6. Kirchengeschichte.

Die eindringlichen Erörterungen, die Schottenloher dem Thema »Ottheinrich und das Buch« widmet ( 67), zeigen uns diesen Fürsten nicht nur als Bücherliebhaber, sondern wollen vor allem, wie der Untertitel angibt, einen »Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik« liefern und gewinnen dadurch für die Reformationsgeschichte einen nicht weniger reichen Ertrag als für Bibliothekskunde und pfälzische Lokalhistorie. Ottheinrich hat die Publizistik bewußt in den Dienst seiner kirchenpolitischen Ziele gestellt. Schottenloher gibt von diesen Bestrebungen ein erschöpfendes Bild, indem er die Beziehungen des Pfalzgrafen zum Schrifttum seiner Zeit auf Grund eines reichen, weit zerstreuten Quellenmaterials in allen Einzelheiten bloßlegt. Das von ihm veröffentlichte Verzeichnis der fürstlichen Kammerbibliothek und die im Anhang gegebene Übersicht über das Reformationsschrifttum in der


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Palatina legen von dem lebhaften Interesse, das Ottheinrich auch beim Büchersammeln der Behauptung und Entwicklung der neuen Lehre entgegenbrachte, das beredteste Zeugnis ab; dadurch, daß seine Nachfolger in seinem Sinne weiterbauten, wurde die Palatina, besonders nach dem Erwerb der kostbaren Fuggerschen Sammlung im Jahre 1584, zum Hauptarsenal des evangelischen Glaubens. In besonderen Kapiteln werden die Beziehungen Ottheinrichs zu einzelnen protestantischen Schriftstellern, bes. Matthias Flacius und Sleidan, aus den Quellen erschlossen und die Leistungen der zu Neuburg und Heidelberg eingerichteten Druckereien gewürdigt. Aus den zahlreichen Textbeilagen ist Nr. 13, des Matthias Flacius »Consultatio de conscribenda accurata historia ecclesiae«, besonders hervorzuheben.

Die Literatur zur katholischen Kirchengeschichte Badens stand im Berichtjahr unter dem Zeichen der Hundertjahrfeier des Erzbistums Freiburg, das im Jahre 1827 mit der Inthronisation des Erzbischofs Bernhard Boll ins Leben getreten ist. Dem Interesse weiterer Kreise an diesem kirchlichen Jubiläum dient ein hübsch ausgestattetes, mit reichem Bildschmuck versehenes kirchliches Heimatbuch, das Weihbischof Burger mit Unterstützung durch mehrere Mitarbeiter herausgegeben hat ( 1784). Man wird von einer solchen Jubiläumsschrift keine wissenschaftlichen Leistungen verlangen, sie kann nur den Zweck verfolgen, einen kurz orientierenden Überblick zu geben, und dem ist mit dem vorliegenden Buch in vorbildlicher Weise Genüge getan. Der geschichtliche Abschnitt von H. Lauer gibt einen kurzen Abriß der Geschichte des Erzbistums, nebst der Vorgeschichte der 6 Diözesen, aus deren Teilen es zusammengeschweißt wurde; von demselben Verfasser stammt eine Rundschau über die kirchlichen Kunstdenkmäler. Mehr Raum nimmt der von verschiedenen Verfassern bearbeitete Abschnitt über das Leben der Erzdiözese ein, der in Kürze alles Wissenswerte über Organisation und Verwaltung, Orden und Kongregationen, Vereine, Presse usw. vereinigt. -- Auch in der wissenschaftlichen Literatur hat das Diözesanjubiläum einen reichen Niederschlag gefunden. Der kirchengeschichtliche Verein plant, nicht weniger als 3 Jahrgänge des Freiburger Liözesanarchivs mit sachlich zusammenhängenden Beiträgen zur Gründungsgeschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz auszufüllen. Der erste starke Band, der im Berichtsjahr erschienen ist, bringt außer dem über die oberrheinische Sondergeschichte hinausgreifenden und deshalb an anderer Stelle zu würdigenden Beitrag von Veit ( 1750) zunächst eine breit angelegte Studie Göllers über die Vorgeschichte der Bulle Provida sollersque, durch die im Jahre 1821 die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse geregelt wurde ( 1786). Der erste bis jetzt allein vorliegende Teil der Arbeit führt die Darstellung bis zum Wiener Kongreß, der bekanntlich trotz den Bemühungen Consalvis in der kirchlichen Sache keine Regelung herbeiführte, sondern diese den Konkordatsverhandlungen der Einzelstaaten mit dem Hl. Stuhl überließ. Behandelt werden also zunächst die badischen Konkordatspläne aus der Zeit vor dem Kongreß, die seit dem Untergang des alten Reiches betrieben wurden und auch 1807 nicht zur Ruhe kamen, als Napoleon ein gemeinsames Konkordat aller Rheinbundstaaten ins Auge faßte. Die verschiedenen Projekte (Brauer, Oehl, Gärtler, Rothensee, Brunner, Häberlin), die bei allen Abweichungen im einzelnen doch durch starke Betonung der Staatsrechte im Sinne der josefinischen Aufklärung eine gewisse gemeinsame Note erhalten, werden von Göller eingehend analysiert.


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Die für das nächste Jahr zu erwartende Fortsetzung der Arbeit verspricht durch Benutzung noch unbekannten römischen und badischen Quellenmaterials über die schon öfter dargestellten abschließenden Verhandlungen noch manches Neue zu bringen. -- Auch Gröbers Wessenbergbiographie ( 1782) sprengt den Rahmen eines Zeitschriftenaufsatzes so stark, daß man sie lieber als abgeschlossene Buchpublikation gesehen hätte. Bis jetzt liegt ein erster Teil vor, der Wessenbergs Reformen im Bistum Konstanz und die nationalkirchlichen Bestrebungen bis zu den Frankfurter Konferenzen des Jahres 1816 behandelt. Die einzige größere Wessenberg-Biographie, die wir bisher besaßen (von Jos. Beck, 1852), war von dem liberalen Parteigeist dieses späteren Renegaten und Konvertiten diktiert, ein kritikloses Enkomion, das nur als Materialsammlung noch unentbehrlich ist. Demgegenüber bedeutet Gröbers Arbeit einen wesentlichen Fortschritt in der Gesamtauffassung. Gelegentlich spannt wohl der Verf. den kritischen Bogen etwas allzu straff und ist zu sehr geneigt, in dem Generalvikar nur den Mann zu sehen, der die Axt an den Stamm des katholischen Glaubens legt, wie er auf einem zeitgenössischen Flugblatt dargestellt war (S. 454). So rein destruktiv erscheint Wessenberg aber doch nur von römischem Gesichtswinkel aus; der Historiker muß wünschen, auch das Positive, das in seinen Bestrebungen lag, etwas stärker betont zu sehen. Und noch ein anderer Wunsch bleibt offen. Gröber charakterisiert Wessenberg mit Recht als »Erbe und Kind seiner Zeit«, als »letzten Vollstrecker des Josefinismus ohne nennenswerte eigene Ideen«, aber eben daraus erwächst dem Biographen die Aufgabe, eine breitere zeitgeschichtliche Grundlage zu legen, aus der erst das volle Verständnis erwachsen kann. Im Rahmen eines noch so umfangreichen Zeitschriftenaufsatzes war das freilich nicht zu verwirklichen. So bleibt die endgültige Wessenberg-Biographie noch zu schreiben. -- Auch die weniger umfangreiche Arbeit über den Freiburger Generalvikar (und späteren Erzbischof) Hermann von Vicari ( 1787) darf als wesentlicher Fortschritt gegenüber früheren Darstellungen gebucht werden. Daß Vicari dem Wessenbergianismus seiner Konstanzer Jahre in Freiburg nicht mehr huldigte, wird durch die Stellung, die er in den kirchenpolitischen Kämpfen der dreißiger Jahre einnahm, mit hinreichender Deutlichkeit erwiesen. An Zeugnissen, die diesen Gesinnungswandel klarer beleuchten, scheint es allerdings zu fehlen. -- Ein »Lebensbild aus der Gründungsgeschichte der Erzdiözese Freiburg« bietet Rögele mit seinem Buch über Fr. Jos. Herr ( 1785). Herr war ein natürlicher Sohn des Markgrafen Karl Friedrich. Diese Tatsache, die Rögele mehrmals mit orakelhafter Unbestimmtheit andeutet und erst auf der letzten Seite dem Leser deutlich zur Kenntnis bringt, hätte von vornherein klarer ausgesprochen werden sollen, denn sie allein erklärt die bedeutsame Rolle, die Herr in der badischen Kirchenpolitik gespielt hat. Der Priester und treue Sohn der katholischen Kirche, der zugleich Vertrauter des evangelischen Herrscherhauses und beredter, kenntnisreicher Informator der römischen Kurie ist, bildet in diesen Jahrzehnten unaufhörlicher Spannung zwischen staatlicher und kirchlicher Gewalt eine durchaus eigenartige, mit keinem Zeitgenossen zu vergleichende Erscheinung. Von seinen eigenen Briefen ist nicht allzuviel erhalten; was aber Rögele sonst noch an Geschriebenem und Gedrucktem mit fleißiger Hand zusammengetragen hat, genügt doch, um von dem Wirken dieses Mannes, seiner ununterbrochenen, wenn auch nicht zu dem gewünschten Ziele führenden Anteilnahme an den kirchlichen Verhältnissen

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der neuen Erzdiözese im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens und ihren Beziehungen zum Staat, und von seiner erfolgreichen Tätigkeit auf den Landtagen der dreißiger Jahre ein abgerundetes Bild zu entwerfen. -- Die Schicksale eines gemaßregelten Priesters in den Tagen des badischen Kulturkampfes 1874--1876 schildert aus eigener Erfahrung Oechsler ( 1788) mit liebevoller Kleinmalerei. Ohne die Zeitprobleme kritisch zu erörtern, nimmt er natürlich zu ihnen eine fest umrissene Stellung ein, aber die Erinnerung an jene bitteren Erlebnisse hat seine Feder nicht vergiftet. Die schlichte, sachliche Darstellung erhebt dieses Erinnerungsbüchlein zu einer Geschichtsquelle, welche die Wirkung des Zeitgeschehens auf den einzelnen treu widerspiegelt.


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