des Schwertes«, d. i. der vom fränkischen Heerbanne vorbereiteten und fortan gedeckten Reichsmission Karls des Großen, ist die Bekehrung gelungen. Damals freilich war der benachbarte Hessenbischof Witta bereits abgelebt (vor 763/65), sein Sprengel dann bald mit Mainz verschmolzen worden. An seiner Statt wird nun der Abt Sturm vom Erlösergroßkloster Fulda als Förderer des Christentums zur Diemel berufen und hier bis nahe an sein Ende (gest. 17. Dezember 779) als Seelsorger beschäftigt. Die 1926/27 durchgeführte Spatenarbeit am Bürberge hat für diese kirchengeschichtliche Frühzeit eigentlich nichts mehr zutage fördern können; vgl. Fuldaer Geschichtsblätter 21, 1928, S. 1 ff. -- Die ganz eigenartig sich darstellende Widmung ma. westfälischer Kirchen an den hl. Bonifatius, in Freckenhorst und Schapdetten, geht keineswegs, wie im allgemeinen volkstümlicherweise angenommen wird, auf bonifatische Missionstätigkeit an Ort und Stelle zurück; diese hat überhaupt nur die fränkisch-sächsische Grenzlinie abgetastet, vgl. Fr. Flaskamp, Bonifatius und die Sachsenmission: Zeitschr. für Missionswissenschaft 6, 1916, S. 273 ff. Grund der Bonifatiusehrung ist hier vielmehr, wie Bauermann ( 720) erstmals und durchaus überzeugend dartut, die Errichtung der betreffenden Kirchen auf Eigenbesitz des Klosters Fulda und daher auch wohl ihre Ausstattung mit Gebeinen des hl. Bonifatius, dessen Leiche ja bald nach der Ermordung, am 5. Juni 754 (nicht 755; vgl. 1630) bei Dokkum, diesem Hauptkloster zugeführt war. Der dürftigen und brockenhaft-zerstreuten Überlieferung weiß B. in musterhaft sorgfältiger Prüfung und Erwägung so viel zu entnehmen, daß er von der kirchlichen Morgenstunde Schapdettens wenigstens ein nahezu lückenloses Bild zeichnen kann: Abt Richard von Fulda (1018--39) überläßt ein Klostergut, wahrscheinlich in Appelhülsen, an Bischof Siegfried von Münster (1022--32), einen Bruder des Geschichtschreibers Thietmar von Merseburg, und empfängt dafür tauschweise ein Zweihufengut in Schapdetten, mit dem dann die neue Kirche, auf dem Fuldaer Haupthofe (»fiscus«) Detten dortselbst errichtet und durch Bischof Siegfried eingeweiht, wirtschaftlich gesichert wird. Die angeschlossenen Hofeskarten veranschaulichen, besser gesagt: beglaubigen diese Darstellung der Entwicklung. Wichtige Zeugen zur Münsterischen Schrift-, Urkunden- und Siegelgeschichte hat B. dankenswert, trotz der nicht unerheblichen Kosten, in naturgetreuer Nachbildung (Näpfchendruck) beigegeben: zwei Urkunden Siegfrieds, für Schapdetten und Beelen, die ältesten urschriftlich erhaltenen Münsterischen Bischofsurkunden, ja Schriftdenkmäler aus Münster überhaupt, beide ursprünglich bekräftigt mit dem Paulssiegel (Paulus, Schutzheiliger der Domkirche), das dann aber früh (schon für den Anfang des 12. Jhds. nachgewiesen) vom Domkapitel übernommen wird, während der jeweilige Bischof weiterhin ein persönliches Siegel führt. Einzelheiten zu diesen scharfsinnigen Beobachtungen hat B. in seiner Abhandlung »Die Gründungsurkunde des Klosters Abdinghof


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in Paderborn« (Westfälische Studien. Festschrift für A. Bömer, Leipzig 1928, S. 16 ff.) nachgetragen. Dem anerkennenden Urteil von ersten Fachgelehrten (U. Stutz: Zt. d. Savigny-Stiftung 48, Kan. Abt. 17, 1928, S. 583 f.; R. Holtzmann: Hist. Zt. 139, 1929 I, S. 389 f.) möchte persönlichen Dank ich zufügen dürfen für die reiche Förderung, die meiner Untersuchung der westfälischen Ewaldenverehrung (Aplerbeck b. Dortmund, Laer b. Steinfurt, Laar b. Ruhrort; vgl. Fr. Flaskamp, Die Anfänge friesischen und sächsischen Christentums, Hildesheim 1929, S. 30 ff.) aus gerade dieser Wegweisung B.s geworden ist. Der »Heimatforschung« mag sie Ansporn, aber auch Warnung sein: zeigt sie doch, wie edle Früchte dieser heute noch so wild wuchernde Trieb hervorbringen kann, indessen nur dann, wenn die rechte Hand ihn hegend und pflegend betreut. --Rothert, Hugo, Die Minden-Ravensbergische Kirchengeschichte I (Mittelalter). Münster i. Westf.: Verein für Westfälische Kirchengeschichte, VI u. 127 S., will, ähnlich des greisen Verfassers »Märkischer Kirchengeschichte« (vgl. Jahresberichte 2, S. 592), mehr als Niederschlag reger Beschäftigung mit Quellen und Darstellungen zur Mindener Bistumsvergangenheit besehen und gewürdigt sein denn als wissenschaftliche Forschung und Verarbeitung im strengsten Sinne des Wortes. Allerdings darf man nicht verkennen, daß auch solche Zusammenstellungen ihr Daseinsrecht und darüber hinaus ihr gesondertes Verdienst haben, indem sie weitere Kreise ansprechen und diesen manche personen- und ortsgeschichtlichen Einzelkenntnisse vermitteln. Folgende Hefte sollen Reformation und Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung (J. H. Volkening!) vorführen. Zu einer durchaus quellenmäßig gegründeten Mindener Bistumsgeschichte läßt mittlerweile die Historische Kommission für die Provinz Westfalen die Mindener Urkundensammlung über das Jahr 1300 (Westf. Urkunden-Buch VI) hinaus durch R. Krumbholtz fortsetzen und durch Kl. Löffler einen weiteren Band von Mindener Bischofschroniken veröffentlichen. --Laumanns ( 1713) räumt ein, daß seinem Aufsatze »Archidiakonat Lippstadt« die von J. Bauermann (vgl. Jahresberichte 1, S. 569) vermißte Sorgfalt in Vorbereitung und Ausarbeitung tatsächlich mangelt, führt dann aber (S. 113) die übliche »Entschuldigung« ins Feld, es handle sich doch nur um einen Beitrag zu einem »Heimatbuche«. Als wenn vom volkstümlichen Schrifttum inhaltliche Zuverläßlichkeit nicht gefordert werden dürfte! Mit B.s Erwiderung (in der Zeitschr. für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 85, 1928, II, S. 219 f.) wird nun hoffentlich das Schlußwort zum Streitfalle gesprochen sein. -- Das Vermächtnis des Lütticher Stiftsherrn Levolt von Northof aus Bögge b. Kamen, Grafschaft Mark, nach der Urschrift von 1341 (im Evangelischen Pfarrarchiv zu Wald b. Solingen) durch Vollmer ( 738) erstmalig bereitgestellt, bildet eine nicht unwichtige Beisteuer zu den von Karl Brandi angeregten neuesten Northof-Forschungen, als deren bedeutendste Ergebnisse Friedrich Zschaeck in Bälde eine Neuausgabe der »Chronik der Grafen von der Mark« in der Reihe »Scriptores rerum Germanicarum« und dann auch eine neue Übersetzung in der Sammlung »Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit« bieten wird; vgl. Neues Archiv 47, 1928, S. III. -- Das der Festgabe für L. Schmitz-Kallenberg ( 156) angefügte Schriftenverzeichnis (S. 142 ff.) erinnert an manchen gehaltvollen Beitrag Sch.-K.s auch zur Westfälischen Kirchengeschichte, besonders des MA., wobei natürlich an erster Stelle das »Westfälische Klosterbuch« (Monasticon Westfaliae, 1909) zu nennen wäre, doch ingleichen

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die verschiedenen Bände von »Inventaren nichtstaatlicher Archive« in ihrem Werte für die kirchengeschichtliche Forschung mehr als seither beachtet werden sollten. -- Reformation und Gegenreformation in Dortmund erörtern v. Winterfeld ( 1892) und Meininghaus ( 813), die Gegenreformation auch in den westfälischen Landesteilen Schmidlin ( 1741) im Anklange an weit zurückliegende Gedankenreihen (vgl. Kirchliche Zustände, 3 Bde., 1908/10), dann Bierbaum ( 1715) im größeren Rahmen der Münsterischen Synodalgeschichte. -- Als Sonderfrage aus dem Lebensbilde des letzten Kölner Kurfürsten Max Franz von Österreich (vgl. Jahresberichte 1, Nr. 1043 a), des jüngsten Sohnes der Kaiserin Maria Theresia, schildert Braubach ( 881) das widerwärtige Spiel der Münsterischen Koadjutorwahl von 1780, bei der Max Franz gegenüber dem heimischen Anwärter Franz Wilhelm v. Fürstenberg, d. i. nicht zuletzt: die österreichische Staatskunst gegenüber der preußischen, sich durchsetzte. Die Wiener Regierung »belohnte« die gefügigen Domherren mit Zuweisungen im Gesamtbetrage von annähernd 500 000 Gulden, während die ursprünglich widerspenstigen Freunde Fürstenbergs leer ausgingen. Ein trefflicher Anschauungsunterricht zum Gegenstande: »Beraubung und -- schwere Schädigung der hl. Kirche« durch die Entziehung der weltlichen Macht! Preußens Beteiligung an der Wahl hat neuerdings Friedr. Wilh. Niemann, Friedrich der Große und die Koadjutorwahl von Köln und Münster 1780, Diss. Rostock 1928, eigens quellenmäßig geprüft und ausführlich dargestellt. --Rupprich, Hans, Brentano, Luise Hensel und Ludwig von Gerlach. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 226 S. u. 6 Bildtafeln, 17.-- RM., bedeutet eine sehr schätzenswerte Bereicherung unserer Kenntnis westfälischer Kirchengeschichte im Zeitalter der Romantik. Wenn auch die religiöse Entwicklung der märkischen Pfarrerstochter sich nie voll wird entschleiern lassen, ist doch so viel gewiß, daß vorzüglich die Zuneigung zu Brentano, dessen Vergangenheit sie erst allmählich kennenlernte, und die von ihr vermeinte (doch zur Klärung vgl. Herm. Cardauns, Aus Luise Hensels Jugendzeit, Freiburg 1918, S. 85 f.) Verehrung Gerlachs die inneren Kämpfe ausgelöst haben, die ihr Tagebuch (hrsg. von Ferdinand Bartscher, Paderborn 1882) spiegelt. -- Im Anschluß an einen im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin gefundenen Bericht eines Augenzeugen, Offiziers aus Wrangels Münsterischen Truppen, geht Lüdicke ( 977) den Münsterischen Unruhen anläßlich der Verhaftung des Kölner Erzbischofs Klemens August v. Droste-Vischering 1837 (vgl. Schrörs, oben 1763) auf den Grund, während Huperz ( 1803) das Werden des politischen Katholizismus aufzeigt, der, eben durch den Kölner Kirchenstreit aufgeregt und angeregt, nach den Märzwirren von 1848 in den Piusvereinen sich sammelt und bei den Wahlen für Frankfurt wie Berlin unter der Losung »Kirche und Schule!« die ersten greifbaren Erfolge erzielt. Der Gefahr, dieses katholische Erwachen als Zeugnis ausschließlich von Wahrheit und Kraft zu feiern, hat Boehmer ( 147) in seiner Übersicht »Die Laienbewegung in der katholischen Kirche« (S. 143 ff.) begegnen wollen: eine besonnene Mahnung, das Ganze nicht aus dem Auge zu verlieren, gegenüber den Einseitigkeiten und Halbheiten des Parteibetriebes den Blick für das Wesentliche, Bedeutsame, Bleibende zu bewahren.[Fr. Flaskamp.]


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