5. Kirchengeschichte.

Zur älteren Kirchengeschichte Lothringens erwähnen wir den Aufsatz Wolframs ( 1645), in dem zunächst an Hand archäologisch erwiesener Tatsachen die Berichte der erzählenden Geschichtsquellen nachgeprüft


S.569

und größtenteils bestätigt werden. Bringt dieser Teil der Arbeit im wesentlichen nur die Sicherstellung bereits bekannter Ergebnisse, so ist dagegen die Art und Weise, wie weiterhin die Bildung der kirchlichen Archidiakonate mit siedlungsgeschichtlichen Verhältnissen in Verbindung gebracht wird, durchaus neu und in ihren Ergebnissen überraschend. Die exzentrische Lage der Hauptorte und die auffällige Abgrenzung der Archidiakonate, das völlige Fehlen der ingen-Orte im Bezirk Vic und ihr Überwiegen im Bezirk Marsal führen zu dem durch eine Karte verdeutlichten Ergebnis, daß die beiden genannten Städte die Mittelpunkte zweier selbständig nebeneinanderstehender fränkischer und alemannischer Missionsgebiete gebildet haben. -- Die Beiträge zur Kirchengeschichte des Elsaß sind wieder größtenteils im Archiv für elsässische Kirchengeschichte vereinigt, dessen zweiter Band an Reichhaltigkeit hinter seinem Vorgänger nicht zurücksteht. L. Pfleger gibt hier einen auf ausgiebigem Quellenstudium beruhenden Überblick über die Entwicklung der Marienfeste im Elsaß von der ältesten Zeit bis ins 19. Jhd. ( 1734). Über die lokalgeschichtliche Bedeutsamkeit dieser Ausführungen hinaus verdient besonders der Abschnitt über die immaculata conceptio auch allgemeineres Interesse, da das Elsaß vom Thomaskanoniker Gottfried von Hagenau bis zu Bischof Raeß in der Entwicklungsgeschichte dieses Festes und Dogmas eine besondere Rolle gespielt hat. -- Noch umfangreicher ist die Abhandlung Barths über Legende und Verehrung der hl. Attala ( 1731). Ihre nach der Münsterschen Handschrift 348 abgedruckte Vita fußt in ihrem genealogischen Teil auf der Odilienlegende und wird durch breit ausgesponnene Wundergeschichten als rhetorische Erbauungsschrift charakterisiert, die gleichwohl einige unzweifelhaft geschichtliche Tatsachen enthält. Daß Attala eine geschichtliche Persönlichkeit war und daß ihr Vater, Herzog Adalbert, den Grund zu St. Stephan legte, kann nach Barths Ausführungen als feststehend gelten. -- N. Paulus behandelt in seinem Beitrag ( 1675) den im Jahre 1377 verstorbenen Straßburger Karthäuser Ludolf von Sachsen, dessen Hauptwerk, die Vita Christi, im Spätmittelalter als Andachtsbuch weit verbreitet war und durch seine Einwirkung auf Ignatius von Loyola und Franz von Sales die Entwicklung der neuzeitlichen Frömmigkeit nicht unwesentlich beeinflußt hat. -- Zur Ordensgeschichte nennen wir den Bericht von P. Archangelus (Sieffert [1794]) über die Niederlassung der Kapuziner in Straßburg. Der nach der französischen Okkupation begründete Konvent gehörte zur Schweizer Ordensprovinz. Infolge ihrer Kenntnis der deutschen Sprache übten die Schweizer Brüder in Straßburg eine umfassendere Seelsorgetätigkeit aus, als sonst bei den Angehörigen dieses Ordens üblich war. -- Auf den Überblick über die Straßburger Bruderschaften und Sodalitäten von Gaß ( 1793), die Biographie des im Elsaß geborenen, als Geschichtschreiber von Loreto verdienten Jos. Anton Vogel und Thieles Beitrag zur neuesten Kirchengeschichte, der die Konkordatsfrage nach 1871 behandelt, kann nur kurz hingewiesen werden. -- Auf einem ihm seit der Herausgabe des Straßburger Urkundenbuches und der Abfassung seines Buches über Adel und Kirche wohlvertrauten Boden bewegt sich A. Schulte ( 1707), wenn er im elsaß-lothr. Jahrbuch den Personalbestand des Straßburger Domkapitels vom 12.--14 Jhd. einer genauen Prüfung unterzieht. Erneut wird hier auf Grund quellenmäßig gesicherter Tabellen der hochadelige und deutschsprachige Charakter des Kapitels erwiesen, das sich nur zum geringsten Teil aus der

S.570

eignen Diözese rekrutierte und im übrigen so gut wie ausschließlich seinen Nachwuchs aus dem Hochadel des rechtsrheinischen Gebietes bis hinüber nach Oberfranken und Ostschweiz ergänzte. --Kieffer ( 1790) gibt in Tabellenform ein Verzeichnis aller katholischen Geistlichen des Elsaß im 19. Jhd. nach den Rubriken Clergé paroissial, non paroissial und religieux. Die Anordnung ist topographisch. Da eine alphabetische Übersicht der Personennamen fehlt, ist das Buch als Nachschlagewerk für biographische Zwecke kaum brauchbar; wer den Wirkungsort einer Persönlichkeit nicht schon kennt, hat das Vergnügen, die ganzen Tabellen durchsehen zu müssen, ein Mangel, der bei einer zweiten Auflage durch Anhängung eines Personenregisters unbedingt behoben werden müßte. --Brock ( 1882) weist auf die mustergültige »Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg« von Joh. Adam hin, die bereits 1922 erschienen ist, ohne in Deutschland die gebührende Beachtung zu finden. Man sucht selbst im elsaß-lothringischen Jahrbuch vergebens eine ausführliche Würdigung, obwohl gerade an dieser Stelle eine solche sehr am Platz gewesen wäre, denn wie Brock betont, »spricht Adams Buch auf jeder Seite von der Deutschheit der elsässischen Vergangenheit«, ohne daß dem Verfasser, dessen wissenschaftlicher Ernst über jeden Zweifel erhaben ist, irgendeine tendenziöse Absicht unterzustellen wäre. Eine kritische Besprechung dieser Straßburger Kirchengeschichte, auf die in den Jahresberichten später bei Anzeige des Fortsetzungsbandes zurückzukommen sein wird, gibt leider auch Brock nicht; er beschränkt sich auf einige Bemerkungen zur Geschichte des Sektenwesens, aus denen erneut hervorgeht, daß das Elsaß, und besonders Straßburg, zu allen Zeiten, von der Mystik des 14. bis zur Inspirationsbewegung des 19. Jhds. für sektenmäßige und stets mit der deutschen Geistesart eng verbundene Ausgestaltung des religiösen Lebens einen besonders günstigen Nährboden abgegeben hat.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)