C. Bayerische Geschichte vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.

Friedrich Bock ( 276) weist Forschungen des Freiherrn von Hormayr über das Kloster Stams im Inntal aus der Zeit Ludwigs des Bayern nach. Hormayrs Verhältnis zu Stams, wo er selbst in jungen Jahren geweilt und sogar sich mit der Absicht getragen hatte, Conventuale zu werden, ist nebenbei berührt. Den modernen Historiker werden jedoch die Notizen hierüber, welche sich erweitern ließen, vielleicht noch mehr interessieren als der tiefgründige Fälschungsnachweis, der ein Musterbeispiel für Jünger diplomatischer Studien ist. -- Wer über die Entwicklung Bayerns in kultureller und innerpolitischer Beziehung im letzten Viertel des 18. Jhd. sich unterrichten will, wird heute in erster Linie zu L. Maenners ( 891) Buch greifen. Die Freilegung der Einflüsse Frankreichs auf die innerbayerische Entwicklung, die Milieuschilderung dieses im Gärungsprozeß befindlichen Bayern, die vom Herkömmlichen wiederholt abweichende und m. E. richtige Auffassung der Kulturpolitik Karl Theodors, die Urteile und Richtigstellungen über Wesen und Ziele der Illuminaten bilden den wertvollsten, hie und da in grellen Farben gezeichneten, meist jedoch auf feiner Einfühlung beruhenden Inhalt. Es mag auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen, daß Maenner erst im Schlußkapitel den »Unterschied in der gesellschaftlichen Schichtung Frankreichs und Bayerns« bringt, nachdem das erste Kapitel lautet: »Die gesellschaftliche Schichtung Bayerns vor der Französischen Revolution«. Wäre das Kapitel das allein, was es angibt, so wurde sich die Verbindung mit dem ersten von selbst ergeben haben. In Wirklichkeit aber zieht es das Fazit aus den vorhergehenden Betrachtungen in engerem Vergleich mit Frankreich.

Spindlers ( 966) biographische Skizze über den Erzieher Ludwigs I., Josef Anton Sambuga, deren wichtigste, ausgiebig verwertete Quelle das Tagebuch Sambugas ist, gewährt in den Werdegang Ludwigs I., in seine Weltanschauung und Staatsauffassung glückliche Einblicke. Die Liebe zu Italien und zur Kunst, die Sambuga aus seiner italienischen Heimat mitgebracht, bewegen auch den fürstlichen Schüler. Feine Bildung und tolerant-aufgeklärte Gesinnung sind Kennzeichen des gereiften Sambuga; sie wurden auch bei Ludwig I. Fundament seiner Lebensgestaltung. Wenn wir lesen von Sambugas bei aller Gläubigkeit


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doch rationalistischen Grundeinstellung zur Religion, von seinem Kampf gegen den Aberglauben, von »gereinigten Religionsbegriffen« und von »vernünftig frommen Christen«, so finden wir Charakteristica der Religionsauffassung Ludwigs hier verankert. Sambuga war ein geborener Erzieher. Den absolutistischen Neigungen Ludwigs kam seine Auffassung von den Vorteilen des absoluten Herrschertums für den Staat, seine Ablehnung der Vertragstheorie, seine scharfe Betonung des Gottesgnadentums entgegen. Der Erzieher zügelte das Machtbewußtsein aber tatkräftig durch stärkste Betonung der Verpflichtung des Herrschers zu unbedingter Gerechtigkeit und zu höchstem Pflichtbewußtsein gegen den Staat und das beherrschte Volk. Das Tagebuch und damit auch der interessanteste Teil der Ausführungen Spindlers schließt mit dem 13. September 1799. -- Eine Art Fortsetzung von Spindlers Schrift, von diesem in den Vorarbeiten auch teilweise unterstützt, ist die mit reichen Quellenabdrucken durchsetzte eingehende Studie von Thiersch ( 2076). Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Kurprinzen Ludwig während seiner Göttinger Studienzeit in den Jahren 1803 und 1804, die reich an lebenswichtigen Eindrücken für den fleißigen und geistig regsamen bayerischen Thronfolger waren. Das 2. Kapitel zeigt die späteren Beziehungen Ludwigs zu Göttingen auf. Es darf besonders hervorgehoben werden, daß das Göttinger Muster, wie M. Doeberl in seiner Festrede anläßlich der Jahrhundertfeier der Münchner Universität nachgewiesen hat, von entscheidendem Einfluß für die Neugestaltung der von Landshut nach München verlegten größten bayerischen Universität wurde. Noch in späten Königstagen bezeichnet L. sich mit Stolz als einen alten Göttinger Studenten. Das 3. Kapitel endlich ist dem Kronprinzen Max, dem späteren König Maximilian II., gewidmet, der am 28. Oktober 1829, dem Wunsch des Vaters entsprechend, im Göttinger »Prinzenhaus« Quartier nahm und zwei Semester an der Georgia Augusta Eindrücke schöpfte, welche für die spätere Wirksamkeit des Königs reiche Früchte trugen. Diese aufzuzeigen konnte nicht mehr Th.s Aufgabe sein. Das 3., 52 Seiten starke Kapitel hätte einen allgemeineren Titel der Arbeit gerechtfertigt. A. Fischer ( 1372) begründet die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens im Rahmen des Reformprogramms Montgelas'. Ihre Nachteile waren größer als die Vorteile. Derselbe Zentralismus, der Vernichtungstrieb gegen überkommene individualistische staats- und privatrechtliche Formen, der die übrigen Reformen Montgelas' kennzeichnet, ist auch das Charakteristikum des überstürzten Neuorganisierens auf dem Gebiete des Stiftungswesens. Wie in anderen Dingen, so erfolgte auch hier der Abbau, die Auflösung (seit dem organischen Edikt vom 16. Oktober 1810). Fischers Arbeit ist gründlich und in der Einteilung übersichtlich, freilich auch breit und mit vielen Details ausgestattet.

Die Arbeit Imhofs über die Geschichte des bayerischen Gemeinderechts seit 1818 ( 1373) ist durch den Gang der Gesetzgebung klar disponiert: nach verschiedenen Vorarbeiten erschien als erstes bedeutsames, für fast 50 Jahre Richtung gebendes Gesetz das neun Tage vor der Verkündung der bayerischen Verfassungsurkunde erschienene Gemeindeedikt vom 17. Mai 1818, welches die bestehenden Grundlagen des Gemeindewesens übernahm. Die Einteilung der Gemeinden erfolgte nach dem organischen Edikt vom 28. Juli 1808. Während aber dieses Edikt die Selbstverwaltungstätigkeit der Gemeinden so gut wie ausgeschaltet hatte -- ganz nach französischem Muster --, wurde ihnen 1818


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eine größere Bewegungsfreiheit gewährt. Über die Einzelreformen der Jahre 1834 und 1848 führt Imhof zu der seit 1850 wiederholt versuchten neuen Gemeindeordnung vom Jahre 1869. Die staatliche Aufsicht wurde durch sie zurückgedrängt, von Kuratel ist überhaupt keine Rede mehr. Die Revolution des Jahres 1918 führte in dieser Richtung noch weiter, brachte auch den Gemeinden das »Einkammersystem«. Leider konnte das jetzt bestehende Gemeinderecht nicht mehr aufgenommen werden, da die Arbeit zeitlich früher abgeschlossen wurde. Wertvoll ist Imhofs Schrift nicht durch neue Ergebnisse, sondern durch die Zusammenstellung bekannter, aber sonst nur umständlich erreichbarer Materien. Hie und da möchte man etwas mehr persönliches Urteil und vor allem einen Vergleich mit anderen deutschen Gemeinderechten wünschen, welche zeigen würden, daß Bayern auf diesem Gebiet Mustergültiges für die jeweilige Zeit geleistet hat. -- Nach einigen Bemerkungen über Dinge aus den ersten Regierungsjahren Ludwigs I., welche teils bekannt sind, teils in dem Buch: E. Franz, »Bayerische Verfassungskämpfe. (1818--1848)« wesentlich ausführlicher behandelt sind, gibt Wilhelmine Gölz ( 967) eine eingehende Schilderung der Vorgänge unmittelbar vor dem Landtag 1831 in den einzelnen bayerischen Kreisen. Sehr gründlich werden die Personalien der dem König unerwünschten Abgeordneten behandelt, ebenso die Parteiverhältnisse des Landtages mit den einzelnen Hauptvertretern. Der Verlauf des bewegten Landtages ist an Hand der Sitzungsprotokolle breit geschildert. In Anbetracht der Bedeutung gerade dieses Landtages als Wendepunkt läßt sich dies rechtfertigen. Auf die Dauer wirkt eine solche Detailschilderung freilich ermüdend. Sie hat nur dann einen ernstlichen wissenschaftlichen Zweck, wenn man die bei den einzelnen Gesetzen behandelten Materien in weitgespannten Bögen für größere Zeitabschnitte zusammenfaßt, um damit zu zeigen, an welchem Punkt die Entwicklung gerade mit diesem oder jenem Gesetzentwurf angelangt ist. Dem konnte die Verfasserin nicht gerecht werden. Wertvoll dagegen ist das Schlußkapitel, welches die leitenden Ideen des Gegensatzes zwischen Ludwig I. und dem Landtag des Jahres 1831 mit Erfolg herauszuarbeiten sucht. Das ganze Bild würde an Blut und Leben gewinnen, wenn die Verfasserin sich nicht auf die Landtagsverhandlungen im wesentlichen beschränkt hätte, sondern auch die Meinung des Volkes zu Rate gezogen hätte, die meiner Ansicht nach erst den Effekt all der vielen Parlamentsreden zeigt. -- Die Dissertation K. v. Raumers ( 1006) sollte ein Ausschnitt aus einer größeren Arbeit über K. Brater und die nationaldeutsche Bewegung in Bayern werden (1859--69) und behandelt die Jahre 1859--62. Leider ist von einer Fortsetzung vorerst nichts zu hören! Raumer stellt diese bedeutsamste Persönlichkeit des damaligen bayerischen Liberalismus mit sicherem Blick an den richtigen Platz in der Geschichte der deutschen Einheitsbewegung. Die weltgeschichtlichen, allgemein deutschen und österreichischen Voraussetzungen für 1859 sieht der Verfasser richtig, in die bayerischen, soweit sie die Haltung des Königs und seines Ministeriums betreffen, konnte er noch nicht vordringen. Was er uns zeigen will, das ist K. Brater als »Vorkämpfer und Führer der deutschen Bewegung in Bayern«. Diesen Brater in seinem hohen Wollen einerseits und in den Beschränkungen anderseits, die seiner Wissenschaft, seiner praktischen Betätigung als Verwaltungsbeamter und seiner politischen Leistung auferlegt wurden, schildert Raumer anschaulich. Brater war Parlamentarier und Parteiführer, blieb aber auch als solcher in der Publizistik

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verwurzelt. Darin ist eine Stärke, aber auch eine Schwäche enthalten. 1859 ist Brater nicht großdeutsch, nicht kleindeutsch, sondern gesamtdeutsch eingestellt. Aber er wollte eine Zurückdämmung der österreichischen Hegemonie. Preußen sollte seine deutsche Mission erfüllen mit Hilfe einer unitarisierend wirkenden Parlamentarisierung im Bunde mit dem Liberalismus. Nach der Niederlage Österreichs tritt bei Brater an Stelle des gesamtdeutschen Gedankens das kleindeutsche Ziel. Seine »Bayerische Wochenschrift« und die »Süddeutsche Zeitung«, ihre Mitarbeiter, ihr Wollen und ihr Verdienst sind von Raumer in der Hauptlinie gut herausgearbeitet.

Man sollte annehmen, daß ein Buch, das nach vielen anderweitigen Publikationen zum gleichen Thema neu aufgelegt wird, auch diese Neuerscheinungen wenigstens einigermaßen berücksichtigt. Die Literatur über den kranken König Ludwig II. von Bayern wächst zwar an Fülle, sinkt aber proportional an Wert. Es ist förmlich Leichenschändung, die an diesem geisteskranken Herrscher von Historikern und Nichthistorikern begangen wird, von »Geschichtsschreibern«, welche aus ihm bald einen Parsival, bald einen Satyr, bald beides in kitschiger Verbindung zusammenleimen. Wenn ein Gabriele d'Annunzio einstens schrieb, daß dieser Wittelsbacher durch seinen Stolz und seine Traurigkeit ihn angezogen habe, so war das wohl Seelenverwandtschaft von Psychopathen. Jedenfalls war es noch vornehmer gedacht, als moderne Sensationsromane in geschichtlichem Mäntelchen. Bainvilles ( 1076) Buch ist insofern besser genießbar wie diese deutschen Schreiberzeugnisse als es wenigstens mit feinem Esprit geschrieben ist. Der Stand der Forschung jedoch, auf dem es auch in der neuen Auflage stehengeblieben ist, unbekümmert vor allem um die Veröffentlichungen von Gottfried Böhm, ist der der neunziger Jahre des vergangenen Jhds. B. fußt auf den alten Veröffentlichungen der Luise von Kobell, K. Th. v. Heigel usw. Maximilian I., den er einen »langweiligen Neuropathen« nennt -- man vergleiche dagegen Sybels Urteil! -- habe -- meint B.! -- die deutsche Einheitsbewegung »geahnt«. Jeder Mittelschüler weiß, daß König Max II. sie nicht nur ahnte, sondern kräftig gefühlt und in seiner Art sogar gefördert hat. Doeberls »Bayern und die Bismarcksche Reichsgründung« und die daran sich schließende Diskussion ist dem Verfasser nicht bekannt. Das Verhältnis zwischen Richard Wagner und Ludwig II. wird in vielen künstlerisch feinen Einzelzügen geschildert, Ludwig II. hiebei jedoch unterschätzt. Ohne Wagner, meint B., wäre der König »ein obskures Opfer Bismarcks« geblieben. Das ist so zugespitzt, daß es überspitzt wird. Die Veränderungen der bayrischen Armee von 1866 bis 1870 sind B. nicht bekannt. Mit solchen Truppen, wie sie B. schildert, hätten die Erfolge der Bayern im siebziger Krieg nicht erfochten werden können. Die Bedeutung, die Bayerns Eintritt in die deutsche Front 1870 hatte, weil es den französisch-österreichischen Angriffsplan vom ersten Augenblick an ungeheuer erschwerte, übersieht B. vollkommen.

Von Prinzregent Luitpold fabelt B., er habe sich Bismarck für Übernahme der Regentschaft als einen »excellent préfet de l'Empereur« empfohlen. Jm übrigen nennt er ihn einen »Usurpateur«. Er schildert ihn als einen um die Gunst des Volkes buhlenden Thronprätendenten, als einen durchtriebenen Genießer mit Patriarchenmaske. Das Ganze wimmelt von Irrtümern, schiefen Auffassungen, kindlichen oder boshaften Bemerkungen. Die einzige Entschuldigung für dieses nach dem heutigen Stand der Forschung absolut unmögliche,


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unhistorische Machwerk ist die bedauerliche Tatsache, daß solche Schriften, die mit historischer, durch Quellenstudium erhärteter Wahrheit so gut wie nichts gemein haben, auch von deutscher Seite neuestens wieder kolportiert werden. Der Geschichtschreibung ist damit ein schlechter Dienst erwiesen.

Albert Becker ( 8) bietet eine gedrängte, von warmer Liebe zu der oft umkämpften pfälzischen Heimat erfüllte Geschichte des Historischen Vereins der Pfalz, welcher in der, von der alten Pfälzer Universitätsstadt Heidelberg losgerissenen, damit des kulturellen Mittelpunktes entbehrenden Rheinpfalz Samenkörner zu geschichtlicher Forscherarbeit in den geschichtswissenschaftlich oft recht schwer zu bearbeitenden Boden gelegt hat. Dadurch, daß der Historische Verein in Verbindung mit dem »Pfälzer Museum« eigentlich das einzige größere geschichtliche Kulturpositivum in der Pfalz ist, wird die Geschichte dieses Vereins zugleich eine Geschichte der pfälzischen Geschichtsbestrebungen überhaupt. Die Aufgaben dieses Vereins, der ein aus einer Menge kleiner und kleinster selbständiger Herrschaften zusammengesetztes Gebiet umfaßt, sind wichtiger als die anderer historischer Vereine. -- Hat sich dieser große Aufsatz im wesentlichen mit den Zeitverhältnissen und den Männern, welche für die pfälzische Geschichtssreibung überhaupt wichtig wurden, befaßt, so stellt die pfälzische Bibliographie von Daniel Häberle ( 32) die ortskundliche Literatur der Rheinpfalz der jüngsten Zeit (1910--1926) in einem 5. Band übersichtlich zusammen. Am wertvollsten ist das sog. Ortsverzeichnis, in welchem bei jedem einzelnen Ort die für Ortsbeschreibung und Ortsgeschichte einschlägigen Schriften und Aufsätze vermerkt sind. -- Als Abschluß der Veröffentlichungen aus Anlaß der 100-Jahr-Feier des Historischen Vereins der Pfalz gibt sein rühriger und verdienstvoller jetziger Leiter, Albert Pfeiffer ( 8), eine Zusammenstellung über das Echo, welches die Augusttage 1927 ausgelöst haben, ferner einen gedrängten, reich illustrierten Überblick über die Geschehnisse der Festtage und die dabei gehaltenen Reden.[Franz.]


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