II. Gesamtdarstellungen.

An der Spitze der hier in Betracht kommenden Neuerscheinungen steht das wertvolle Werk der Mathilde Uhlirz ( 176), von dem wir nur hoffen, daß es das gegebene Versprechen rascher Vollendung baldigst einlöst. Die Forderung nach Zusammenfassung der österreichischen Geschichte in Form eines Handbuches, wie dies auf wissenschaftlicher Grundlage zum letzten Male vor nahezu einem halben Jahrhundert, 1882, Krones in seinem »Grundriß« tat, geht jetzt in diesem Buche der Erfüllung entgegen. Der vorliegende 1. Band umfaßt die Zeit bis zum Tode Josephs II. und betrachtet die Geschichte Österreichs im Sinne des historischen Begriffes der Habsburgermonarchie, indem auch die »Nachbarländer« Böhmen und Ungarn in die Behandlung einbezogen werden. Nach einer Anführung der Quellen und Hilfsschriften folgt eine Übersicht über die Geschichtsschreibung. Nach diesen Einleitungskapiteln setzt mit dem Abschnitt: »Die älteste Zeit bis zum Ende der Völkerwanderung« die eigentliche Darstellung ein. Diese zerfällt in zwei Hauptteile, in die »Geschichte der österreichischen Alpenländer, der böhmischen und ungarischen Ländergruppe bis zu ihrer Vereinigung im Jahre 1526« und in die »Geschichte des österreichisch-ungarischen Staates von der Vereinigung der


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3 Ländergruppen im Jahre 1526 bis zu seiner Auflösung im Jahre 1918«. Dieser Aufbau geht wohl vor allem darauf zurück, daß der Verfasserin ein Entwurf einer Geschichte Österreich-Ungarns vorgelegen hat, den ihr 1914 verstorbener Vater, der bekannte Grazer Historiker Karl U., verfaßt hatte. Die dadurch bedingte Einbeziehung der nichtdeutschen Teile der Habsburgermonarchie in die Darstellung hat unzweifelhaft Vorteile, zumal es sich die Verf. angelegen sein ließ, die betreffenden, sonst schwer zugänglichen bibliographischen Angaben bis auf den neuesten Stand heraufzuführen. Man wird überhaupt in der Pflege des bibliographischen Teiles den besonderen Wert des Buches zu erblicken haben. (B.)

Die Eigenart der österreichischen Geschichte mit besonderer Berücksichsichtigung des Gegensatzes zwischen klein- und großdeutscher Auffassung hat in geistreicher Formulierung H. Steinacker ( 174) in seinem Vortrage auf dem Deutschen Historikertage zu Graz herauszuarbeiten versucht. Nach einer Betrachtung über das Verhältnis vom Staat zum Volkstum in seinen verschiedenen geschichtlichen Erscheinungsformen stellt er fest, daß das Reich von 1870 wohl ein nationaler Staat, aber kein Nationalstaat war, der den ganzen deutschen Lebensraum umfaßt hätte. Andererseits stellt St. in den Vordergrund, wie der Habsburgerstaat, der gegenüber Preußen den kürzeren gezogen hat, weil er soviel Nichtdeutsches in sich aufnahm, in der Sicherung der deutschen Stellung in Mitteleuropa mehr geleistet hatte als Preußen und einen »viel weiteren Bereich des subgermanischen Europas mit dem Deutschen Reich verknüpft hielt«. Zugleich betont St., wie das deutsche Element in Österreich, durch den Verlust Schlesiens geschwächt, an Wucht kolonisatorischer Tätigkeit im Osten schwere Einbußen erlitten hat. (B.) -- Ein Widerschein all des Gegensätzlichen und Widerspruchsvollen, das sich im Wesen des alten Österreichs vereinte, verrät sich uns, wenn wir an der Hand eines Forschers, wie es H. v. Srbik ( 173) ist, die verschiedenen Geflügelten Worte, historischen Aussprüche und Schlagwörter, die sich mit der geschichtlichen Sendung der alten Monarchie befassen, an uns vorüberziehen lassen. Von dem AEIOU Friedrichs III. bis zu Kjelleńs vernichtendem Urteil, das in dem Habsburgerreich einen politischen Anachronismus erblickte, geht der Weg über Palackys Austroslawismus. v. S. versteht es, diese weit auseinandergehenden Meinungen in ihrer zeitgeschichtlichen Bedingtheit aufzuzeigen, sie zugleich in Beziehung zu der Eigenart des Donaustaates zu setzen. (B.) Das in Anlage und Auffassung gründlich mißlungene Werk »Österreich, Preußen und Deutschland« von R. F. Kaindl, das H. v. Srbik einer umfassenden Kritik unterzog (vgl. S. 646 voriger Jahrg. dieser »Jahresberichte«), hat die Partei welfischer Föderalisten zu einer Art Parteischrift gemacht. So nur ist es verständlich, daß sich v. Srbik ( 172) gegen den Rostocker Rechtslehrer R. Henle wider den Vorwurf »unmethodischer Geschichtsbetrachtung« verteidigen muß. Es braucht nicht erst versichert zu werden, daß die Freunde Kaindls, die für die Wiederauferstehung eines parteimäßig aufgezogenen Pragmatismus eintreten, dem Geschichtsforscher Kaindl einen schlechten Dienst erweisen. (B.) Kaindl selbst nimmt ebendort das Wort, um sich gegen die Kritik v. Srbiks zu verteidigen. Die Gründe, die er vorbringt, gewinnen dadurch nicht an Gewicht, daß er nochmals sie vorträgt. Wenn er eingesteht, daß er in seinem Buche »für die großdeutsch-mitteleuropäische Bewegung auf föderalistischer Grundlage« eingetreten sei, so wird


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ihm niemand eine solche politische Stellungnahme verwehren wollen, nur hat sie mit Geschichtswissenschaft nichts zu tun. Der Kampf auf verlorenem Posten pflegt meist am verzweifeltsten geführt zuu werden. Das erlebt man jetzt auch an Kaindls Antikritik, die an den Beweisgründen v. Srbiks vorbeiredet, neue Anwürfe wider die kleindeutsche Geschichtsschreibung vorbringt und sich genugtut, wenn sie sich auf die Zustimmung von Parteigenossen, wie sie Giese, Henle u. a. sind, stützen kann. (B.) -- Als ein Österreicher, in dem sich Heimatliebe und vaterländischer Sinn zu herzerfreuendem Wohlklange vereinen, begrüßt W. Erben ( 91) die Teilnehmer des Grazer Historikertages von 1927 mit einer ebenso warm wie kritisch geschriebenen Würdigung des Anteiles, den Österreich an deutscher Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung seit Jahrhunderten hatte und hat.

Nach einer Pause von mehr als zwanzig Jahren hat M. Vancsa den 2. Band seiner Geschichte Nieder- und Oberösterreichs ( 177) folgen lassen, der die zweieinhalb Jahrhunderte von der Zeit Albrechts I. bis zu den Anfängen Ferdinands I. umspannt. Mit großer Sorgfalt sind die politischen Ereignisse dieses Zeitraumes dargestellt; die Geschichte der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Verfassung und Verwaltung ist fallweise angeschlossen. Der territoriale Rahmen des Gegenstandes wird kaum überschritten. Innerhalb desselben sind selbst Einzelereignisse nicht übergangen, Quellen und Literatur in der Einleitung trefflich behandelt. Es liegt im Wesen solcher Landesgeschichten, daß sie, zumal wenn sich die Drucklegung -- wie hier infolge des Weltkrieges -- allzusehr in die Länge zieht, unterdessen schon überholt werden können. V. selbst hat in diesem Sinne auf die aufschlußreichen Forschungen O. H. Stowassers hingewiesen, die er nicht mehr hat verwerten können. Groß ist das Verdienst, das sich V. um die österreichische Geschichte erworben hat, groß das Feld, das weiterer Erforschung harrt. -- A. Helbok, der verdienstvolle Herausgeber der Regesten von Vorarlberg und Liechtenstein und eifrige Förderer ihrer Landesgeschichte, zugleich der Vertreter eines neuen, breiteren Aufbaues deutscher Landesgeschichte, hat nunmehr, jenes Forschungsfeld mit dem Geist dieser Forderung erfüllend, den Versuch gemacht, die Geschichte Vorarlbergs ( 180) nach derartigen Gesichtspunkten in einem Zuge darzustellen. Politische Geschichte, Kultur- und Rechtsgeschichte sind darin weit inniger miteinander verbunden, als dies bisher gemeiniglich der Fall gewesen ist. Eine Fülle weitausholender politischer Verknüpfungen und tiefschürfender Einzelforschungen ist in dieser Landesgeschichte ausgebreitet; zuviel wohl für die breite Öffentlichkeit, für die sie geschrieben ist.


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