3. Quellen u. Darstellungen.

Ein monumentales Werk zur Vor- und Frühgeschichte Straßburgs und damit des Elsaß, das Ergebnis einer unermüdlichen Lebensarbeit, hat uns Robert Forrer, der Konservator des Straßburger Museums, beschert ( 605). Die Prähistorie wird mit einem verhältnismäßig kurzen, in französischer Sprache geschriebenen Überblick abgetan, der deutsche Hauptteil des zweibändigen Werkes mit dem Untertitel »Das römische Straßburg« bildet dagegen eine wahre Enzyklopädie des alten Argentorate, von dem aus genauester Kenntnis und kritischer Verwertung aller, auch der kleinsten und unbedeutendsten Fundstücke ein so umfassendes und lebendiges Bild entworfen wird, wie es uns von anderen Römerstädten des Rheingebietes kaum zur Verfügung steht. Das ungemein reiche, aus vielen Hunderten von Nummern bestehende und zumeist auf Zeichnungen des Verfassers beruhende Abbildungsmaterial bedeutet schon allein eine respektable Leistung; daß die Reproduktionstechnik nicht ganz auf der Höhe unserer Anforderungen steht, wird man wohl aus finanziellen Rücksichten zu erklären haben. Forrers Arbeit kommt nicht unerwartet, denn der Verfasser beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit diesem Gegenstand und hat einzelnes darüber schon früher -- zumeist im Anzeiger für elsässische Altertumskunde -- veröffentlicht. Diese Arbeiten konnten teils wörtlich, teils wesentlich umgestaltet und erweitert in die Gesamtdarstellung übernommen werden, aber das meiste ist völlig neu. Ich nenne von den bisher unedierten Kapiteln besonders das über die antiken Wandmalereien, deren Reste »bis auf weiteres sowohl quantitativ wie qualitativ für Germanien wie für Gallien an erster Stelle« stehen, das umfassende Münzverzeichnis und die Abhandlung über die Götterbilder und Heiligtümer. Die kritische Beurteilung der zahllosen von Forrer behandelten Einzelfragen muß dem Archäologen überlassen bleiben. Von dem mancherlei Neuen, das uns der Verfasser bietet, sei hier nur seine Auffassung von dem bekannten Münster-Kruzmann als einer gallo-römischen Dispaterstatue als Beispiel herausgegriffen (S. 708 ff.) und die Ausdeutung eines in der Münstergasse gefundenen Ziegelstempels mit Labarum (S. 741 ff.), dessen Datierung zur Mitte des 4. Jhds. das frühe Vorhandensein einer bischöflichen Ziegelei und christlicher Kirchenbauten wenigstens mit einiger Sicherheit annehmen läßt und eine wichtige Ergänzung zu den schriftlichen Nachrichten über den ältesten Straßburger Bischof Amandus (um


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346) bildet. Ihren Abschluß findet Forrers Arbeit mit zwei Kapiteln über das merowingisch-germanische Straßburg (worin auch zur Frage des ältesten Münsterbaues und Bischofssitzes beachtenswerte Bemerkungen enthalten sind) und über die Entwicklung des Straßburger Stadtnamens. Die sprachlichen Ausführungen des letzteren Abschnitts dürften nicht in allem stichhaltig sein (die Ortsnamen Ober- und Niederrad z. B. hängen kaum mit dem keltischen rath zusammen, sondern mit den Rodungen im Dreieichforst und die Ableitung des Namens Strateburgo aus Rateburg mit Vorsetzung des S ist geeignet, starke Bedenken zu erwecken). Es ist zu erwarten und zu hoffen, daß künftige Funde uns später in manchem klarer sehen lassen werden, als dies jetzt der Fall ist, aber auf lange hinaus bildet Forrers Buch über das römische Straßburg das breite und sichere Fundament, auf dem alle weitere Forschung aufbauen muß. -- Zur ma. Geschichte des Elsaß ist zunächst die Arbeit Bécourts ( 324) zu nennen, der seine bereits früher begonnenen Untersuchungen zur Geschichte der Abtei und des Geschlechts Andlau im 14. Jhd. zum Abschluß bringt. Der Verfasser hat für seine eindringliche und umsichtige Darstellung ein reiches Material geschickt verwertet; es ist aber zu bedauern, daß er darauf verzichtet hat, eine noch vollständigere Erfassung aller Quellen anzustreben und wichtigere Stücke abzudrucken; die einzige in extenso wiedergegebene Urkunde über die im Jahre 1308 erfolgte Gründung des Andlauer Spitals ist leider nur in einer sehr verderbten Abschrift erhalten und wird überdies vom Verfasser mißverstanden, denn vom Magistrat von Andlau ist keine Rede (B. scheint den Ausdruck »mit unserem gemeinen rat« mißverstanden zu haben), die Gründung durchaus nicht das Werk der Bürgerschaft, sondern der Herren von Andlau, auf deren »Geheiß« die vier Bruderschaften vorgehen. Die Geschichte der Abtei in dem genannten Zeitraum ist unerfreulich genug und zeigt das Bild einer völligen Verwahrlosung des kirchlichen Lebens und unaufhaltsamen wirtschaftlichen Niedergangs, der z. B. im Jahr 1344 zu einer überstürzten Veräußerung des gesamten breisgauischen Klosterbesitzes nötigte. Im gleichen Jahre sicherten die Herren von Andlau ihre Stellung durch einen neuen groß angelegten Burgenbau, ein Sinnbild ihres unverkennbaren, durch das ganze Jahrhundert planmäßig fortschreitenden Emporstrebens aus der Abhängigkeit des Ministerialitätsverhältnisses.

Bereits an die Schwelle der Neuzeit führt uns die zweibändige Publikation von Rosenkranz ( 760), der zum erstenmal den Vorläufern des großen Bauernkrieges eine systematische Aktenausgabe und Darstellung widmet. Daß die letztere, was die Erfassung der größeren geschichtlichen Zusammenhänge betrifft, sich nicht ganz auf der wünschenswerten Höhe hält, hat inzwischen bereits Stolze (ZGORh. NF. 42,267) meines Erachtens mit Recht betont; in der eingehenden -- hie und da fast zu eingehenden -- Schilderung der Einzelvorgänge verdient sie uneingeschränkte Anerkennung. Sie vermittelt vor allem auf streng aktenmäßiger Grundlage einen klaren Einblick in die Entwicklung, die der Bundschuh-Gedanke in dem Zeitraum von 1493--1517 genommen hat. Der Bundschuh wie ihn Rosenkranz charakterisiert als radikale Auflehnung gegen alle Obrigkeit hat sich stufenweise zum absoluten Radikalismus herangebildet. Die erste von Rosenkranz behandelte Bewegung, die im Jahre 1493 in der Schlettstadter Gegend unter Führung des Altbürgermeisters Hans Ulman losbrechen wollte, bildet gewissermaßen das Vorspiel, sie ist noch ganz auf


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lokale Interessen, besonders die Mißstände des Zins- und Gerichtswesens, gerichtet und sucht sich in den gesetzlichen Grenzen zu halten; gewaltsame Auflehnung gegen die Obrigkeit wird nur als ultima ratio ins Auge gefaßt. In verschiedenen rein rechtsrheinischen Bewegungen, die im nächsten Paragraphen zu erwähnen sein werden, wuchsen sich dann die revolutionären Ideen zu jenem krassen, rein auf Zerstörung gerichteten Radikalismus aus, der die große Verschwörung des Jahres 1517 kennzeichnet. Sie bildet auch nach ihrer äußeren Ausdehnung den Höhepunkt der Bundschuhbewegung, die hier fast ganz vom Lokalen losgelöst allgemeinen und deshalb uferlosen Umsturzplänen entgegentreibt. Sie war auf beiden Rheinufern ungefähr gleichmäßig verbreitet und hatte im ganzen Elsaß, von Schlettstadt bis Weißenburg, Wurzel geschlagen; selbst in unseren doch immer lückenhaften Akten werden nicht weniger als 54 elsässische Ortschaften genannt, in denen Anhänger des Bundschuhes ansässig waren. -- Die für die Kenntnis der elsässischen Revolutionsgeschichte aufschlußreiche Publikation von R. Reuß wird in der Revue d'Alsace fortgesetzt ( 929). Der diesjährige Abschnitt bietet Bruchstücke aus der Korrespondenz des Straßburger Maire Dietrich vom April 1790. --Möckelt ( 1538) sucht aus den Cahiers de doléance, welche die lothringischen Stände 1789 aufstellten, ein Bild der beim Ausbruch der Revolution herrschenden Zustände zu entwerfen. Da ihm die französischen Archive nicht zugänglich waren, mußte der Verfasser seine Quellenstudien leider auf den Teil der cahiers beschränken, der gedruckt vorliegt, aber die wichtigsten Grundlinien sind doch auch hieraus schon mit genügender Deutlichkeit zu erkennen. Bei der Beurteilung der cahiers als Quellen teilt Möckelt den ablehnenden Standpunkt Wahls nicht, aber er macht doch auch von der gegenteiligen Meinung französischer Forscher wichtige Abstriche. Beeinflussungen von mancherlei Art machen es notwendig, den objektiven Quellenwert von Fall zu Fall zu untersuchen. Wie vorsichtig man selbst bei ganz konkreten Angaben der Steuersummen sein muß, zeigt ein Beispiel aus dem cahier des Bezirks Vic (S. 61 f.). Entsprechend dem Charakter der cahiers berühren Möckelts Untersuchungen vorwiegend soziale und wirtschaftliche Verhältnisse; Justiz und Verwaltung treten zurück, doch ist gerade auf diesem Gebiet bezeichnend, daß der Wunsch nach provinzieller Selbstverwaltung, nach Berücksichtigung der alten lothringischen Privilegien allgemein verbreitet war. Auf wirtschaftlichem Gebiet spielte die Frage des reculement des barrières, der Verlegung der Zollschranken an die Ostgrenze Frankreichs, eine große Rolle. Die geplante (und später wirklich durchgeführte) Neuerung fand ihre Hauptgegner in den Kaufmannskreisen der Städte, die mit Recht von dieser Maßnahme eine schwere Schädigung des Handels erwarteten (vgl. unten unter 4. die Bemerkungen zu der Schrift von Ponteil). Im allgemeinen gewinnt Möckelt aus den Cahiers den Eindruck, daß sich die Lothringer damals noch durchaus als Bewohner einer »province d'étranger effectif« fühlten, doch scheint es mir keine undankbare Aufgabe, gerade unter diesem Gesichtspunkt die lothringischen Cahiers noch einmal mit denen der übrigen französischen Provinzen systematisch zu vergleichen. -- R. Schnerb, der schon früher die Anfänge der Revolution in Zabern untersucht hat (vgl. Jb. 2, S. 612), schildert in einer weiteren Abhandlung ( 930) den Übergang dieser Stadt vom ancien régime zu den neuen konstitutionellen Zuständen. Der Charakter der bischöflichen Residenz als eines »foier d'aristocratie« erwies sich darin, daß die Kommissare

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der Straßburger Patrioten auf den heftigen Widerstand des Stadtmagistrats stießen, der auch durch Gründung eines konstitutionellen Klubs nicht lahmgelegt werden konnte. Starres Festhalten an den durch eine lange Tradition geheiligten alten Zuständen ist für die Zaberner Verhältnisse -- gerade im Gegensatz zu Straßburg -- bezeichnend.


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