V. Kirchen- und Kirchenverfassungsgeschichte.

A. Katholisches Kirchenwesen. Der viel umstrittenen Clematianischen Inschrift der Kölner Ursulakirche widmet Wilh. Levison ( 1736) mit dem vollen Rüstzeug seiner gediegenen Gelehrsamkeit eine überaus fruchtbare Studie. Er stellt fest, daß der Wortlaut der Inschrift bis ins 10. Jhd. zurückverfolgt werden kann und lehnt die Verdächtigung der Inschrift wegen ihrer Buchstabenformen ab. Diese weisen vielmehr darauf hin, daß der Stein sowie der Bau des Clematius zwischen die Mitte des 4. und 5. Jhds. zu setzen ist. Die erste Passio weist bereits alle Hauptzüge der späteren Legende auf. An ihrer Echtheit ist nicht zu zweifeln. Während die zweite Passio spätestens im 12. Jhd. nach England kam, ging für die letzte Fortentwicklung der Legende der Anstoß von Köln aus, besonders durch die Angaben Theoderichs von Deutz, betrügerische Angaben von Namen, zu denen sich dann die Visionen der Elisabeth von Schönau gesellten. Versöhnend wirkt hierbei der gewaltige Einfluß auf die bildende Kunst, dem wir z. B. das schönste Werk Hans Memlings zu danken haben.

Während das reiche kirchliche Leben Kölns, wie es sich in zahlreichen Klostergründungen widerspiegelt, schon in mannigfaltiger Weise durchforscht worden ist, haben die stillen religiösen Bewegungen und Bildungen, die hinter der ins Auge fallenden Erscheinung der Stifter und Klöster zurücktraten, bisher weniger Beachtung gefunden. Es ist deshalb begrüßenswert, daß jetzt auch diesen kleineren religiösen Vereinigungen, wie Klausen und Beginenkonventen, die Forschung sich zuwendet. Über das Inklusenwesen ist im allgemeinen sehr wenig bekannt, erklärlich genug, da es sich um Personen handelte, die sich gänzlich aus dem Weltleben zurückgezogen hatten und sich wohl auch einmauern ließen. Auf Grund eines spärlichen Materials, das in der Hauptsache die Kölner Schreinsurkunden darbieten, stellt Joh. Asen ( 1684) Nachrichten zusammen über einzelne Inklusen sowie über Klausen, in denen mehrere Personen zusammenlebten (meist nach der Augustinerregel). Es handelt sich meist um Schenkungen an einzelne, aber auch an die gesamten Klausen, und zwar vom 12. Jhd. ab. Gelegentlich erfahren wir auch Näheres über das innere Leben in den Klausen. Die 1459 gestiftete Klause Mariengarten war die letzte der in Köln gegründeten Klausen.

Bei den alten und innigen Beziehungen zwischen Flandern und Köln ist es verständlich, daß die religiöse Bewegung, die sich im Beginenwesen dokumentiert, sich sehr bald auf die Metropole des Rheinlands ausdehnte. Überraschend ist es aber, eine wie große Verbreitung hier das Beginenwesen gefunden hat. Davon legen die gründlichen Forschungen Zeugnis ab, die Joh. Asen ( 1683)


S.560

vor allem in den Beständen des Kölner Stadtarchivs angestellt hat. Nachdem 1223 die ersten Beginen in Köln nachzuweisen waren, nahm die Zahl der Gründungen sehr schnell zu bis in das 2. Jahrzehnt des 14. Jhds., um dann in demselben Tempo wieder abzunehmen. Im ganzen sind 169 Konventsstiftungen belegt, außer denen es aber noch verschiedene gab, die nicht genau bestimmt werden können. Der Besitz der einzelnen Konvente war verhältnismäßig nur gering. Genaueres über den Verbleib der Konventsvermögen ist nur in wenigen Fällen bekannt. Wertvoll sind die Ausführungen über die Stellung der Pfarrgeistlichkeit und der Hierarchie zu den Beginen, über ketzerische Bewegungen innerhalb dieses Kreises und über die Einschränkung des Beginenwesens sowie die Beschreibung der einzelnen Konvente.

Das Kölner Dominikanerinnenkloster St. Gertrud, das jetzt mit seiner Kirche völlig verschwunden ist, hat im Hochmittelalter eine bedeutende Stelle im kirchlichen und Kulturleben eingenommen. Wie der Bau, so sind auch die zahlreichen Handschriften des Klosters verloren. Einzig ein Necrologium ist uns in Abschrift von 1765 erhalten. Pater Löhr ( 1682) hat sich nicht damit begnügt, dieses Nekrolog zu veröffentlichen und den hier genannten Persönlichkeiten durch subtile Forschungen nachzugehen, sondern er gibt uns hier als Einleitung eine ausführliche Geschichte des Klosters, und zwar über Gründung (mit Grundriß), Besitz, Verwaltung und äußere Schicksale, über die Insassen (das Patriziat ist im 14. Jhd. maßgebend) und ihre Beschäftigung mit Mystik. Eine sehr dankenswerte Arbeit des unermüdlichen Forschers.

Wie die Untersuchung von H. Th. Hoederath ( 1711) zeigt, geht das Wahlrecht des Essener Stiftskapitels bis in die Zeit der sächsischen Kaiser und Könige zurück. Es bot dem Kapitel ein willkommenes Mittel, seine eigenen Interessen, aber auch das Wohl des Landes und der Kirche den Äbtissinnen gegenüber nachdrücklich zu vertreten. Der Verf. untersucht zunächst die geschichtliche Entwicklung der Wahlkapitulationen von 1370 bis 1726 und behandelt im 2. Teil die Rechtsstellung der Kapitelsmitglieder in weltlichen und geistlichen Dingen nach den Kapitulationen und Statuten sowie den Anteil des Kapitels an der Verwaltung und Regierung des Landes nach den Forderungen der Kapitulationen. Im allgemeinen ist anzuerkennen, daß das Kapitel keine unbilligen Forderungen erhoben hat, daß diese sich vielmehr durchaus innerhalb der durch die kirchlichen Satzungen gezogenen Grenzen halten.

Die wechselvollen Schicksale des 1614 auf Betreiben des päpstlichen Nuntius, aber gegen den Willen des Kölner Kurfürsten begründeten Benediktinerseminars in Köln schildert P. Volk ( 1681) unter ausführlicher Mitteilung der Statuten. Das Seminar erlebte in der Zeit von 1614 bis 1649 seine größte Blüte. Zweimal versuchte man (1651 und 1680), es wieder zum Leben zu erwecken, aber 1740 endete der Restaurationsversuch nach anfänglich glücklichem Beginnen mit einem abermaligen Mißerfolg. Dieser war auch entscheidend für ähnliche Gründungen, die man für Heidelberg und Rom geplant hatte.

A. Schüller ( 1798) stellt allerhand aktenmäßige Zeugnisse zusammen, um den Nachweis zu führen, daß während der französischen Revolutionsokkupation das Rhein- und Moselland zwar scharf bedrückt und ausgepreßt wurde, daß die Eroberer sich aber um die religiöse Gesinnung und Betätigung des Volks kaum gekümmert hätten. Erst dann, als seit dem Frieden von Campoformio das okkupierte Gebiet verwaltungsmäßig eingeordnet wurde, »erblickten


S.561

die Machthaber in der katholischen Religion und in der religiös verankerten landeslegitimistischen Gesinnung« das gefährlichste Element bei dem eingeleiteten Verschmelzungsprozeß mit der französischen Republik. Und so richtete sich die offizielle Propaganda gegen Kirche, Pfaffen, Mönche usw., wobei Leute wie Becker und Görres den Franzosen noch Dienste leisteten. Die mitgeteilten Einzelheiten beziehen sich zumeist auf das Saardepartement und das Rhein-Moseldepartement.

In die Zeit des Kölner Kirchenstreits vom Jahre 1837 führt uns ein kleiner Aufsatz von W. Deetjen ( 1764). In Briefen an den aus dem Goethekreis bekannten Kanzler Friedrich von Müller in Weimar äußert sich K. Immermann sehr abfällig über die offiziellen Kundgebungen der preußischen Regierung inbetreff der Erregung über die Verhaftung des Erzbischofs Droste-Vischering und kritisiert vor allem auch die Verkehrtheit, einem Droste das Pallium zu verstatten.

B. Evangelisches Kirchenwesen. Die von Ad. Werth ( 1890) mit großer Liebe und feinem historischen Verständnis verfaßte Geschichte der reformierten Gemeinde Barmen-Gemarke war 1902 erschienen, aber bald vergriffen. Der Verf. hatte dann eine Neuausgabe vorbereitet und die Geschichte bis 1912 weitergeführt. Diese Arbeit hat nach Werths Tod Ad. Lauffs bis 1927 fortgesetzt und mit einigen Verbesserungen und Ergänzungen des Werthschen Textes in einem stattlichen, vornehm ausgestatteten Band herausgegeben. Nicht minder umfangreich und ausführlich ist das Werk, das A. Witteborg ( 1889) der Geschichte der lutherischen Gemeinde Barmen-Wupperfeld gewidmet hat. Nach einer gut orientierten Vorgeschichte behandelt d. Verf. im 2. Teil die Gründung der beiden Gemeinden ( 1777). Die übrigen drei Teile bieten für je 50 Jahre die eigentliche Gemeindegeschichte, in der Äußeres und Inneres, soweit es die Gemeinde irgendwie berührt, behandelt worden ist. Darüber hinaus zieht der Verf. auch Politisches und Kommunales, Literarisches und Soziales in den Kreis seiner Betrachtung. Den größten Raum nimmt erklärlicherweise der letzte Abschnitt (1877--1927) ein. So dürfen die Barmer Gemeinden stolz darauf sein, in zwei so ausführlichen und soliden Werken ihre Geschichte zu besitzen.

Neben diesen größeren Darstellungen verdienen noch einige kleinere Aufsätze und Mitteilungen Erwähnung, die in den Monatsheften für Rheinische Kirchengeschichte enthalten sind. Der verdiente Herausgeber dieser Hefte W. Rotscheidt ( 1886) veröffentlicht aus Werner Teschenmachers ungedruckten Kirchenannalen einen ausführlichen und in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Bericht über den sogen. Wiedertäufer Joh. Wilhelmsen, der im Klevischen und Geldrischen in den Jahren 1574--80 allerhand Unfug anrichtete, sich nach dem Muster Johanns von Leiden als König und Beauftragten Gottes ausgab und durch seinen Libertinismus und Kommunismus ziemlichen Anhang besaß. Aus den Akten des Evangelischen Provinzial-Kirchenarchivs in Koblenz veröffentlicht R. Dressing ( 1885) eine Anzahl notarieller Zeugnisse und Berichte über die Lage der reformierten Gemeinde Jülich im Normaljahr 1624 und erläutert sie durch allerhand Anmerkungen. Gerade derartige Zeugnisse, die durch die Religionskonferenzen veranlaßt wurden, bieten vielfach recht überraschende Einblicke in die Anfänge des Gemeindelebens.

Schließlich verdienen einige Veröffentlichungen von Th. Wotschke besondere


S.562

Beachtung, der für die Geschichte des Pietismus und der Herrnhuter bemerkenswerte Briefe ans Licht zieht. Hatte er schon in einem Aufsatz »Friedrich Brecklings niederrheinischer Freundeskreis« diesen aus Schleswig-Holstein stammenden, meist in Holland lebenden Schwärmer und Mystiker durch die Mitteilung seiner Briefe aus den Jahren 1678 ff. hinreichend charakterisiert, so zeigt er ( 1888), daß u. a. auch in der lutherischen Gemeinde Cleve Breckling den Separatisten den Rücken stärkt, die mit ihrem Pastor Mag. Peter Roffhack (1661--1680) in Konflikt leben. Ähnlich agitiert er auch gegen den Inspektor Th. Davidis in Unna. Etwas unvermittelt werden hier Briefe Brecklings an Christian Thomasius (1695--97) und an Aug. Herm. Francke ( 1698) angeschlossen. Die Briefe Brecklings beruhen teils in den Staatsbibliotheken zu Berlin und Hamburg, teils in der Gothaer Bibliothek.

Einen Einblick in die Zustände der lutherischen Gemeinden am Niederrhein in der Zeit von 1699 bis 1724 gewähren die von Th. Wotschke ( 1855) veröffentlichten Briefe an Jak. Spener und Aug. Herm. Francke. Sie führen uns nach Mülheim a. Rh., Köln und Düsseldorf und zeigen u. a. wie der Pfälzische Kurfürst die aus Köln verdrängten Evangelischen (»Religionsen«) schützte und wie nach dem Tode des Kurfürsten in der Düsseldorfer Gemeinde allerhand Zwistigkeiten ausbrachen. In dem Burtscheider Pastor Lyssow lernen wir einen Schüler A. H. Franckes kennen. Er war ein Däne und schildert in einem Brief von 1724 eingehend seine Verhandlungen mit der dänischen Königsfamilie, vor der er in Burtscheid zu predigen hatte.

Die von Wotschke ( 1857) veröffentlichten Briefe des Solinger Pastors Forstmann aus den Jahren 1736 bis 1744 werfen neues Licht auf den Lutheraner Forstmann u. a. Freunde Herrnhuts am Niederrhein.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)